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Ars Electronica 1990
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Festival 1979-2007
 

 

Das Zimmer von Alice


'Jeffrey Shaw Jeffrey Shaw

"International Art & Science Exhibition"
Kanagawa Science Park, Kawasaki, Japan, 1989


Gedicht für dieses Werk: Shuntaro Tanikawa
Entwicklung der Anwendungssoftware: Gideon May

Realisiert auf einem Silicon Graphics GT70 Computer
Traditionellerweise ist das Kunst-Werk ein Mechanismus der Darstellung der Realität; mit Hilfe von Echtzeit-Computergraphik-Visualisierungstechniken ist es nun möglich, daß aus dem Kunst-Werk eine Simulation der Realität wird. Der Raum, der durch eine solche Simulation geschaffen wird, kann die vertrauten Koordinaten der Realität reproduzieren, diese Koordinaten in paradoxer Weise verändern, oder er kann sogar gänzlich synthetische Realitäten erfinden. In ALICES RAUM werden alle drei dieser Simulationsmöglichkeiten erforscht und eine Verbindung zwischen dem virtuellen und dem tatsächlichen Raum eingerichtet, wo Fiktion und Realität einander interpolieren.

Ein hochzeiliger rückprojizierter Videomonitor (1248 x 1024 Bildpunkte) ist auf einer Plattform (250 cm x 250 cm) in der Mitte des Raumes montiert. Unter der Plattform befindet sich ein elektrisch gesteuerter Motorantrieb, der die Plattform (und den Monitor) in jede Richtung um 360° drehen kann. Das Bild auf dem Monitorschirm kommt von dem SG GT70 Computer, der außerhalb der Plattform angeordnet ist.

Der Betrachter verwendet einen Infrarot-Joystick, um dieses Werk zu steuern und zu betrachten. Dies ermöglicht es ihm, frei im Raum umherzugehen und der Drehung des Monitorschirms zu folgen. Der Joystick hat zwei Steuerachsen: Eine LINKS / RECHTS-Bewegung versetzt die Plattform im oder gegen den Uhrzeigersinn in Drehung und in der Folge erfährt auch die Position des Betrachters eine entsprechende Drehbewegung auf dem von Computer generierten Bild auf dem Schirm. Eine VOR/ZURÜCK-Bewegung des Joysticks steuert eine gleichwertige Bewegung der Betrachterposition im Bildraum auf dem Schirm.

Wo immer ALICES RAUM installiert wird, ist seine Computergraphik-Datenbank eine ziemlich genaue Simulation der Proportionen und des Aussehens des echten Raums, in dem sich das Werk befindet. Tatsächlich verdoppelt der virtuelle Raum den tatsächlichen Raum und der Betrachter bewegt sich gleichzeitig in beiden. Der virtuelle Raum (das Bild auf dem Schirm) und der echte Raum (das Zimmer) sind optisch gefluchtet und haben den selben Maßstab – sieht der Betrachter im echten Raum auf eine Tür oder Fenster, so blickt er auch im simulierten Raum auf diese Dinge.

Der simulierte Raum reproduziert das Zimmer und fügt gleichzeitig vier neue Objekte zu diesem Raum hinzu – vier rechteckige Kästen, jeweils symmetrisch in den Ecken angeordnet und jeder in einer anderen Farbe: rot, grün, blau und gelb. Der Betrachter, der sich im tatsächlichen und im virtuellen Raum bewegt, kann sich diesen Kästen nähern und in sie hineingehen.

Jeder Kasten ist eigentlich wieder ein Raum, vom Aussehen her derselbe Raum, aus dem der Betrachter kam (d.h. die Simulation des echten Raums). Sobald man sie betreten hat, werden diese Räume im Raum so groß wie der Raum, der sie enthält. Der Betrachter betritt und verläßt sie einfach, indem er irgendwo durch ihre Wände gebt. Sobald so ein Raum verlassen wird, wird er wieder zu dem Kasten, der in dem Raum schwebt, aus dem der Betrachter gekommen ist.

Jeder dieser vier Räume im Raum dupliziert den Raum, der sie enthält, aber gleichzeitig weist jeder seine eigenen, einzigartigen visuellen Eigenschaften und Phänomene auf:

Erster Raum.
Dieser Raum enthält wieder die vier Kästen, aber diese befinden sich in einem Dauerprozeß, in dem sich jeder jeweils in acht kleinere Kästen zerteilt und dann wieder zu einem zusammenfügt. Gleichzeitig mit diesem Zerteilungs- und Wiederzusammenführungsprozeß bewegt sich jeder Kasten im Uhrzeigersinn rund um den Raum, um eine neue Eckenposition einzunehmen, wodurch eine Konstellation von sich um den Betrachter bewegenden Elementen geschaffen wird.

Zweiter Raum.
Dieser Raum enthält das Gedicht von Shuntaro Tanikawa, das speziell für diesen Zweck geschrieben wurde. Das Gedicht wird in Form von großen dreidimensionalen Kanji-Zeichen gezeigt, die sich dauernd durch den Raum bewegen. Eine Zeile des Gedichtes durchquert den Raum von der Tür zum gegenüberliegenden Fenster und die andere steht im rechten Winkel zu dieser und taucht aus einer Wand auf und verschwindet durch eine andere. Diese beiden Textzeilen kreuzen und durchdringen einander in der Mitte des Raums.

Dritter Raum.
In der Mitte des Raums dreht sich andauernd und langsam ein großer weißer Hyperwürfel mit Drahtrahmen.

Vierter Raum.
Dieser Raum ist dunkel. In der Mitte befindet sich eine simulierte Nachbildung des echten Videomonitors, den der Betrachter eigentlich ansieht. Dieser simulierte Monitor befindet sich dauernd in Drehung, und während er sich dreht, kommt es zu einer eindrucksvollen Verschiebung von bunten Lichtreflexionen über die Oberflächen des Raums, als ob der Raum durch ein unsichtbares Monitorbild beleuchtet würde.