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Ars Electronica 1990
Festival-Programm 1990
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Festival 1979-2007
 

 

ARTificial Intelligence & ARTificial ART


'Florian Brody Florian Brody / 'Mario Veitl Mario Veitl

Ziel der Arbeit ist es, Gemeinsamkeiten in Problemen und Ansätzen zwischen Kunst und Artificial Intelligence aufzuzeigen und zu analysieren, inwieweit diese Gebiete voneinander profitieren können. Es ist nicht Absicht, einen erschöpfenden Bericht über laufende Projekte abzugeben, im Gegenteil, es sollen neue Tendenzen aufgezeigt und die Auseinandersetzung damit angeregt werden.

KOMMUNIKATION
Kommunikation nimmt in beiden Disziplinen eine zentrale Rolle ein und stößt ausgehend vom klassischen Kommunikationsmodell (Shannon/Weaver) an ähnliche Grenzen.
The fundamental problem of communication is that of producing at one point either exactly or approximately a message selected at another point. Frequently the messages have meaning; that is they refer to or are correlated according to some system with certain physical or conceptual entities. These semantic aspects of communication are irrelevant to the engineering problem. The significant aspect is that the actual message is one selected from a set of possible messages. The system must be designed to operate for each possible selection, not just the one which will actually be chosen since this is unknown at the time of design.

Shannon C. E., Weaver W.;
The mathematical theory of communication, Urbana 1949
Das Modell definiert eine Informationsquelle, die über einen Transmitter und einen Kanal (der Störungen unterworfen sein kann) eine Information zum Empfänger und Bestimmungsort überträgt. Dieser technikorientierte Ansatz beeinflußte lange relativ unangefochten das Denken über Kommunikation.
Begriffe wie "message", "channel" und "information source", die in unseren Alltagswortschatz eingedrungen sind, zeigen dies nur allzu deutlich. Nicht nur Kunst und AI, sondern auch Biologie, Psychologie und viele andere Gebiete wurden dadurch maßgeblich beeinflußt. Das Erfolgsgeheimnis liegt in seiner Einfachheit und der leichten Anwendbarkeit auf die technischen Probleme der Informationsübertragung.

Gerade in der Kunst zeigte sich allerdings bald, daß die Trennung von "Gemeintem" "Medium" und "Verstandenem" nicht aufrechtzuerhalten ist. Die Überschreitung dieser Grenzen eröffnet jetzt neue Räume für kreative und gestalterische Arbeit und führt dazu, nicht nur in der Computerkunst den Prozeßcharakter stärker zu betonen. Die kybernetischen Arbeiten von Nicolas Schöffer, Jacques Polieri und Piotr Kowalski, um nur einige zu erwähnen, können in diesem Sinne gesehen werden.

Auch für die Artificial Intelligence (AI), die von Barr und Feigenbaum wie folgt definiert wurde, wird das Problem der Kommunikation unübersehbar.
Artificial Intelligence is the part of computer science concerned with designing intelligent computer systems, that is, systems that exhibit the characteristics we associate with intelligence in human behavior.

Avron Barr and Edward A. Feigenbaum; The Handbook of Artificial Intelligence, 3 vols, Los Altos CA: Wiliam Kaufman, 1981–1982
Im Zuge der Arbeiten an AI-Systemen mußte man feststellen, daß auch schon zur Bewältigung von Alltagsproblemen ein enormes "Hintergrundwissen" vom System benötigt wird und dieses oft wesentlich umfangreicher als die Formulierung des eigentlichen Problems ist. Ein weiteres Beispiel läßt sich aus den Versuchen der Mustererkennung (pattern recognition) erwähnen, wo die enormen Leistungen unseres visuellen Systems erkannt wurden, wie etwa das Erkennen von Objekten unter unterschiedlichen Lichtverhältnissen.

Lernfähige Systeme, die selbst ihre Probleme strukturieren und lösen, oder neurale Netzwerke, welche nicht nur bei der Bilderkennung erfolgreich angewendet werden, sind nur zwei neue Methoden aus der AI, die hier genannt werden sollen.

Eine Theorie, die ein neues Licht auf diese Schwierigkeiten wirft, wurde 1979 von Maturana und Varela vorgeschlagen, wobei der Ausgangspunkt das kognitive System selbst ist. Diese autopoietischen Systeme sind operational geschlossen und damit autonom, sie agieren in selbstreferentieller Weise in einer "Umwelt", an die sie strukturell gekoppelt sind. Im Sinne der operationalen Geschlossenheit unterliegen sie einer Struktur- und Zustandsdeterminiertheit, was aber keinesfalls mit Vorhersagbarkeit gleichgesetzt werden darf. Der Begriff der Autopoiesis kann als Prinzip der Selbst-Erzeugung angesehen werden und nimmt eine zentrale Rolle ein. Er beschreibt die Organisation von Organismen, deren Mannigfaltigkeit, aber auch deren prozessuale Strukturierung. Wie kann nun in diesem Rahmen Kommunikation gesehen werden?

