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Ars Electronica 1988
Festival-Programm 1988
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Festival 1979-2007
 

 

Experimentelle Musik in Szene


'Reinhard Oehlschlägel Reinhard Oehlschlägel

Der Begriff experimentelles Musiktheater erfreut sich keiner allseits akzeptierten Wertschätzung. Hans-Heinz Eggebrecht bezog ihn ebensowenig in den Sachteil des Neuen Riemann ein, der nur so von entlegensten Termini der mittelalterlichen Musiktheorie und Rhetorik wimmelt, ebensowenig wie den Begriff der Experimentellen Musik. Der New Groves von Stanley Sadie hält es genauso. Der auf ihm aufbauende New American Groves dagegen kennt immerhin experimentelle Musik, freilich ohne das Experimentelle an ihr genauer zu beschreiben. Und das Herder-Musiklexikon von Marc Honegger und Günter Massenkeil überrascht, obwohl zunächst französischer, und das heißt schon fast experimenteller Provenienz, mit Beiträgen zu beiden Termini, wiederum ohne das Experimentelle an ihnen bestimmen zu können.

Musiklexika wie Lexika im allgemeinen hinken der Realität in aller Regel beträchtlich hinterher. So ist es nicht verwunderlich, daß experimentelles Musiktheater zwar kaum in Nachschlagwerken vorkommt, obwohl es inzwischen eine jahrzehntelange und vielfältig verzweigte Geschichte hat, Nachschlagewerke andererseits aber Gegenstand von experimentellem Musiktheater sein können. Und anders als die Musiklexika das suggerieren, gibt es den wohldefinierten Idealtypus des experimentellen Musiktheaterstücks, eine Vorgeschichte und eine ganze Legion von unterschiedlichsten Folgen.

Vielleicht ist es für eine Skizzierung des Phänomens am besten, vom Idealtypus selbst auszugehen. Analog der Beschreibung von experimenteller Musik handelt es sich beim experimentellen Musiktheater um eines, das auch für den Komponisten beim Komponieren nicht in seinen Einzelheiten voraussehbar ist, also ein Ablauf von hörbaren und sichtbaren Theaterelementen, dessen Etappen und Ziele dem Verursacher nicht schon von vornherein vertraut sind, ja der geradezu daran interessiert ist, Anordnungen zu finden, die für ihn neue Konstellationen ermöglichen. Diese Sicht des Experimentellen in der Musik hat John Cage durch Übersetzungen aus den zen-buddhistischen und altchinesischen Vorstellungen abgeleitet. Seine Methode bestand (und besteht) darin, den Ablauf eines Stücks auf eine strenge Weise zu organisieren, wobei die streng angewandte Regelbestimmung eine Zufallsoperation ist.

Mit solchen sind die Einzelheiten zu Cages "Theatre Piece" von 1960 festgelegt. Auf Papierbögen sind die Aktionen mit Hilfe von Zahlen und Plus- und Minuszeichen festgelegt. Ausgeführt wird das Stück von ein, zwei … oder acht Darstellern, die Instrumentalmusiker, Sänger oder Tänzer sein können. "Each performer is who he is": diese Anweisung folgt unmittelbar der zen-buddhistischen Vorstellung, nach der jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze und jeder Stein sein eigenes Zentrum ist: "There is no conductor or director. A rehearsal will have the purpose of removing physically dangerous obstacles that may arise due to the unpredictability involved". Das Unvorhersehbare kann natürlich nicht von einem Dirigenten oder Regisseur dirigiert oder inszeniert werden. Und Proben, die noch bei rein instrumentalen Stücken, wie dem "Concert for piano and orchestra" von 1957/58 entbehrlich waren, allenfalls als Einzelproben einen Sinn bekommen, sind nun notwendig, um körperlich gefährliche Hindernisse zu beseitigen. (Die Fama, das Stück sei sozusagen nie aufgeführt worden, ist unrichtig: Cage hat es für ein ganz reales Aufführungsprojekt entworfen und auch aufgeführt mit befreundeten Musikern und Tänzern der Merce Cunningham Dance Company. Und Dieter Schnebel hat mit der Arbeitsgruppe "Die Maulwerker" bei den Cage-Aufführungen im Frankfurter Theater am Turm 1982 eine hinreißend präsente und lebendige Aufführung zustandegebracht.)

