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Ars Electronica 1988
Festival-Programm 1988
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Festival 1979-2007
 

 

Nachkriegs-Performance: Das Vermischen von Kunstformen und Kunstsparten


'Peter Frank Peter Frank

Eine der einschneidendsten Veränderungen in der Kunst im Laufe dieses Jahrhunderts ist die Verlagerung von Ideen und Methoden, die von jenen bevorzugt wird, deren Tätigkeit im Bereich der "intermediären", "multimediären" Disziplinen und anderer moderner Kunstrichtungen liegt. Vor dem Zweiten Weltkrieg hat diese Kunst – die ich mit dem (von Richard Kostelanetz vorgeschlagenen) Überbegriff der "Mixed Means" (1) bezeichnen möchte – eine völlig andere Rolle in der künstlerischen Auseinandersetzung gespielt, als sie danach übernommen hat. Diese Kunstform wurde oft nicht als eigenständige, von den traditionellen kreativen Kunstrichtungen losgelöste Disziplin betrachtet; aber seit dem Krieg wird sie in zunehmendem Maße als solche angesehen. Darüber hinaus haben sich die Vorlagen für die Arbeit mit den Mixed-Means-Techniken – insbesondere für das Mixed-Means-Werk, das sich auf Zeit wie auch (oder anstelle von) Raum bezieht – ebenso verändert.

Was wir heute als "Performance Art" der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts bezeichnen – die Bühnenereignisse unterschiedlicher Form und Art in Verbindung mit der künstlerischen Avantgarde dieser Zeit (einschließlich der formal unorthodoxen Arbeit in Verbindung mit der traditionellen Bühne) – stützte sich auf Rhetorik-, Rezitations-, Bühnen- und Bilderparadigmen. Theaterstücke von Symbolisten und Expressionisten zum Beispiel entsprachen klar ihren Gegenstücken in der visuellen Kunst, nicht zuletzt wenn sie von Künstlern wie Oskar Kokoschka verfaßt waren. Die Sintesi der italienischen Futuristen bestanden entweder aus kurzen, strahlenden Inszenierungen, die wegen ihrer Bildhaftigkeit vorgeführt wurden, oder aus wortreichen überschwenglichen Reden, die so formuliert waren, daß sie ein direkt angesprochenes Publikum in Erregung versetzten – zum Beispiel eine Kundgebung auf der Bühne. Darbietungen von Surrealisten, die so vielfältig waren wie die Stücke von Jacques Vaché und die "Scheinprozesse", die sie den von ihnen geringgeschätzten Schriftstellern machten, folgten den klassischen formalen Darstellungen von Ballett und Bühnendrama (ohne Rücksicht darauf, wie nahe diese Prozesse an die Realität herankamen). In all diesen Fällen waren die wirkungsvollen Paradigmen verbal, ja sogar literarisch, nicht nur in der Vermittlung von Erfahrung verwurzelt, sondern auch von Betrachtung und/oder Überlegung.

Einige Darbietungen vor dem Zweiten Weltkrieg regten ein alternierendes Paradigma zu dem literarischen und rhetorischen an. Indem sie die traditionelle Erzählung vermieden, die formale Struktur betonten und sich mit der abstrakten Organisation von Ereignissen in Zeit und Raum (weniger im Zusammenhang mit dem Inhalt der Erzählung) auseinandersetzten, stützten sich Werke wie die Futuristische Komposition von Luigi Russolo und Francesco Cangiullo (für gewöhnlich für Russolos Intonarumori bearbeitet), die multimedialen Bauhaus Ballettwerke und die Bühnenwerke von Oskar Schlemmer und Ludwig Hirschfeld-Mack sowie Kurt Schwitters' epische Tondichtung "Die Sonate in Urlauten", auf eine musikalische, nicht abschweifende Formel. Diese verschiedenen Stücke unterscheiden sich deutlich in ihrer ideologischen, stilistischen und formalen Identität voneinander. Gemeinsam ist ihnen jedoch das Tempo, die Phrasierung und Harmonisierung der Elemente – das heißt, eine Festlegung des zeitlichen Ereignisses –, die nur als musikalisch in ihrem abstrakten und in sich geschlossenen, und nicht in ihrem bezugnehmenden und gegenständlichen Charakter bezeichnet werden können. In solchen Werken wie Schwitters' "Ursonate" oder Schlemmers "Triadischem Ballett" bedeuten Ereignisse nicht, sie geschehen einfach, einer formalen Logik folgend, die sich von der traditionellen musikalischen (oder choreographischen) Praxis oder einfach von elementaren Zählstrukturen (z.B. Tempo) und von Traditionen relativer Betonung (z.B. Rhythmus, Dynamik) herleiten. (2)

Wie erwähnt, waren solche, im wesentlichen musikalische, Werke vor dem Zweiten Weltkrieg die Ausnahme und nicht die Regel. Nach dem Krieg wurde jedoch das musikalische Paradigma – das heißt die formale, nicht auf Zeit bezugnehmende Organisation von Ereignissen – die vorherrschende Form für kunstbezogene Darbietungen, und ist es bis heute geblieben. Wo erzählende oder rhetorische Anliegen eine bedeutende Rolle in den Darbietungen gespielt haben – wie zum Beispiel in den frühen Happenings in New York oder in den Aktionen von Hermann Nitsch, Joseph Beuys und vielen anderen – wurden sie für gewöhnlich von nichterzählenden, ja sogar von selbstbewußten formalisierten Zeitformungen geordnet, in einem solchen Maße, daß die Ordnung eine vorrangige Bedeutung in der Bewertung der Wichtigkeit eines Ereignisses und der Absicht des Autors einnahm. (3) Sogar dort, wo Zeit selbst zu einem Formulierungselement reduziert wurde (wie in den äußerst begriffsvermittelnden und gebärdenbetonten Darstellungen von den Fluxus-Künstlern nahegelegt und beinahe zufällig verwirklicht wurde), beseelten die Merkmale und Begriffe der musikalischen Technik (jedoch parodistisch) die Darbietung und sogar das Zeitkonzept der Mixed-Means-Werke. (4)

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts schrieb Walter Pater, der die Schwerpunktverlagerung auf die Form vorausahnte, die den ästhetischen Impetus und die ästhetische Analyse in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts charakterisieren würde, daß "jede Kunst auf den Zustand der Musik hinarbeitet". (Das natürlich ein Jahrhundert nachdem Schopenhauer behauptet hatte, daß die Musik, da sie ihre grundlegende Abstraktheit dem Wollen näher bringt, die Vorrangstellung unter den Künsten einnimmt.) Das heißt, daß jede Kunst danach strebt, sich durch ihre innewohnenden Qualitäten zu rechtfertigen, und nicht durch ihren Gebrauch als Träger für erzählende oder rhetorische Information. Auf Zeit basierende Werke mit Mixed-Means-Kunstwerken, mit der bereits erwähnten wichtigen Ausnahme, bewegten sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg zum Zustand der Musik hin – außer natürlich, wenn solche Mixed-Means-Stücke im wesentlichen Ausweitungen der Musik und auf die Musik selbst waren, wie die Farborgeln, die von zum Beispiel Alexander Skrjabin und Alexander Laszlo erfunden wurden, um synästhetische klang-visuelle Beziehungen darzustellen. Um an der Auseinandersetzung der Avantgarde teilzunehmen, verbreitet sich nach dem Krieg jedoch die Annahme, daß das Kunstwerk das darstellen müßte, was Roger Fry die "signifikante Form" nannte, selbst wenn die formalen Probleme nicht der Kernpunkt des "raison d'être" des Kunstwerkes sind. Zeit wie auch Raum, Ereignis wie auch Bild sollten logisch zusammenhängend geordnet werden, sei es nun einfach der Ordnung selbst wegen oder zu einem anderen Zweck. (5)

