www.aec.at  
Ars Electronica 1990
Festival-Programm 1990
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Machen wir`s direkt - erfahrungsorientiertes Design von Cyberspace


'Randal Walser Randal Walser

ZUSAMMENFASSUNG
Cyberspace ist ein neues computer-gestütztes Medium, das es Gruppen von Personen erlaubt, die Rolle von Personen in Simulationen von dreidimensionalen Welten zu spielen. Dieser Aufsatz beschreibt einen theatralischen Ansatz im Cyberspace-Design, wobei der Designer, hier "Spacemaker" genannt, die Rolle eines Magiers in einem sich entwickelnden Raum spielt. Bei den meisten computerunterstützten Systemen wird der Designer als Dritter betrachtet, als ein Beobachter eines statischen dreidimensionalen Modells. Im hier beschreibenden Ansatz ist der "Spacemaker" ein direkter Mitwirkender in einer virtuellen Realität.
1. EINLEITUNG
Wie Marshall McLuhan schon vor mehr als 25 Jahren bemerkt hat, ist der Inhalt eines Mediums immer ein anderes Medium. Der Inhalt eines Druckwerkes ist beispielsweise das geschriebene Wort (dessen Inhalt seinerseits Sprache ist), und der Inhalt eines Films ist ein Roman oder ein Stück oder eine Oper. (12) Derzeit gibt es recht viel Aufregung um ein neues Medium, genannt "Cyberspace", das potentiell das umfassendste je entwickelte Medium ist. Nachdem der Inhalt des Cyberspace eine digitale Simulation ist, kann Cyberspace als Vehikel für jedes Medium verwendet werden, dessen sensorischen Effekte simuliert werden können; kurz – Cyberspace kann praktisch jedes Medium transportieren.

Das Problem bei Cyberspace ist heute, daß keine es unterstützende Industrie existiert, und daß keine Industrie ohne entsprechende Infrastruktur und ohne Markt entstehen kann. Das Problem ähnelt dem des Kinos um die Jahrhundertwende, als zwar Kameras und Projektoren schon entwickelt waren, aber Filme immer nur kurioses Beiwerk bei anderen Sachen waren. Antoine und Louis Lumière hatten zwar 1896 begonnen, Filme für Geld in einem öffentlichen Auditorium in Paris zu zeigen, aber jahrelang vegetierte das Kino "... zwischen Leben und Tod in der Nicht-Welt der Vergnügungsparks, der zweitklassigen Music-Halls, der Biergärten, der Penny Arcades und der Pfarrheime". (15) Und dennoch war 1905 John P. Harris in der Lage, 1000 Dollar die Woche mit dem Film "The Great Train Robbery" zu verdienen, den er in einem umgebauten Lagerraum in Pittsburg zeigte, den er "Nickelodeon" nannte, nachdem der Eintritt nur 5 Cents (= 1 "Nickel") kostete. Bis 1909 waren gut 8000 Nickelodeons in den ganzen USA eröffnet und das Kino war in weniger als zwei Jahrzehnten zu einer großen Industrie und einer neuen Kunstforrn herangewachsen.

In einem anderen Artikel (21) habe ich die mögliche Infrastruktur eines Cyberspace beschrieben, einer "Spielhalle", in die das Publikum geht, um Rollen in simulierten Wirklichkeiten zu spielen. Der dahinterstehende Gedanke ist jener, daß der Cyberspace als eine Art Theater angesehen werden kann, in dem das Publikum direkt – nämlich körperlich – an Simulationen dreidimensionaler Welten mitwirkt. Das Theater wird weithin als Kunstform akzeptiert, die es Menschen erlaubt, Realitäten zu erfinden, zu kommunizieren und zu verstehen, indem sie "ausgespielt" werden (ein Gedanke, der auch von Brenda Laurel ausgedrückt wird (10) ). Bei diesem weit gefaßten Ansatz ist Schauspielerei "nicht nur eine Form des Ausdrucks, sondern eine fundamentale Art, zu wissen. Zu agieren bedeutet, jemand anderer zu werden, in einem anderen Umfeld, und deswegen eine andere Realität zu erleben. Indem er seinen Körper einer gespielten Person übergibt, tritt der Schauspieler in die Realität des gespielten Charakters ** ein, und man kann zu Recht von "Verkörpern" (also den Körper leihen) sprechen. Der Charakter lebt durch den Schauspieler, aber genauso lebt der Schauspieler durch den Charakter. Ein Schauspieler im Cyberspace ist da nicht anders, abgesehen davon, daß der Körper, den er dem gespielten Charakter verleiht, nicht sein physischer, sondern sein virtueller ist. Man verkörpert den Dargestellten, aber man wird persönlich vom Cyberspace verkörpert." (21)