Das Schlüsselwerk des experimentellen Musiktheaters ist John Cages "Theatre Piece" eigentlich nur, weil es als "Theatre Piece" bezeichnet ist (und damit den Darstellern suggeriert, daß sie ein Theaterstück aufführen.) In Cages eigenem Werk sind andere Stücke vorausgegangen wie "Water Walk" (1959), "Variations I" (1958) und "Music Walk" (1958), die keineswegs weniger theaterspezifisch sind. Die späteren Fassungen von "Variations", "HPSCHD" (1967/68) und die auf einer Bühne wie der des Théatre de la Ville in Paris aufgeführten "Songbooks" (1970) sind im einzelnen anders konzipiert hinsichtlich Zahl und Art der Darsteller und hinsichtlich der Materialien, aber im experimentellen Grundcharakter absolut gleichrangig zum "Theatre Piece". Das gilt, obwohl äußerlich die Produktionsweisen herkömmlicher Opernwerke berücksichtigt wurden, auch für die am Frankfurter Opernhaus 1987 realisierten "Europeras 1 & 2", bei denen die verschiedenen Ebenen des Doppelstücks mit Ausnahme der den singenden Darstellern zugeordneten Assistenten ganz unabhängig voneinander mit Hilfe von Zufallsoperationen bestimmt wurden: die Zuordnung von Darstellern, Arien (aus der traditionellen Opernliteratur), Kostümen, Zwischenaktionen, szenischen Requisiten, Bühnenbildern und instrumentalen Fragmenten (aus der traditionellen Opernliteratur). Es dauerte nicht allzu lange, bis etwa zehn Jahre später die Gegenposition in der Konzeption eines experimentellen Musiktheaters ausgearbeitet war. Sie setzt an die Stelle der Unvorhersehbarkeit die scheinbar absolute Vorhersehbarkeit. Tom Johnson, der eine Zeitlang bei Morton Feldman, einem der mit Cage befreundeten und von Cage geförderten jungen Komponisten, privat studiert hatte, knüpft mit seinen voraussehbaren Instrumentalstücken, wie dem programmatisch überschriebenen Klaviertrio "Predictables" (1984), an die Minimalisten Steve Reich und Philipp Glass an, doch nicht, um sich dem ritualen Rausch der minimalistischen Bewegungen und Figuren zu überlassen, sondern um die durchaus auffindbaren Grenzen der Voraussehbarkeit auszuloten und auf eine ganz eigene Weise wahrnehmbar zu machen. "The Four Note Opera" (1972) und die "Five Shaggy-Dog Operas" (1978), in denen z.B. in regelhaft ordentlich aufgestapelten Kisten systematisch ein verlorener Fingerhut gesucht wird, finden ihren Reiz in der absoluten Voraussehbarkeit des Klang- und Aktionsverlaufs mit der sehr trockenen, sozusagen ernsten Komik, zuzuschauen, zu beobachten, wie die Sängerdarsteller diese mechanische Aufgabe realisieren: natürlich mit einer ganzen Fülle von durchaus überraschenden und unvoraussehbaren Abweichungen. Der gesungene Text verbalisiert dabei genauestens die Bühnenaktionen, protokolliert sie sozusagen. Gerade diese Parallelität gibt den Stücken eine eigentümlich absurd tautologische Note. In der "Riemannoper" besteht das Tautologische darin, daß Johnson die vier Darsteller – Sopran, Mezzosopran, Tenor und Bariton – in arioser Form Texte aus dem Sachband des neuen "Riemann" über die Opernarie, in rezitativischer Form Texte über das Rezitativ, in Form eines Akts, einer Szene, eines Ensembles, eines Finales, Texte über den Opernakt, die Opernszene, das Ensemble und das Opernfinale singen läßt, "wie es im Buche steht".

Musikalisch ordnet Johnson diesen Texten einfache, mit dem Klavier begleitete, fast stereotype Tonleiter- und Dreiklangsfiguren zu. Noch weiter getrieben ist die scheinbar absolute Bestimmbarkeit von Tom Johnsons Musik in seinem performanceartigen Stück "Nine Bells", bei dem auf alle möglichen regelhaften Arten neun im Raum verteilt aufgehängte, unterschiedlich große Glocken von einem sportlichen Interpreten angeschlagen werden (entsprechend der Performance-Ästhetik am überzeugendsten dargestellt vom Komponisten selbst), und in seinen rein numerisch angeordneten instrumentalen und vokalen Nummern-Musiken.

