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Der Ritt zum Saturn auf dem Riesenwurm:
Post-symbolische Kommunikation in virtueller Realität

'Morgan Russell Morgan Russell / 'Jaron Lanier Jaron Lanier

Von meinem Standpunkt aus ist das wichtigste an der virtuellen Realität die "post-symbolische Kommunikation". Bisher haben sich dieser meiner Meinung noch nicht gerade die Massen der anderen angeschlossen, aber ich erwarte, daß dies bald passieren wird.

In unserem bisherigen Abenteuer auf diesem Planeten haben wir hauptsächlich auf einer Ebene interagiert, die wir als die physikalische Welt kennen. Diese physikalische Realität hat einige interessante Charakteristiken, die wichtigste davon ist, daß man sie mit anderen teilt. Jeder von uns hat seine eigene und einzigartige Sichtweise, und dennoch ist es eine Sichtweise auf einer Ebene, die wir zuverlässig als Kanal vom einen zum anderen benützen können. Die Tatsache, daß wir in der physischen Realität überhaupt kommunizieren können, ist allein schon etwas höchst Mysteriöses. Jedenfalls – wir können es. Die physikalische Welt hat darüber hinaus – vom Standpunkt des Philosophen aus – die sehr störende Eigenschaft, wirklich auf sehr hartnäckige Weise immer "Da" zu sein. Das ist zwar völlig unerklärlich, aber darauf kann man sich verlassen.

Die physische Welt hat leider noch eine andere Eigenschaft, nämlich daß es sehr schwer ist, in ihr Dinge zu tun. Das erfahren wir erstmals schon in frühester Kindheit. Wir entdecken – sehr zu unserer tiefgefühlten Erniedrigung – daß wir nicht nur innerhalb der physikalischen Welt leben müssen, sondern auch aus ihr bestehen und wir in ihr praktisch machtlos sind. Wir sind nicht als Superman geboren und frei, herumzufliegen, Gebäude aufzuheben und umzudrehen, wie sehr sich auch die kleinen Kinder bemühen mögen, das zu tun. Wir sind in der Tat extrem eingeschränkt. Wir können nicht ganz leicht zu unseren Eltern gelangen, wir können unser Essen nicht leicht bekommen, wir brauchen Hilfe. je weiter ich mich in meiner Kindheit zurückerinnere, umso stärker erinnere ich mich an eine innere Offenheit für Gefühl und Wahrnehmung und Form, und an die Frustration, dies mit der physischen Welt um mich in Einklang zu bringen, mit einer Welt, die starr und stumpf und sehr frustrierend war – wirklich eine Art von Gefängnis. Wenn wir dann heranwachsen, so überwinden wir die Frustration der physischen Welt und nennen uns selbst "erwachsen". In der frühen Kindheit entdecken wir, was die Programmierer in den USA einen "Hack" nennen, der es uns erlaubt, mit den Schwierigkeiten fertig zu werden, Dinge in der physikalischen Welt zu tun. Dieser "Hack" wird "Symbole" genannt. Ein Symbol ist im wesentlichen nur eine Art, jene Teile seines Körpers zu verwenden, die man so schnell bewegen kann, wie man denkt und fühlt, und das ganze auf das Universum zu beziehen, das man nur viel langsamer – wenn überhaupt – ändern kann. Das sind eben die Hände und der Mund und die Zunge und in geringerem Ausmaß der Rest des Körpers. Übrigens ist meine Definition von "Körper" die: Er ist jener Teil der Welt, den man als Kommunikationswerkzeug verwenden kann; es ist jener Teil, den man ändern kann. Es ist möglich, seine eigenen Aktivitäten, seine eigenen schnellen Aktivitäten als Bezug auf alle anderen Dinge zu verwenden, die man nicht schnell tun kann. Ich bewege beispielsweise meinen Mund und sage den Satz: "Ich reite den Riesenwurm zum Saturn", und du kannst verstehen, was ich meine. Aber damit ich genetisch einen Riesenwurm erzeugen kann, der im Vakuum überlebt, ihn hinaus bis zu den Ringen des Saturn bringe, ohne daß er durch sie durchfällt, und so weiter – das würde beträchtliche Anstrengung erfordern. Es könnte ein Jahrhundert oder länger dauern. Deshalb ist die Verwendung von Symbolen einfach ein Effizienz-Trick, der uns erlaubt, Dinge zu teilen, die ansonsten unzugänglich wären wegen unserer Machtlosigkeit in der physischen Welt.