Die wahre Revolution in der Nachkriegskunst lag in der Neudefinierung dessen, was "Ordnung" darstellte, und dessen, was denn genau zu ordnen sei. Was Ordnung in den auf Zeit basierenden Kunstwerken darstellte, war nicht mehr länger nur das anerkannte Format der musikalischen, choreographischen, dramaturgischen oder der einfachen rhetorischen Tradition. Die Ordnung könnte eine Frage der Zeitformung sein, die nicht der dramatischen oder selbst musikalischen Spannung entspricht, sondern einfach einer Auffassung von Prozeß und Variation – eine Auffassung, die dem Leben näher steht als der traditionellen Kunst, die sich aber in ihrer formalen Abstrahierung der Musik stärker annähert als jeder anderen Kunstrichtung. Und was geordnet wurde, sollten nicht mehr länger Noten, dramatische Gesten, stilisierte Körperbewegungen, oder Verse sein. Jedes Ereignis ließ sich ordnen, wie es die Filmtechnik ahnen ließ (die nach dem Krieg zusehends verfeinert wurde). (6) Außerdem war die ästhetische Erfahrung selbst nicht mehr länger durch konventionelle Definitionen festgelegt, nicht mehr länger an sie gebunden. "Theater findet immer statt, wo auch immer man gerade ist, und Kunst macht es einfach leichter, jemanden zu überreden, daß dies der Fall ist", schrieb John Cage und fügte an anderer Stelle hinzu: "Alles, was wir tun, ist Musik." (7) Als Theoretiker und Praktiker stellte John Cage der Nachkriegsavantgarde das klarste philosophische und praktische Modell für die Öffnung der Kunstrichtungen zur vollen Zusammenarbeit, ja sogar Verschmelzung miteinander innerhalb eines Kontexts einer zusammehängenden Formalisierung zur Verfügung. Die "aktive Passivität", die Cage von der Zen-buddhistischen Doktrin ableitete, in der die Welt und ihre Phänomene von einem ästhetischen Gesichtspunkt aus erkannt werden können, wurde niemals als amorphe undisziplinierte Auffassung der Dinge dargestellt. Cages Predigten und Praktiken machten für jene offenkundig, die sich mit ihm verbündeten, daß seine und ihre Rolle als Komponist (oder als Schöpfer irgendeines Mixed-Means-Kunstwerkes) ihnen die Verantwortung übertrug, nicht den Klang als solchen zu organisieren (wie nach Edgard Varèse), sondern die Entscheidungen zu lenken, aufgrund derer die Musiker (oder andere darstellende Künstler) den Klang (oder irgendein Ereignis/Phänomen) organisieren, und die Wahrnehmungen jener zu lenken, die das Ergebnis dieser Entscheidungen erleben. Wenn auch Cage die bis dahin übliche "Entscheidungsgewalt" des Komponisten bei der Notenwahl reduzierte, so behielt er doch die eingreifende Rolle des Komponisten bei der Bestimmung des Rahmens für die Notenwahl bei – Prozesse und Folgen in Bewegung zu setzen und das Verständnis dieser Prozesse und Folgen (und natürlich ihrer Ergebnisse) beim Publikum zu formen.

Wenn Natur selbst – der "Zufall", dem Cage, durch Marcel Duchamp, soviel Respekt zollte – in diesem Zusammenhang als "Darsteller" angesehen werden würde, so könnte das Publikum natürliche, zufällige Ereignisse als Kunst verstehen, wenn ein Gerüst geboten wird, mit Hilfe dessen solche Ereignisse richtig gesehen werden. Die bekannteste Komposition von Cage, "4'33"", macht genau das: sie reiht eine strenge Zeitstruktur – zwei sehr kurze äußere Bewegungen und eine lange zentrale Bewegung, deren Dauer präzise definiert ist – an Klangphänomene (und in weiterer Folge visuelle und kinetische Phänomene), die zufällig zur selben Zeit am selben Ort wie die Darstellung des Stücks stattfinden. Der Musiker – genauer gesagt ein Pianist, dessen einzige vorgeschriebene Aktivität darin besteht, den Klavierdeckel zu öffnen und zu schließen – erzeugt selbst keinen Ton. Die einzige Geste des Darstellers, die er zweimal ausführt, wird mit dem Auftritt oder Abgang des Künstlers verbunden, um die Bewegungen voneinander abzugrenzen, das heißt um den Anwesenden zu verstehen zu geben, daß "4'33"" zu Ende ist – oder, daß ihre Aufmerksamkeit für äußere Klänge und Eindrücke nicht mehr länger Teil von John Cages Komposition, sondern ihrer eigenen ist.

Auf ganz andere Weise hat eine Gemeinschaftskomposition, die Cage etwa zur selben Zeit verwirklichte, in der "4'33"" entstand, dasselbe Verständnis beabsichtigt: verschiedene Phänomene, die eine ästhetische Erfahrung nicht durch ihre selektive Koordination ausmachten, sondern einfach durch die Gestaltung ihres simultanen Auftretens. "Untitled Event“ wurde im Black Mountain College im ländlichen North Carolina, im Sommer des Jahres 1952 inszeniert. Die Vorbereitungen für den Abend waren nach Aussagen einer Besucherin (Francine Duplessix-Gray, wie von Roselee Goldberg wiedergegeben) minimal:

"Die Künstler erhielten eine 'Partitur', die nur Zeitspannen angab, und jeder sollte für sich Aktionsmomente, Pausen und Stille eintragen, wie auf der Partitur angegeben, die erst bei der Aufführung preisgegeben werden sollten. Auf diese Weise würde es keinen 'kausalen Zusammenhang' zwischen dem einen Ereignis und dem nächsten geben, und laut Cage würde alles, was danach passierte, im Zuschauer selbst passieren."
Unter den Teilnehmern – das heißt Mitwirkenden – waren der Tänzer Merce Cunningham, der Maler Robert Rauschenberg, die Musiker David Tudor und Jay Watt sowie die Dichter Charles Olson und M. C. Richards. Cages eigene Mitwirkung bestand darin, eigene Texte (über die Beziehung von Musik zu Zen) und Texte von Meister Eckhardt zu lesen und Radio zu spielen, als wäre es ein Musikinstrument – was es auch in diesem Sinne (wie in einer früheren Komposition, "Imaginary Landscape nr. 1") war. (8)

Black Mountain Collage war eine von mehreren Schulen, die in den dreißiger Jahren in den Vereinigten Staaten gegründet worden waren und die auf dem Modell des Bauhauses basierten, und Meister des Bauhauses, die sich im Exil befanden, anstellten. Als solches war es das einzige Neo-Bauhaus, das sich der Bühnenarbeit und Literatur, wie auch den visuellen Kunstrichtungen verpflichtete. 1944 führte die Schule eine Sommer-Session ein, die besonders die extra-visuellen Künste willkommen hieß. John Cage und Merce Cunningham wirkten in der Sommer-Session des Jahres 1948 mit, die in einer Aufführung des Musikdramas von Erik Satie, "La piège de Méduse", an dem solche Stars wie Buckminster Fuller und Willem und Elaine de Kooning ebenso teilnahmen, ihren Höhepunkt fand. Das öffnete für Cages und Cunninghams Rückkehr vier Jahre später Tür und Tor.