Ein "Spacemaker" ist ein kreativer Künstler, der Cyberspaces produziert, ebenso wie ein Filmemacher Filme schafft, ein Architekt Gebäude entwirft oder ein Romancier Bücher schreibt. Ein Cyberspace ist eine Simulation der Realität, und wenn er gut gemacht ist, kann er selbst zu einer Realität für die in ihm mitwirkenden Personen werden. Das Ziel des Spacemaker ist nicht, Realität zu simulieren, sondern Simulationen real erscheinen zu lassen, um neue Realität zu erschaffen. Auf seine Art ist der Cyberspace wie ein physischer Raum, nur daß er eben mit virtuellen Dingen angefüllt ist, und nicht mit realen. Aber ein Cyberspace ist mehr als nur das Zeug in ihm. Er ist auch das Muster der Aktivität des Stoffes und der Charaktere, die diesen Stoff in Bewegung setzen, und der menschlichen Patrons, die diese Charaktere steuern. Während Architekten physische Environments für das menschliche Wohnen schaffen, kreieren Spacemakers virtuelle Environments, die für jene Menschen real scheinen können, die darin eine Rolle spielen. Der Architekt hat nur beschränkten Einfluß auf die physische Welt, aber der Spacemaker kann eine Simulation biegen und formen, um jede nur erdenkliche Art virtueller Welt zu erschaffen. Ein Spacemaker handelt – mit anderen Worten – mit Illusionen, und ist eher ein Zauberer als ein Architekt.

In diesem Aufsatz betrachte ich einen Ansatz zum Design von Cyberspaces, und auch Design im allgemeinen, soweit es mit Cyberspace als Theatermedium zu tun hat. Unter diesem Aspekt spielt der Spacemaker die Rolle eines Magiers innerhalb eines sich entwickelnden Cyberspaces, und der Raum wird nicht so sehr gestaltet, sondern eher entworfen.
2. GESCHICHTE
Die essentiellen Gedanken zum Cyberspace sind nicht neu, obwohl sich das Gebiet erst nach der Veröffentlichung von "Neuromancer" 1986 so richtig herauskristallisiert hat, als William Gibson den Begriff des "Cyberspace" für "konsensuelle Halluzinationen" verwendete, die durch eine große Matrix interaktiver Simulationen hervorgerufen werden. (6) Ivan Sutherland konstruierte am Kopf getragene 3D-Displays schon in den 60ern, (18) (19) und seither haben viele Visionäre Wege gesucht, Menschen in Realitäten einzubinden, die aus computerbasierten Simulationen entstehen. (4) (14) (9) (2) (5) (13) (20) Einige Firmen haben damit sogar ein Geschäft gemacht, vorwiegend in der Ausbildung von Fahrzeuglenkern.

Bis vor kurzem konnte sich nur eine kleine spezialisierte Gruppe von Kunden die Technologie leisten, die notwendig war, um die Illusion der Verkörperung in einer computergenerierten Realität aufrecht zu erhalten. Die Grundtechnologie dahinter ist die Computergrafik, weil es am leichtesten ist, eine Simulation für real zu halten, wenn man sie sehen kann, und bis vor kurzem haben die Kosten der notwendigen 3D-Graphik-Technologie die meisten davon ausgeschlossen. Das Problem liegt darin, daß simulierte Bilder wie im Flug konstruiert werden müssen,ein Moment und ein Frame auf einmal, und das braucht Zeit. Um eine überzeugende Illusion zu erhalten, sollte eine Rendering-Maschine dreißig oder mehr Frames pro Sekunde erzeugen (also etwa Videogeschwindigkeit), obwohl Experimente in Autodesks Laboratorien gezeigt haben, daß auch mit 6 Bildern pro Sekunde interessante Realitäten aufrechterhalten werden können. Heute sind sogar (die besseren) Personal Computer leistungsfähig genug, um realistische Ich-Ansichten simulierter Environments zu generieren, wie Simulationsspiele wie Jetfighter (3) , Tank Platoon (17) oder Their Finest Hour (7) (und andere von einer Vielzahl verschiedener Entwickler auf allen möglichen PC-Typen) beweisen. Schnelle und preiswerte 3D-Grafik-Coprozessoren werden bald schon von etlichen Herstellern erhältlich sein, so daß die PCs ausschließlich zur Simulation von Welten eingesetzt werden können, während die schnellen Coprozessoren die Aufgabe haben, diese auch darzustellen. Die Kerntechnologie des Cyberspace wird also in Bälde einem jeden zugänglich sein, der einen PC besitzt, was bedeutet, daß die Einbindung in imaginare Welten bald eine allgemeine Erfahrung werden könnte.
3. VERSCHIEBUNG DER PARADIGMEN
Mit dem Auftreten des Cyberspace hat der Interface-Designer neue und aufregende Probleme zu lösen. Rapide Fortschritte in der dreidimensionalen Graphik- und in der Klangtechnologie, zusammen mit einem allgemeinen Trend zu immer schnelleren und billigeren Coprozessoren werden bald die Simulation dreidimensionaler Welten auf die Massenmärkte bringen. Mit diesen neuen Fähigkeiten ergibt sich auch die Möglichkeit, den Standpunkt des Benützers von der dritten zur ersten Person zu verschieben.

