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Ars Electronica 1990
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Festival 1979-2007
 

 

Die künftige Verschmelzung von Wissenschaft, Kunst und Psychologie


'Marvin Minsky Marvin Minsky

1. VERSTAND UND INTUITION
Eines Tages, als ich durch das Labor ging, traf ich einen Kollegen und fragte ihn, wie es mit seiner Vorlesung gehe. "Heute habe ich Probleme gehabt", sagte der Professor. "Was ich erklärt habe, schien mir so offensichtlich zu sein, daß ich nicht begreifen konnte, warum die Studenten es nicht verstanden haben, Ich habe diesen Stoff schon so oft unterrichtet, daß ich gar nicht mehr weiß, welche Teile davon schwierig sind."

Was meinen Menschen, wenn sie sagen, daß manche Schlußfolgerungen logisch getroffen werden und andere intuitiv? Sind das wirklich unterschiedliche Denktypen? Mir scheint, daß die Unterschiede weniger bei den Denkarten an sich liegen, als bei dem Maß, in dem wir verstehen, wie sie ablaufen. Denn im allgemeinen sind wir uns der Dinge am wenigsten bewußt, die unser Verstand am besten beherrscht. Wir können normalerweise in allen Einzelheiten erklären, wie wir eine mathematische Aufgabe oder ein Verfahren durchführen; denn wir wissen bereits, wie wir dies durch deren einfachere Teile oder Beziehungen erklären können. Aber uns verschlägt es die Sprache, wenn man uns bittet, zu erklären, wie wir sprechen oder wie wir hören oder sehen. Diese alltäglichen Leistungen erfordern eindeutig eine ungeheuer komplizierte Gehirnmaschinerie – und doch laufen sie ohne jegliche Anstrengung für uns ab. Was läßt uns so komplexe Prozesse so einfach erscheinen?

Für den Computer-Programmierer scheint eine mögliche Antwort auf der Hand zu liegen: Bei den Fähigkeiten, die wir am häufigsten einsetzen und bei denen wir uns am stärksten auf unseren "gesunden Menschenverstand" verlassen, muß es sich gerade um diejenigen handeln, die wir in Prozeduren und Scripts umgewandelt oder vorkompiliert haben, die unbewußt ausgeführt werden. Nur wenn jene Systeme versagen, beginnen wir die speziellen Arten von Prozeduren und Gedächtnissystemen einzusetzen, die umfassen, was wir "Bewußtsein" nennen. So sind wir uns viel mehr der Prozesse bewußt, die nicht so gut funktionieren, als solcher, die normalerweise glatt ablaufen. Das heißt, wir können uns nicht unbedingt auf unser spontanes Urteil verlassen, welche der Dinge, die wir tun, einfach sind und welche eine komplexe Maschinerie erfordern.

Das muß sich in gleicher Weise auf Künstler und Wissenschaftler beziehen. Alle Fachleute sammeln Türme von Fähigkeiten an, bauen neue auf ältere auf. In jedem Stadium werden wir wieder zu Anfängern, finden neue Ziele (und somit neue Hindernisse) und suchen dann Wege, mit ihnen umzugehen. Während wir jedoch jede einzelne Fähigkeitsschicht entwickeln, revidieren und verfeinern wir auch die darunterliegenden Schichten, sodaß sie wirksamer, schneller und automatischer ablaufen, mit geringerer Einschaltung des Bewußtseins. Während wir also zur Meisterschaft gelangen, wachsen die sich bei uns auf höchster Ebene abspielenden Prozesse weiter und weiter von der frühesten Maschinerie weg – und es wird für diese Systeme auf höherer Ebene schwieriger und schwieriger, festzustellen, zu entdecken oder zu beschreiben, wie ihre Systeme auf niedriger Ebene funktionieren.

