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Ars Electronica 1989
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Michael Kalils Elektronischer Pavillon
Raum neu denken und neu erleben

'Regina Cornwell Regina Cornwell

Die Einstellung des Innenarchitekten und Raumtechnikers Michael Kalil zur Interaktivität unterscheidet sich natürlich etwas von der seiner Kollegen, die mit Videoplatten und Grafik arbeiten. Ihnen ist gemeinsam, daß sie sich mit Raum beschäftigen – doch unweigerlich auf unterschiedliche Weise. Jene, die mit Videoplatten und Grafik zu tun haben, sprechen vom virtuellen Raum, von neuen Raumsimulationen, von neuen Methoden, imaginäre Räume zu behandeln. Sie sprechen in der Praxis davon, wieviel Grundanteile auf der Bildplatte vorhanden sind, das heißt, wieviele Standbilder oder wieviele Bewegungsbilder sie aufnehmen können. Als Innenarchitekt und Raumingenieur geht es Kalil vor allem darum, wie wir den Raum, der uns zur Verfügung steht, für unser eigenes Leben und in Beziehung zu anderen verwenden.

Paradoxerweise war es für ihn bei seiner Arbeit erst dann möglich, die Technologie für Design, Raum und Interaktivität einzusetzen, nachdem er zum Anfang zurückgekehrt war und begonnen hatte, den menschlichen Körper (Biologie) und die Landschaft (Ökologie) miteinander in Beziehung zu setzen. Die gewonnenen Erkenntnisse stellten die Grundlage für seine Arbeit am NASA Ames Research Center dar, wo er mit dem Architekten Michael Kriegh und Wissenschaftlern und Technikern der NASA den Prototyp eines Weltraumhabitats konstruierte.

Kalil konzentrierte sich, seiner Beschreibung zufolge, nur auf den Boden, alles andere war für ihn unwichtig. Wir sind aus der Erde genommen. Unser erster Boden war die Ebene der Erde. Wie die Geschichte überliefert, begannen die Menschen mit dem Bauen, indem sie Erde zu Lehmhütten formten. Ein Lehmvorsprung wurde zum Möbelstück. Aus glatt geschnitztem Holz entstand ein Tisch, Stroh wurde für Matten verwendet, Ramiefaser wurde verwoben und ausgebreitet, um als Bett zu dienen. Von der Erde zum Teppich, wobei der Teppich gleichzeitig der Boden ist. Und die Weiterentwicklung der Steinplatte, die von der Erde bis an den Horizont reicht: Der Teppich wurde zum Podium für den Herrscher erhöht, wurde zum Thron und auch zum Stuhl. Wenden wir uns zum Beispiel der islamischen Architektur zu: Der Blumengarten im Wechsel der Jahreszeiten wird zum Teppich mit Blumenmustern und bringt als solcher den Zauber des Gartens in das Haus. Draußen wechseln die Jahreszeiten, drinnen gibt es nur eine Jahreszeit. Der Teppich bringt die Landschaft ins Haus, aber dort wird sie dann starr, unveränderlich, statisch. Heute macht man bei der modernistischen Gestaltung nach Mies van der Rohe weiterhin Gebrauch vom fixierten Raum, mit Teppich, vier Stühlen und Glastisch, doch es ist alles andere als modern.

Es ist nicht mehr nötig, den Boden als statische Ebene zu betrachten. Mit den Augen Kalils fangen wir an, den Boden als eine Membran zu verstehen, die von menschlichem Handeln durchdrungen ist und den darunterliegenden Raum einschließt und erweitert. Wir sehen, daß er unglaublicher Veränderungen fähig und von vielen Reaktionen seitens der menschlichen Benutzer abhängig ist. Ein Thema kommt bei Kalil immer wieder vor: Der Raum muß in Beziehung zu unserer persönlichen Umwelt neu organisiert werden, so daß wir allmählich das Wesen der Grundelemente – Luft, Erde, Feuer und Wasser – wieder entdecken. Wenn dies geschieht, wird der Raum entfaltet und der Mensch befreit, es werden nicht weiterhin blindlings seelenlose und erstickende architektonische Fallen gebaut.

Wenn wir uns durch den Boden wieder mit der Erde verbinden, beginnen wir, das Bauen als einen organischen Prozeß zu verstehen, der eng mit der Landschaft verbunden ist, wir verstehen ihn als eine Erweiterung der menschlichen Gestalt und als eine Reaktion auf Biologie und Ökologie. Die Beziehung zwischen Ökologie und Biologie führt uns zur Interaktivität. Der Körper ist ein reagierender Organismus. Stoffe reagieren. Genauso wie Fleisch in seinem Heilungsprozeß über ein Gedächtnis verfügt, haben auch Materialien ein Gedächtnis vielleicht sollte man jene Metalle auslesen, die die Weltraumforschung hervorgebracht hat.

Nach diesen grundlegenden Überlegungen können wir jetzt beginnen, das Bauen als eine Verbindung des Alten und des Neuen zu betrachten, als eine Reaktion auf die Landschaft und den Körper in Verbindung mit dem, was uns Technik und Forschung im Zeitalter der Raumfahrt gebracht haben. Daraus leitet sich die Vorstellung eines Raumes oder einer Umgebung ab, die auf die menschlichen Bedürfnisse reagieren und – interaktiv werden.

Eines der Ergebnisse der Untersuchungs- und Forschungsarbeit Kalils über den Boden war die Entwicklung eines Prototyps eines von ihm so genannten elektronischen Pavillons. Er wurde 1983 von der Firma Armstrong World Industries in Lancaster im Bundesstaat Pennsylvania gebaut und in der Zeitschrift "Interiors" als 12. Initiative der Öffentlichkeit vorgestellt.