Nach dem alten Paradigma denkt der Designer Wege und Möglichkeiten aus, um dem Benützer bei der Interaktion mit der Repräsentation von Ideen und Realitäten zu helfen. Einerseits existiert im Computer die Darstellung von irgend etwas, während auf der anderen Seite, in der physischen Welt, ein Benützer dieser Darstellung existiert. Unter dem neuen paradigmatischen Ansatz gibt es hingegen keinen "Benützer", sondern ein Wesen, das direkt in der Simulation einer Realität agiert und erfährt. Nach dem alten Denkschema erfährt man die verschiedenen physikalischen Instrumente, durch die eine Darstellung von irgend etwas gefühlt und manipuliert werden kann. Man hat als Erfahrung also die Instrumente und nicht das Ding, ja nicht einmal die Darstellung des Dings. Unter dem neuen Aspekt erfährt man die Darstellung direkt, als wäre man in ihr.

Diese Paradigmenverschiebung, die John Walker beschrieben hat als "Durchbruch durch den Spiegel" (20) , liegt viel tiefer als nur ein Tausch von Standpunkten. In den Cyberspace einzutreten ist nicht nur Angelegenheit eines Sprunges von "draußen, hineinblickend" nach "drinnen, noch weiter hineinblickend". Cyberspace kann dazu verwendet werden, physikalische Phänomene zu modellieren, aber noch viel profunder, es kann damit die physikalische Welt als ganze verlassen werden, und Einzug gehalten werden in metaphysische Welten, die sich – für jeden Zweck – so anfühlen, als wären sie real.
Die neue Art, die Beziehung zwischen Mensch und Computer zu betrachten ist die Reflexion einer viel umfassenderen Paradigmenverschiebung in der Wissenschaft allgemein, die neues Gewicht auf den menschlichen Körper als Quelle und Ursprung der Rationalität legt (statt der externen physikalischen Welt). Einen faszinierenden Überblick über diese neue Ansicht gibt Mark Johnsons Buch "The Body in the Mind". (8)

Die erste Herausforderung dieses neuen Paradigmas ist die Entwicklung einer Technologie, die den Menschen das Gefühl gibt, in einer virtuellen Realität voll präsent zu sein. Man kann sich vorstellen, in einem Raum zu sein, aber man kann nur wirklich dort sein (in seiner Erfahrung), wenn auch sein Körper dort ist, oder wenn man mit seiner ganzen Existenz daran glaubt, daß der eigene Körper dort ist. Alles andere ist eine intellektuelle Übung, vielleicht wertvoll, aber weniger bedeutungsvoll als körperliche Erfahrung.
4. DER SPACEMAKER ALS MAGIER
Wie bereits in der Einleitung erwähnt ist der Kernpunkt dieses Aufsatzes der Spacemaker in seiner Funktion als Magier, also in einer der möglichen Rollen im Cyberspace. Der Spacemaker könnte auch andere Rollen spielen, etwa Architekt, aber letztendlich wird er "übernatürliche" Kräfte brauchen, um virtuelle Welten zu konstruieren.

Wie ein echter Zauberer in der physikalischen Welt wird auch ein Zauberer im Cyberspace die "natürlichen" Gesetze ausschalten können. In einem Cyberspace besteht das "Natur"-Gesetz darin, das Verhalten aller Objekte in der virtuellen Welt zu beschränken außer jenen, die von Magiern bewohnt oder gesteuert werden. Nachdem die Kräfte des Magiers ja mit Bezug auf die natürlichen Gesetze individueller Räume definiert werden, ist es nicht möglich, die Rolle des Magiers zu untersuchen, ohne die Natur des Virtuellen Raumes zugrunde zu legen, oder den Typus des virtuellen Raums, in dem die Rolle ausgeübt wird.

Ein wichtiger Cyberspace-Typ könnte "irdisch" genannt werden, um zu unterstreichen, daß die Naturgesetze solcher Räume analog jenen des physischen Raumes sind, wie sie normalerweise von Menschen auf der Erde wahrgenommen und erfaßt werden. In einem irdischen Raum sind alle Faktoren wie Größe, Gravitation und Atmosphäre (und damit die Farbe des Himmels) im Einklang mit der irdischen menschlichen Erfahrung. Irdische Räume sind wichtig im Theater-Paradigma, weil sie analog zu jenen Raumtypen sind, in denen sich die Menschen entwickelt haben. Obwohl wir uns an andere Umgebungs-Typen anpassen können, ist die Erde die Heimat, der Ort, wo wir am natürlichsten wir selbst sein können. Die Erde, und die menschliche Erfahrung auf der Erde, muß also das erste und wichtigste Anliegen einer jeden Technologie sein, die vor hat, Menschen in virtuellen Räumen zu verkörpern. Bevor wir uns irgendwo zu Hause fühlen können im Cyberspace, müssen wir zuerst lernen, wie man sich in irdischen Cyberspaces zu Hause fühlt.