Cage und Cunningham waren in dieser multiartistischen Umgebung von Black Mountain Collage genau am richtigen Platz. Die beiden, die sich Mitte der dreißiger Jahre getroffen und ihre Verbindung an der amerikanischen Westküste begonnen hatten – und zu Kriegsende in New York wohnten –, gründeten eine dauerhafte Zusammenarbeit, die durch ihr beiderseitiges Interesse am Zen und Indeterminismus genährt wurde. Gerade als Cage die "durchkomponierte" Musik aufgab und es vorzog, einfach die Produktion (oder, wie bereits besprochen, das Verständnis) der Klänge durch Festsetzung freier Parameter für die Aufführung und für die Wahl, die die Künstler treffen mußten, in Gang zu bringen, wandte sich Cunningham vom erzählenden Handlungsablauf seiner Lehrerin Martha Graham, wie abstrahiert auch immer, ab und begann sich auf die Organisation der Körpersprache selbst zu konzentrieren. Die alltäglich menschliche Bewegung erschien ihm als eine reichhaltige Quelle der Choreographie und Cages Methoden, den Zufall in die Organisation der Darstellungselemente einzubringen, gestattete es Cunningham, einen Teil des reichen Zufallscharakters des Alltagslebens aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus hatte Cunningham in den frühen fünfziger Jahren beschlossen, nicht "mit" (oder, wenn man so will, "gegen") Musik, sondern "durch" sie zu arbeiten: indem er gleichgesinnte Musiker einlud, Kompositionen für seine Truppe zu schaffen, ließ Cunningham seine Tänzer einfach tanzen, wobei nur der Anfang und das Ende des Klanges von Bedeutung war. Die Bewegung war nicht im Gleichschritt mit der Musik, sondern folgte ihrer eigenen inneren strukturellen Logik – die oft der gleichen Art von zufälligem Verlauf entsprang, die Cage verwendete (nennenswert sind die I Ching tabulations). So ähnelten Cunninghams Tänze in Geist, Absicht und oft auch Methode, der Musik von Cage und anderen Kollegen und Mitarbeitern, indem sie dem formalistischen, im wesentlichen musikalischen Paradigma der Struktur um der Struktur willen folgten.

Im Prinzip war das, was Cunningham und Cage anregten – man könnte vielleicht sogar sagen, erfanden – eine "induzierte Synästhesie". Äquivalenzen zwischen den sinnlich wahrgenommenen Elementen wurden weder angenommen noch angestrebt, sondern einfach geschaffen. Der Einklang, in den die verschiedenen Kunstrichtungen in einem Cunningham-Tanz oder in einem Cage-Event gebracht wurden – und in den späten fünfziger und während der ganzen sechziger Jahre waren die Cage-Events oftmals wirklich Cunningham-Tänze und umgekehrt (z.B. Cages Variations V) –, machte es möglich, daß sie in ihrer grundsätzlichen Nichtobjektivität und Bezugslosigkeit, wie im Leben, in ein Ganzes verschmolzen. Das Ganze ist nicht unteilbar, sondern es ist auffassungs- und erfahrungsgemäß etwas anderes, als bloß die Summe der Einzelelemente.
So wie Cunningham auf der Bühne ein Äquivalent zu Cages Musik schuf, erfanden Cage selbst und die kleine Gruppe von Musikern, die sich um ihn Anfang der fünfziger Jahre in New York gesammelt hatte, ein visuelles Äquivalent. Ihre ursprüngliche Absicht bestand darin, Partiturmodelle für ihre immer komplizierter werdenden Verbindungen von genauer und freier Notation zu schaffen. Aber die graphischen Partituren, die sich daraus ergaben, erweiterten den visuellen Charakter der traditionellen Partituren in einem solchen Ausmaß, daß sie selbst die optische Wirkung von Zeichnungen erhielten.

Neben Cage versuchten auch David Tudor, Christian Wolff und Morton Feldman solche Partituren zu schaffen, indem sie auf geometrische Formulierungen zurückgriffen, die kodierte Angaben für Performance-Parameter enthielten – Parameter, wie sie zuvor beschrieben wurden, und die es den Performance-Künstlern einräumten, aus einer Zahl von Möglichkeiten zu wählen, oder eine gänzlich freie Entscheidung zu treffen. (9)

Earl Brown schließlich schuf eine graphische Partitur, die alle Entscheidungen hinsichtlich der Interpretation dem Performance-Künstler überließ. Sein "December 1952", das letzte Werk der 1951-1952 "Folio", bestand ausschließlich aus vertikalen und horizontalen schwarzen Linien verschiedener Strichstärke, die einander nicht berühren. Die Partitur beinhaltet keinerlei festgelegte Taktstriche oder Taktarten, die die Tonhöhe oder Zeiteinheit auch nur vorschlagen würden. Es gibt keine anderen Zeichen außer diese Linien. Die relative Lage der Linien könnte die Tonhöhe anzeigen; die Strichdicke könnte logischerweise ein Maß für die Dynamik sein; und die Länge der horizontalen Linien schlägt zumindestens eine relative Dauer vor, während die vertikalen eine Phrasierung andeuten könnten. Aber die Grundlage für solche Beziehungen wird nirgendwo festgelegt; ja sogar die Festsetzung, welche Linien vertikal und welche Linien horizontal sind, liegt beim Künstler. Brown signierte die Partitur in einer Ecke, aber Anweisungen im Umschlag des "Folio" fordern den Künstler auf, diese Signatur außer acht zu lassen.

Die Signatur bestimmt vielleicht nicht die Ausrichtung von "December 1952" als Partitur, aber sie bestimmt die Ausrichtung – ja sogar seine Identität – als Zeichnung, eine Art von neoplastischer Verfeinerung von Piet Mondriaans proto-de Stijl "Pier and Sea" Malereien. (10) Als solches will die Partitur "December 1952" ein visuelles Gegenstück zur Musik sein, das – im Gegensatz zu den visuellen Translationen von Musik, wie sie im frühen 20. Jahrhundert üblich waren – der Musik vorangeht, das tatsächlich das Wesen des musikalischen Konzepts darstellt, noch bevor ein Klang erzeugt wird. Und im Gegensatz zu der traditionellen Partitur, transkribiert eine freie Notation wie "December 1952" nicht einmal den Klang, den der Komponist bereits in seinem inneren Ohr gehört hat; es transkribiert ein vorklangliches Konzept. Die Partitur "December 1952" stellt nicht die Klänge der Darbietung "December 1952" dar; sie stellt die Struktur und Methode dar, aus der diese Klänge – welcher Art auch immer sie letztlich sein mögen – hervorgehen sollen. Bezeichnenderweise sagt man von Brown, daß er danach trachtete, das Werk von bestimmten visuellen Künstlern nachzuahmen, indem er versuchte, in seiner Musik "die vollkommenen aber unvorherschbaren "fließenden" Variationen eines Calder-Mobiles und die dem Zusammenhang entsprechende Richtigkeit von Pollocks Spontaneität und Dircktheit in bezug auf das Material und seiner persönlichen Vorstellung vom "Werk" einzufangen." (11)

