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Ars Electronica 1991
Festival-Programm 1991
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Festival 1979-2007
 

 

Akzidenz


'Leo Schatzl Leo Schatzl

Akzide'nz m Neben-, Gelegenheitsarbeit, -drucksache; Akzidens n; ..denzien: Hinzukommendes, Zufälliges, unwesentliche Eigenschaft, Nebeneinnahme [accidere lat. vorfallen, sich ereignen]; acciden't engl. [aeksident] Zufall m; unvorhergesehenes Ereignis n; Unglücksfall m; unwesentliche Eigenschaft; geol. Störung f.

"Jede Technik produziert und programmiert einen spezifischen Unfall."
(Leo Schatzl)
Geschwindigkeit und Mobilität erweisen ihre Substanz in den Koordinaten Zeit und Raum, wobei sowohl die eine wie die andere den Zufall als wesentliches Element beinhaltet.

Geschwindigkeit ist nicht bloß abhängig von der Kraft des sich fortbewegenden Objekts (Subjekts?), von der Strecke, der Energie, die aufgewendet und investiert wird, nicht bloß vom Luftwiderstand und der Reibung und sämtlichen weiteren physikalischen Phänomenen. Sie ist mindestens so determiniert von der Zufälligkeit der Möglichkeit einer Bewegung. Geschwindigkeit ist Chaos, Mobilität der Versuch der Ordnung.

Denn (Fort)bewegung ist nicht immer erlaubt, auch wenn sie gewollt ist und nichts gegen sie spräche vom Standpunkt einer freien Entscheidung aus. Chaotische Effekte wie Rückkoppelung und Selbstreferenz haben ihre Wirkungen, und die Kontrolle, die niemals absolut sein kann, ist mehr Zufallsprinzip als Voraussetzung für Geschwindigkeit.

Mobilität kann als Nutzung einer gewählten Geschwindigkeit gekennzeichnet sein, die gleichzeitig aber von anderen zufälligen Faktoren abhängig ist, wie etwa der sozialen, geistigen, körperlichen, ökonomischen Beschaffenheit dessen, der mobil sein will/muß/kann. Das mobile Objekt gibt es nicht. Es fehlt ihm die Entscheidungskompetenz dazu, die Voraussetzung für Mobil-Sein ist.

Autos sind nicht mobil, sie sind höchstens mobilar, d. h. bewegbar. Ihre Bewegung kann mit höchster Geschwindigkeit vollzogen, ihre Bahn gesteuert werden, somit ihre Richtung, ihr Ausgangspunkt, ihr Ziel bestimmt werden. Nicht aber die Spuren, die Autos hinterlassen, sei es beim Fahren, beim Bremsen, weil sie Öl verlieren oder Staub aufwirbeln. Am wenigsten können die Spuren eines Unfalls bestimmt werden, auch wenn vermeintliche Kontrolle den Aufprall lenkt. Die Zufälligkeit der Spuren macht Kontrolle im Grunde überflüssig, dennoch bemühen wir uns unentwegt, das Ende der Fahrt und ihre Spuren zu determinieren. Wir wollen den Unfall nicht.

Was aber, wenn er doch passiert? Dann wollen wir ihn zumindest FESTHALTEN, aufzeichnen, speichern. Für die elektronische visuelle Speicherung scheint eine geringe Kontrolle der Laufbahn, der Objekte notwendig. Dann können wir den Unfall wirklich SEHEN; frame für frame, in 1000stel-Sekunden-Bildern aufgenommen.

Der Moment der Kollision (zum Ritual stilisiert) hinterläßt seine vehementen Spuren auf dem weichen Material, das sich zu verhärten beginnt, langsam zwar, ein quasi geologischer Vorgang, der zugleich archäologisches Material wird, indem er Aufschluß über sein kulturelles Umfeld gibt: die Kultur des Unfalls und des Versuchs, diesen Zufall in den Griff zu kriegen.

Die elektronischen Bilder und die fossilierten Spuren des Unfall-Rituals sind die Objekte und Zeichen, die der Künstler der Welt der Bewegung entgegenhält.
"Wenn alles Bewegung ist, ist alles gleichzeitig Unfall, und unsere Existenz als metabolisches Fahrzeug ließe sich zusammenfassen in einer Reihe von Kollisionen und Traumata. Sie hätten zunächst etwas von langsamen und wahrnehmbaren Zärtlichkeiten, würden dann aber durch den Antrieb, den sie erhalten, zu tödlichen Schocks, zu Feuerapotheosen, vor allem aber zu einer anderen Sichtweise."
(Paul Virilio, 1980)
Katharina Gsöllpointner
RITUAL
Auf ebenem Gelände werden, ähnlich wissenschaftlichen Versuchen (vgl. Crashtests) nacheinander 3 Autounfälle inszeniert. Die Fahrzeuge werden auf der geradlinigen Bahn beschleunigt und durch Rampen zum Überschlagen gebracht. Genaue Berechnungen garantieren den Aufprall der Fahrzeuge in den Zielfeldern, quadratische Schalungen mit weichem Beton. Der Moment der Kollision wird als Negativabdruck (Fossil) fixiert.
MEDIUM
Die einzelnen Durchläufe werden dokumentiert, die entscheidenden Unfallphasen mit Hochfrequenzkameras aufgezeichnet. Das Ritual wird reproduzierbar, mediatisiert.
RELIKT
Die gehärteten Betonplatten werden geborgen und zum Ausstellungsort transportiert. In musealem Ambiente stehen sie für die Versteinerung der Unfälle, vergleichbar mit dem negativen Abbild auf einer Photoplatte, bannen den Moment der Berührung, Höhepunktes einer Bewegung und im Augenblick des Todes.