Je mehr wir unsere geistigen Fähigkeiten verbessern, desto weniger wissen wir darüber, wie sie ablaufen. Ein Anfänger muß jeden Schritt reiflich überlegen und bewußt verfolgen, was vor sich geht, möglicherweise unter Verwendung von umfassenden Baumstruktur-Darstellungen. Aber der Prozeß zu einem Fachmann zu werden, beinhaltet zu lernen, diese schwerfälligen, aber genau durchdachten Prozeduren durch glatter ablaufende skriptartige Strukturen zu ersetzen und gewohnheitsmäßige, direkte Verbindungen an Stelle dieser umfassenden Darstellungen treten zu lassen, die weitgehend auf komplizierten Verzeichnissen, Zeigern und Querverweisen basieren. Dann stützen sich die neuen, rationelleren Prozeduren weniger auf überlegtes (und schmerzliches) Analysieren und mehr auf automatische Prozesse. Das führt zu einem scheinbaren Paradoxon: Der Anfänger macht seine Sache vielleicht nicht besonders gut, aber er kann besser erklären, was getan wurde – während ein Meister genauer zu wissen scheint, "was zu tun ist", aber weniger darüber weiß, wie es eigentlich getan wird. Dann scheint Analyse überflüssig, und die Technik, die funktioniert, scheint "offensichtlich". Ich höre oft, daß solche Leistungen der Intuition zugeschrieben werden – d.h. Aspekten des Geistes, die sich nicht erklären lassen. Und unabhängig davon, daß diese Vorstellung grundsätzlich falsch sein mag, so hilft sie uns tatsächlich, nicht ständig versuchen zu müssen, uns selbst zu verstehen. Wir arbeiten normalerweise am effizientesten, wenn wir nicht durch Selbstanalyse abgelenkt sind, was all diese künstlerisches Schaffen begünstigenden Skripts eher behindert. Was geschieht, wenn man versucht, seinen eigenen Geist bei der Arbeit zu beobachten? Das mindeste ist, daß das unweigerlich einen Teil des kostbaren Kurzzeitgedächtnisses in Beschlag nimmt, der sonst für die vor uns liegende Aufgabe eingesetzt werden könnte. Und noch schlimmer wäre, wenn es einem gelingt, erfolgreich in jene Türme von genau abgestimmten Prozessen einzudringen und sie im Zuge dessen durch schwerfällige Simulationen zu ersetzen. Das würde einen zweifellos unbeholfen und unsicher werden lassen – und man würde beginnen, um den Verlust der eigenen Fähigkeiten zu fürchten.

Aber ich vermute, Denker müssen leiden, um zu wachsen, und jene schnell funktionierenden Skripts können dieses Wachstum behindern, denn sie werden allzuleicht unflexibel. Jede unreflektierte Fähigkeit kann letzten Endes Möglichkeiten ausschließen. Um dieser Begrenzung der Reichweite zu entkommen, muß man lernen, die Schmerzen des Rückzuges zu genießen, und sich zum Experimentieren zwingen. jede neue Art, Pinsel oder Bogen zu gebrauchen, wird dir zunächst unweigerlich das Gefühl der Ungeschicklichkeit vermitteln – und dich zu Stunden oder Tagen des Leids verurteilen. Aber schließlich wird die neue Technik verfeinert und kompiliert sein – bis du wieder an dem Punkt bist, wo du nicht mehr unterscheiden kannst, was "schwierig" ist, und die Leistung wieder ohne Schmerz erbracht werden kann.

