VIDEOPLACE – Eine künstliche Realität
'Myron W. Krueger
Myron W. Krueger
Das Konzept zu VIDEOPLACE entstand 1970. Seit dem Beginn war VIDEOPLACE als neues Kunstmedium ebenso wie als Telekommunikations-Environment konzipiert. Innerhalb dieses Mediums kann eine unendliche Anzahl von Interaktionen komponiert werden. Diese Interaktionen können von Leuten geteilt werden, die in verschiedenen Zimmern im selben Haus sitzen, ebenso wie von solchen, die tausende Meilen auseinander sind. In VIDEOPLACE nimmt der Computer ein bewegtes Bild auf, analysiert es, versteht, was er sieht, und antwortet sofort mit Graphiken, Videoeffekten und synthetischen Klängen. Die individuelle Bewegung bestimmt die Erfahrung des Teilnehmers.
VIDEOPLACE stellt einen ersten Schritt in eine Künstliche Realität dar. Künstliche Realität geht weit über Simulation hinaus. Simulation ist der Versuch, physische Realität nachzubilden. Der Mitwirkende sitzt normalerweise in einer Umgebung und interagiert mit einem oder mehreren kleinen Displays über handbediente Steuergeräte. In einer Künstlichen Realität wird man in die Erfahrung eingetaucht. Interaktionen werden durch physische Bewegung kontrolliert. Man braucht nichts zu halten, man steht frei, kann herumgehen und den gesamten Körper benutzen – wie im wirklichen Leben. In der Künstlichen Realität können allerdings – im Gegensatz zum wirklichen Leben – physikalische Gesetze durchbrochen und den Bedürfnissen angepaßt werden. Eine Zweiwegmöglichkeit wurde zwischen VIDEOPLACE und einer VIDEODESK-Installation eingebaut. Am VIDEODESK filmt eine Überkopf-Kamera Information über die Position und Gestik von Händen und Fingern ins Computersystem. Eine oder mehrere Personen im VIDEOPLACE-Environment interagieren miteinander und mit der Person am VIDEODESK. Auf den Bildschirmen erscheint ein kombiniertes Bild vom VIDEOPLACE-Environment und vom VIDEODESK. Die folgenden Interaktionen sind das Standardrepertoire in der gegenwärtigen Konfiguration.
CRITTER(1) In CRITTER nimmt eine graphische Kreatur die Bewegungen auf und verwickelt Ihr Videobild in ein kapriziöses Wechselspiel. CRITTER ist ein konzeptuelles Spiel, das eine spielerische Metapher für eines der zentralen Dramen unserer Zeit liefert: für die Begegnung zwischen Mensch und Maschine.
HUMAN CRITTER In einer Variation des CRITTER-Themas wird Ihr Videobild auf die Größe der CRITTER-Kreatur verkleinert. Diese Miniaturversion von Ihnen kann dann eine graphische Welt erforschen oder die graphische Kreatur bei der Interaktion mit Ihrem lebensgroßen Bild ersetzen.
PAINTING THE TOWN Diese Interaktion beschäftigt sich mit der New Yorker Skyline am Abend. In der ersten Phase bestimmen Ihre Bewegungen den Sonnenuntergang am Abendhimmel. Nach Sonnenuntergang schalten Sie die Lichter der Wolkenkratzer mit einem ausgestreckten Finger ein und erzeugen eine Sequenz, die sofort rückwärts abläuft, sobald Sie mit Ihren Bewegungen aufhören.
INDIVIDUAL MEDLEY Dies ist eine Familie von Interaktionen, die ein Videobild Ihrer eingefärbten Silhouette sowohl als Komponente als auch als Steuerelement des Bildschirms verwendet. Diese Interaktionen sind nicht einfach automatisches Image-Processing. Ihre Bewegungen werden kontinuierlich analysiert, und die Sampling-Rate und der Einfärbungsmodus sind mit Ihrem spezifischen Verhalten kongruent.
INSTANT REPLAY Diese Interaktion wiederholt eine frühere Arbeit immer wieder, während Sie still stehen. Sobald Sie sich bewegen, wird eine neue Aktion wiederholt.
MONDRIAN Ihre Bewegungen werden in rechteckigen Abstraktionen mit Grundfarben reflektiert.
FRACTAL Die FRACTAL-Interaktionen sind fundamental mit dem elektronischen Medium verbunden, so sehr, daß sie ursprünglich nur wegen eines losen Kabels spielerisch entdeckt wurden. Komplexe animierte geometrische Designs werden durch Bewegung und Position Ihrer Arme gesteuert. Die Veränderung der Armposition sowie der Art und des Ausmaßes der Bewegung produziert ein Kaleidoskop von Formen und Farben.