Nahezu alle anderen mehr oder weniger experimentellen Musiktheaterkonzeptionen können als im Zwischenfeld zwischen der absolut unbestimmten Position von Cage und der absolut bestimmten von Johnson aufgefaßt werden. So stehen manche der frühen Musiktheaterstücke von Mauricio Kagel, wie "Sur Scène", aber auch das jüngere "Presentation", "Der Tribun", die Lieder-Oper "Aus Deutschland" und die Schöpfungsoper "Die Erschöpfung" der determinierten, in ihrer Wirkung partiell absurden und surrealistischen Ästhetik Johnsons näher, andere, wie "Antithèse … Variaktionen" und "Contre-Danse", der unbestimmten Cages dadurch, daß ihnen quasi-serielle Verordnungen zugrundeliegen, die, dem Regularium von Zufallsoperationen ähnlich, unvorhersehbare Resultate zeitigen. Kagel benutzt allerdings serielle Verfahren nur als Verordnungen, um den Ablauf eines Stücks schließlich nach den im Grunde barocken Regeln der Überraschungsästhetik aufzubauen. Der Grenzfall von "Himmelsmechanik", bei dem es praktisch nichts zu hören gibt, zeigt diesen Zusammenhang deutlich: Die Bilder von Himmelserscheinungen, die der Sonne, des Monds und der Sterne, der Blitze und des Wetterleuchtens werden nicht absurd tautologisch benutzt, sondern sozusagen als von den Regeln der Himmelsmechanik befreite. Ein entscheidener Unterschied zwischen Kagels Ästhetik und der von Cage und Johnson ist Kagels Spiel mit der Theaterillusion. Während es zur Voraussetzung zur adäquaten Rezeption von Cages Musiktheater (und Musik) gehört, den Illusionscharakter von Kunzst zu negieren, so wie ihn der Komponist negiert, der aus der Herstellbarkeit und aus der speziellen Herstellung eines Werks keinerlei Geheimnis macht, und während Johnson im Text seiner Stücke, selbst wenn sie nur aus Tönen bestehen, stets so unüberhörbar genau sagt, wie sie gemacht sind, spielt Kagel ständig mit der Erwartungshaltung seines Publikums, um sie stets nur teilweise zu erfüllen, teilweise aber zu überraschen, auf andere Wege zu leiten, zu reizen und damit letztlich die herkömmliche nichtexperimentelle Illusionsästhetik variierend zu bestätigen.

