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Ars Electronica 1990
Festival-Programm 1990
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Festival 1979-2007
 

 

UNIVERSCITY TV




Nahezu einhundert Jahre ist es alt, unser Fernsehen, Opas Pantoffelkino.
Damals, 1933 – wer weiß es heute noch – begann, nach der technischen Entwicklungsphase, der Fernseh-Telefondienst des Reichspostzentralamtes zwischen Berlin, Leipzig, Nürnberg und München.

Die High-Lights nach dem Kriege, live dabei: Die Krönung der englischen Königin, der Aufstand in der DDR, der Kennedy-Besuch in Berlin, die Landung auf dem Mond.
Mit der Erfindung der MAZ, der Magnetischen Bildaufzeichnung, verliert das Fernsehen seinen Charme, viel von seiner eigentlichen Qualität, wird sein Niedergang als Kommunikationstechnik eingeleitet. Das Ende: Fernsehen als Kulturinstant für den gefälligen Aufguß. Nur noch selten dürfen wir live genießen (das Fußball-Endspiel, nichts gegen Sport, aber bitte nicht nur Sport). Über 50 Jahre lang erdulden wir nun schon immer wieder die selbe Einweg-Masche, immer wieder die gleichen Fernseh-Formen, immer wieder werden wir aus der kontrollierten Konserve bedient.

UNIVERSCITY TV hat den weltweiten Experimental-Zustand verhängt: Universitäten, Hochschulen, Schulen und sonstige Gruppen und Personen sind aufgefordert, ihre Visionen eines neuen Fernsehens, einer neuen Fernsehästhetik vorzustellen.

Dies ist keine einmalige Aktion, das soll der Beginn eines internationalen Fernseh-Netzwerks sein.

UNIVERSCITY TV sucht Mitstreiter, die genügend Phantasie besitzen, um das Technozeug, das Virtuelle, die Kommunikation, die Menschen (und was sonst noch so einfällt) als künstlerisches Ausgangsmaterial zu definieren und mit den Formprozessen anzufangen. Fernsehen ist Teil der globalen "Sozialen Plastik" (Beuys möge den Begriffsdiebstahl verzeihen). Der Künstler, der in seiner Zeit lebt, erobert sich das Instrumentarium, das seine Zeit bestimmt. Heute sind das: Rundfunk, Fernsehen, Computer, Datenfernübertragung, Bildtelefon, Mikrofon, Satellit, Glasfaserverkabelung, Sample-Keyboard, Video-Kamera, Simulation, Raum-Sonden …

Mehr Stichworte: Weltweite Vernetzung, Live-Studio, Live-Cut, Laboratorium, Medienkunst, Klima gegen Information – Raum gegen Bild, BTX, Wohnzimmer, Video-Installation, East-West-Bildrecycling-Studio, intermediäre Infrastruktur, Debile immobile Monotonie, Echtzeit-Information, elektronische Hypnose, Datenbanken, Netzwerke, Performance, Telefax, Gesamtkunstwerk, Slow-Scan, Bildfunk …

Gemeint sind nicht die bekannten Geräte, die passenden Gebrauchsanweisungen, letztendlich die schlichte Addition, die technische Vernetzung von Gewohntem. Gefordert sind künstlerische Konzeptionen, die über die üblichen "Nutzungs-Konzepte" der Industrie, der Institutionen hinausgehen, die in die ferne Gegenwart weisen.

Das Instrumentarium ist da, liegt brach – unter der Erde, in den Köpfen, auf dem Schreibtisch, in der Luft und natürlich im Kosmos.

Das Projekt: UNIVERSCITY TV will mit der Vernetzung der technischen und der menschlichen Ressourcen, der kreativen Geister, der scharfen Hirne, ernst machen, will auf der ganzen Welt Kontakt-Stationen einrichten.
Die Zusammenarbeit für die Ars Electronica ist nur ein bescheidener Anfang.

Andere sind da schon viel weiter, bearbeiten das Material – ordentlich und funktional, versteht sich. Aus der Rubrik "Nachrichten, die uns inspirieren sollten":

+Pilotprojekt gestartet: Dieser Tage startete die Busche Unternehmensgruppe zusammen mit dem Telecom-Bereich der OPD Dortmund ein Pilotprojekt, bei dem die Datenfernübertragung hochauflösender Bilder und Textdaten im Vorläufer Breitbandnetz erprobt wird. Das Druck- und Verlagshaus wird künftig Druckdateien, Repro-Vorlagen und Andrucke in reproduktionstechnischer Höchstauflösung mit einer Geschwindigkeit von 140 Mbit/s überspielen. Die zu einer raschen Abstimmung erforderliche Kommunikation soll dabei über eine parallel zur Datenübertragung einberufbare Videokonferenz erfolgen.

