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Ars Electronica 1990
Festival-Programm 1990
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Festival 1979-2007
 

 

Ein Blick von draußen
(Anmerkungen zur Inszenierung von "Keplers Traum")

' STUDIO AZZURRO STUDIO AZZURRO

In seinem "Somnium" stellt Kepler sich vor, die Erde vom Mond aus zu betrachten. Sowohl der erzählerische Inhalt wie der wissenschaftliche Wert der Arbeit benutzen dieses didaktische Artefakt als Angelpunkt, der philosophische Aspekt verbirgt sich dahinter.

Aber wenn dies ein wirksames Paradoxon am Ende des 16. Jahrhunderts war, so hat es diese Funktion heute verloren. Mit den technischen Mitteln der Gegenwart kann dieser extreme Standpunkt, diese bis vor kurzem nur vorstellbare Vision tatsächlich zugänglich gemacht werden. Das Bild der Erde gehört heute schon zum Alltäglichen. Die Satelliten sind zu Prothesen unserer Augen geworden, ein Instrument unseres kollektiven Selbstportraits, oder – wenn man so will – das Gesamtbild unserer "oberflächlichen" Kultur. Durch die Wettersatelliten, die geostationären Satelliten, die militärischen Satelliten, durch einen Gutteil der rund sechzigtausend kleineren und größeren Trabanten unserer Erde, beobachten, kontrollieren, analysieren wir täglich die Oberfläche unseres Planeten und erforschen wir die Leere des Alls.

Wenn diese farbigen, digitalisierten und ästhetisch den malerischen "landscapes" ähnlichen Bilder übertragen werden, wenn sich diese synthetischen Visionen der Erde und des Weltalls formen, so vermeinen wir, die Form und den Sinn der Dinge beherrschen zu können, aber gleichzeitig erwacht in unserem Imaginären dieses unruhige Gefühl der Unendlichkeit und unserer mikroskopisch kleinen Präsenz: Zwei Gefühle, die miteinander kontrastieren.

Und so werden diese Blicke auf uns von außen auch zu Blicken, die unser Inneres betrachten, die uns dazu dienen, eine neue und uns gehörende "Maske" des Universums zu suchen und zu definieren.

Darüberhinaus gibt es noch einen bemerkenswerten Aspekt: Viele glauben, daß Magie und Wissenschaft mit dem Heraufdämmern des modernen Zeitalters frontal aufeinandergeprallt seien, einen Kampf ohne Schonung ausgefochten hätten und daß letztlich die Wissenschaft, als die realistischere und mehr im Einklang mit dem Universum befindliche, letztlich obsiegt hätte und die Totems und Hexer, die Wunderheiler und Alchimisten an die Grenzen der zivilisierten Welt zurückgedrängt hätte. In Wahrheit ist die Sache gar nicht so gelaufen: Fast alle Wissenschaftler der Anfangszeit haben auf zwei Hochzeiten getanzt " auch Kepler, der der hervorragendste Erforscher des Himmels aller Zeiten war, war gleichzeitig ein sehr gefragter Astrologe, an der Seite einer Mutter aufgewachsen, die der Hexerei angeklagt wurde und die er selbst verteidigte, bis er selbst als Häretiker und Hexensohn betrachtet wurde. Diese Beziehung des Nebeneinanders zwischen den beiden Aspekten, so bekämpft von der positivistischen Kultur, scheint – wenn auch nicht mehr in den alten Formen – wieder aufzuleben, eingeflochten in etwas, was das Höchste der Evolution des rationalen Gedankens werden sollte, jene technologische Welt also, die sich von den hyperrealen Dimensionen des Videos bis zu jenen simulierten der Computer erstreckt, von der Ferne der Explorer bis zur Besichtigung der kleinsten Atomteilchen; all jene virtuelle Welt, die wir nicht mehr mit unseren physischen Sinnen erfassen, die schon die "visionäre" Physik suggerierte und die heute offenbar wirklich zu existieren scheint. Es liegt etwas Magisches in jenen Instrumenten, aber insbesondere liegt etwas Magisches in der Art unserer Beziehungen zu ihnen. Es gibt eine Komplexität der Informationen, der Klänge, eine Verknüpfung schwingender Saiten, die diese Materie untergreift und sie mit dem Betrachter vereint. Aus dem Universum, das in dieser Beziehung produziert wird, aus der Beziehung, die hier entsteht, kann man erkennen, ob die übertragenen Botschaften geheim bleiben werden. Unterhalb der Oberfläche dieser neuen Kosmologie erkennt man Mysterien, ebenso beunruhigend wie jene, die man in den magischen und mythischen Universen findet. Und unser Universum heute ist in vielerlei Hinsicht dem alten magischen Universum ähnlich.