Das anfängliche Problem ist es also, sich vorzustellen, wie ein Spacemaker die Rolle eines Magiers auf der wirklichen Erde spielen würde. Natürlich würden die gewöhnlichen Charaktere alle den irdischen Gesetzen unterworfen sein, und können nicht durch Wände oder übers Wasser gehen. Magier hingegen sollten fähig sein, alle Arten von "metavirtuellen" Dingen zu machen, Größe und Form ihres Körpers zu verändern, zu schweben, sich wie Bienen frei im Raum bewegen zu können, durch feste Mauern gehen, verschwinden, Hypersprünge machen, und virtuelle Objekte verändern oder neue entstehen lassen zu können. Sie könnten sogar die irdischen Gesetze selbst verändern und somit das Grundgewebe des terrestrischen Raums.
5. ERFAHRUNGS-DESIGN
Konstruktionen in der realen Welt sind oft ein schwieriger, langwieriger und teurer Prozeß, für den sorgfältig detaillierte Pläne ausgearbeitet werden müssen. Im Cyberspace hingegen, in dem ja keine physikalischen Beschränkungen gelten, ist der Magier gleichzeitig Designer, Baumeister und Bewohner, deshalb gibt es keinen Grund für schrittweise Planung. Ein Magier kann alles direkt machen, Objekte herbeizaubern, sie loswerden oder was auch immer, um mit dem Leben im Raum zurande zu kommen.

Dieser direkte "experientielle" Ansatz des Designs ist ähnlich der "spontanen" oder "vernakulären" Architektur (16) , auf die sich Christopher Alexander bezieht mit dem Ausdruck "die zeitlose Form des Bauers", durch welche eine Ordnung entsteht aus "nichts als uns selbst" (1) . Eine Architektur, die der formalen Planung entflieht, kann für moderne Geister frivol erscheinen, aber "formale Architektur ist eine relativ junge europäische Erfindung, die kaum der einheitlichen und graziösen Architektur der "ungelernten Baumeister in Raum und Zeit" nahekommen kann, die "ein bewundernswertes Talent für die Einbindung ihrer Gebäude in die natürliche Umgebung beweisen". (16) Oder, wie Richard Neutra es formuliert hat,
Die Formung der Umgebung des Menschen verlangt mehr als nur räumliche, strukturelle, mechanische und andere technische Überlegungen ... Unser organisches Wohlbefinden hängt ab von einer ganzheitlichen gesundheitsfördernden Umgebung. Deshalb muß der komplizierten sensuellen Welt des Menschen besondere Beachtung geschenkt werden. Dies ist grundlegend, wenn unsere Umgebung unsere mehr als ausreichenden perzeptuellen, intellektuellen und spirituellen Fähigkeiten stimulierend und gleichzeitig unsere physiologische Natur und unsere funktionalen Notwendigkeiten in dauerhafter Weise unterbringen soll. (11)

6. BESITZ IM CYBERSPACE
Es ist wichtig zu betonen, daß der Spacemaker die Rolle eines Magiers ausfüllt, der nicht nur einen Cyberspace aufbaut, sondern auch darin während des Aufbaus lebt. Und außerdem ist der Cyberspace im wesentlichen eine kybernetische Simulation, die einen oder mehrere Spieler umfaßt (21) sodaß der Magier nicht notwendigerweise (und auch nicht üblicherweise) alleine im simulierten Raum ist. Er mag übernatürliche Kräfte haben, aber dies bedeutet nicht, daß er tun und lassen kann, was er will. Er muß vor allem den Privatbesitz anderer Charaktere respektieren, und den öffentlichen Besitz der Gesellschaft(en), mit denen er den Raum teilt. Wenn ein Magier einen Raum von Grund auf allein aufbaut, so gehört dieser natürlich ihm, zumindest bis er den Raum auch anderen Patrons öffnet, sei es für öffentliche Zwecke oder für Privatbesitz.

