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Ars Electronica 1990
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DIE "HARMONIE DER SPHÄREN" VON JOHANNES KEPLER in heutiger Sicht (musikalisch) betrachtet


'Rolf Maedel Rolf Maedel

Vor über 11 Jahren hielt ich ein Referat über obiges Thema im "Institut" für musikalische Grundlagenforschung am MOZARTEUM (Salzburg).

Neben den nun folgenden Ausführungen wurde eine Magnetband-Aufzeichnung der in Klänge übersetzten Planetenproportionen vorgeführt. Mit der Hilfe von Herrn Ing. HANEL gelang es, sowohl statische "MITTELWERTE" als auch ein dynamisches Modell der exzentrischen Bahnwerte zu realisieren. Wir transferierten die bekannten 9 Wandelsterne in den heutigen Instrumentalbereich von ca. 7 Oktaven. Eine Periode (Pluto-Umlauf v. ca. 249 Jahren) wurde in 4 Min. vollendet. Dabei blieben die Lautstärken sowie Klangfarben unberücksichtigt. (Ein Tonband befindet sich im Institut des Mozarteums).

Fast 1 Jahr später erschien eine amerikanische Langspielplatte (YALE/IBM, LP 1571) auf dem Markt mit der Realisation von nur 6 Klängen (den um 1600 bekannten Planeten) unter Hinzufügung der 3 restlichen (UR, NE, PL) als rhythmische Impulse. Die Periodenzeit betrug eine Plattenseite, was zwar das Aufnehmen von klanglichen Einzelheiten förderte, für den Gesamteindruck aber nur hinderlich war. Allgemein aber ist der Gesamteindruck recht ähnlich. (Auch diese LP ist im Institut vorhanden). Wie Kepler zu den fast 400 Jahren danach erfolgten Aufzeichnungen gestanden haben mochte, soll ein Zitat aus den "HARMONICES MUNDI "' zeigen:

"Also sind alle diese himmlischen Bewegungen nichts anderes als ein ewig wunderbarer vielstimmiger Gesang, der bloß gedanklich, nicht durch Töne erkennbar, über Mißklänge der Spannung dahinschreitet, als glitte er über SYNCOPATIONES oder CADENTIAS wie sie die Menschen durch die natürlichen Harmonienfolgen nachahmen.

Er führt zu bestimmt vorgeschriebenen CLAUSULAS und legt die sechs Glieder seines Bandes und durch ihre Noten die Unendlichkeit der Zeit unzweideutig fest. Jetzt ist es weiter nicht merkwürdig, daß der Mensch, wie er stetig die Wunderwerke seines Schöpfers nachäfft, auch den vielstimmigen Gesang, der den Alten unbekannt war, endlich doch erfunden hat. Denn nun vermag er die Ewigkeit der Weltendauer in dem kurzen Bruchteile einer Stunde durch ein kunstvoll gefügtes Tonwerk mehrerer Stimmen spielend abzubilden und das Wohlgefallen Gottes, des Schöpfers, an seinen Werken nachzuempfinden, wenn ihm in wundersam-lieblichem Sinnenspiel eine Nachahmung des göttlichen Tongefüges vorüberrauscht."

Und weiter:
"Es können sich harmonische Zusammenklänge je zweier Gestirne ergeben, nicht gerade an den Grenzstellen der Bewegungen, aber im Zwischengebiet … Denn da (z.B.) SA von G nach H und noch etwas höher schreitet, JU von h nach d und weiter, so können sich zwischen JU und SA solche Harmonien ergeben, die Oktave, Terz oder Quart liefern … "' (Es folgen MA & ME, der wegen seines nur 3 Monate langen Umlaufs mit allen Gestirnen alle Harmonien bilden kann) "ER & VE hingegen schränken die Möglichkeiten des Zusammenklangs ein" (Dürftigkeit an Harmonie!).

"Sollen aber gar 3 Gestirne zum 3-Klang zusammentreten, muß man auf viel mehr Beziehungen rechnen (MA, ER, ME)." Vierklänge aber tönen sehr selten in Jahrhunderten, Fünfklänge nur alle 10.000 Jahre. Daß aber alle 6 (Planeten) harmonisch zusammenklingen, ist ein Ereignis, das sich in unendlich lange Zeiträume verhüllt." (Siehe Tafel 3 und 5) – Nun ist die Idee einer "SPHÄRENHARMONIE" ja von den altgriechischen Pythagoräern überliefert, die bereits ein heliozentrisches Planetensystem kannten: (Um 300 v. Chr. schloß ARISTARCH die Entwicklung von Philolaos über Heraklit ab, die erst um 1500 von Kopernikus wieder aufgenommen wurde).