Ähnlich stumm wie Kagels "Himmelsmechanik" verläuft auch Dieter Schnebels "Körpersprache" allerdings viel gerichteter, einen Ablauf sozusagen von embryonalen bis zu entwickelten menschlichen Bewegungsformen mit Hilfe eines Ensembles von Darstellern komponierend und damit viel voraussehbarer. Luc Ferraris tautologische Musiktheaterarbeiten sind andererseits auf dem Hintergrund und durch eine radikalisierende Ablösung von der "musique concrète" entstanden. Schon das Tonbandstück "Presque rien" ist als akustische Photographie eines Sommermorgens am Meer eine ästhetische Tautologie. Andere Arbeiten beruhen auf Übersetzungsmodellen und Metaphern, deren Buchstäblichkeit einen tautologisch absurden Reiz auslöst, so in "Si le piano est un corps de femme" und in "Matricia Persevers", in denen einmal der Körper der Frau mit dem instrumentalen Klangkörper Klavier und dann die Körper zweier Menschen mit einem System von Tonarten und Akkorden in Beziehung gesetzt sind, so daß die Vereinigung zweier Akkorde die Vereinigung zweier Körperteile bedeutet. (Ein quasi synästhetisches System der gleichzeitigen Wahrnehmung von Akkorden und Farben hat Olivier Messiaen in seiner Musik entwickelt und auch in seinem mysterienspielartigen "Saint François d'Assise" assoziiert, ohne diesen Zusammenhang dem Publikum aufzudrängen.) Und Karlheinz Stockhausen, einstmals ein Analysestudent bei Messiaen, legt seiner Ueptalogie "Licht" nach Versuchen, allgemeine Melodiecharakteristiken für ihm bekannte Menschen, die in ein und demselben Sternzeichen geboren sind, zu finden ("Tierkreis"), von ihm als übergeordnet aufgefaßte elf-, zwölf- und dreizehntönige Melodie- und Rhythmusformen als Grundelemente für Vater-, Mutter- und Sohnsfigur zugrunde. Man kann Stockhausens gigantische Musiktheaterarbeit als einen grandios naiven Versöhnungsversuch von seriellem Denken mit tautologischen Konzeptionen verstehen. Dementsprechend werden einzelne Szenen als parallel verlaufende Instrumental-, Vokal- und Gestikverläufe konzipiert. An der Grenze der absoluten Voraussehbarkeit sind schließlich die späteren Musiktheaterarbeiten von Hans Otte angesiedelt, die mehr und mehr auf eine einzige Vorstellung reduziert sind, wie "Déja vu", "Showdown" und "Ich", das im wesentlichen aus dem ständig wiederholten – in einigen Versionen vom Autor selbst gesprochenen – Wort Ich besteht. Die Nähe zur Fluxus-Ästhetik La Monte Youngs und George Brechts ist bei Otte unverkennbar. Demgegenüber sind die Arbeiten der Minimalisten Philip Glass, Meredith Monk und John Adams trotz aller in sich kreisender Wiederholungen vergleichsweise abwechslungsreich und entsprechend graduell weniger vorhersehbar. "Einstein on the Beach", "Satyagraha" und "Ekhnaton" von Glass sind zunehmend opernartige Stücke auf der Basis der Pattern- und Minimalästhetik, deren statischer Charakter ab- und deren statuarischer Charakter in etwa gleichem Maße zunimmt. Sind Person und Werk von Einstein in "Einstein on the Beach" fast schon eine in Kauf genommene Nebensache, so ist die Oper "Ekhnaton" eine direkte Verherrlichung des Gottesgnadentums des Pharaonen Echnaton im alten Ägypten.

Meredith Monk ging mehr als Glass von der eigenen Tanz- und Performance-Erfahrung aus und thematisierte in "Education of a Girlchild", in "Dolmen Music", in "Quarry" und in "Vessel" Erfahrungen aus ihrer eigenen Entwicklung und aus der Erfahrungstradition, in der sie persönlich steht, vom Synagogalgesang der Großvatergeneration über Verfolgung, Auswanderung und Einwanderung bis zur Ichfindung. Auch ihre Theaterstücke – mit ihrer Gruppe "The House" und teilweise an der Berliner Schaubühne realisiert – enthalten einen hohen Grad an Bekanntheit und Voraussehbarkeit, allerdings ohne einen absurd tautologischen Grundzug. Es ist vielfach so, als ob – und im Als-ob liegt ein elementares Moment des Illusionären – als ob sie etwas allen ungemein Vertrautes auf eine ganz neue Weise darstellt.

Mit seiner bisher einzigen musiktheatralischen Arbeit benutzt John Adams schließlich durch und durch eklektizistisch gleichermaßen die Mittel der traditionellen Oper und der Minimalmusik. "Nixon in China", entstanden nach einer Idee des Regisseurs Peter Sellars, rekonstruiert den historischen Staatsbesuch des amerikanischen Präsidenten Nixon bei Mao Tse Tung wie im Wachsfigurenkabinett. Und die Musik grundiert, dramatisiert und harmonisiert, wie bei Puccini. Wovon der Italiener Lorenzo Ferrero in "Marilyn" träumt, einen neuen Verismo zu formulieren, Adams gelingt das auf Anhieb. (Es wäre wohl auch zu simpel, wenn der Puccini unserer Jahre wiederum aus Italien gekommen wäre.)