Die Entwicklung der graphischen Partitur fand nach dem Durchbruch von Brown, Cage, Feldman u.a. rasch internationale Verbreitung – besonders aufgrund des steigenden Interesses in Europa an aleatorischen Kompositionsmethoden in dialektischer Antithese zu den seriellen Methoden; diese seriellen Methoden hatten sich aus dem Kompositionssystem der Zwölftonmusik abgeleitet, das drei Jahrzehnte zuvor von Arnold Schönberg entwickelt und von Anton Webern (dem ersten unter vielen anderen seriellen Komponisten) verfeinert worden war. Für diesen Darmstadt-Donaueschingen-Dialog (der sich natürlich auch über die Grenzen dieser deutschen Zentren der experimentellen musikalischen Forschung hinaus verbreitete) gibt es auch anderenorts zahlreiche Zeugnisse; (12) es sei hier nur gesagt, daß Cage bei seinen ersten Besuchen in Europa in den späten fünfziger Jahren eine ganze Gruppe von Komponisten und Musikern – und Künstlern und Schriftstellern – antraf, die sich den von ihm und seinen New Yorker Kollegen entwickelten aleatorischen und graphischen Methoden zugewendet hatten. In den meisten Fällen – wie z.B. Karlheinz Stockhausen in Köln oder Sylvano Bussotti in Mailand – hatten die Musiker, die ursprünglich mit den Lösungen Cages, Browns u.a. nicht vertraut gewesen waren, ihre eigenen Methoden entwickelt, da sie auf ähnliche Probleme gestoßen waren. Sowohl die Unterschiede als auch Ähnlichkeiten in Auffassung und Form stellten sich als anregende Diskussionspunkte zwischen Cage und den europäischen Künstlern heraus, führten jedoch eher zu kollegialer Freundschaft als zu Feindseligkeiten.

1960 war Wien das radikalste Zentrum für geographische Notation in Europa, wo Musiker wie Roman Haubenstock-Ramati, Anestis Logothetis und Josef Anton Riedl komplexe und bis ins Detail ausgearbeitete visuelle Partituren schufen. Es ist interessant, die visuelle Dichte und das musikalische dramatische Element dieser Kompositionen sowohl mit den relativ kargen Formaten anderer graphischer Partituren von europäischen Künstlern dieser Zeit zu vergleichen (z.B. jenen von den Kölner Komponisten Stockhausen, Mauricio Kagel und Dieter Schnebel), als auch mit den ähnlich antiklassischen Stilen von anderen Wiener intermedialen Künstlern, die in dieser Zeit auf der Bildfläche erschienen, besonders die Aktionsschule (Hermann Nitsch, Otto Mühl, Günther Brus, Rudolf Schwarzkogler) und die poetische Wiener Gruppe (Ernst Jandl, Gerhard Rühm, Friederike Mayröcker, H.C. Artmann, Friedrich Achleitner, Oswald Wiener, Konrad Bayer).

Es ist auch interessant zu beobachten, wie dieser übergreifende "Wiener Stil" die antiminimalistische Bewegung in der Musik und der Performance Art vorformte und sogar beeinflußte, die sich als ein bedeutendes Gegengewicht zu dem vorherrschenden Minimalismus der späten sechziger Jahre erwies. In diesen Jahren zeigten die obengenannten Kölner Komponisten zum Beispiel wesentlich mehr Interesse am Ritual und an graphischer Verfeinerung; visuelle Poeten in Italien und Frankreich entwickelten sich vom rein typographischen Design hin zu kollagenartigen Überlagerungen von Wort und Bild; und kybernetisch orientierte Künstler und Künstlergruppen in Paris, London, New York, San Francisco und anderenorts strebten danach, immer stärker verfeinerte und ausgearbeitete Gesamtkunstwerke zu schaffen. Die Wiener Komponisten, Poeten und Performance-Künstler waren augenscheinlich nicht die treibende Kraft hinter dieser Bewegung; dieser Quasi-Barockstil der späten sechziger Jahre verkörperte den gegenkulturellen Zeitgeist (während der Minimalismus nur einen ganz speziellen – wenn auch nicht notwendigerweise widersprüchlichen – Aspekt davon darstellte). Aber die Wiener Künstler verkörperten diese Bewegung von Anfang an und halfen bei ihrer Ausweitung. (Nitsch und Haubenstock-Ramati waren zumindest in Amerika bereits 1967 bekannt.)

Ein Faktor, der Komponisten in anderen Avantgardekreisen davon abgehalten hat, dieser "maximalistischen" Richtung so rasch wie die Wiener zu folgen, war die Verwendung von graphischer Partitur als Mittel, nicht um aleatorische Kompositionen, sondern traditionelle oder sogar nach-Webernsche durchkomponierte Werke mit nichtinstrumentalen, d.h. aufgezeichneten und elektronischen Klangelementen, zu notieren. In vielen Fällen machten die Urheberrechtsforderungen die Herstellung von entsprechenden graphischen Aufzeichnungen zu Kompositionen von lebenswirklichen Klangcollagen (Musique concrète) oder von elektronisch erzeugten Klängen notwendig. Viel wichtiger noch war es, daß Kompositionen, in welchen instrumentale Darbietung mit aufgezeichneten Klängen kombiniert wurde, die Abstimmung der instrumentalen und elektronischen Klanggestaltung in den Partituren der Musiker erforderlich machten, vor allem bei der präzisen Koordination, die von jenen bevorzugt wurde, die serielle Methoden anwandten.

Elektronische Technologie in der Musik, die ja durch den Krieg unterbrochen wurde, wurde von Pierre Schaeffer in Paris um 1948 aufgegriffen. Schaeffer war der erste Musiker, der von der Klangaufnahmetechnik profitierte, indem er im Studio Klänge von einer Schallplattenaufnahme auf die andere übertrug, bis eine sorgfältig sequentierte Audiocollage entstand. (Otto Luening und Vladimir Ussachevsky, die in New York arbeiteten, waren die ersten, die mit Hilfe von Magnetbändern Klangmontagen erzeugten; sie stellten 1952 ihre ersten Tonbandmusik-Experimente vor.) Zur gleichen Zeit experimentierten Filmemacher wie Norman MacLaren und Len Lye in Kanada mit einer Art von "erweiterter Animation", indem sie sowohl die klangliche als auch die visuelle Komponente des Kinos direkt am Filmmaterial manipulierten; und visuelle Künstler in Buenos Aires wie Gyula Kosice und Lucio Fontana (der nach Mailand zog und diese Bewegung dorthin brachte) begannen, die Miteinbeziehung von projiziertem Licht und Bewegung in den bis dahin starren Bereich der visuellen Kunst zu erforschen. Es ist nicht verwunderlich, daß viele der ersten Arbeiten in Amerika entstanden, wo sich die Technologie in der Kriegszeit rasch entwickelt hatte, und einer ganzen Hemisphäre zur Verfügung stand, die von den ausgedehnten Verwüstungen verschont geblieben war. Aber sobald die europäischen Künstler aller Disziplinen und Interdisziplinen Zugriff zu den neuen Technologien hatten, machten sie rasche Fortschritte. 1953 hatte Nicholas Schöffer begonnen, diesen Forschungsbereich mit seinen "spatiodynamischen" Türmen auf die Elektronik auszuweiten, indem er aufgezeichneten Klang mit Lichtprojektion und Bewegungselementen koordinierte. Jean Tinguely, der auch in Paris tätig war, entwarf ebenso Strukturen, die die Merkmale der Objekthaftigkeit, Kinese und des Klanges miteinander verbanden, angefangen von dem "Relief mitamicanique sonor" (1954), das in Mailand gezeigt wurde, bis zu dem berühmten "Hommage à New York", jenem Mechanismus, der sich selbst im Garten des Museum of Modern Art 1960 zerstörte.