Da der Spacemaker als Magier übernatürliche Kräfte hat und schweren Schaden am Privateigentum anderer Patrons anrichten könnte, muß auch abgewogen werden, wer denn überhaupt privilegiert werde, die Rolle des Magiers zu spielen. Darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort, weil jede Gesellschaft ihre eigenen Vorschriften hinsichtlich des Eigentums hat. Eine Gruppe von Athleten, die ein Sporthaus patronisieren (21) , könnte etwa entscheiden (oder zu Aufnahmebedingungen machen) daß virtuelle Spielfelder in jedem Fall öffentliches Eigentum sind und daß kein Patron die Rolle des Magiers annehmen kann. In anderen Organisationen wiederum, etwa in einer Architekturfirma oder bei einem Spieleentwickler, kann jeder Designer magische Fähigkeiten haben, obwohl verschiedene Prioritäts- und Autoritätsebenen die Magier in verschiedene Gruppen einteilen.
7. STANDPUNKT
Im Cyberspace, unter dem theatralischen Paradigma, haben Patrons immer virtuelle Körper und spielen die Rolle virtueller Wesen, "Charaktere" genannt. Zu diesem Prinzip gibt es niemals eine Ausnahme – Wenn man in den Cyberspace "gejackt" wird, so ist man irgendwie mit einem virtuellen Körper (einer "Puppe") verbunden, die man durch die Bewegungen des physikalischen Körpers kontrolliert. Normalerweise wird die Puppe ein Modell eines menschlichen Körpers sein, vielleicht nur eine blockartige Hülle oder ein Skelett, aber die Puppe könnte jedes virtuelle Objekt sein, das als Körper für einen Charakter in der realen Welt dienen kann, etwa ein Baum.

Um die Dinge einfach zu halten, stellen Sie sich vor, daß die Puppen des Magiers (also die virtuellen Körper) einfache menschliche Stockfiguren sind, aber mit klar definierten Köpfen, Augen, Ohren, Rümpfen und Händen. Ein Spacemaker kann nun den Magier (das heißt, den Körper des Magiers) von zwei fundamentalen Standpunkten aus steuern: entweder 1.) intrinsisch, durch die Augen des Magiers, oder 2.) extrinsisch, von einem Standpunkt außerhalb des Körpers des Magiers. Im Paradigma des Theater existiert kein sogenannter Bewußtseinspunkt außerhalb eines Körpers im virtuellen Raum, weshalb der Magier ein optisches Gerät, wie etwa eine Kamera, für einen extrinsischen Gesichtspunkt des Raumes verwenden muß.

Allgemein wird der Begriff "Kamera" für jedes optische Gerät verwendet, das in einem virtuellen Raum einem Charakter eine extrinsische Sichtweise des Raums vermitteln kann. Um dem Patron den Eindruck zu erhalten, daß er immer durch seine eigenen (d.h. seines Charakters) Augen sieht, wird das Bild einer Kamera immer in einer Schicht von Informationen präsentiert, die über die Ansicht des Patrons vom Cyberspace überlagert wird. Dies erlaubt dem Patron, seinen Kopf in jede Richtung zu drehen, ohne Verwirrung hinsichtlich der räumlichen Orientierung der virtuellen Kamera. Intrinsische und extrinsische Bilder werden also immer auf verschiedene Gesichtsebenen im Blickfeld des Patrons projiziert.
8. ÜBER DAS BÜRO DER ZUKUNFT HINAUS
Es scheint, als hätte das Rollenspiel außerhalb des Theaters wenig konkrete Anwendungsmöglichkeiten, aber in Wirklichkeit ist Rollenspiel ein umfassender Aspekt des modernen Arbeitslebens. Als kurzes Beispiel, wie das Theater-Paradigma angewendet werden könnte, stellen Sie sich das folgende Szenario vor, einen Architekten, der seine zukünftigen Klienten zum ersten Mal trifft.

Stellen Sie sich vor, sie sind ein Arzt, männlich, 1995, und daß Cyberspace-Spielhäuser schon Allgemeingut geworden sind. Sie haben endlich genug davon in Häusern zu leben, die von anderen entworfen wurden, und haben beschlossen, ihr eigenes Haus zu entwerfen. Nach einer geraumen Phase des Träumens, Kritzelns und ernsthaften Gesprächs beschließen Sie und Ihre Frau, einen Architekten aufzusuchen, der Häuser im Cyberspace entwirft. Sie kommen mit einigen einfachen Skizzen und einem Haufen nebuloser Ideen, und versuchen, Ihr Traumhaus zu beschreiben, so gut es geht.

