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Ars Electronica 1990
Festival-Programm 1990
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Festival 1979-2007
 

 

GEGEN DIE IDIOTIE DER ELEKTRONISCHEN KUNST
(eine Vorlesung der freien Akademie gegen Idiotie)

'Friederike Pezold Friederike Pezold

Eine Idiotie der elektronischen Kunst ist: Wenn sie bereits vorhandene Idiotien nachahmt – anstatt ihnen etwas entgegenzusetzen!

Eine Idiotie ist der moderne Zeitgeist oder das moderne Zeitgefühl – das nichts anderes ist: als eine idiotische Raserei, wo die Menschen durch Zeit und Raum rasen und dir sagen, wenn du sie triffst – ich muß rasen – ich habe keine Zeit!?!? Und dieses "Keine Zeit haben" des modernen Menschen ist idiotisch, denn da die Arbeitszeiten immer kürzer geworden sind und die Menschen immer weniger arbeiten: müßten sie auch immer mehr Zeit haben!?!

Tatsächlich ist es aber so: je weniger die Menschen arbeiten, desto weniger Zeit haben sie und das ist eine Idiotie! Eine Idiotie deren Folge ist: daß die Menschen so hektisch wie von der Tarantel gestochen durch die Gegend rasen! Eine Idiotie, die die elektronische Kunst dadurch nachahmt: indem sie die Bilder so hektisch wie von der Tarantel gestochen durch den Computer oder den Bildschirm rasen läßt! Und wenn Peter Weibel, der hektische Professor, durch die Gegend rast, zum Beispiel durch Amerika, von wo er seine Ideen herholt und die Chaosforschung mitbringt – so ist dagegen nichts zu sagen – sehr wohl aber dagegen, daß er in einem Text über die Chaosforschung in etwa folgendes schreibt: Daß das im Kino sitzen und einen Film von Anfang bis Ende anschauen überholt ist – modern dagegen, wenn man von Kino zu Kino hetzt und jeden Film nur ein paar Sekunden anschaut und dann zum nächsten rast – und das finde ich idiotisch! Eine Idiotie, die nicht neu ist sondern überholt, weil die Menschen schon die längste Zeit, also schon viel zu lange, wie gehetzte Affen durch die Gegend rasen. Die Raserei kommt von dem idiotischen Zeitgeist "In kürzester Zeit immer mehr und schneller" konsumieren, der aus der Welt und dem menschlichen Kopf einen überfüllten Ramschladen gemacht hat.

Ahmt die elektronische Kunst den idiotischen Zeitgeist "In kürzester Zeit immer mehr und schneller" nach, dann jagt sie auch pro Sekunde immer mehr und mehr Worte und Bilder immer schneller durch den Bildschirm – nur weil das technisch machbar ist – obwohl es eigentlich idiotisch ist: denn nach einigen Sekunden, weiß man – wenn die Töne und Bilder nur so vorbeirasen – gar nicht mehr, was man gehört und gesehen hat.

Diese Idiotie, alles zu machen, was technisch machbar ist und sei es noch so idiotisch – ist nicht nur eine Geisteskrankheit der elektronischen Kunst – sondern eine, die schon die längste Zeit im zwanzigsten Jahrhundert ihr Unwesen getrieben hat und deren Folgen das Ozonloch und die Umweltverschmutzung sind! Aus dieser Idiotie sollte die elektronische Kunst was lernen, indem sie nicht alles macht was technisch machbar ist – sondern sich vorher fragt, ob es auch sinnvoll ist – alle Sekunden eine Unzahl von Tönen und Bildern durch den Bildschirm rasen zu lassen – ist jedenfalls idiotisch: weil nach kurzer Zeit niemand mehr weiß, was er gesehen oder gehört hat! Was ich so idiotisch finde ist: daß bei den Ausstellungen über elektronische Kunst – die größte Aufmerksamkeit all dem gilt, was schon wieder technisch machbar ist – aber leider nie der entscheidenden Frage – ist das Machbare auch gut für die Menschen oder ist es schädlich? Schädlich ist dieses Bombardieren mit Krach und rasenden Bildern schon allein deshalb: weil die Quantität der Wahrnehmung zunimmt – die Tiefe und die Intensität also die Qualität der Wahrnehmung abnimmt! Die Abnahme der Qualität ist idiotisch!! Diese Idiotie der elektronischen Kunst bekümmert und schmerzt mich deswegen zutiefst, weil ich einer Sparte der elektronischen Kunst – nämlich der Videokunst zum Licht der Welt verholfen habe und deshalb auch um ihre weitere Entwicklung besorgt bin! So ist mein persönlicher Beitrag zu ihrer Entwicklung ein kritischer und konstruktiver: Indem ich die Idioten des Zeitgeistes nicht nachmache – wie zum einen dieses gedankenlose Machen von allem, was technisch machbar ist und zum anderen dieses Bombardieren mit immer mehr Krach und rasenden Bildern – sondern dieser Idiotie etwas entgegensetze: Die elektronischen Göttinnen der Stille, Konzentration und Langsamkeit!

