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Ars Electronica 1990
Festival-Programm 1990
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Festival 1979-2007
 

 

Virtuelle Wirklichkeiten in der Dunkelheit


'Willem de Ridder Willem de Ridder

Man braucht eine großen leeren Raum, welcher völlig dunkel sein muß. Es muß so dunkel sein, daß die Augen auch nach zehn Minuten nichts erkennen können. Das geringste Licht befähigt die Augen wieder "zu sehen". In diesem Raum werden einfache Gänge, Korridore, Barrieren, Stiegen und Zimmer gebaut, um die Besucher zu "führen".

Besucher bekommen einen Walkman und Kopfhörer. Sie setzen sich in einen bequemen Sessel neben dem Eingang. Dort schalten sie den Kassettenrecorder ein, und hören einen speziellen Ton, der ihr Gehirn und ihr körperliches Befinden beeinflussen wird. Dann erzählt ihnen eine Stimme über die ziemlich riskante Erfahrung, die sie in Kürze machen werden. Andere Besucher (die sich vielleicht gerade anstellen) können den Vorgang beobachten.

Die Stimme gibt einfache Anweisungen, und wenn diese genau befolgt werden, wird nur ein minimales Risiko bestehen. Nun wird der Besucher aufgefordert (von derselben Stimme), aufzustehen, und die Tür neben dem Sessel zu öffnen. Beim Betreten eines kleinen Ganges gibt die Stimme die Anweisung, die Tür zu schließen und zu warten. Das Licht ist ziemlich schwach und der Ton wird lauter.

Wieder warnt die Stimme vor dem erheblichen Risiko, daß das bevorstehende Abenteuer mit sich bringen wird, und wie wichtig es ist, die Instruktionen, so genau wie möglich zu befolgen. Eine zweite Tür muß geöffnet werden, und dieselbe Art von Gang wird betreten. In diesem Raum ist das Licht noch schwächer und wieder bereitet die Stimme den Besucher auf die bevorstehenden Gefahren vor.

Es gibt einen dritten Gang, wo das Licht so schwach ist, daß die Augen einige Zeit brauchen, um sich daran zu gewöhnen. Man kann die Tür, die als nächstes geöffnet werden muß, kaum sehen. Danach gibt es überhaupt kein Licht mehr. Man muß sich zur Gänze auf die Stimme verlassen.

Die Instruktionen sind sehr präzise. Wenn die Stimme sagt, daß der Boden weich werden wird, wird er tatsächlich weich. Wenn sie vor einer Wand weiter vorne warnt, dann ist dort eine Wand.

Die Stimme erzählt eine unglaubliche Geschichte über die Realität in diesem dunklen Raum, und diese wird sehr wirklich. Da wird ein Seil sein, an dem man sich festhalten kann, aber zu einem bestimmten Zeitpunkt wird das Seil aufhören, und man ist verloren in einem sehr abenteuerlichen und gefährlichen Raum, wo jede aufgesetzte Idee wirklich und sichtbar werden wird. Der Großteil des Gehirns ist auf visuale Stimuli eingestellt. Jede Idee oder Vorstellung neigt dazu, sich zu materialisieren und dazu brauchen wir kein Licht.

Die Besucher betreten einen Raum mit einem Bett in der Mitte und die Stimme fordert sie auch, sich darauf hinzulegen, und sich umzusehen. Die uralte Kunst des Geschichtenerzählens wußte schon immer, daß Zeit und Raum bloße Ideen sind. Wenn wir daran glauben, werden sie sich materialisieren. Jeder gute Geschichtenerzähler läßt sie auch wieder verschwinden. Die verursachte Realität im dunklen Raum ist sehr überzeugend. Willem de Ridder ist ein meisterhafter Geschichtenerzähler.

Dieses Projekt wurde zum ersten Mal 1981 in Holland vorgestellt. Willem de Ridder machte eine Live-Übertragung im holländischen National-Radio von einem Zeppelin aus, der über der Stadt Rotterdam schwebte. Hörer konnten drei Museen im Land besuchen, wo sie nur eingelassen wurden, wenn sie ein tragbares Radio mitbrachten. Sie betraten völlig dunkle Räume, wo De Ridder sie, vom Zeppelin aus, durch eine virtuelle Realität führte. Sogar die Hörer, die nicht in eines der Museen gehen konnten, "sahen" diese zu Hause, während sie Radio hörten.

Der Ton wird vom Hafler Trio in Zusammenarbeit mit den Robol Laboratorien produziert. Der Raum wird von Willem de Ridder entworfen werden, und der Text wird gemäß der endgültigen Verwirklichung dieses Entwurfs aufgenommen werden. Einfache Trennwände (wie sie auf Messen verwendet werden) mit einigen Türen, ein Bett, einige zusätzliche Lautsprecher, etwas maßgefertigte Tischlerarbeit, und einige weiche Teppiche sind notwendig. In den meisten Fällen wird der Raum aus bestehendem und vorhandenem Material gebaut.