Aber erst Kepler griff die alte Lehre der "himmlischen Harmonien" erneut auf; für ihn war sie der Leitgedanke aller seiner Forschungen und führte gleichsam als "Nebenprodukt" zu den 3 Gesetzen, ohne die unser heutiges Weltbild gar nicht bestünde.

Aus dem Buch V. der "HARMONICES MUNDI" (vollendet 1618 in Linz) zitiere ich die Vorrede Keplers zu den entscheidenden Tafeln – nachdem er erst viele vergebliche Ansätze (17 Jahre lang) wieder verworfen hatte: (Alle Proportionen sind in CENT* umgerechnet!) Zuvor einige Kepler-Werte der früheren Aufzeichnungen:

NB 1): "Ich wußte, daß die Proportionen der scheinbaren Bewegungen gleich dem Doppelten der Proportion der Bewegung auf dem Exzenter ist.

NB 2) :"Nicht darauf muß man sehen, wie weit jeder einzelne Planet von der Sonne entfernt ist, noch darauf, welche Strecke er an einem Tag durchmißt. Man muß vielmehr die Größe des Winkels ins Auge fassen, den die tägliche Bewegung für jeden Planeten am Sonnen-Körper ausmacht, oder die Größe des Bogens, der an einem Tag auf der Ekliptik zurückgelegt wird."

"Was nun die täglichen Wege der einzelnen Planeten für sich anbelangt, so müssen ihre Proportionen der Größe nach die gleichen sein, wie bei den Abständen, nur umgekehrt. Wenn wir aber die extremen konvergenten oder divergenten Wege je zweier Planeten ins Auge fassen, da zeigt sich noch viel weniger etwas von Harmonie als vorher, da wir die Bögen untersucht haben".

"Aber was sollen denn Harmonien zwischen den Wegen? Wer wird diese Harmonien wahrnehmen?
Zwei Dinge sind es, die uns die Harmonien der Natur kundtun, das Licht und die Töne. Wenn der Sinn (Auge oder Ohr) diese Spezies aufgenommen hat, unterscheidet er das Melodische vom Unmelodischen, sei es rein instinktmäßig, sei es durch astronomische oder harmonische Überlegung.

NUN GIBT ES ABER AM HIMMEL KEINE TÖNE.
So bleibt nur das Licht übrig.

Soll nun das Licht für sich selber unterrichten, so muß offenbar der SINN zugegen sein. Es wird also der SINN der ganzen Welt sein, der gleicherweise bei den Bewegungen aller Planeten zugegen ist.

Denn jener Weg, der von den Beobachtungen durch die weiten Umwege der Geometrie und Arithmetik über die Proportionen der Bahnen und alles andere bis zu diesen Größen führt, ist allzulang für irgendeinen natürlichen Instinkt, zu dessen Erregung man die Einführung der Harmonien für zweckmäßig halten möchte."

Die Astronomie Tycho Brahes liefert uns nun die in der folgenden Tabelle angegebenen täglichen Bewegungen der Planeten in ihren Bahnen, "wie sie für einen Beobachter auf der Sonne erscheinen."

Kepler konnte nun jubeln:
"Auf den ersten Blick brach die Sonne der Harmonie mit all ihrem Glanz durch die Wolken!"
Für ihn war dies die göttliche Ordnung einfacher, kleiner Zahlenbeziehungen, die aus dem unendlichen Kontinuum auch die musikalisch brauchbaren Intervalle entstehen ließ. Wie wir aber gesehen haben, war sich Kepler der Abweichungen sehr wohl bewußt, trotzdem rückte er sie gemäß seinem Wunschdenken zurecht! Wir haben heute für die Intervall-Toleranz einen neuen Begriff: Das "Zurechthören". Obendrein aber wurden durch die jetzige größere Meßgenauigkeit und Testmethoden die Vorstellungen der Renaissance erschüttert: U.a. Hördehnungstendenzen, Abweichungen durch Stimmdichte, Tempo der Tonfolgen, Lautstärke und Klangfarbe, sowie die erweiterten Harmoniefolgen beeinflussen unser Empfinden des Klangablaufes erheblich. Die alte Proportionenlehre ist aber trotzdem ein immer noch notwendiger Orientierungsbehelf, was auch in den Schriften von H. P. Hesse (Institut Mozarteum) trotz mancher "Unkenrufe" im Rahmen der modernsten Hörtheorie zum Ausdruck kommt!

Kepler verwendete auch die seit Zarlino erfolgte Fixierung des Dur/moll-Prinzips in seinen 6-stimmigen Planetenproportionen:
Ab SA(A) = Dur/Ab SA(P) = moll.