Wie Ashby zeigte, stellte die "Information" keine interne Eigenschaft der individuellen Botschaft dar.
Communication thus necessarily demands a set of messages. Not only is this so, but the information carried by a particular message depends on a set it comes from. The information conveyed is not an intrinsic property of the individual message.

Ashby, W. R.; An introduction into cybernetics, London 1956
Wie schon erwähnt, sind kognitive Systeme operational geschlossen, eine Störung (Reiz) kann das System beeinflussen; wie und in welcher Weise wird klarerweise auch durch den Zustand vor dem Reiz bedingt. Um ein effizientes Kommunizieren zu ermöglichen, konstruiert sich der Mensch sogenannte konsensuelle Räume, in denen er operiert. Im Alltag ist uns dieser Prozeß nicht bewußt hingegen zeigt sich dessen Komplexität im Rahmen der Erschließung neuer konsensueller Räume in der Kunst deutlich.
INTERAKTION
Interaktion heißt "sich gegenseitig beeinflussen", daher kann – wie auch aus oben Gesagtem hervorgeht – keine Kommunikation ohne Interaktion stattfinden. Wolfram K. Köck schlägt deshalb vor, mit dem Begriff "Kommunikation" eine Klasse spezifischer internationaler Interaktionen zwischen Lebewesen zu bezeichnen.

Die Einführung von "Interaktiver Kunst" erscheint diesbezüglich äußerst zweifelhaft, da bei jeder Wahrnehmung eine Interaktion erfolgen muß. Es ist daher auch nicht möglich, ein nicht-interaktives Kunstwerk zu erstellen. Was ist also Interaktive Kunst? Natürlich kann die Auseinandersetzung mit einem auf einen Beobachter reagierenden System oder Kunstwerk vielleicht quantitativ eine andere sein, aber Interaktion findet in jedem Fall statt.

Der Computer ermöglicht es, neue Wege und Ausdrucksformen in der Kunst zu suchen, beispielsweise der Versuch der Kreation von ARTificial ART. Im Sinne Maturanas stellt Kreativität das Ergebnis von Interaktionen kognitiver Systeme außerhalb ihrer Bereiche struktureller Kopplung dar. Hier könnte sich unter Umständen ein gemeinsames sehr fruchtbares Arbeitsgebiet ergeben, dessen Resultate nicht nur bessere Systeme sein dürften, sondern bei dem auch die Exploration des gesellschaftlichen Spannungsfeldes einen wesentlichen Blickpunkt darstellt.
Der Computer ist nicht nur ein Werkzeug, um bestimmte Bilder, Töne oder skulpturähnliche Installationen zu verwirklichen.

Stephen Wilson; Kunstforum Bd. 103,1989
Auch Artefakte bedingen ursächlich eine Interaktion mit Menschen und sind daher auch eine Schnittstelle; ein Terminus der sich in der Computertechnologie mit dem Einsatz von Teletype-Maschinen eingebürgert hat und die Form beschreibt in der sich der Computer dem Benutzer darstellt. Denn das Blechgehäuse oder die Kunststoffbox der CPU sagen nichts über die Form eines von-Neumann-Rechners aus. Sie sagen höchstens etwas über die Hardware aus, auf der der Rechner basiert. Durch die dialogförmige Interaktion mit zeilenorientierten Systemen und menügesteuerten Systemen, wird der Benutzer irregeleitet, es handle sich um einen Dialog. Walker stellt in einer Forschungsarbeit von Autodesk fest:
I believe that conversation is the wrong model for dealing with a computer – a model which misleads inexperienced users and invites even experienced software designers to build hard-to-use systems.

Walker John; Through the Looking Glass, an internal Autodesk paper. Autodesk Inc. Sausalito CA 1988
Das Konversationskonzept, das es auf verbaler Ebene mit einem Gesprächspartner zu tauschen gilt, ist allem Schein zum Trotz inadäquat.
Die Suche nach einem zweifelhaften Realismus, einer Anpassung an Gegebenheiten, findet auf der falschen Ebene statt.
When you're interacting with a computer, you are not conversing with another person. You are exploring another world.

Walker John, Through the Looking Glass, an internal Autodesk paper. Autodesk inc. Sausalito CA 1988


CYBERSPACE UND "JUNGGESELLENMASCHINEN"
Die Bedeutung dieser Feststellung wird bei Cyberspace-Systemen sofort klar. War die Glasscheibe der Kathodenstrahlröhre noch eine Barriere, so findet sich der Benutzer des Systems jetzt im Programm wieder. Weizenbaum weist auf die Sinnlosigkeit hin, durch das Öffnen eines Computers auf dessen Funktionalität Rückschlüsse ziehen zu wollen.
Mit der Entwicklung von Cyberspace-Anwendungen werden die Arbeiten in der elektronischen Kunst ebenso wie die Arbeit der AI einen virtuellen Arbeitsbereich erhalten, der sie nicht mehr dazu anhält, die reale Welt imitieren zu wollen. Die dabei mögliche direkte Erfahrung wird durch audiovisuelle Reize zwar initiiert, aber erst durch force feed back-Systeme wirklich erfahrbar gemacht, da der Mensch – möglicherweise nur am Anfang – auf ein "remapping" auf die gewohnte Welt angewiesen ist.