Der Architekt hört sich das alles an und nickt wissend, und sagt dann: "OK, schau'n wir, ob wir was finden, was Ihren Ideen nahekommt." Er steht vom Schreibtisch auf, geht zu einer Schiebetür, öffnet sie, und enthüllt einen Raum voller Cyberspace-Apparaturen. Dann – während er zwei Jacken vom Regal nimmt – fragt er, ob Sie beide schon jemals im Cyberspace waren. Sie antworten, "Natürlich, wir gehen regelmäßig ins The Sporting House", ein Sportspielhaus im Ort. "Gut", sagt er, "dann kann ich mir meine übliche Feiertagsrede über die Wunder der virtuellen Realität ja sparen." Er gibt jedem von Ihnen eine Jacke, einen Helm, ein Paar Handschuhe, meint "Sie wissen ja, wie man die anschließt", und dann lädt er Sie ein, auf einem ziemlich großen Sofa entlang der Wand seines geräumigen Büros Platz zu nehmen. Seinen Anweisungen gemäß ziehen Sie Jacke, Handschuhe und Helm an, lassen aber das Visier noch oben. Sie verbinden die Handschuhe mit der Jacke, die Jacke mit dem Helm, und während Sie so herumschauen und die Steckverbindungen an der Decke entdecken, wird Ihnen klar, daß das gesamte Büro des Architekten eine gutgetarnte Cyberspace-Bühne ist. Unter der Oberfläche dieses traditionellen Büros mit den Plüschsesseln, mit seinem weichen dicken Teppich und den holzgetäfelten Wänden, liegt ein enges Spinnennetz aus Kabeln und Drähten, Zügen, Motoren, Steckern, Adaptern, Kameras, Boards, Monitoren, Schaltern, Computern und hundert anderen Geräten, die zusammenarbeiten um eine gemeinsame Illusion zu schaffen und aufrechtzuerhalten: Sie können sie nicht sehen, aber Sie wissen, daß sie da sind: die Nerven und das Gewebe des Cyberspace.

Drei Cyberspace-Steckverbinder hängen von der Decke über dem Sofa, einer direkt über der Sofamitte, die beiden anderen an den Enden. Jeder dieser Stecker ist etwa doppelt so groß wie eine Stereo-Buchse und verbunden mit einer "Nabelschnur", einem Bündel aus Video-, Audio- und Digital-Kabeln in einer Gummiummantelung. Jede Nabelschnur verläuft in den Plafond und dort in einem System aus Rollen und Kabeltrommeln bis zu einer Cyberspace-Maschine, je eine für die bis zu drei Personen, die auf einer Couch Platz nehmen können. Ein viertes Deck ist mit einer Buchse über dem Schreibtischsessel des Architekten verbunden.
Sie gehen durch den Raum und greifen nach dem Stecker über dem rechten Ende des Sofas. Sie setzen sich nieder, Ihre Frau läßt sich links von Ihnen nieder. Auch der Architekt hat Cyberspace-Kleidung angelegt und bewegt sich auf seinen Sessel zu, als sie den Stecker oben und hinten am Helm anschließen. Sie sichern den Stecker, indem Sie ihn nach rechts drehen, bis er einrastet, und klappen dann ihr Visier herunter. Sofort nimmt Ihre Umgebung die surrealen Formen des Cyberspace an und es ist Ihnen klar, daß sie in einem dreidimensionalen Nachbau des Büros sitzen. Aus Ihrer Erfahrung im Sportpalast wissen Sie, daß Sie einen virtuellen Körper bewohnen, und daß dieser auf einem virtuellen Sofa etwa in derselben Art sitzt, wie Sie selbst.

Ihr virtueller Körper ist ziemlich grob und inkomplett, wenig mehr als eine plumpe Stockfigur mit Kopf, Rumpf, Händen und einem nicht funktionsfähigen Unterteil, das offenbar nur den Zweck hat, Ihnen das Gefühl der Vollständigkeit zu geben. Ihre Arme sind überhaupt nicht dargestellt, weil Sie keine Sensoren an Ellbogen und Schultern tragen (und man deshalb auch nicht darstellen kann, wie Ihre physischen Arme im Raum ausgerichtet sind). Und dennoch, weil sich Ihre virtuellen Hände synchron zu Ihren realen bewegen, haben Sie das Gefühl, Arme zu haben, auch wenn Sie sie nicht sehen. Sie schauen gerade nach links, als sich Ihre Frau einschaltet, und eine androgyne Figur, ein offensichtlicher Klon ihres virtuellen Körpers, gesellt sich zu Ihnen auf dem Sofa zu. Vor Ihnen ist die Nachbildung des Schreibtisches des Architekten, mit einem leeren Stuhl. Plötzlich ein seltsames Geräusch, als hätte ein Riese einen Reißverschluß geöffnet, und eine dritte Figur taucht auf, die den leeren Sessel ausfüllt. Es besteht kein Zweifel, um wen es sich handelt, denn der Kopf der Figur ist in das Video-Abbild des Architektengesichts eingehüllt. Diese versetzt Sie in Erstaunen, weil Sie sowas noch nie gesehen haben, im Sportpalast sind die virtuellen Figuren immer einfache Stockpuppen. Das Gesicht ist unbeweglich, aber dennoch dramatisch, und sie bestaunen die schnellen Fortschritte in der Cyberspace-Technologie. Der Architekt sagt:"Es sieht aus, als wären wir alle da. Von jetzt an nennen Sie mich einfach Merlin." Nun erklärt er, daß Sie alle drei jetzt einen Hypersprung in ein virtuelles "Space Shuttle" machen werden, das vor seinem Haus parkt. Dann – er führt seine linke Hand zum Mund, was einen Spracherkenner auslöst, der mit einem Mikrophon an seinem Ohr verbunden ist) sagt er "HYPERJUMP ... HOMELAND ... KABRIO ... RÜCKSITZ," worauf Sie und Ihre Frau in die Rolle von Charakteren versetzt werden, die am Rücksitz von etwas sitzen, was wie ein Cabrio mit offenem Verdeck aussieht. Der Charakter des Architekten, Merlin, sitzt am Fahrersitz, und als er den Motor startet und aufs Gas steigt, beschleunigt das Fahrzeug recht flott und klettert in die Luft. Merlin lenkt nach links, auf einen Hügel in der virtuellen Landschaft zu und informiert Sie, daß er eine Siedlung auf der anderen Seite des Hügels anfliegt, in der etliche Häuser im Elisabethinischen Stil stehen, von denen er glaubt, daß sie dem ähnlich sind, was Sie ihm beschrieben haben.