Natürlich sind mit diesen Beispielen bei weitem nicht alle mehr oder weniger experimentellen Musiktheateransätze umschrieben. Sonderstellungen nehmen zum Beispiel György Ligeti mit seinem absurd surrealistischen "Aventures & Nouvelles Aventures" ein, inzwischen einem Klassiker der Musiktheateravantgarde, der der absolut zufallsgesteuerten Ästhetik von Cage sehr nahekommt. Von einer anderen Seite nähert sich Luigi Nono Cages Position an durch die konsequente Fragmentarisierung von Material und Zusammenhang auch dort, wo ein, wenn auch mythologischer, Stoff wie im "Prometeo" umkreist wird. Die ins Extrem getriebene Raumsensibilität nähert Nonos Musiktheater zusehends den Konzeptionen der Klanginstallation an. Frederic Rzewski hat mit "Antigone-Legende" und "The Persians" zwei sozusagen klassische politische Musiktheaterarbeiten vorgelegt, in denen konkretistische Elemente neben seriellen und improvisatorischen Modellen eindeutige dramaturgische Funktionen erfüllen. Konzeptioneller ist schließlich Walter Zimmermann in seinen ontologischen Stücken "Die Blinden" (nach Maurice Maeterlinck) und "Über die Dörfer" (nach Peter Handke) vorgegangen. Einmal werden Personen bestimmten Tonhöhen zugeordnet, das andere Mal Rasterstrukturen zur Erzeugung komplizierter minimalartiger Abläufe eingesetzt, um eine von Einzelcharakteristiken weitgehend unabhängige distanzierte Klanglichkeit zu erzeugen.

Ist herkömmliches neueres Operntheater all diesen Ansätzen gegenüber vergleichsweise expressionistisch konzipiert – der Ausdrucksmusik entspricht die Ausdrucksoper – (nur um bei erheblichen Unterschieden einige Beispiele zu nennen: Hans Werner Henzes "Wir erreichen den Fluß", Aribert Reimanns "Lear" und "Troades", Wolfgang Rihms "Lenz" und "Hamletmaschine", Udo Zimmermanns "Die weiße Rose", Siegfried Matthus' "Judith"), so ist der radikale Ausdrucksmusiker par excellence, Hans Joachim Hespos, wiederum unmittelbarer der Szenerie jenseits der traditionelleren Opernproduktion zuzurechnen. Die aus der frühen Atonalität Anton Weberns abgeleitete Musiksprache von Hespos, die radikal auf alle Vorformungen, Entlastungstechniken und Regelsysteme verzichtet und von Moment zu Moment anknüpfend Klangverläufe mit Hilfe von phantastischen Vorstellungen und assoziativen Verknüpfungen aufbaut, artikuliert damit jeden Moment als hic et nunc. Das macht ihn noch am ehesten mit den radikalen Zufallspartituren von Cage vergleichbar. Erst relativ spät hat Hespos auch musiktheatralische Arbeiten vorgelegt, dafür allerdings zumeist phantastische Stoffe, Ideen und Ansätze anderer Autoren herangezogen, wie z.B. in "Itzo-Hux" Aldous Huxleys "After Many a Summer". In den weniger bestimmten Arbeiten wird noch eher purer Ausdruck angestrebt, der ausschließlich für sich und für nichts anderes steht, gelegentlich in massierter Lärmentfaltung kumuliert, wie in "Ara" (die vom Komponisten zum Beispiel bei den Darmstädter Ferienkursen 1988 vorgeführte Fernsehproduktion des Stücks gibt durch die direkte Mikrofonierung der benutzten metallenen Klangerzeuger einen ungleich differenzierteren Klangeindruck wieder, der zumal in dem ausgedehnten Schlußteil für den Zuhörer in den Kammerspielen der Städtischen Bühnen Frankfurt durch massierte Lärmeinspielungen über Lautsprecherbatterien vollständig zugedeckt wurde).

Vergleichbar, doch von sehr unterschiedlicher Qualität, ist ein gewisser kritischer Anarchismus im Musiktheater von Cage, Johnson, Nono und Hespos. Hespos – obgleich bei seinen instrumentalen Arbeiten von Webern und Gustav Mahlers Beschreibungstechnik ausgehend – wirkt vergleichsweise aggressiv, pessimistisch und schwarz, Nono auf eine literarische und philosophische Weise radikal, Johnson auf eine seltsam didaktische Art ironisch absurd und Cage selbst seinen zur Schau getragenen Optimismus auflösend heiter anarchisch.