DIE ELEKTRONISCHEN GÖTTINNEN DER STILLE, KONZENTRATION UND LANGSAMKEIT
"Die Göttin Körpertempel" (1974–1990)
Der unbekannte Planet, den es noch aus dem weiblichen Blickwinkel zu entdecken und vor allem neu zu gestalten gab – das war der weibliche, nackte Körper, den Friederike Pezold neu erschaffen hat mit dem elektronischen Medium Video und mit einer Art, wie man den weiblichen Körper zuvor nie in der Kunstgeschichte gesehen hat! Der Körper der Göttin. Ein Tempel, in dem sich die Körperteile getrennt voneinander wie unabhängige kleine Gottheiten bewegen und zwar überirdisch: Mit göttlicher Ruhe, die nicht von dieser Welt ist, fließen die Körperteile von einer neuen Bewegung zur anderen und bilden mit jeder neuen Bewegung neue Linien, Formen und Bilder.

Die elektronischen Göttinnen der Stille, Konzentration und Langsamkeit spannen den weitesten Bogen zwischen den Göttinnen der ältesten Kulturen und den neuesten, spannen den weitesten Bogen zwischen der ältesten Kunst und der neuesten – der Avantgarde!

"Unter dem Sternenkleid der Göttin unsichtbar bekommt die Fantasie Flügel" (1990)
Diese neue Skulptur ist ein neuer Kunstbetrachtungsapparat, der das Betrachten der Kunst ändert – und zwar in dem Sinn: Daß die Betrachter, diese nervösen Vögel, nicht mehr so gehetzt, so oberflächlich und so schnell an den Kunstwerken vorbeigehen können, sondern sich hinsetzen und in Ruhe das Bild betrachten müssen! Der übliche zerstreute Blick wird gebündelt, indem das Bild nur durch ein Fernrohr gesehen werden kann und so der Blick gezwungen ist – sich ganz auf eine Sache zu konzentrieren! Eine Sehweise, die die Quantität des Betrachtens mindert – die Qualität des Betrachtens aber steigert – und dem gehetzten, oberflächlichen und zerstreuten – also dem grauenhaften Kunstbetrachten – ein Ende setzt!

"Tantra unter dem Dach der Göttin des Mondes" (1990)
Diese neue Skulptur ist ein neuer Kunstbetrachtungsapparat der das Betrachten der Kunst ändert – und zwar in dem Sinn: Daß die Betrachter, diese nervösen Vögel, nicht mehr so gehetzt, so oberflächlich und so schnell an den Kunstwerken vorbeigehen können, sondern sich hinsetzen und in Ruhe das Bild betrachten müssen! Der übliche zerstreute Blick wird gebündelt, indem das Bild nur durch ein Fernrohr gesehen werden kann und so der Blick gezwungen ist – sich ganz auf eine Sache zu konzentrieren! Eine Sehweise, die die Quantität des Betrachtens mindert – die Qualität des Betrachtens aber steigert – und dem gehetzten, oberflächlichen und zerstreuten – also dem grauenhaften Kunstbetrachten – ein Ende setzt!