In meinem Buch "Mentopolis – Die Gesellschaft des Geistes" wird eine stärker kontrapunktische Sicht von Vergnügen, Schmerz und Leid dargestellt, in der die Schmerzen des Wachstums weitgehend als Illusion gesehen werden, weil sich vielleicht andere Teile des Geistes gleichzeitig still an der Erfahrung von Lernen und Weiterentwicklung freuen. Andererseits mag das Gefühl, daß ein intensives Vergnügen voll und ganz befriedigend ist, in gleicher Weise illusorisch sein; wenn es dadurch entsteht, daß ein kleinerer Teil des Geistes die Kontrolle an sich gerissen hat und allen anderen Bestandteilen des Geistes die Gelegenheit nimmt, ihre Ziele zu erreichen.
2. ZIEL UND BESCHREIBUNG
Was versuchen Künstler zu tun? Manche möchten den Geist anderer beeinflussen, indem sie Ansichten oder Vorstellungen kommunizieren oder Stimmungen oder Haltungen auslösen. Anderen Künstlern geht es weniger darum, etwas Spezifisches auferlegen zu wollen, sondern eher darum, daß sie anderen helfen möchten, sich von alten Gewohnheiten und Annahmen zu befreien, damit sie sich selbst neue Konzepte finden können oder neuartige Wege, die Dinge zu sehen. In jedem Fall möchte der Künstler irgendeine Auswirkung auf den Geist des Betrachtenden haben. Manchmal weiß nun der Künstler genau, was er tun möchte, und er beginnt mit einer mehr oder weniger gut ausgeformten Skizze. Aber gewöhnlich ist es eher so, während du komponierst, wachsen auch deine eigenen Absichten; vielleicht beginnst du mit kaum mehr als einer Ansammlung von Bedingungen und Erfordernissen. Dann ließe sich deine Situation besser als eine Suche beschreiben und nicht als ein Bild, denn dein Ziel ist es, etwas zu finden oder zu konstruieren, das jene Bedingungen erfüllt. Von diesem Standpunkt unterscheidet sich das Streben des Künstlers nicht von dem eines anderen Suchenden: Man muß vorläufige Lösungen vorschlagen, sie auf ihre Vor- und Nachteile hin untersuchen, und sich dann daran machen, zu verändern, anzupassen, und sie gemäß der eigenen momentanen Ziele zu verfeinern.

Aber ist es angemessen, den Künstler als einen Problemlöser mit Zielen zu betrachten? Sicher, manchen Künstlern mißfällt es, sich so zu beschreiben. Aber das ist kein gutes Beweismittel, denn Künstler sind Menschen – und Menschen fällt es im allgemeinen schwer, ihre tiefsten Ziele zuzugeben (oder sie auch nur zu erkennen). Wie Freud bemerkte, unsere grundlegendsten Motive sind oft jene, deren wir uns am wenigsten bewußt sind. Weiters – und Freud hat das nicht betont – das auszudrücken oder zu beschreiben, was im Innern des Geistes vor sich geht, ist an sich ein äußerst schwieriges Unterfangen; ja, große Schilderer dessen, was im menschlichen Geist abläuft, sind ebenso selten wie große Komponisten, Maler oder Architekten.

Egal, was für Absichten jemand verfolgt, die wahrscheinlich machtvollsten Methoden menschlichen Denkens sind jene, die uns helfen, neue Arten von Darstellungen zu finden. Warum ist das so wichtig? Weil jede neue Darstellung auf eine neue Art des Verstehens hindeutet – und wenn man etwas auf nur eine Art versteht, versteht man es so gut wie gar nicht. Vielleicht ist das der Grund, warum die Künste so oft der Blüte der Kultur vorangehen. Denn was ist im Grunde die Kunst selbst anderes als die Wissenschaft, neue Wege zu entdecken, Dinge darzustellen?

Ein praktisches Beispiel dafür sehen wir in dem Unterschied zwischen der Gestaltung eines einzelnen Kunstwerks und der Entwicklung dessen, was wir als einen ausgeprägten, kohärenten Stil bezeichnen würden. Das geschieht, wenn ein Künstler nicht nur eine neue Beschreibung für eine bestimmte Sache erfindet, sondern eine neue Art von Darstellung – einen neuen Typ von Gesichtspunkt oder Beschreibungsweise. Und wenn das geschieht, verändert sich die Erfahrung des Künstlers: Das Publikum mag seine Leistung als Kunst sehen, vielleicht als ausgeklügelte, geheimnisvolle. Aber der Künstler selbst beginnt bald, sie statt dessen als eine offensichtliche, natürliche Vorgangsweise zu betrachten. Es ist etwas, von dem er jetzt weiß, wie man es macht, wenn er es auch vielleicht nicht mit Worten ausdrücken kann.