Wenn man in der Zeit von 1945 bis 1955 die Einführung der elektronischen multi- und intermedialen Techniken in verschiedenen Formen und an verschiedenen Orten erlebte, so brachten die folgenden zehn Jahre die generelle Aufnahme der Kybernetik in alle Kunstrichtungen – und natürlich in die Bereiche zwischen den Kunstrichtungen, wo die neuen Technologien oft die multimedialen Kombinationen und sogar intermedialen Verschmelzungen erleichterten. Schall- und Bewegungswerke wie Schöffers Türme enthielten in ihren Strukturen abwechselnd aufgezeichneten Klang und Programme für das Ingangsetzen von klangerzeugenden Vorrichtungen. Ein besonders ausgefeiltes Beispiel dafür stellte der von Philips Corporation gesponserte Pavillon bei der Weltausstellung in Brüssel 1958 dar: Le Corbusier bezog in seinen Entwurf jene stochastischen Prinzipien ein, die sein Assistent Iannis Xenakis für die Komposition seiner eigenen Musik ersonnen hatte. Der Klang im Raum selbst war jedoch die Musique Concrète von Edgard Varèse.

Im Zeitraum von 1955 bis 1965 präsentierte sich erstmals die Neon Art (von Dan Flavin in New York und Martial Raysse in Paris geschaffen), die erste Radio Art (die von Mary Bauermeister beim Westdeutschen Rundfunk Köln 1960 realisiert wurde), die erste Video and Television Art (Nam June Paik schuf das erste künstlerische Videoband 1965, aber es gab schon Vorläufer der TV-Art in Form von Objekten und Aktionen von Wolf Vostell und Paik selbst, die die Bestandteile des Monitors manipulierten) und die erste Computer-Kunst, -Musik, -Poesie und das erste Computer-Theater. Unter den letzten beiden Sparten der Computerkunst sind die Texte für Sprech- oder Bühnenaufführungen von Jackson MacLow nennenswert, bei denen er seine eigenen Zufallsoperationen nach Cage mit dem Zufallsgenerator des Computers in Verbindung brachte. Anderswo wurden Computerprogramme erstellt, mit deren Hilfe man live oder direkt auf Magnetband Musik in ähnlicher Weise komponieren (am bekanntesten ist die "Illiac Suite" für Streichquartette) und Klang erzeugen konnte.

Die Bell Telephone Laboratories in der Nähe von New York, die mit den IBM 7090 und anderen state-of-the-art-Computern ausgerüstet waren, waren eine Brutstätte der experimentellen Kunst. Die Neugierde und das Interesse der Wissenschafter und Techniker in den Bell Labors erleichterten auch die Experimente der Künstler und gestatteten einem Mitarbeiter der Bell Labors, Billy Kluver, in den frühen sechziger Jahren ein Programm ins Leben zu rufen, das visuellen Künstlern, Komponisten und anderen kreativen Menschen Zugang zu den Computerlaboratorien verschaffte. Einige Künstler, wie der Musiker James Tenney, hatten bereits berufliche Erfahrung mit der Computertechnologie; für die meisten jedoch war es Neuland und sie begrüßten die Gelegenheit, mit Programmierern zusammenzuarbeiten und dadurch ihre eigene Arbeit und auch die Einsatzmöglichkeit des Computers als künstlerisches Werkzeug ausweiten zu können. Viele der progressivsten Künstler erdachten Objekte und Erfindungen, die sie benötigten oder deren Existenz sie sich wünschten und hofften, daß die Labortechniker sie entwickeln könnten. Andy Warhols Wunsch nach einer dahintreibenden Glühbirne erwies sich zum Beispiel als undurchführbar, aber das Kontrollsystem mit Photozellen mit dem Merce Cunninghams Tänzer in John Cages "Variations V" zusammenwirkten, war eine gelungene Erfindung, wie auch der Berührungstransistor, den Yvonne Rainer in ihrem Tanz "The House of My Body" verwenden wollte, um ihr Atemgeräusch und ihren Herzschlag hörbar zu machen. (13)

Das spektakulärste Ergebnis des Bell Labor Programms waren die Nine Evenings of Art & Technology, die von Kluver organisiert und in New York Ende 1966 aufgeführt wurden. Die Nine Evenings brachten Darbietungen von John Cage und Merce Cunningham, Robert Rauschenberg, Steve Paxton, Lucinda Childs, Oyvind Fahlström, Robert Whitman und anderen Künstlern verschiedener Disziplinen (und Interdisziplinen). In vielen dieser Vorstellungen fanden Vorrichtungen Anwendung, die eigens auf Anweisung der Künstler von den Bell Labor Technikern erfunden worden waren. Andere Innovationen stachen in der Ausstellung der technologischen Kunst, "Some New Beginnings", im Brooklyn Museum hervor, die zwei Jahre später von jener Gruppe präsentiert wurde, die aus der Organisation der Nine Evenings hervorgegangen war: Experiments in Art & Technology. EAT organisierten auch den kunstreichen, sorgfältig kybernetisierten Pepsi-Cola Pavillon auf der Osaka Expo 70.

Die späten sechziger Jahre waren nicht nur für die EAT und die Künstler, mit denen sie zusammenarbeiteten, sehr fruchtbar, sondern ganz im allgemeinen für die technologisch orientierte Kunst. Das Aufwallen des öffentlichen Interesses an kinetischer Kunst, "Op" Art und an der neuen Kunst und Technologie im allgemeinen, ermutigte zu der Inszenierung von Darbietungen wie "The Responsive Eye", "The Machine as Seen at the End of the Mechanical Age" und "Information" (die alle im Museum of Modern Art gezeigt wurden), "Software" (im Jewish Museum) und "The Magic Theatre", eine Wandervorstellung (organisiert vom Nelson/Atkins Museum in Kansas City), die environmentale, im allgemeinen zuschaueraktivierte Strukturen von Howard Jones, Boyd Mefferd, Stanley Landsman, Hans Haacke und USCO zeigte. Die letztgenannte Gruppe – die sich um Rudi Stern und Jacki Cassen geformt hatte und der zu verschiedenen Zeiten andere Künstler angehörten – war eine von vielen zusammenarbeitenden Gruppen, die sich dem \ technologischen Erforschen und Schauspiel widmeten, das auf dem amerikanischen Kontinent zunächst in Südamerika (Madi, Equipo 57) und später in Nordamerika (Pulza, Vortex Theatre, die ONCE-Gruppe) auftauchte. USCOs vornehmliche Bedeutung für diese Entwicklung war ihr Engagement bei der gegenkulturellen Bewegung der späten sechziger Jahre; ihre Aufführungen erweckten absichtlich die Vorstellung von durch LSD verzerrten Sinneswahrnehmungen und regten auch ein Gemeinschaftsgefühl unter den Betrachtern an. USCO prägte 1963 den Begriff "be-in" für ihre Szenerie; innerhalb weniger Jahre fand dieser Begriff bei allen gegenkulturellen Zusammenkünften, zu welchen die Öffentlichkeit eingeladen wurde, Anwendung.

