Systeme für Neu-Heiden
Systems for Neo-Pagans, Über Alan Rath
'Alfred Jan
Alfred Jan
High-Tech-Kunst wird normalerweise viel zu sehr von ihren eigenen Materialien und Techniken fasziniert – zu Lasten des Inhalts. Ganz im Kontrast dazu enthalten Alan Raths Kathodenstrahlröhren-Skulpturen eher die hinterhältigen Qualitäten der Technologie und ihrer Effekte auf die Menschen. Seine Herkunft aus dem Elektroingenieurswesen hat es Rath ermöglicht, Stücke mit Microcomputern zu bauen, die mehrere bewegte Bilder pro Röhre speichern können, ohne auf Videoband zurückgreifen zu müssen. Klar abgegrenzt von Videokunst und Videoinstallation kombinieren seine Konstruktionen Kathodenstrahlröhren mit industrieller Hardware und zeigen ihre Myriaden von Komponenten offen vor, etwa Schaltplatinen, Kabel und Drähte. Zusätzlich zu den individuellen Werken umfaßte die Ausstellung (1) computergestützte mit dem Betrachter interagierende Systeme, die die Leute überraschend "anfielen" und eine milde Form von Paranoia erzeugten.
Wie ein jeder weiß, der mit der Sprache der Zeichen vertraut ist, sind die Hände besonders ausdrucksstark. Hände sind die dominierenden Schirmbilder in etlichen von Raths Skulpturen; diese Stücke scheinen zu reflektieren, wie die Technologie uns eingekesselt, unsere Körper verändert und nur noch Spuren des Menschlichen in uns zurückgelassen hat. So besteht "I Want" beispielsweise aus einem langen transparenten Balken mit einer Kathodenstrahlröhre an einem Ende; der Balken bewegt sich auf Rollen über zwei metallenen Dreiecksbefestigungen vor und zurück, und die Bildröhre zeigt das Bild einer zupackenden Hand. Da das metallene Rahmenwerk an ein Foltergerät erinnert, signalisieren die Bewegungen der Hand vielleicht die Bitte, der Schmerz möge aufhören. Die Maschine könnte aber ebenso als Vergnügen erzeugend angesehen werden, weil sie auf eine fast besessene Abhängigkeit von den Allüren der Technik hinweise. Eine ähnlich groteske Vision menschlicher "Entkörperlichung" präsentiert "Ambivalent Desire". Drei Bildröhren, jede mit ihrem eigenen Kabel verbunden, strecken sich aus einer hölzernen Kiste heraus, wie gigantische Schneckenfühler. Sanft bewegte Hände scheinen entweder zu genießen, mit der Technologie im Bunde zu sein, oder aber zeigen die letzten Zuckungen des Selbstbewußtseins, bevor die Katatonie einsetzt. Etwas weniger gewichtig präsentiert "Handstand" ein Röhrenbild eines Fußes und eines einer Hand, die beide mit ungleichen Längen aufgereihter Spulen an eine zentrale Box angeschlossen sind. Wir sehen eine seltsame Art nicht-körperlicher Akrobatik, wenn nur eine Hand und ein Fuß elektronisch dargestellt werden.
"You Can Make A Difference!" war eine ausstellungsspezifische Installation, bestehend aus einem Teleskop, das auf einen unauffällig von der Decke am anderen Ende des Raumes herunterhängenden Monitor gerichtet war. Beim Durchsehen durch das Teleskop entdeckte ich auf dem Monitor eine zwölfstellige Zahl. Nach dem Drücken eines nahen grünen Knopfes beobachtete ich, wie sich die letzte Ziffer der Zahl um eins erhöhte, wonach ein freundliches "Thank you" aufblinkte. Aus 656.998.581.653 wurde einfach 656.998.581.654. Dafür kann Rath uns danken, wenn wir die Mächtigkeit von irgendetwas nur um eins erhöht haben? Der Titel scheint ironisch, nachdem alles was wir durch unser Agieren machen können, so winzig zu sein scheint; die Technologie reduziert die Wichtigkeit menschlicher Aktivität bis zur Insignifikanz.
Der wohl stärkste besucherinteraktive Teil der Installation hing an einem Computer, der einen Countdown bis zum Wort "Confusion" (lautes elektronisches Geräusch aus zwei Lautsprechern) oder "Chaos" durchführte, was eine Wolke von Tischtennisbällen in einem Metallkäfig wild zum Herumwirbeln brachte. Das begleitende Stroboskop-Licht (die Saalbeleuchtung ging an diesem Punkt aus) produzierte einen unheimlichen Effekt langsamer Bewegung der Bälle und suggerierte Schrecken, wie einen nuklearen Fall-out. Dieser Ablauf der Ereignisse war für die Besucher nervenaufreibend, da nicht klar erkennbar war, wie die Position des Betrachters den Countdown der Einheit beeinflußte.
Rath ist einer der vielversprechendsten Künstler der Gegend um San Francisco, der industrielle und künstlerische Medien einsetzt. Er hinterfragt metaphorisch unsere Beziehung zur Technik, ohne dabei trivial zu sein oder Gemeinplätze zu verbraten, und gleichzeitig definiert er die Parameter der High-Tech-Kunst neu.
(1) Nämlich "Systems for Neo-Pagans", New Langton Arts, 6.6.–9.10.1988zurück
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