Noch etwas: Unsere Erde ist klein geworden, eingefaßt in einen Bildschirm, ein pulsierender und mobiler Globus. Es ist das Bild einer immateriellen Welt, das sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegt, den Raum erreicht und wie durch einen Spiegel auf die Erde reflektiert wird. Aber gemeinsam mit der Handvoll Daten, die zur Komposition dieses Bildes dienen, fließt dort oben im Raum auch ein kontinuierlicher Fluß aus Signalen, aus Informationspaketen, die uns darstellen, die dazu dienen, die Menschen untereinander in Beziehung zu setzen, die an Stelle unserer Handlungen treten und unserer Bewegungen: mächtige Prothesen unserer Stimme, unserer Augen, unserer Gedanken. "Die menschlichen Wesen", schrieb Marshall Mc Luhan schon 1965 "sind der unmittelbaren Faszination einer jeden Extension ihrer selbst unterworfen, wenn diese aus anderem Material produziert wird, als jenem, aus dem sie bestehen … Jede Erfindung oder Technologie ist eine Erweiterung oder eine Selbst-Amputation unseres Körpers."

Durch den Ersatz unserer Sinne mit jenen von der Technologie programmierten riskiert jeder Mensch, Teil desselben Stammes zu werden, und durch die Vertauschung der Frequenzen mit der von Mc Luhan vorangekündigten Stammestrommel riskieren wir alle, uns entlang des Weges der totalen Homologisierung zu bewegen.

Aber die Technologie kann auch die Erweiterung unserer Kreativität durch eine neue Poesie sein: Dieses Tam-Tam versuchen wir in Musik zu verwandeln, diese Bilder versuchen wir, einer uns angemessenen Ausdrucksweise anzupassen.

Diese Prämissen dienen zur Unterstreichung der zentralen Bedeutung, die "live"-Wettersatellitenbilder in der Inszenierung haben, sowie für unsere Entscheidung, alles auf eine zeitlose Ebene zu stellen, keine Rekonstruktion, keine Futurisierung, sondern der Anspruch, Keplers Traum zu benützen wie einen unserer Träume, der sich nicht von den erzählten Begebenheiten trennen kann und auch nicht von den Zeichen unserer Zeitgenossenschaft.

Die Möglichkeit der Zuseher, denselben Standpunkt einzunehmen, den Kepler sich vorgestellt hat, durch die Bilder von dieser großartigen Überwachungskamera; sich also mit der eigenen Betrachtungsweise hinauszuprojizieren aus dem realen und praktikablen Zusammenhang und durch diesen veränderten Blick auch den eigenen Standpunkt zu suchen. Auf der Bühne zwei große Ohren, bereit, die in der Atmosphäre eingefangenen Frequenzen aufzunehmen und umzusetzen: Zwei Metallstrukturen, die die Parabolantennen für den Satellitenempfang tragen, und die Monitore, welche Daten und Figuren transportieren. Es sind auch Türme des Bezugs, für die Schauspieler, Sänger und Musiker begehbar; animierende Signale einer Bühne, die sich während der Reisen von einem Planeten zum anderen aktivieren. Auf der Szene rotieren auf verschiedenen Umlaufbahnen zwei Videoprojektoren, die ihre Lichtsignale, ihre Informationen, die Fragmente ihrer Erzählungen auf eine große halbkreisförmige Leinwand werfen, die einen Gutteil der Bühne umgibt.

Zwischen diesen Elementen treten die verschiedenen Interpreten und auch das Orchester selbst auf. Letzteres ist nicht wie üblich fix am Rand des Spektakels aufgestellt, sondern nimmt gleichzeitig mit der musikalischen Ausführung in signifikanter Weise an der Entwicklung der Erzählung teil und interagiert mit Bühne und Akteuren. Der Dämon – mit jenem Anflug von Ironie, den man mit dem "Dämonischen" verbindet – bedient und illustriert dieses "Planetarium" auch aus Menschen und enthüllt so auch "seine" Maske dieses Universums.

Das Stück gliedert sich in sechs Perioden:

Einleitung
Die Einleitung zur Erzählung entwickelt sich mit den am meisten autobiographischen Teilen des "Somniums": die Mutter, die Reisen, der Unterricht Tycho Brahes, die Beziehungen zur Magie. Ein Teil, der für zwei synchronisierte Bildwände in und beim Castel del Monte bei Andria (Apulien) gefilmt wurde, einer achteckigen Konstruktion, die von Kaiser Friedrich II. von Staufen errichtet wurde und die voller astronomischer, geometrischer und mathematischer Anspielungen ist.

Magische Formeln
Duett: "Notti senza fine … (Nächte ohne Ende …)" Die beiden Sänger entledigen sich der sie umgebenden Hülle.