Wenn Sie die Landschaft so beim Überfliegen betrachten, fällt Ihnen auf, daß die Details plötzlich auftauchen, wenn Sie sich den Häusern nähern. Gebäude zwei oder drei Blocks entfernt haben überhaupt keine visuellen Strukturen oder Raffinements, während Dinge wie Dachziegel, Zaunlatten, Gartensessel und sogar der Schlauch bei den Häusern und Höfen in Ihrer unmittelbaren Nähe direkt ins Auge fallen. Außerdem bemerken Sie, daß keine zwei Häuser wirklich gleich sind, obwohl in jedem Viertel Häuser ähnlichen Stils beisammen stehen. Während Sie den Hügel anfliegen, bemerken Sie auch, daß die höheren Regionen von größeren und teureren Häusern belegt werden.

Endlich fliegt Merlin das Shuttle über die Hügelkuppe und senkt es auf ein Wohnviertel zu, in dem die Häuser tatsächlich so aussehen, wie Sie sich Ihres vorgestellt haben. Nachdem Sie langsam an einigen vorbeigeflogen sind, entdeckt Ihre Frau eines, das sie besonders attraktiv findet, und sie bittet Merlin, doch näher heranzugehen. Merlin landet das Shuttle in der Hauseinfahrt und sagt: "Schauen wir halt einmal!"
9. MACHBARKEIT
Das vorstehende Szenario könnte als zu überzeichnet abgetan werden, um einen praktischen Wert zu haben, wenn nicht all das Beschriebene schon heute möglich wäre – ohne grundlegende technische Innovationen. Natürlich sind noch Probleme zu überwinden, und die künstlerische Herausforderung ist enorm, aber all die Hardware, die für die Konstruktion eines Cyberspace-Spielhauses nötig wäre, kann man heute von der Stange kaufen. Neue Softwaretechniken werden sicherlich speziell für Cyberspace entwickelt werden, besonders auf Gebieten der parallelen Programmierung, aber aus den Forschungsarbeiten bei Autodesk und etlichen anderen wird klar, daß interessante virtuelle Welten auch ohne Rückgriff auf elaborierte neue Techniken programmiert werden können. Das Theater-Paradigma ist heute etwa auf dem Stand des Desk-Top-Paradigmas im Jahr 1980. Ein paar Leute haben das Potential des Desktops erkannt und wußten, daß es keinen technischen Grund gibt, warum es nicht als dominante Form auftauchen sollte, aber es hat dann doch noch einige Jahre gedauert, bis Desktop Publishing zu einer Industrie wurde (oder so genannt werden konnte). Und 1980 waren nur wenige Ideen weiter entwickelt, als daß Maus, Ikonen-orientierte User-Interfaces und Laserdrucker bald das Bürogeschehen revolutionieren würden.
10.SCHLUßFOLGERUNGEN
n diesem Aufsatz und einem damit zusammenhängenden (21) habe ich ein Konzept des Cyberspace als eine Form des Theaters vorgestellt, und einen neuen Versammlungsort ein Cyberspace-Spielhaus – propagiert, wohin die Leute gehen können, um Rollen in Simulationen dreidimensionaler Welten zu spielen. Eine ganze Menge muß noch erforscht und entwickelt werden, aber der Umriß eines Cyberspace-Paradigmas beginnt sich zu formieren. Einige (versuchsweise) Forderungen an ein solches Paradigma sind:
  1. Verkörperung ist ein zentraler Aspekt menschlicher Rationalität wie menschlicher Erfahrung.