BODY SURFACING In dieser Interaktion schaffen Ihre Bewegungen ständig wechselnde, dreidimensionale abstrakte Formen, die mit dem Licht pulsieren.
PALETTABLE Ihre Bewegungen steuern in dieser Interaktion die Farbpalette. Der ganze linke Teil Ihres Körpers, sei es die Hand oder der Rumpf, steuert den Rotanteil im Farbmix. Die rechte Seite hingegen steuert den Grünanteil, während der Blauanteil vom Abstand der beiden Steuerungspunkte bestimmt wird.
CAT'S CRADLE Bewegungen Ihrer Hand und Ihres Körpers bestimmen die Konfiguration gebogener Linien in dieser Interaktion. Während diese Kurven B-Splines sind, die im mechanischen Design verbreitet sind, empfinden Sie sie als "graphisches Zeugs", das wie von Zauberhand an Ihren Fingerspitzen hängt.
DIGITAL DRAWING In dieser Interaktion verwenden Sie das Bild Ihres ausgestreckten Fingers, um auf der Projektionsfläche zu zeichnen. Um das Bild ganz zu löschen, braucht man nur alle fünf Finger zu strecken. Um einen Teil zu löschen, streckt man zwei aus und "rubbelt" es weg.
VIDEOSYNCRACY In PARTICULAR RHYTHM zeichnen Sie mit animierten Partikeln. Die pulsierenden Bilder, die Sie schaffen, laden dazu ein, Ihre Bewegungen mit dem bereits vorhandenen Bildschirminhalt zu synchronisieren. Sie müssen nicht nur entscheiden, was und wo gezeichnet wird, sondern auch, wann.
SPLINE MAN Ihr Live-Videobild wird in einen vereinfachten Umriß Ihrer Silhouette umgesetzt. Dies formt eine psychologische Brücke zwischen der Aufnahme Ihres Videobildes als Sie selbst und einem Verständnis als graphische Übertragung, die durch Ihre Bewegungen gesteuert wird.
VIDIOCY(2) Als Verriß der Videospiele hat diese Interaktion weder Regeln noch Punkte. Ihr gestreckter Finger sendet einen Strom von Projektilen aus, die überallhin auf den Schirm gerichtet werden können. Zehn gestreckte Finger erzeugen einen wahrhaftigen Blizzard von Projektilen, die sofort explodieren, wenn sie auf das Bild einer anderen Person treffen.
FINGER PAINTING Wenn Sie Ihre Finger durch die Luft bewegen, folgt ein Strom fließender Farbe jeder Fingerspitze auf dem Bildschirm.
GAME OF LIFE Das Lebensspiel ist ein mathematisches Spiel, das ursprünglich mit Bleistift auf Papier gespielt wurde. In dieser Variante exekutiert die spezielle Hardware den Algorithmus mit 60 Eingaben pro Sekunde, indem Ihr Umriß als ständig neue Eingabe verwendet wird.
BALLONACY(3) Feiern Sie, indem Sie Hunderte von graphischen Ballons in die Luft werfen!
WHIMNASTICS(4) Ein Kreis erscheint auf Ihrer Hand. Sie können rund um seinen Umfang Gymnastik in Freiform treiben, bis der Kreis auf der anderen Hand erscheint. Dann gibt es neue Möglichkeiten.
ARTWHEELS(5) Ihr Bild kann entlang einer graphischen Linie radschlagen. Mit ein bißchen Erfahrung und genügend Konzentration und Lernen können Sie steuern, in welche Richtung Sie rollen. Etliche der VIDEOPLACE-Interaktionen werden von interaktivem Klang begleitet, der mit so kleinen Bewegungen wie dem Wackeln mit der Fingerspitze gesteuert wird.
(1) "Critter" = soviel wie "creature" (Dialektform), also Kreatur, Wesen (Webster).zurück
(2) VIDIOCY aus "Video" und "Idiocy": am besten übersetzbar mit "Vidiotie".zurück
(3) Von "Balloon" und "Lunacy" – "Luftballon-Blödsinn" .zurück
(4) Aus "Whim" (Laune, Grille, Schrulle) und "Gymnastics"; "Gymnastik für Schrull- und Grillen".zurück
(5) Aus "Art" und "Cartwheel" (Karrenrad) – eine Art "Kunstradschlagen".zurück
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