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Ars Electronica 1990
Festival-Programm 1990
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Festival 1979-2007
 

 

Garten der ZeiTräume


'Sam Auinger Sam Auinger / 'Bruce Odland Bruce Odland

Vorwort: Generell finden wir unsere eigenen Erklärungen über Zeitträume nicht so besonders interessant. Wir bevorzugen stattdessen die Kommentare und Erfahrungen jedes zwanglosen und achtsamen Besuchers des Gartens, dessen direkte Beobachtungen aus dem persönlichen Erkundungsgang viel wichtiger sind. Es muß gesagt werden, daß, obwohl wir die Verursacher dieser Toninstallation sind, und obwohl wir und unsere vielen Mitarbeiter, Freunde, Unterstützer und Helfer, Schuld oder Anerkennung auf uns nehmen müssen, es klar ist, daß wir von denen dazu lernen, die den Garten besuchen. Ihre mannigfaltigen Reaktionen sind es, die uns über die vielen Bedeutungen dieses Werkes informieren.

Wie auch immer, auf die Bitte unseres Freundes Gottfried Hattinger, dessen sanfte Logik uns davon überzeugt, daß nicht jeder fähig sein wird, für sich selbst Erkundungsgänge anzustellen, zusammen mit der Versicherung, daß jeder, der diese Ausgabe erwirbt, sicherlich ein Interesse an zusätzlichem Wissen und einer Nachlese zu diesem Thema der elektronischen Erweiterungen und des wahrnehmenden Denkens hat, aus eben diesen Gründen gehen wir ans Werk. Eine zur Vorsicht mahnende Bemerkung über Worte. Worte neigen dazu, von links nach rechts und von der Vergangenheit in die Zukunft zu gehen, ohne eine Möglichkeit zu lassen, das zu tun, was diese Installation zu tun vorschlägt: nämlich, der Phantasie des Besuchers zu erlauben, sich in der Zeit vorwärts und rückwärts zu bewegen. Dies ist der Grund, warum verbale Erklärungen bis jetzt vermieden wurden.

GARTEN DER ZeiTräume
Ja, aber was ist das? Eine persönliche Kosmologie von Zeit, Raum und Träumen, dem Leben und Schaffen von Johannes Kepler und den Leuten und der Geschichte von Linz gewidmet.

Ein meditativer Raum, wo der Besucher seinen eigenen Weg durch die Geometrie der Klänge, Andeutungen von Umlaufbahnen von Planeten, sich verändernde Klangumgebungen und ein Großbildschirm-Klangkino sucht und findet.

Zeit … Klänge werden programmiert, sich von der Morgendämmerung bis zur Nacht, von Mond zu Mond, und vom Frühling zum Herbst zu verändern, damit die Installation wie ein echter Garten wächst.
Alchemie, Wissenschaft, Was jetzt?
Notizen eines Zeitträumers
Dieses Werk wurde an einem nebeligen Abend nach der Ars Electronica 87 geboren, während ich vom Linzer Schloß hinunter auf die Donau schaute, Geschichten von Alchemie lauschte und zum ersten Mal die radikal unterschiedliche Wahrnehmung von Geschichte zwischen der neuen und der alten Welt verstand. (Im September 1987 war Amerika noch die neue Welt. Das hat sich inzwischen natürlich umgekehrt.)

Eine Sehnsucht entstand, eine Installation zu schaffen, welche die visuale Geschichte des Schlosses in einen frischen klanglichen Kontext stellen sollte, um einen subtileren und zusammenhängenden Effekt zu produzieren, jenen nämlich, der Phantasie des Besuchers zu erlauben, unbeschwert durch die Geschichte zu reisen, über die wahrnehmbare Grenze zwischen Alchemie und Wissenschaft zu gleiten, UND einen persönlichen Wachtraum von Raum und Zeit zu haben, die fließen, und sich verändern.

Dieser Funke einer Idee verschwand nicht mehr. Einige Dinge geschahen, um diese Idee zu verwirklichen. Entwürfe, die ich an Hattinger geschickt hatte, wurden so beantwortet, daß ein Interesse an dem Projekt bestand, daß der große Visionär und Wissenschaftler, Johannes Kepler, in Linz gearbeitet hatte, ein 500-Jahr-Jubiläum in Linz stattfinden sollte, und es außerdem möglich sein könnte, das Schloßgelände zu verwenden. Sofort lud ich meinen Freund Sam Auinger ein, sich mir in einer transatlantischen Zusammenarbeit anzuschließen, und dann gingen wir ans Werk.

Im Entwicklungsprozeß der ursprünglichen Idee hin zum "Garten der Zeitträume" hatten wir viele Lebenserfahrungen, die in die Arbeit eingebracht wurden. Von Anfang an beschlossen wir, daß die Perspektive aus persönlicher Erfahrung und in Beziehung zur Natur betrachtet werden sollte. Deshalb fuhren wir zum Chaco Canyon in New Mexico, um die Stätte der uralten Stadt der Anasazi zu besuchen. Diese Leute lebten in einer Art "Harmonica Mundi", wo alle wichtigen Ereignisse in ihrem Leben mit den Bewegungen der Sonne, des Mondes und der Himmel zusammenhingen, und die Städte, die sie zurückgelassen haben, bieten hinreichende Beweise dafür.