Was unterscheidet dann den Künstler von jeder anderen Art von Wissenschaftler, Handwerker oder Fachmann? Manchmal sicherlich überhaupt nichts. Und manchmal einfach das Fehlen von Beschränkungen. (Der Motor eines Ingenieurs muß laufen, nicht aber die Darstellung eines Künstlers.) Aber meiner Meinung nach ist das, was viele Künstler charakterisiert, eher das Gegenteil: Sie scheinen getrieben zu sein, gleichzeitig unmöglich viele unvereinbare Ziele zu erreichen! Ich muß an eine Maschine denken in einem von Diego Riveras Wandgemälden, mit der er beabsichtigt haben muß, auf viele Seiten des Geistes des Betrachters einzuwirken; eine Reihe von Aussagen und Haltungen über die Arbeiter (und über ihre Haltungen) in bezug auf die Maschine, die betreffende Technologie, die Fabriksumgebung und ihre Beziehungen mit anderen Bewohnern dieser Institution zum Ausdruck zu bringen. So vieles, um es gleichzeitig zu sagen. Während sich also ein Wissenschaftler oder Techniker gewöhnlich einer bestimmten, festgelegten Serie von klar definierten Anforderungen gegenübersieht, setzt sich ein Künstler gleichzeitig mit mehr Zielen auseinander, als je erreicht werden können – und muß sich daher auch noch mit einer weiteren Art von Problemen auseinandersetzen: welche Ziele er verfolgen und welche er aufgeben soll.
3. WISSENSCHAFTLICHES VERSTEHEN DER AUSDRUCKSKUNST
In alten Zeiten waren die visuellen Künste auf ziemlich statische Formen wie Malerei und Bildhauerei beschränkt. Aber im letzten Jahrhundert ist die Kunst der Animation entstanden und gewinnt immer mehr an Beliebtheit. Wäre sie nicht mit enormen Kosten verbunden, so hätte sie in vielen Bereichen wie Unterhaltung, Bildungswesen und technischen Darlegungen leicht zur vorherrschenden Form werden können. In den letzten Jahren haben wir den Zugang zu starken und doch kostengünstigen Grafikgeräten erhalten – und doch ist Animation nach wie vor zu teuer für den beiläufigen Gebrauch, da das Programmieren noch immer sehr schwierig ist. Und das hat zu einem für die Moderne typischen Dilemma geführt. Kaum hatten sie die Verheißung einer Befreiung von den Begrenzungen der alten Technologie wahrgenommen, schon sahen sich die Künstler – insbesondere die Animators und Musiker – der Knechtschaft eines neuen, fordernden Gottes ausgeliefert. Sie erlebten die Notwendigkeit, sich mit Technik zu befassen, um die Wissenschaft erfinden zu können, die sie brauchen würden, um ihre Kunst zu fördern.

In früheren Zeiten hatte ein Maler nur eine einzige Leinwand zu füllen. Aber um fünf Minuten Film zu machen, muß ein Animator neuntausend Einzelbilder schaffen. Wie malt man so viele Szenen? Die Arbeit reduziert sich, wenn man das wiederverwenden kann, was bereits in früheren Bildern aufscheint; das kann mit einer Technologie geschehen, die es dem Künstler ermöglicht, mit den Unterschieden zu arbeiten, indem Interpolation, "in-betweening", mathematische Interpolationsfunktionen und andere Methoden zur Schaffung von Szenen eingesetzt werden. Aber noch sind viele neue Probleme zu lösen. Wie läßt man einen Menschen gehen – das heißt schlendern, herumspazieren, stolzieren oder stelzen? Wie läßt man jemanden etwas werfen – oder schmeißen, schleudern, segeln lassen oder von sich stoßen? Es scheint unglaublich, wie gut es manchen Künstler-Malern jener älteren statischen Formen gelungen ist, solche Dinge auszudrücken. Welches sind die Tricks die jene Künstler verwendet haben, um so unwiderstehliche Illusionen zu erzeugen – und was für neue Tricks könnten Animators verwenden?