+ Integrata testet Bildtelefone in der Praxis (Einjähriger Pilotversuch): In einem von der Deutschen Bundespost Telekom geförderten Pilotversuch plant das Unternehmen, ein Software- und Schulungshaus, den Einsatz von insgesamt fünf ISDN-Bildtelefon-Endgeräten, um die Abwicklung eines dezentral organisierten Software-Projektes zu unterstützen. Die Erprobungsphase ist derzeit auf ein Jahr angesetzt. … Bei größeren Software-Aufträgen arbeiten dabei zahlreiche Mitarbeiter über den Standort hinweg an einem Projekt. Durch die Nutzung des Bildtelefondienstes und damit realisierbarer visueller Kontakte verspricht sich das Systemhaus eine Verbesserung der zwischenmenschlichen Kommunikation, eine Reduzierung der bisher erforderlichen Reisetätigkeit sowie eine effektivere Projekt-Koordination.

Kontakte:
Weltbild/Christoph Dreher, 1 Berlin 36, Waldemarstr. 38, 030/657888.
Ponton European Media Art Lab/Salvatore Vanasco, 2 Hamburg 1, Koppel 66, 940/241404.
Hochschule für bildende Künste/Matthias Lehnhardt, 2 Hamburg 76, Lerchenfeld 2, 040/3905954.
Fernsehen der ersten Stunde.

Ein vermutlich nachgestellter Dialog zwischen "Helga" und ihrem namentlich nicht genannten "Freund" von 1933:

Freund: Hallo
Helga: Hallo
Freund: Tag Helga, na siehst Du, da bin ich selbst.
Helga: Na wunderbar.

In einer abgedunkelten telefonzellenähnlichen Box sitzen Helga in Berlin, ihr Freund in München. Flackernd löst die Nipkowscheibe das Bild in 90 Zeilen auf. Kabelverbindungen sichern den Transport der Signale, des Bildes.
High-Tech und persönliche Kommunikation, im trauten Zusammenspiel.

Die Reichspost überträgt 1934 Fernseh-Versuchssendungen, der regelmäßige Fernseh-Programmbetrieb wird 1935 aufgenommen. Die 11. Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Drei elektronische Kameras, die ersten überhaupt, übertragen live das nationalsozialistische Propagandaspektakel über Kabel in zahlreiche Berliner Fernseh-Großbildstellen oder, wie sie später genannt werden, in die öffentlichen Fernsehstuben. Die Auflösung: 180 Zeilen.
Meyers großes Lexikon von 1987, Fernsehen/Television/TV: Aufnahme, Übertragung und Wiedergabe sichtbarer, bewegter Vorgänge oder ruhender Vorlagen mit Hilfe elektromagnetischer Wellen oder über Kabel. 1. Umwandlung der Helligkeitswerte oder der Farbtöne und deren Sättigung in elektrische Signale. 2. Weiterleitung dieser Signale an bestimmte Stellen oder Ausstrahlung über Sendeanlagen zum allgemeinen Empfang. 3. Rückwandlung der elektrischen Signale in entsprechende Helligkeits- oder Farbwerte.

Im Gegensatz zum Druckraster wird das Bildfeld in Zeilen zerlegt. Ihre Anzahl ist durch das Verhältnis des Sehwinkels des Auges zur maximalen Sehschärfe gegeben (10 Bogengrad zu 1 Bogenminute). Beim 1952 in Europa eingeführten CCIR Standard, 625 Zeilen, können 500.000 Einzelheiten (Bildpunkte) wahrgenommen werden.

Bilddigitalisierung: Durch Scannen, durch punktweises Auflösen eines stehenden oder bewegten Bildes entsteht elektronisches (virtuelles) Material. Diese Form der Bilder und Töne ist ohne Verlust unbegrenzt transportierbar, über Telefonleitungen, Satelliten oder Kabelstrecken. Diese Form des Materials ist computerfütterbar. Dieser Werkstoff ist besinnungslos mischbar. Das oftmals beschworene GLOBALE DORF, die weltweite Vernetzung der Kommunikation in Echtzeit, ist technisch möglich. Es scheitert immer wieder an der kleinlichen Auslegung postalischer Vorschriften, ängstlichen Sponsoren oder ewig gestrigen Politikern. Und nicht zu vergessen, auch an den ständig lamentierenden Bewahr-Pädagogen.

* Das Netzwerk, live, Echtzeit, das Orte, Stationen, Privatpersonen kommunikativ verbindet, bleibt eine aufregende (und anregende) Vision.
*Der Aufbau virtueller Räume – weltweit, macht aus dem Monitor, dem reduzierten Fenster zur Welt, ein offenes Eingangstor.