Die Welle der kybernetischen Kunst der späten sechziger Jahre, der Mixed-Means-Kunst und ähnlichem, verschwand aus einer ganzen Reihe von Gründen rasch von der Bildfläche. In erster Linie verlor das Phänomen seine Anziehungskraft bei experimentellen Künstlern. Manche waren der Meinung, daß der Stand der Technik zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht fortgeschritten genug war, um ihre Vorstellungen zu befriedigen, während andere sich ernsteren, intellektuell und/oder physisch strengen Tendenzen, die vom Minimalismus herrührten, zuwandten (z.B. Conceptual Art, Body Art). Für diese Post-Minimalisten schien die kybernetische Kunst zu einem publikumsgefälligen Spektakel entartet zu sein. Das Publikum selbst, das sich aus der Ära der inneren Aufregung in eine Ära der Verwirrung, Desillusionierung und Selbstbetrachtung bewegte, verlor sogar seinen oberflächlichen Gefallen an solchen Werken. Die kybernetischen Vorrichtungen selbst erwiesen sich oft als unpraktisch, unzuverlässig im Betrieb, teuer oder irreparabel, und äußerst stromvergeudend. In der Energiekrise von 1973 erschienen die aufwendigen und stromverzehrenden Maschinen nicht ratsam und unverantwortlich. Mit 1975 ging die Tendenz sowohl der sozialen als auch ästhetischen Einstellung in Richtung der einfachen "low-tech" (außer vielleicht im Rock & Roll Studio).

Mit dem intim-privaten Stil, der von den Performance-Künstlern der frühen siebziger Jahre bevorzugt wurde, erschien die Videokunst als die einzige Technik, die sich formal und ethisch für das Kunstschaffen dieser Zeit anbot. (14) Viele Künstler produzierten einfach Videobänder, doch einigen gelang es, Zeit/Raum-Umgebungen um Videomonitore und häufig um Live-Kameras zu schaffen. Unter den amerikanischen Künstlern, die sich mit solchen "telenvironments" befaßten, waren Les Levine, Keith Sonnier, Shigeko Kubota, Peter Campus, Ira Schneider, Beryl Korot, Bruce Nauman und Paul Kos. Verschiedene andere Künstler – namentlich Valie Export in Wien und Dan Graham und Douglas Davis in New York – realisierten eine Art von Video-Körperkunst, bei der sie bei ihrer physischen Aktivität Videokameras hielten oder trugen und so den "Blickwinkel" des Körpers übermittelten oder aufzeichneten.

Das heißt nicht, daß die künstlerische Mixed-Means-Technik auch in Ungnade fiel. Ganz im Gegenteil, in den frühen siebziger Jahren explodierte das Interesse an multimedialer und intermedialer Kunst. Diese Explosion war zum Teil durch die kybernetische Revolution der vorangegangenen Jahre ausgelöst worden, aber ihr direkter Ursprung und ihre unmittelbaren Vorbilder stammten aus den frühen sechziger Jahren und sogar späten fünfziger Jahren. Auch hier war John Cage die alleinige auslösende Kraft für diese Strömung. Seine Philosophie und Ästhetik hatten sogar einen direkteren Einfluß auf diesen Bereich der Mixed-Means-Kunst als auf den kybernetischen Bereich. Sein Black Mountain Event war ein Vorgriff auf viele Gruppen-Performances und Werke der Minimal/Conceptual Art; und die Vorlesungen über Komposition der Neuen Musik und Performance, die er Ende der fünfziger Jahre zwei Jahre lang hielt, können als die Quelle angesehen werden, der der ganze Mixed-Means-Strom entsprang – einschließlich der Kybernetik, aber vor allem der nicht-technologischen Strömung. Andere, von der Cage-Klasse unabhängige Quellen verbreiterten diesen Strom, einige sogar schon davor. Aber keine andere Gruppe und kein anderes Ereignis nahm eine so zentrale Stellung bei der nachfolgenden Entwicklung der Mixed-Means-Kunst ein.

Cage unterrichtete seine Klasse an der New Yorker New School for Social Research zwischen 1956 und 1958. Zu Cages großer Freude zählten Dichter, Filmemacher und visuelle Künstler sowie Musiker zu seinen Schülern. Unter jenen, die Cage und einander zum erstenmal in seiner Klasse trafen, waren der Techniker George Brecht, der graphische Künstler Dick Higgins, die Komponisten Richard Maxfield und Philip Corner, der Dichter Jackson MacLow, der Filmemacher Al Hansen und der Maler Allan Kaprow. Kaprow begann sich zu dieser Zeit gerade von der Malerei und der Collage wegzubewegen, jedoch nicht hin zu rein dreidimensionalen Objekten. Unter Cages Anleitung erkannte Kaprow, daß die Bereiche des Lebens selbst – wahrer Raum und wahre Zeit – angemessene Kunstbereiche waren, ja sogar in ihrer Lebenskraft und Unmittelbarkeit vorzuziehen waren, und er erkannte die Möglichkeiten, die sie für ein zufälliges, offenbarendes Eindringen der Realität boten. Kaprow begann 1957 im environmentalen Raum zu arbeiten; (15) kurze Zeit später begann Kaprow, der durch Cages Ideen, daß das alltägliche Leben die künstlerische Erfahrung ausmacht, angeregt war, und von Cage Mittel und Techniken erhielt, um alltäglich eintretende und wahrgenommene Ereignisse zu Kunst umzugestalten, aus seinen Environments mit menschlicher Aktion Happenings zu machen. (16)

Die Aufführung von 18 Happenings in 6 Parts im Herbst 1959 – es handelte sich nicht um Kaprows erstes Happening, sondern um das erste, das in einer öffentlichen Umgebung aufgeführt wurde –, leitete eine Reihe von Happenings und Mixed-Means Darbietungen in New York ein. Das Ray Gun Theatre von Claes Oldenburg, die Theatre Pieces von Robert Whitman, die theaterstückähnlichen Präsentationen von Red Groorns, und verschiedene solistische und für Ensemble konzipierte Mixed-Means Werke von Jim Dine, Al Hansen und Dick Higgins, bestimmten alle eine Art von Bühnenwerken (normalerweise abseits der Bühne), die ihre Aufgabe von der visuellen Kunst, der Musik und dem Kino erhielten, und die sich am Rande auf die Schilderung stützten, aber im Grunde auf das Bild und die (zeitlich und oftmals räumliche) Abfolge von einzelnen Ereignissen. Die tatsächlichen Medien der Malerei, der Musik und des Films wurden für gewöhnlich in den Ablauf oder zumindest in die Dekoration miteinbezogen. Einige Happening-Künstler (vor allem Grooms, Dine und Oldenburg) verfaßten für ihre Präsentationen bis zu einem gewissen Grad einen Entwurf, (17) während andere (besonders Kaprow und Higgins) eher – wie auch John Cage – die Aktivitätsparameter in Form von Raum, Zeit und Sequenz definierten und die Dinge innerhalb dieser Gesamtstrukturen geschehen ließen." (18)