In der letzten Generation haben sich viele diesen Fragen gewidmet – wie sich Computer für Zwecke des künstlerischen Ausdrucks adaptieren lassen. Wir sollten dieser Generation von potentiellen Künstlern für das Opfer Anerkennung zollen, das sie gebracht haben, um das erreichen zu können! Wie oft haben so viele von uns in jenen Pinonier-Jahrzehnten geklagt", diese neuen elektronischen Synthesizer klingen zu mechanisch", oder "diese Computerkunst ist elegant, aber leblos". Natürlich wird es in den Frühformen so radikal neuer Technologien und Instrumente, in ihren Sprachen und Ausdrucksweisen Mängel geben. Wir sollten für die Großzügigkeit dankbar sein, und nicht über sie spotten, mit der so viele potentielle Meister – sowohl in der Musik als auch in der darstellenden Kunst – auf selbstlose Weise auf die Freuden künstlerischen Schaffens verzichtet haben, um die Schmerzen auf sich zu nehmen, unsere neuen Instrumente und Programmiertechniken zu entwickeln. Natürlich könnten wir die Instrumente selbst als Beispiele für neue Kunstformen sehen.

Aber vielleicht nähern wir uns hier neuen Wegen, die Kunst an sich zu verstehen! Führen wir uns einmal vor Augen, daß in früheren Zeiten das Funktionieren des menschlichen Geistes fast völlig als Mysterium galt. Die Wissenschaft oder Psychologie ist selbst erst hundert Jahre, und die Computerwissenschaft gar erst halb so alt. Gewiß werden die Zwillingsdisziplinen kognitive Psychologie und Artifical Intelligence in den nächsten hundert Jahren viel mehr darüber enthüllen, wie der Geist des Menschen funktioniert. So blieb uns in der Vergangenheit keine andere Wahl, als es einfach zu schätzen und zu feiern, wenn einzelne Persönlichkeiten neue geheime Ausdruckskünste gemeistert haben – ganz egal, daß sie sie nicht erklären konnten. Aber mir scheint, das muß sich ändern – in dem Maße, als die Welt mehr und mehr die Produkte von Kunstwerken akzeptiert, deren Schaffung sich teilweise oder ganz auf Computerprozesse stützt. Denn dann wird sich das Publikum mehr und mehr mit Fragen auseinandersetzen wie "was für Mechanismen oder technische Verfahren haben diesen Ausdruck erzeugt" und "warum hatte jener Ausdruck eine solche Wirkung auf mich, meinen Geist und meine Emotionen" und schließlich "was für eine Art von Mechanismen oder Prozeduren muß in meinem Inneren ablaufen, sodaß diese Wirkung oder Erfahrung ausgelöst werden konnte?"

Was ich damit meine, ist, daß die "Mechanisierung" der künstlerischen Produktion schließlich unweigerlich dazu führen muß, daß wir uns mit dieser neuen Art von persönlichen Fragen befassen. Auf der kreativen oder produktiven Seite werden sich unsere Künstler, um ihre neuen Maschinen programmieren zu können, richtiggehend gezwungen sehen, mit mehr bewußten Einzelheiten als je zuvor zu formulieren, was sie eigentlich produzieren wollen. Und auf der Empfängerseite wird das Publikum in gleicher Weise gezwungen sein, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, was es ist, das sie reagieren läßt. So bringt uns das von beiden Seiten zurück zu der Gegenüberstellung, die am Anfang dieser Abhandlung stand – nämlich der paradoxen Erkenntnis, daß es oft die Dinge sind, die uns am "einleuchtendsten" erscheinen, die am schwierigsten zu erklären sind. Seit den frühesten Tagen der Forschung im Bereich von Artificial Intelligence hat man immer wieder diese Erfahrung machen müssen. Einige der allerersten dieser Computerprogramme waren imstande, Probleme zu lösen, die Menschen als sehr schwierig betrachteten – und doch sind noch heute unsere Programme nicht fähig, die menschlichen Aktivitäten zu bewältigen, die bloß ein bißchen" gesunden Menschenverstand" erfordern.