Navigation zum Mond
Ein Radar führt uns auf dieser Reise in die Geschichte der Bilder der Erde, von den ältesten zu den modernsten.

Der Blick
Der Dämon beschreibt uns die Charakteristiken von Levana, ohne dabei auf genaue Bezüge auf das Erdenleben zu verzichten, überwiegend mit Hilfe der digitalen Ikonographie und durch Fragmente ihrer Realität, von einem im Zenit befindlichen Standpunkt aus betrachtet.

Zoomfahrten transportieren uns von einer erweiterten Vision zu einem Detail eines mikroskopischen Pixels, das uns – mit anderen Farben – von Mal zu Mal neue Kapitel eröffnet.

Die Rückkehr zur Erde
"Dreht euch, dreht euch …": Neuerlich leitet uns das Radar auf dieser Rückreise.

Die Rückkunft auf der Erde
Wie erscheint uns die Erde nach einer so lehrreichen Reise: Der Dämon verhüllt sein Haupt, während der Computer neue Bilder überträgt. Die Live-Kameras lösen die Figur unseres Führers in eine simulierte Dimension auf.

TELESPAZIO im Einklang mit der Musik
Telespazio wollte an diesem Werk mitwirken, in dem Giorgio Battistellis astronomisch-musikalische Oper "Keplers Traum" aufgeführt wird, weil Kepler in seiner wissenschaftlichen Dissertation für die Zulassung zur Universität Tübingen – von der ja auch das Werk ausgeht – wenn auch in der literarischen Form des Traums vorweggenommen hat, was heute Realität ist und was das spezifische Objekt der Arbeit von TELESPAZIO darstellt.

Die Beobachtung der Erde und der Umwelt allgemein wird ja durch Satelliten ermöglicht, deren Technologie in ihren verschiedenen Aspekten und Anwendungen im Mittelpunkt der Aktivitäten von TELESPAZIO steht.

Die Satelliten sind mittlerweile zu unseren "Augen" geworden, die den Horizont unseres Wissens und unserer Kultur erweitern.

TELESPAZIO ist eine Gesellschaft mit staatlicher Beteiligung durch IRI/STET und ist vom Ministerium für Post und Telekommunikation mit der Realisierung und Gestion von Satellitenkommunikationssystemen in Italien beauftragt.

Als "einziger Vektor" zu den Raumsystemen (erdgestützt und Satelliten) in Italien, stellt TELESPAZIO den Betreibern des nationalen und internationalen Verkehrs die notwendigen Kommunikationsmittel zur Verfügung: für interkontinentale Dienste den INTELSAT, den INMARSAT für mobile maritime Telekommunikation, und EUTELSAT für europäische Telekommunikation.

Bei der rapiden und eindeutigen Entwicklung des weltweiten Szenarios der Telekommunikation – besonders über Satellit – orientiert sich TELESPAZIO sowohl auf die Konsolidierung der institutionellen Aktivitäten als auch auf die Verfolgung neuer kommerzieller Möglichkeiten, auf den Betrieb von Satelliten im Umlauf und auf Raum-Systeme in internationaler Konkurrenz.

Sitz der TELESPAZIO ist Rom, während die Anlagen im Raumzentrum des Fucino, in der Station Lario (Como) und in Scanzano bei Palermo errichtet sind.

Im Auftrag der Agenzia Spaziale Italiana verwaltet TELESPAZIO außerdem die Laserstation von Matera für räumliche Geodäsie.

In Zusammenarbeit mit der Telephongesellschaft SIP realisiert TELESPAZIO derzeit Erdnetze für die Einspeisung numerischer Dienste über Satellit, mit Kleinterminals für soziale Anwendungen.

TELESPAZIO ist weltweit der Hauptlieferant für Telemetrie-Dienste sowie für Betrieb und Steuerung von Satelliten im Umlauf. Diese Dienste werden für verschiedene Selbstverwaltungskörper übernommen, darunter die Agenzia Spaziale Italiana, die ESA, INTELSAT, INMARSAT und COMSAT.

Das technische Know-how und die im Studien- und Experimentalbereich erworbenen Erfahrungen erlauben es TELESPAZIO, an den wichtigsten Raumfahrtprogrammen auf nationaler (ITALSAT) wie internationaler Ebene teilzunehmen (OLYMPUS, Columbus, DRS, SAT2, LASSO-Experimente).

Darüber hinaus übt TELESPAZIO auch die Funktion des Centro Nazionale di Telerilevamento aus, indem es Vektordienste anbietet und den Empfang und die Vor-Auswertung der Daten der Satelliten LANDSAT, SPOT und MOS-1 übernimmt. Weiters ist TELESPAZIO besonders im Umweltdatenbereich aktiv und erstellt satellitengestützte Umweltdatenbanken.