Die große stilistische Vielfalt unter den Happening-Künstlern spiegelte ihre verschiedenen Hintergründe, Quellen und Absichten wider. Einige von ihnen (wie Grooms und Dine) realisierten Happenings nur sehr kurze Zeit, bevor sie zur Malerei zurückkehrten, andere (Kaprow, Whitman) gaben die statische visuelle Kunst völlig zugunsten der auf Zeit basierenden Mixed-Means-Kunst auf, und wieder andere (Hansen, Higgins, Oldenburg) arbeiteten (und arbeiten immer noch) in zwei, drei und vier Dimensionen, wie es ihnen die Inspiration und Gelegenheit aufzwang (und aufzwingt). (19) Diese Reihe verschiedener Haltungen unter den Happening-Künstlern war eigentlich ein kleiner Teil einer großen, umfassenden und mannigfaltigen Mixed-Means-Kunstszene im New York der frühen sechziger Jahre. Jedoch nur Happenings stellten eine Kunstform dar, die in dieser Stadt entstanden war; die vielen anderen Mixed-Means-Methoden, -Formate und -Gruppen kamen von anderswo in die New Yorker Szene – für gewöhnlich aus Kunstzentren, in denen die Mixed-Means-Aktivität bereits ein hohes Niveau an Kraft, Überzeugung und Differenziertheit erreicht hatte. Es stellte sich heraus, daß die Mixed-Means-Kunst weltweit seit Mitte der fünfziger Jahre im Aufstreben war – viel weitreichender sogar als man auf Grund dessen, was über die frühen elektronischen Kunstphänomene in Buenos Aires, Mailand, Paris, usw. laut wurde, annehmen hätte können. 1956 bildete sich in Osaka die Gutai-Gruppe. Sie umfaßte hauptsächlich Maler und Bildhauer wie Sadamasa Motonaga, Saburo Mirakami, Shozo Shinamoto und Kazua Shiraga; die Gutai-Gruppe veranstaltete Einzel- und Gruppen-Performances, bei welchen sie von der Malerei beeinflußte Gestik mit dem unmittelbaren Gebrauch von Studio- und natürlichen Materialien, oft in der natürlichen Umgebung, verbanden. (20) Eine stärker musikorientierte Mixed-Means Gruppe, Ongaku, entstand in Tokio einige Jahre später. Die Gutai-Künstler waren nicht sehr bekannt und weitgereist, nicht so die Musiker, die in der Ongaku-Gruppe mitwirkten (zu ihnen gehörten Toshi Ichiyanagi und Toru Takamitsu) und die japanischen Künstler (wie z.B. Shusaku Arakawa, Taka Iimura, Yoko Ono und Ay-O) verschiedenster Richtungen, die von beiden Gruppen beeinflußt wurden. Die meisten besuchten New York und einige ließen sich dort um 1960 nieder.

Zu dieser Zeit hatte die Mixed-Means-Technik die Vorherrschaft über die experimentellen Künste in ganz Europa erlangt. Dichtkunst und Malerei sowie Dichtkunst und Musik wurden von der französischen Lettriste-Gruppe verschmolzen, fast von dem Zeitpunkt an, als Isadore Isou das erste Manifest der Lettristen 1948 verfaßte. Isou, Maurice Lemaitre, Françoise Dufrène und andere Lettristen belebten den Begriff und den Gebrauch des "befreiten Wortes", die Futuristische Erweiterung der typographischen und deklamierten Dichtung neu, die von Post-Dadaisten wie Kurt Schwitters verfeinert worden war. Diesem Bestreben der Lettristen schlossen sich mit dem Ende der fünfziger Jahre gleichgesinnte Autoren-Darsteller am ganzen Kontinent einschließlich der Wiener Gruppe an; Post-Futuristen in Italien (z.B. Carlo Belloli); englische "expanded-poeticists" wie Bob Cobbing, Byron Gysin, John Furnival und Ian Hamilton Finlay; und Autoren-Künstler wie Di(e)ter Rot(h), Emmett Williams, Pierre und Ilse Garnier und Eugen Gomringer, die ihre Zeit in Frankreich, Deutschland, der Schweiz und anderen exotischen Plätzen: Island, USA und Brasilien, verbrachten. Gomringer bildete eine Brücke zwischen konkreter Poesie – das heißt typographisch erweiterter Poesie – in Europa und ähnlichen Aktivitäten in Brasilien, wo er jahrelang lebte. Die Noigandres, eine Gruppe um Haroldo und Agosto de Campos, stellten die Hauptgruppe der konkreten Poeten in Brasilien dar. Die Noigandres, deren Aktivität sich über den Zeitraum von 1954 bis weit in die sechziger Jahre erstreckte, schufen ein Gegenstück zu der kybernetischen Kunstaktivität in Buenos Aires (Lygia Clark, Brasiliens führende Bildhauerin arbeitete oft mit den Noigandres-Dichtern zusammen).

Noch hervorstechender und weitreichender war das explosionsartige Auftauchen von Les Nouveaux Réalistes in Paris und Mailand in den späten fünfziger Jahren. In einer bewußten Revolte gegen die Vorherrschaft der Art informel, mit ihrer verfeinerten Ästhetik der Bellepeinture, bestanden Künstler wie Yves Klein, Piero Manzoni, Daniel Spoerri, Arman, Jean Tinguely und Niki de St.Phalle, derer sich der polemische Kritiker Pierre Restany annahm, auf dem ästhetischen Wert von weltlichen Dingen und alltäglichen Situationen – oder, ganz im Gegensatz, auf der Vorherrschaft der reinen Idee und Geste über das bloße Kunstobjekt. Diese Ideen und Gesten inspirierten oft die Konstruktion von Konglomeraten, wie Spoerris "Traps", die zufällige Anhäufungen von Mahlzeiten und anderen Dingen einschlossen, oder Armans "Boxes", die mit zahlreichen Varianten eines Dinges gefüllt waren (z.B. Puppenhände oder Wecker oder Löffel), oder Objekte, die verpackt wie Pakete von Christo gezeigt wurden (zwar einem Nicht-Unterzeichner des Nouveau-Réaliste-Manifests, aber einem Gleichgesinnten).

Der Mixed-Mena Zeit-Raum-Aktivität von Gutai, Happenings, u.a. kamen die durch und durch subversiven Gesten und die Manifestationen von Yves Klein und Piero Manzoni am nächsten, die darauf abzielten, die selbstbewußten Ansprüche der Kunstwelt ins Lächerliche zu ziehen, obwohl sie den Bereich der Kunst selbst erweiterten. Klein begann seine Aktivitäten abseits bildnerischer Gestaltung 1957, indem er Aktionen inszenierte, wie zum Beispiel 1001 blaue Luftballons in den Himmel fliegen zu lassen (eine "Aerostatic Sculpture" aus seiner "pneumatischen Periode"), oder einen leeren Galerieraum zur Schau zu stellen ("The Surfaces and Volumes of Invisible Pictorial Sensibility"), oder sein "immaterielles bildnerisches Empfindungsvermögen", um ein goldenes Blatt zu verkaufen (um dann dieses Blatt in den Fluß zu werfen, während er den Käufer des "Empfindungsvermögens" dazu brachte, den Kaufvertrag zu verbrennen). Kleins am meisten publiziertes Werk war das "lebendige Gemälde" von 1958 (und 1960), Anthropométrices de l'époque bleue, das er mit nackten Modellen malte, die nicht als Objekte posierten, sondern als lebende Pinsel fungierten. Diese Darbietung wurde von einem Streichensemble begleitet, das Pierre Henrys Symphonie monotone spielte, ein Werk, das für diese Gelegenheit geschrieben worden war und das mit seinen 45 Minuten die exakte Dauer der Vorstellung festlegte.

Beeinflußt von Kleins frühesten Gesten, zog Manzoni auf ähnliche Weise die üblichen Kunsttechniken in öffentlichen Aufführungen und komischen Objekten ins Lächerliche. In seiner Living Sculpture in Mailand 1961 signierte Manzoni die Körper von mehreren Freiwilligen und machte sie so zu seinen "lebenden Skulpturen". Er füllte Luftballons mit seinem eigenen Atem – und verkaufte sie als "Des Künstlers Atem" –, stellte seine eigenen Fingerabdrücke aus und verkaufte Bilder davon ("Des Künstlers Fingerabdrücke"), und schuf sogar eine Ausgabe seiner eigenen Fäkalien, füllte sie in Dosen ab und etikettierte sie mit "Des Künstlers Scheiße". Andere reinere skulpturelle Kunstwerke Manzonis vermitteln immer noch diesen komischen dramatischen Geist: eine 1000 m lange Linie, die auf einem spiralenförmigen Blatt gezogen war, das in einem bronzenen Zylinder eingeschlossen ist, Landkarten mit utopisch geringfügigen, aber geographisch unmöglichen Veränderungen (so ersetzte er zum Beispiel auf einer Landkarte Irlands Dublin durch Neapel); und ein "Pedestal for the World", ein auf dem Kopf stehender großer Würfel mit der Gravur "Socle Du Monde".