Er ist als Raum für Kommunikation, Arbeit und Kontemplation geplant. Der mit Intelligenz ausgestattete elektronische Pavillon stellt sich auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Raumbenutzers ein. Kalil hat die gesamte Innen- und Außengestaltung entworfen und geplant, wobei er sich der komplexen Geometrie der Proportionssysteme in der Natur bediente. Die Anwendung dieser Systeme hebt die Trennung zwischen innen und außen auf, und die Architektur wird wieder zu ihren verschlungenen Wurzeln in Biologie und Ökologie zurückgeführt. Der Pavillon hätte ursprünglich als freistehendes Gebäude mit vier Lichtkuppeln gebaut werden sollen, doch eine Kürzung des Budgets erlaubte nur, daß er innerhalb eines schon bestehenden Gebäudes errichtet wurde. Der Raum ist kreisförmig mit einem Durchmesser von 6,5 in, die Decke hat die Form einer auf der Spitze stehenden Pyramide. Der mit 1,5 m2 großen Marmorplatten verflieste Boden kann durch Roboter bewegt werden und ist so programmiert, daß er sich auf Wunsch öffnet und Möbelstücke herauffahren. Vier 46 cm2 große Glaswände sind den Himmelsrichtungen entsprechend für Schau- und Kommunikationszwecke aufgestellt.

Worauf es hier ankommt, ist die Wechselwirkung zwischen dem Individuum und dem Ort: wie der Mensch auf den Raum reagiert und wie der Raum auf den Menschen reagiert. Im folgenden wird versucht, die Interaktionen schrittweise zu beschreiben, wobei ich mich möglichst an Kalils Entwurf und seine Vorstellung dieses äußerst schwierig zu erläuternden Prozesses halte:

Hand:Eine Hand wird auf den Eingang gelegt. Der Handabdruck ist im Computer gespeichert und wird von einem Scanningsystem gelesen, wodurch die Tür geöffnet und geschlossen wird.

Verstand: Man tritt in einen leeren Raum. Eine Tastatur steigt aus dem Boden bis in eine Höhe von 1,5 m, es entsteht eine Beziehung von "Menschenverstand zu Computerverstand". Die Tastatur spielt die Vermittlerrolle von Verstand zu Verstand. Über sie trifft der Benutzer Anordnungen für die benötigten Möbelstücke – und die für die jeweiligen Tagesaufgaben erforderlichen Kommunikationen.

Fuß: In der Nähe befindet sich ein Trittstein in einer Vertiefung. Wenn der Benutzer auf diesen Stein steigt, taucht das gewählte Möbelstück – nehmen wir an, es ist ein Stuhl – in Reaktion auf die Anwesenheit der Person auf.

Klang: Wenn der Benutzer nun auf dem Stuhl Platz genommen hat, schiebt sich eine horizontale Schranke vor ihn. Dies ist ein Klangsteuerungssystem, das den Klang der Stimme und anderer Klänge aufnimmt; durch diese Klänge wird das System dazu programmiert, auf die vier Glaswände Bilder, wie Hologramme von Konferenzteilnehmern, Personalcomputerdaten, Dias etc. zu projizieren.

Temperatur: Wärmesensoren steigen auf beiden Seiten des Benutzers auf vertikalen Säulen auf. Werden diese Sensoren berührt, so sendet die Körpertemperatur Signale an den Computer, der seinerseits durch die Manipulation von Licht Farbveränderungen im Raum auslöst.

Nun kann der Benutzer in das Zentrum des Pavillons gehen. Das Stimmenresonanzsystem nimmt das Klangsignal des Benutzers auf und führt die nötigen Veränderungen im Raum und im Kommunikationsablauf durch. Die horizontale Schranke dreht sich zur Seite und weist dem Benutzer die Richtung in das Zentrum des Raumes.

Körper: Im Zentrum trifft der Benutzer auf eine aus dem Boden aufsteigende Fläche. Es ist eine Liege, ausgestattet mit einem Abtastsystem, welches die Körperform erfassen, sich ihr anpassen und den Körper unterstützen kann. Hier im Zentrum des Pavillons werden die Bedingungen geschaffen, die die Erforschung der übersinnlichen Wahrnehmung begünstigen.

Übersinnliche Wahrnehmung: Der Raum erkennt und akkomodiert Vorstellungen, eine Technik, die schon an der Stanford-Universität untersucht wird. Mit Hilfe der Biofeedbackmethode, die von einem am Kopf getragenen Sensorensystem unterstützt wird, kann der Benutzer andere, höhere Kommunikationsebenen erreichen. Ein einfaches Beispiel: Wenn sich der Benutzer der außersinnlichen Wahrnehmung hingibt, kann er Bilder auf den Glaswänden entstehen lassen.

Der elektronische Pavillon ist tatsächlich ein Prototyp, der vollkommen von der definierenden und partizipierenden Anwesenheit eines Menschen abhängig ist. Kahl faßt dies folgendermaßen zusammen: "Er ist ein Raum, der auf dem spirituellen, mentalen und physischen Körper aufbaut und auf den jeweiligen Bewohner oder die Bedürfnisse der Bewohner reagiert." Nach jeder Aktivität oder Aufgabe wird der Raum leer gemacht, die Ebene der flexiblen Membran beherrscht den Raum, sie glüht fast wie ein flüssiges Feld und ist bereit, auf einen weiteren Wunsch zu reagieren, weitere Verwendungsmöglichkeiten zu offenbaren.

Ursprünglich abgedruckt in New Observations, New York, Nr. 70, 1989 ausgewählt und redigiert von Regina Comwell