  2. Cyberspace ist ein theatralisches Medium.

  3. Virtuelle Realität ist ein Set aus wahrgenommenen Beziehungen, die aus einem Medium auftauchen.
  4. Cyberspace ist eine Technologie, ein Geschäft, ein Markt, eine Industrie und ein virtuelles Phänomen.

  5. Theater ist die Kunst und das Handwerk, Simulationen real erscheinen zu lassen, und Spacemaking ist das auch.

  6. Die erste Zutat zu einem Theater ist ein Versammlungsort (oder Medium) für eine Gruppe von Menschen.

  7. Patrons spielen die Rolle von Charakteren in kybernetischen Simulationen, aus denen sich virtuelle Realitäten entwickeln.

  8. Patrons haben immer virtuelle Körper.

  9. Patrons haben immer virtuellen Raum vom Gesichtspunkt ihrer virtuellen Augen innerhalb ihrer virtuellen Körper aus. Die einzige Möglichkeit, einen Blick auf die virtuelle Welt von außerhalb des virtuellen Körpers zu machen, ist mit Hilfe eines optischen Hilfsmittels, wie etwa einer Kamera (außerhalb des Körpers gibt es im Cyberspace keinen Bewußtseinspunkt oder ähnliches).

  10. Räume sind menschliche Behausungen, was bedeutet, daß sie eine Freude für die menschlichen Sinne darstellen sollen: Sie sollten nie verwirren, desorientieren, oder ihre Bewohner frustrieren (außer sie wären – etwa in einem Spiel – eigens so konstruiert).
Derzeit ist noch schwer abzuschätzen, welchen Einfluß der Cyberspace auf die menschlichen Lebensbedingungen haben wird, aber es könnte kaum vielversprechender sein, wenn die Menschen einen Zugang zu einem neuen physikalischen Universum gefunden hätten. Schließlich können im Cyberspace so viele Universen enthalten sein, wie die Menschen Zeit und Phantasie haben, sich welche auszudenken.

Anmerkungen:

(1)
Alexander C. (1979) The Timeless Way of Building. New York: Oxford University Press.zurück

(2)
Brooks F.P. (1988) Grasping reality through illusion – interactive graphics serving science. ACMSIGCHL zurück

(3)
Dinnerman B., Ptak T., Ma M., and Bennett M. (1988) Jetfighter. A simulation game from Velocity Development, Inc.zurück

(4)
Engelbart D.C., Watson R.W., and Norton J.C. (1973) The augmented knowledge workshop. Proc. National Computer Conference, pp. 9–21.zurück

(5)
Fisher S.S., McGreevy M., Humphries J., and Robinett W. (1986) Virtual environment display system. ACM 1986 Workshop on Interactive 3D Graphics, University of North Carolina, Chapel Hill, North Carolina.zurück

(6)
Gibson W. (1984) Neuromancer. New York: Ace Books.zurück

(7)
Holland L., Cameron M., and McLoud J. (1989) Their Finest flour. A simulation game from Lucasfilm, Inc.zurück

(8)
Johnson M. (1987) The Body in the Mind: The Bodily Basis of Meaning, Imagination and Reason. Chicago: The University of Chicago Press.zurück

(9)
Krueger M. (1982) Artificial Reality. Addison-Wesley.zurück

(10)
Laurel B. (1989) On dramatic interaction. Verbum 3.3. pp 6–7.zurück

(11)
Martin W., Ed. (1989) Nature Near: Late Essays of Richard Nostra. Santa Barbara: Capra Press.zurück

(12)
McLuhan M. (1964) Understanding Media: The Extensions of Man. New York: Signet Books.zurück

(13)
Nelson T. (1987) ComputerLib., 2d ed. Redmond, WA: Microsoft Press. First ed. publ. in 1974.zurück

(14)
Papert S. (1980) Mindstorms: Children, Computers, and Powerful Ideas. New York: Basic Books, Inc.zurück

(15)
Rhode E. (1976) A History of Cinema. New York: Da Capo Press.zurück

(16)
Rudofsky B., (1964) Architecture Without Architects. Albuquerque: University of New Mexico Press.zurück

(17)
Spanburg S., Hendrick A., Dennis D., and Remington M. H 989) Tank Platoon. A simulation game from Microprose, Inc.zurück

(18)
Sutherland I. (1963) Sketchpad, a man-machine graphical communication system. Ph.D. Thesis, Massachusetts Institute of Technology.zurück

(19)
Sutherland I. (1968) A bead-mounted three dimensional display. FJCC. Vol 33, pp 757–764.zurück

(20)
Walker J. (1988) Through the looking glass. Internal paper. Autodesk, Inc. Sausalito, California.zurück

(21)
Walser R., (1990) Elements of a cyberspace playhouse. Proceedings of National Computer Graphics Association, Anaheim, March 19–22.zurück