Aufnahmen, die wir zu dieser Zeit machten, wie die Titel "Sunne" und "Narrend Mond", haben ein völlig anderes Zeit- und Raumgefühl als jene Aufnahmen, die in New York und Europa entstanden. Wir kamen mit dem Entschluß zurück, den "Garten der Zeitträume", sowohl als "rund um die Welt Projekt" als auch als eines zu gestalten, das eine persönliche Sicht von Zeit und Raum widerspiegelt.
STÜCKE VOM GANZEN:
Wir baten Freunde, Klänge und Musik beizusteuern, die sich auf die Idee des Zeitträumens bezogen. Diese werden in der Installation verwendet, um die Eigenschaften der Planeten darzustellen. Wir machten viele Aufnahmen an Stellen, die für uns in der Umlaufbahn der Installation lagen. So zum Beispiel die Bruckner-Orgel von St. Florian für Jupiter, die Sirenen von New York City für die Erde, die oberösterreichische Militärkapelle, welche "Mars" – die Geschichte des Musikkrieges, vom dreißigjährigen Krieg bis zur modernen Kennmelodie der Werbung, spielt.

Wir erschufen das "Gehirn", eine digital gesteuerte Analogmatrix, welche zu jeder Zeit jede Art von Klang zu jeder beliebigen Kombination von Lautsprechern schickt, außerdem kreierten wir die Software, die uns ermöglicht, Vielbilder-Klanggemälde zu schaffen und zu speichern. Das selbe System steuert alle Klangquellengeräte, 2CD, 2DAT und 2 Samplers, und ermöglicht weiters eine Wechselwirkung zwischen dem Kepler-Raum und den Gärten.

Wir studierten sorgfältig die umgebenden Räume des Schlosses unter den Aspekten der Akustik, der Architektur und der Geschichte, und verwendeten diese Information zur Auswahl der Lautsprecherpositionen, so daß die Lautsprecher selbst drei-dimensionale "Punkte" werden, die ein größeres Ganzes verbinden.

Wir entwickelten den "Würfel", einen Druckzonenlautsprecher aus Beton, welcher es überstehen würde, 6 Monate lang an einem öffentlichen Ort installiert zu sein, und gravierten auf diese Lautsprecher Symbole und Eigenschaften der Planeten ein.

Wir kreierten die "Planetenlautsprecher", das sind runde keramische Lautsprecher, die einen Tonstrahl aussenden. Sie werden unter dem Alchemie- Baum verwendet, um die Geräusche von Autos in eine eigenartige Musik umzuwandeln, und im Kepler-Raum, um einen vertikalen Stereostrahl zu erzeugen.

Wir bauen den Kepler-Raum zu einem Ort der interaktiven Klang-Alchemie und eines radikalen, vertikalen Stereo-Bilwerks aus, wo der Besucher zwischen dem "Gefängnis" Erde und den Träumen der Himmel stehen kann.

Wir stellten einen Katalog der gesammelten Schriften unserer Freunde zum Thema Zeit-Raum Träumen zusammen.

Wir machen eine Video-Dokumentation von all diesen Dingen, welche nach wahrer zeitträumerischer Art in unserem Projekt, wie allabendliche Nachrichten abzulaufen begann.

Wir luden die Linzer Kirchen ein, an einer Monduhr teilzunehmen, indem sie bei Vollmond ihre Glocken läuten lassen. Wir haben Katsuya Yokoyama, den bekannten Shakuhatchi-Spieler aus Tokyo, eingeladen, während der Ars Electronica Gartenmeister zu sein, und mit seiner Perspektive das "Runde-Welt-Denken" zu verstärken.

Wir haben mit all diesen einzelnen kleinen Teilen gerungen, um etwas zu schaffen, das viel größer ist, und in sich selbst alle Elemente in einer persönlichen Kosmologie der Klänge, der Zeit, des Raumes, der Natur, der Geschichte, der Architektur, der Grenzen und der fehlenden Grenzen vereint, um das Gefühl einer abgerundeten Welt zu geben.

Mitwirkende:
Bruce Odland – Idee und Verwirklichung
Sam Auinger – Idee, Verwirklichung und Gartenmeister
Heinz Waldes – Analog-System-Design, Aufsicht, technische Betreuung
Roland Babl – Schaltkreis-Designer, Hardware
Gerald Schalek – Software-Design, Gartenmeister
Proshow – Audio-System-Installation, Design
Martina Kornfehl – visuelle Beraterin, Würfel-Design, Kepler-Raum-Realisation- und Design
Wolfgang Penkner – Würfel-Herstellung
John Hansen und Nara Raisler – Planeten-LautsprecherKreation
Rudolf Mitter – grafisches Design, Katalogbetreuer Markus Fischer – Video
Karin Friedl – Produktionsassistentin
Franz (Flieger) Stögner – Fotos, Kepler-Raum-Realisation
Herbert Bürstinger – co-componierte und arrangierte "Mars"
Oberösterreichische Militärmusik (Leitung: Lt. Bauer) Aufführung "Mars"
Laurie Anderson nahm die Geschichten für den Mond auf.
Johannes Bogner nahm Cembalo-Musik von J. J. Froberger auf. (164?)
Augustinus Kropfreiter komponierte und nahm Orgelmusik für Jupiter auf.
Robert Ellsworth – Geschichten, Trommeln, Flöte, Stimme für die Erde, Cover-Entwurf und Fotos
Paul Haslinger trug Musik für Saturn bei
Ruth Maleczech nahm Geschichten und ein Gedicht und das Wort "Time" auf.
Der Urfahrerwand Chor nahm Vokalklänge für Venus auf.
ENDE UND ANFÄNGE SIND DAS GLEICHE
Zu diesem Zeitpunkt, zu dem Grenzen, Rollen sich umkehren, Technologie explodiert, die Natur bedroht ist, das menschliche Verstehen überwältigt, Schwächen aufgedeckt werden – stehen wir und stellen die gleiche Frage wie Kepler: kann man einen Weg finden, im Kosmos harmonisch zu leben?
Zeitträume gleiten durch die Geschichte
Harmonices Mundi jetzt
Jetzt an einer neuen ähnlichen Grenze
Was ist danach?