Warum war es, geschichtlich betrachtet, einfacher, scheinbare "Experten"-Computerprogramme zu schaffen, als im Bereich des "gesunden Menschenverstandes" Fortschritte zu machen? Ein Grund ist, daß jene technischen Bereiche häufig in Wahrheit einfacherer Natur sind. Zum Beispiel mag sich ein grundlegender Bereich der Mathematik oder Logik einfach auf eine Handvoll Voraussetzungen und Schlußfolgerungsregeln stützen – während die Kunst, ein Haus zu reinigen, viele Arten von Wissen über sehr viele verschiedene Arten von Objekten und Situationen erfordert. Ein anderer Grund mag sein, daß sich für viele "technische" Themenbereiche bereits erschöpfende, spezialisierte künstliche Sprachen und Bezeichnungssysteme herausgebildet haben – während wir für Aktivitäten, denen gewöhnliche Menschen nachgehen, kaum so gut entwickelte Sprachen haben! Das ist vollkommen natürlich, denn kein Mensch muß je diejenigen Dinge exakt beschreiben, die jeder in seiner Kindheit lernt, da auch jeder andere bereits mit ihnen vertraut ist. (jeder weiß, wie man geht oder wie man lacht oder wie man Hunde und Katzen voneinander unterscheidet – deshalb muß niemandem gesagt werden, wie das gemacht wird.) Aber wir können uns keine dieser allgemeinen Erfahrungen zunutze machen, wenn wir unsere Maschinen dazu heranziehen wollen, solche Dinge auszudrücken – wenn wir zum Beispiel einen Computer benutzen wollen, um uns bei der Herstellung von Zeichentrickfilmen zu helfen. Das ist so, weil die ursprünglich leeren Random Access Memories unserer Computer nichts über die Emotionen, Motive, Ziele, Frustrationen und Freuden der Menschen wissen; oder über die Systeme, die die Bewegungen und Handlungen des menschlichen Körpers steuern.

Was wäre die ideale Technologie für einen zielstrebigen Animator? Man stelle sich vor, man übergibt dem Gerät ein Drehbuch und ein Storyboard – und läßt es den Film erzeugen. Um dies zu tun, wird der Filmemacher nicht nur steuern wollen, was die Filmgestalten tun und sagen, sondern auch die beabsichtigte Wirkung auf den Geist des Zuschauers – d.h. er möchte eine bestimmte Folge von Vorstellungen, Haltungen, Gefühlen und Emotionen auslösen. Nun können wir zweifellos dafür keine Hilfe von Software erwarten, es sei denn, sie hat Zugriff zu Wissen über die Darstellung physischer Formen, Bewegungen und Handlungen. Aber um die gewünschten subjektiven Reaktionen auszulösen, müssen unsere Maschinen auch mit Beschreibungen und Modellen von menschlichen Gefühlen, Zielen und Absichten ausgestattet sein, oder diese simulierten Akteure werden nicht imstande sein, in überzeugender Weise die Details einzufüllen. Aber wie unerfahrene Bühnenautoren und Schauspieler sehr wohl wissen, sogar das genügt nicht; um die gewünschten Endeffekte zu erzielen, muß das System auch die Elemente Dramatik, Timing und Rhetorik kennen, denn geradeso wie Orchester Dirigenten benötigen und Theater Regisseure, so brauchen alle Arten von guten Aufführungen eine kohärente Stilorganisation. Mit anderen Worten die beste Methode, um automatisierte Animation zu produzieren, wäre, unsere Geräte gemäß fundierter psychologischer Theorien zu programmieren. Heute existieren noch sehr wenige solcher Theorien, und so liegt es an uns sie zu erfinden, um der computergestützten Animation der Zukunft zu helfen, ihre simulierten Akteure auf eine Art und Weise zu steuern, die ausdrucksstark und kommunikativ ist.

Aber was ist Kommunikation? Auch das braucht eine Theorie – und ich vertrete die Auffassung, daß eine Person, um kommunizieren zu können, (zumindest unbewußt) wissen muß, wie man Strukturen im Gehirn eines anderen Menschen aufbaut und dort Prozesse aktiviert. Aber da wir nicht direkt in das Gehirn einer anderen Person hineingelangen können, müssen wir durch die Sinne vorgehen. Wie kann die Automatisierung uns helfen, Sinneserfahrungen einzusetzen, um Vorstellungen und Ziele, Haltungen und Neigungen, Absichten und Emotionen zu kommunizieren? Um die nötigen Arten von subjektiven Reaktionen auf verläßliche Weise hervorrufen zu können, müssen die Animationsgeräte der Zukunft gute Psychologen sein!