Die Möglichkeit, sich durch Elektroden direkt mit einem Rechner zu verbinden, beschreibt Gibson, auch Ossi Wiener beschäftigte sich mit dieser Thematik und überprüfte die Konsequenzen des Bioadapters.

Ein weiterer Anknüpfungspunkt zwischen ART und AI findet sich auch bei den von Marcel Duchamp erdachten Junggesellenmaschinen, die hier ihre Vollendung finden. Diese Maschinen gab es natürlich schon immer, aber erst Duchamp gab ihnen den Namen. Michel Carrouges schreibt dazu:
Eine Junggesellenmaschine ist ein phantastisches Vorstellungsbild, das Liebe in einen Todesmechanismus umwandelt. ( … ) Eine Junggesellenmaschine ist zunächst eine unwahrscheinliche Maschine. ( … ) "ihre" Hauptstruktur beruht auf mathematischer Logik. Die Junggesellenmaschine besteht immer aus zwei Bildbereichen, dem sexuellen und dem mechanischen, beide unterteilen sich wieder in einen männlichen und einen weiblichen Bereich.

Carrouges Michel; Les Machines Celibataires. Arcanes Paris 1954
Die Bedeutung der Maschine, die den Menschen in allen Bereichen imitiert/ersetzt wird hier in der Kunst sehr deutlich herausgearbeitet.
PROBLEM DER REPRÄSENTATION
Dort wo Kunst mit statischer Darstellung nicht mehr weiterkommt und zur Bewegung greift (Kubismus) – um sich in der Folge vom Abbildungsanspruch zu lösen – steht ebenso die AI, welche gleichfalls feststellen mußte, daß rein statische Repräsentation zur "Realitätsdarstellung" nicht mächtig genug ist. Sowohl Al als auch ART-Systeme können Intelligenz und Gedächtnis besitzen und damit in soziale Kopplung im Sinne Maturanas treten. Die Arbeit an epistemiologischen Fragestellungen darf nicht davon getrennt gesehen werden.

Beide haben einen Darstellungs- und Erklärungsanspruch gegenüber der Welt. Obwohl die Methodik unterschiedlich ist, lassen sich Gemeinsamkeiten aufzeigen, die über eine Koinzidenz eines gemeinsamen interdisziplinären Forschungsraums hinausgeht und weitreichendere Konsequenzen haben.
Untersuchungen über Kommunikation haben gezeigt daß der Einsatz elektronischer Technologien nicht nur neue Fragen aufwirft, sondern auch eine Zusammenführung unterschiedlicher Arbeitsgebiete ermöglicht.

Literatur

Shannon C. E., Weaver W.: The mathematical theory of communication, Urbana 1949.
Ashby W. R.: An introduction into cybernetics, London 1956.
Barr Avron, Feigenbaum Edward A.: The Handbook of Artificial Intelligence, 3 vols, Los Altos CA: William Kaufman, 1981–1982.
Wilson Stephen: Kunstforum. Bd. 103,1989.
Walker John: Through the Looking Glass, an internal Autodesk paper. Autodesk inc. Sausalito CA 1988.
Carrouges Michel: Les Machines Celibataires, Arcanes Paris 1954.
Means Loren: Digitization as transformation: some implications for the arts, Leonardo (U. K.), VOL. 17, PT. 3 (1984), P. 195–9.
Wilson Stephen: Computer Art: Artificial Intelligence And The Arts, Leonardo (U. K.). VOL. 16, PT. 1 (Winter 1983), P. 15–20.
Kugel Peter: Artificial Intelligence And Visual Art, Leonardo (U. K.), VOL. 14, PT. 2 (Spring 1981), P. 137–9.
Weizenbaum J.: Computer Power and Human Reason – From Judgement to Calculation, Freeman, San Francisco, 1976.
Wiener 0.: Die Verbesserung von Mitteleuropa; Roman, Rowohlt Verlag bei Hamburg 1969.
Köck Wolfgang K.: in: "Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus" (ed.) Schmidt Siegfried J., Suhrkamp 1988.
Xenakis lannis: Formalized Music, Thought and Mathematics in composition, Indiana University Press, 1974.
Michie Donald, Rory Johnson: The knowledge machine, William Morrow and Company Inc., New York 1985.
Widmer Gerhard: The Usefulness of Qualitative Theories of Musical Perception, in, "Proceedings of the International Computer Music Conference (ICMC-90)", Glasgow. San Francisco, CA, Computer Music Association 1990.
Dorffner Georg: Intelligenz – Natürlich Künstlich, Teubner Stuttgart, in press.
Maturana H. R. und Varela F. J.: Autopoesis and Cognition, Boston studies in the philosophy of science, Boston: Reidel 1979.
Maturana H. R. und Varela F. J.: Der Baum der Erkenntnis, ScherzVerlag, Bern, München, Wien 1987.
Jones Kevin: Compositional Applications of Stochastic Processes, Computer Music Journal, Vol. 5, No. 2, Summer 1981.
Ronge Hans: Kunst und Kybernetik, DuMont Schauberg, Köln 1968.