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Ars Electronica 1990
Festival-Programm 1990
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Festival 1979-2007
 

 

A Mandelbox
Eine Computer-Synthesizer-Installation

'Mesias Maiguashca Mesias Maiguashca

"Der Ozean, die Quelle elektrischer, magnetischer und gravitativer Impulse, schien sich in der Sprache der Mathematik zu äußern; gewisse Sequenzen seiner Stromentladungen ließen sich klassifizieren, wenn man sich der abstraktesten Zweige der irdischen Analysis und Mengenlehre bediente"

(S. Lem "Solaris")
1977 veröffentlichte Benoit Mandelbrot sein Buch "The Fractal Geometry of Nature".

"Am Ende stand das Wort 'fraktal' für eine Möglichkeit, Formen zu beschreiben, zu berechnen und zu reflektieren, die unregelmäßig und fragmentarisch sind, zerklüftet und aufgebrochen – angefangen bei den kristallinen Formen einer Schneeflocke bis hin zu den diskontinuierlichen Nebeln von Galaxien …

… und Vertreter der theoretischen Biologie begannen darüber zu spekulieren, ob fraktale Skalierung nicht nur ein vereinzeltes, sondern gar ein universales Phänomen der Morphogenese sei." (James Gleik, "Chaos – Die Ordnung des Universums", Verlag Droemer Knaur, München 1988)
Kurz danach entdeckte er die nach ihm benannte Menge.

"Beispiele wie die Mandelbrot-Menge … belegen, daß aus einfachen Verfahren eine nahezu grenzenlose Vielfalt und Komplexität hervorgehen kann. Es liegt nahe anzunehmen, daß viele der komplexen Formen und Prozesse, die wir in der Natur antreffen, auf diese Weise entstehen." (Paul Davies, "Prinzip Chaos", Bertelsmann Verlag, München 1988)

Die Mandelbrot-Menge läßt sich mittels eines Computerprogramms, dessen Kern eine relativ einfache mathematische Formel ist, berechnen. Die Ergebnisse der Kalkulation werden normalerweise graphisch auf einem farbigen Video-Monitor dargestellt. Auf diese Art sind die "Fraktal-Bilder" entstanden, die in den letzten Jahren die interessierte Öffentlichkeit derart überrascht haben.

Wenn man aber eine mathematische Funktion bildlich darstellen kann, warum nicht auch mittels Klang? Warum nicht Bild und Klang gleichzeitig? Diese Fragestellung war der Ausgangspunkt von "A MANDELBOX", eine Computer-Installation, die ich für die Donaueschinger Musiktage komponierte und die dort 1988 uraufgeführt wurde.

Es hat mich tatsächlich total "umgehauen", daß eine einfache mathematische Formel die Potenz in sich birgt, ein Universum zu schaffen. Mein Traum wäre es gewesen, einen Mechanismus in Gang zu setzen, bei dem die Formel nicht nur ein Bild entstehen läßt, sondern auch sämtliche Parameter eines Klanges bis in die tiefste Ebene, die Wellenform, direkt steuert: "Natur Pur".

Das mir zur Verfügung stehende technische Material ließ das nicht zu. Eine erste Annäherung fand ihren Niederschlag in einer Computer-Synthesizer-Installation die den Prozeß der Kalkulation in Bild und Ton darstellt. Ein Programm erlaubt die Eingabe von Parametern durch das Publikum. Während eines Zeitraums von etwa 10 Minuten entsteht "klingend" das entsprechende Bild.

Der nicht zu stillende Trieb, selbst zu gestalten, zu "komponieren", wollte aber auch unbedingt in dieser Arbeit berücksichtigt werden. Aus dieser Motivation entstanden die "VIDEO-MEMOIREN", die aus 17 etwa 5-minutigen "Video-Kompositionen" bestehen. In jeder Komposition verarbeitet ein Programm die Information eines Fraktalbildes, welche vorher auf eine Festplatte gespeichert wurde. Form, Ablauf, Harmonisch-Melodisches, usw. sind zwar von der numerischen Information direkt oder indirekt generiert, aber im Detail frei "gestaltet".

Die aufregenden Analogien zwischen Formen der durch den Algorithmus geschaffenen Bilder und Formen des Mikro-, vor allem aber des Makrokosmos, führten mich auf direktem Weg zur Lektüre über Themen der Makro-Welt: Entstehung des Universums, Zukunftsprognosen, insbesondere aber über die Einbettung des Dasein von UNS (Menschen) in das Dasein von ES, was wir wahrscheinlich nie erfassen werden.

Die Beschäftigung mit "Lichtklang-Makrowelt-Raum-Zeit-Form" und Mathematik fand in der Begegnung mit Stanislaw Lems Roman "SOLARIS" eine quasi "natürliche" Entsprechung. In der Tat hat sich "SOLARIS" mit den "VIDEO-MEMOIREN" auf mehreren Ebenen verzahnt, man könnte diese als eine Vorübung zu einem Bühnenwerk betrachten, das ich zum Thema "SOLARIS" im Moment ausarbeite. Alle Texte, die in den "VIDEO-MEMOIREN" zitiert werden, stammen von S. Lem, insbesondere aber aus "SOLARIS".

Bernard Geyer und ich haben die Programme in unseren privaten Studios geschrieben und zwar mit dem Personal-Computer ATARI-1040 in der Sprache FORTH (Version Mach 2). Das ganze Paket besteht aus mehreren in sich verzahnten "Bibliotheken": Graphik, Farbe, Midi, Kalkulationsteil und Kompositionsalgorithmen. (Die Sequenz ISLAND aus den "VIDEO-MEMORIEN" wurde von Bernard gestaltet).

"A MANDELBOX" wurde als eine ausstellungsartige Installation konzipiert. Inzwischen habe ich eine Auswahl der "VIDEO-MEMOIREN" zu einer Konzertversion zusammengefaßt. In Linz werden beide Fassungen gezeigt: das Konzert als eine Art PRÄSENTATION der Installation, die Installation als eine Art ERINNERUNG des Konzerts.
"Vielleicht waren das Daten über den jeweiligen Erregungszustand des Ozeans? Vielleicht die Impulse, die irgendwo, Tausende Meilen weit weg von den Forschern, seine Riesengebilde entstehen lassen? Vielleicht die in unergründliche elektronische Gefüge umgesetzten Widerspielungen der ewigen Wahrheiten dieses Ozeans? Vielleicht seine Kunstwerke? …"

(S. Lem, "Solaris")