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Virtuelle Wirklichkeit - ein Überblick


'Eric Gullichsen Eric Gullichsen

Die Computertechnologie ist in ihrer Entwicklung so weit fortgeschritten, daß es ihr möglich ist, für die menschlichen Sinne annehmbar realistische alternative Eingaben zu produzieren, nämlich die sogenannte virtuelle Realität oder künstliche Wirklichkeit oder – mit einem englischen Ausdruck – Cyberspace. Virtuelle Realität (VR) stellt eine neue Möglichkeit dar, den Computer einzusetzen, eine Interaktion mit den Daten, die er enthält, durchzuführen. Wenn man einen bisher üblichen Computer benützt, sitzt man vor einem Bildschirm, schaut durch Glas auf Zeichen und Bilder, erteilt Befehle mittels einer Tastatur oder eventuell einer Maus. Die Bilder sind üblicherweise stationär und meistens zweidimensional. Auch jene Systeme, die den Anspruch erheben, dreidimensional zu sein, haben diese dritte Dimension nur in ihrer graphischen Datenbank, auf dem zweidimensionalen Bildschirm hingegen erscheint dann eine perspektivische Projektion der dreidimensionalen Welt. Bei VR-Systemen setzt man sich das Computerwiedergabegerät auf (quasi wie Kopfhörer für die Augen) und der Körper wird mit Sensoren ausgestattet. Man ist also umgeben von einer "tragbaren", vom Computer erzeugten Wirklichkeit. Die computererzeugte Welt wird zum Bereich persönlichen Erlebens. Die Steuerung geschieht durch Gesten, durch Körpervorgänge. Techniken, wie die stereoskopische Darstellung der synthetischen Szene in Echtzeit und schattierter Farbe sowie die Verfolgung von Stellung und Bewegung der Gliedmaßen und die daraus folgende authentische Interaktion mit der tatsächlichen Umgebung, lassen uns in die Welt des Computers eintreten. Die Technologie der Flugsimulatoren wird eingesetzt, um sozusagen persönliche Simulatoren zu gestalten.

Die VR-Wiedergabe ist dynamisch und die Bilder sind stereoskopisch. Mit den herkömmlichen Wiedergabesystemen ist es oft schwierig und gelegentlich sogar unmöglich, gewisse Operationen durchzuführen, da durch die Projektion einer dreidimensionalen Welt auf die Ebene eines zweidimensionalen Bildschirms Informationen verloren gehen. VR behält die Tiefendimension bei, stellt sie stereoskopisch dar und bringt zusätzlich die Flexibilität der Realzeitbewegung und Rotation von Objekten und Ausgangspunkten, so daß es möglich ist, das Dargestellte aus allen Blickwinkeln zu betrachten.

Bei der Software gibt es keine Schnittstelle. Das heißt vielmehr, die Schnittstelle tritt einfach nicht in Erscheinung, so wie unsere angeborene Schnittstelle, mit der wir uns immer in Interaktion mit der Welt um uns befinden. Wenn man nun ein Objekt auswählt und dieses bewegen will, muß man nicht mehr ein Menü wählen oder das Objekt mit der Maus anfahren.

Stattdessen bewegt man seinen Körper, geht zu dem Objekt streckt die Hand aus und "begreift" das Objekt im wahrsten Sinn des Wortes, man nimmt es in die Hand und trägt es dorthin, wo man es haben will. Doch die Emulation der natürlichen Wirklichkeit muß nicht so weit gehen, daß sie ermüdend wird. Um zum Beispiel wie Superman fliegen zu können, braucht man bei VR nur in die gewünschte Richtung zu zeigen und schon verfrachtet die Software den eigenen Standpunkt ganz mühelos in diese Richtung.

Technisch gesehen ist VR im Verlauf der Weiterentwicklung im Computerwesen von heute entstanden. Ihre Entwicklung wird dadurch ermöglicht daß für wissenschaftliche Visualisierungsgeräte, wie z.B. Iris von Silicon Graphics oder die Reality Boards von Real World Graphics, ständig neue schnelle dreidimensionale Arbeitsplätze geschaffen werden, und daß schnellere Gleitkommaprozessoren, wie die Intel i860 und i486 Chips, zur Verfügung stehen. Immer häufiger wird die physische Simulation eingesetzt, sowohl in der Computergraphik für physikalische Modelle zur Darstellung realistischer Bewegung, wie auch im Bereich der Diagnose und Vorhersage. Der Realismus bei den Computerspielen von heute und der Trend zur dreidimensionalen Darstellung (Colony, Hard Driving) verstärkt den Wunsch nach visuellem Realismus und nicht nur symbolischer Authentizität.

In der westlichen Welt herrscht heutzutage größtenteils materieller Überfluß. Mangel besteht an echtem Erleben. Es haben sich viele Industrien entwickelt, um den Hunger nach neuen und mitreißenden Erlebnissen zu befriedigen. Die Filmindustrie, die Fitneßindustrie, die Computerspielindustrie – sie alle verdanken ihre Existenz ihrer Fähigkeit, Menschen auf neuartige Weise zu unterhalten und anzuregen. Die eben entstehende VR-Industrie vereint nun die vorher genannten in sich und führt die Menschheit in ihrer Evolution wieder einen Schritt weiter. Virtuelle Wirklichkeit – VR – ist ein neues Medium für Kunst und Kommunikation und ein neuer Lebensbereich.