Es ist jedoch nicht meine Absicht, allein die obskuren, heiklen Aspekte dieses Problems aufzuzeigen. Denn zuerst werden wir lernen müssen, unsere Computer so zu programmieren, daß sie die scheinbar einfachsten Ziele, bei denen es allein auf "gesunden Menschenverstand" ankommt, erreichen können – zum Beispiel, daß man die Schachtel öffnen muß, bevor man etwas hineintun kann, oder daß man die Türklinke anfassen und betätigen muß, bevor man die Tür öffnet. Die Computer von heute wissen nicht einmal so einfache Dinge! Dann, wenn wir das einmal geschafft haben, müssen wir lernen, dem Publikum mehr über die Ziele unserer Akteure zu kommunizieren. Allen Animators ist bewußt, daß sich die Abläufe, die ihre Gestalten gehen lassen, nicht auf exakt realistische Beschreibungen menschlicher Bewegungsabläufe gründen müssen . Wichtiger ist zu wissen, wie man jene Umhüllungs- und Bahnkurven gestaltet, um die geistige Verfassung der Filmgestalt auszudrücken oder anzudeuten – seine Veranlagungen in bezug auf Entschiedenheit, Unruhe, Erwartung, Enttäuschung, Begeisterung und so weiter. Es genügt nicht, daß die Gestalt im Bild einen bestimmten Gegenstand anfaßt; der Filmemacher muß fähig sein, auszudrücken, ob er zufällig oder absichtlich angefaßt wurde, ob es sich um etwas handelt, das der Schauspieler gerne besitzen möchte, oder einfach etwas, das er aus dem Weg räumt, um ein wichtigeres Ziel zu erreichen. Wie kommunizieren wir eine solche Vorstellung? Vielleicht ist es möglich, sie in die Bahnkurve selbst zu kodieren oder in die Körperhaltung und offensichtliche Ausrichtung der Gestalt. Vielleicht indem wir die Aufmerksamkeit auf den Gesichtsausdruck der Gestalt lenken – oder auf die Gesten seines Gegenspielers. Jede Handlung hat Parameter, die man verwenden kann, um die geistige Verfassung zu beschreiben. je mehr unsere Gäste darüber wissen, umso produktiver können sie sein.

Ich möchte damit nicht sagen, daß wir ein erschöpfendes wissenschaftliches Verständnis von solchen Dingen benötigen. Die großen Trickzeichner der Vergangenheit haben mit wenig Wissenschaft und Technik Wunder vollbracht. Aber diese Talente waren beklagenswert selten und die Kosten waren zu hoch für den Alltagsgebrauch – und statt dessen könnten wir es uns künftig zum Ziel setzen, Technologien zu entwickeln, die so leistungsfähig sind, daß die nächste Generation der Kinder imstande sein wird, sie ohne Probleme zu handhaben. Warum übt die Animation übrigens eine solche Anziehung auf Kinder aus? Ich vermute, es ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß die expressive Animation die Aufgabe des Publikums vereinfacht – vielleicht paradoxerweise, indem sie es in Welten hineinfährt, die so symbolisch und abstrakt sind, daß die Absichten und Emotionen der dargestellten Objekte einfacher zu begreifen und zu benutzen sind als die körperlichen Gestalten und Formen selbst!

Wir sind von der verbreiteten Ansicht ausgegangen, daß Wissenschaftler mit rationalen Gedanken arbeiten, während Künstler intuitiv vorgehen. Wenn ich jedoch diese Dinge mit meinen Freunden diskutiere, entdecke ich oft genau das Gegenteil. Sicherlich, Wissenschaftler gehen normalerweise bewußt und überlegt vor, wenn es um Details ihrer Fachbereiche geht, aber sie setzten sich äußerst selten mit der Frage auseinander, wie sie zu ihren Ideen kommen – während es unseren Künstlern (wenn es überhaupt einen Unterschied gibt) weniger um Leistungen geht, sie aber meist viel mehr darüber nachdenken, wie sie ihre Konzepte und Fähigkeiten ausbauen können.

(Diese Abhandlung ist eine Adaptierung eines Vortrages, der bei Nikograf 89, einer Computergrafikkonferenz im November 1989 in Tokio, gehalten wurde.)