Nun, ich will betonen, daß diese Situation nicht komplett negativ ist. Durch die Verwendung von Symbolen haben wir eine wunderbare Fähigkeit erworben. Und die Symbole haben ihr Eigenleben erlangt und sind wunderschön. Sie sind mit Poesie und Witz gefüllt, die es nicht gäbe, wären wir bloß machtvoll geworden, könnten wir diesen Riesenwurm gleich von vornherein machen. Dennoch ist es interessant festzustellen, daß die virtuelle Realität uns nun eine Alternative gibt, zurückzugehen und zu erforschen, was hätte sein können, hätten wir diese Macht im Universum gehabt und diese alternative Kommunikationsströmung erfunden, die ich "post-symbolische Kommunikation" nenne. Sie ist keineswegs gegen Symbole. Das wäre absurd. Wir haben uns bis zu jenem Punkt entwickelt, bis zu dem unser Gehirn gewachsen ist, einfach um mit Symbolen in der Form von "Sprache" umgehen zu können.

Erste Vorbedingung für eine post-symbolische Kommunikation ist eine gemeinsame virtuelle Realität. Die zweite ist die Fähigkeit, eine Welt schnell und einfach zu schaffen, während man sich in der virtuellen Realität aufhält. Diese Fähigkeit besteht noch nicht, aber sie wird meiner Ansicht nach bald kommen. Das verlangt nach irgendeiner Methode, die es einer Person ermöglicht, eine virtuelle Welt in allen Aspekten von Form und Verhalten so schnell zu modellieren, wie man darüber spricht. Das Ergebnis wäre eine Situation, die man als geteilten – oder gemeinsamen – bewußten Wachtraum beschreiben könnte, in dem alles möglich ist und alles relativ leicht und alles mit anderen zu teilen. Diese Situation hat es bisher einfach nicht gegeben. Wir haben niemals diese interessante Durchdringung von Realitäten gekannt. Es handelt sich um eine Kombination aus der Objektivität der physischen Welt mit der Grenzenlosigkeit und dem unzensierten Inhalt, der normalerweise mit Träumen oder Imagination und der spontanen Komponierbarkeit der Sprache assoziiert wird.

Eine Anmerkung zur Objektivität und Gemeinsamkeit der virtuellen Realität: Die virtuelle Realität paßt in dieselbe Nische zwischen Leuten, die normalerweise von der physischen Welt eingenommen wird. Nicht mehr, nicht weniger. Deshalb sind auch die Arten von Interaktion, die Menschen in der physischen Welt haben, in der virtuellen Realität akzeptabel.

Was wir in der virtuellen Realität haben, ist die Fähigkeit, direkt eine gemeinsame Realität aufzubauen, anstatt nur davon zu sprechen. Man beschreibt nicht einfach Dinge, man macht sie. Du machst den großen Wurm und nimmst ihn zum Saturn mit. Das ist in Wirklichkeit ein ganz simpler Gedanke, und die meisten praktischen, kommerziellen Anwendungen der virtuellen Realität basieren auch genau auf dieser simplen Idee. Wenn ein Architekt beispielsweise eine virtuelle Realität einsetzt, um seinen Kunden Gebäude zu zeigen, so sagt der Kunde etwa: "Verschieben wir doch einmal dieses Fenster hierher" – und verschiebt es einfach. Das ist post-symbolische Kommunikation. Sie sind beide tatsächlich im Gebäude, und brauchen sich nicht länger auf Modelle oder Animationen oder technische Beschreibungen oder Blaupausen verlassen.

Sie haben es mit einer direkten Erfahrung zu tun, nicht einer Darstellung einer Erfahrung. Diese Art, ohne Repräsentation miteinander zu kommunizieren, mit der aktuellen Erfahrung selbst, ist der Grund, warum mir die virtuelle Realität so wichtig ist.