Die späten fünfziger und frühen sechziger Jahre erlebten ebenfalls zahlreiche happeningähnliche Mixed-Means-Aktivitäten quer durch ganz Europa, zu denen auch die "décollage" Ereignisse von Wolf Vostell in Deutschland zählten; öffentliche Ereignisse und Rituale von Jean-Jaques Lebel und Tetsumi Kudo in Paris, Ben Vautier in Nizza, und anderen: die ersten Manifestationen von Gustave Metzgers "Destruction in Art" Aktivitäten in London; Bühnenwerke von Oyvind Fahlström in Stockholm; Hermann Nitschs erste Orgien-Mysterien-Theaterpräsentationen in Wien; son-et-lumière Manifestationen in Düsseldorf und anderswo von der Gruppe Zero (Heinz Mack, Otto Piene, Günther Uecker), die sich weder auf die kybernetischen, noch auf die low-tech Mixed-Means-Methoden festlegen wollten; die ersten öffentlichen visuell-dichterischen Darbietungen in Mailand und anderen italienischen Städten; und die in zunehmendem Maße körpersprachlichen Musikkonzerte von Komponisten wie Gyorgy Ligeti, Giuseppe Chiari, Mauricio Kagel und Nam June Paik.

Viele dieser europäischen Advantgardisten schlugen sich während dieser fruchtbaren Periode nach New York durch und die Werke vieler anderer erlangten dort ebenfalls Berühmtheit. Gelegentlich begab sich auch New York zu ihnen. John Cage unternahm mehrere ausgedehnte Besuche in verschiedenen Teilen des europäischen Kontinents in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren. Auch Earle Brown besuchte Europa zu dieser Zeit und machte sich mit den Aktivitäten der Neuen Musik in Italien, Deutschland und anderswo vertraut. In den Jahren 1961–1962 kamen verschiedene jüngere Mixed-Means-Künstler nach Europa und bereisten es, trafen Menschen, von denen sie gehört hatten (Brown, Cage und andere), trafen Leute, von denen sie nichts gehört hatten und traten mit diesen neu gefundenen Freunden und Kollegen gemeinsam auf. Die New Yorker brachten ein Wort des neuidentifizierten Empfindungsvermögens mit, ein Mixed-Means art-life Empfindungsvermögen, in das ihre neuen Freunde und ihre Gleichgesinnten auch paßten. Die New Yorker nannten dieses Empfindungsvermögen "Fluxus".

Das Fluxus Empfindungsvermögen hatte sich in New York aus den Happenings, der Post-Gutai Haltung von japanischen Emigranten in New York (Ichiyanagi, Ono) und der "minimalistischen" Haltung anderer Neuankömmlinge herausgebildet. Die letztgenannten, Tänzer, Musiker und Bildhauer waren aus Kalifornien gekommen, wo sie durch die radikalen Ideen der Choregraphin Ann Halprin beeinflußt worden waren. Halprin predigte die Eingliederung der gewöhnlichen Körperbewegungen in Live-Kunst-Aktivität – nicht nur in den choreographisch bearbeiteten Tanz, wie es Cunningham praktizierte, sondern in jede Art von Zeit-und-Raum-Kunst. Eine Reihe von Künstlern, die in der Halprin's Dancers' Workshop Company mitwirkten – unter ihnen die Tänzer Trishy Brown, Simone Forti, Steve Paxton und Yvonne Rainer, der Musiker La Monte Young und der Bildhauer Robert Morris –, zogen um 1960 nach New York und brachten Halprins disziplinierte, aber befreiende Auffassungen und Praktiken mit. In New York wurden sie zum Kern der Judson Dance Group, und ihr Verständnis für die einfache, vollkommene Geste oder Erfahrungseinheit wurde zur Quelle der maßgebenden Form aller Kunstrichtungen gegen Ende des Jahrzehnts: Minimalismus. Dadurch, daß sie die Dance Group schufen und die minimalistische Strömung formten, trafen diese Schüler Halprins mit Cages Studenten und Begleitern zusammen, sowie mit gleichgesinnten Japanern. Da sie ihre gemeinsamen Auffassungen entdeckten, begannen diese multidisziplinären Künstler gemeinsam zu arbeiten und aufzutreten.

George Maciunas, ein Architekt und Galeriebesitzer, schloß sich diesen so verschiedenen, aber doch grundsätzlich gleichgesinnten interdisziplinären Künstlern an und trachtete danach, Aufführungen und Veröffentlichungen für sie zu organisieren. Als er 1961 nach Europa reiste, brachte er Beispiele ihrer Arbeit – Partituren mit offenem Ende, die einzelne, minimale Gesten und Ereignisse vorgaben – mit und veranstaltete "Konzerte" dieser aufs höchste verfeinerten Verschmelzung von Kunst und Leben. Mit der Absicht, eine jährliche Anthologie von Partituren und Projekten, die von seinen Freunden erdacht worden waren, zu publizieren, die er Fluxus nennen wollte, gab Maciunas dem Empfindungsvermögen selbst den Namen "Fluxus". Ihm schlossen sich in Europa Dick Higgins und Alison Knowles an, die ebenfalls Partituren und Konzepte und die Namen und Adressen von möglichen Verbündeten in Europa erhielten. So wurde Fluxus in New York geboren und schlug in Europa Wurzeln, und schaffte so ein Empfindungsvermögen, das bereits auf drei Kontinenten wahrgenommen worden war.

Dieses Empfindungsvermögen, das eine reduzierte Körpersprache (Minimalismus) mit sich brachte, setzte die Mixed-Means-Methode für die Schaffung eines Kunstwerkes voraus. Alle Medien waren Freiwild für Kombination und gegenseitige Durchdringung. Indem sie eine neue Bezeichnung, eine neue Erkenntnis der Mixed-Means-Kunst und ein neues Verständnis der Organisation und des Zusammengehörigkeitsgefühls mit sich brachten, erzielten Maciunas und seine Gruppe eine galvanisierende Wirkung auf europäische Avantgardisten. Sie gewannen entweder direkt oder – wie bei ZAJ, einer Bewegung parallel zu Fluxus, die spontan in Spanien und Italien entstand – indirekt Künstler verschiedener Auffassung und Haltung (wenn sie auch bei ihren Mixed-Means-Techniken übereinstimmten) wie Joseph Beuys, Willem de Ridder, Robert Filliou, Milan Knizak und Thomas Schmit für sich. Weitere Entwicklungen in New York (zum Beispiel das ein Jahr lang dauernde Yam Festival, das von George Brecht und Robert Watts 1963–1964 organisiert wurde) hielten den Fluxus-Gedanken dort aufrecht, während Maciunas sich im Ausland aufhielt.

Zwischen dem Einfluß der Fluxus-Aktivität und dem in ähnlicher Weise wachsenden Engagement von Nicht-Fluxus Künstlern in der Darstellungs- und Situationskunst – zu denen auch jene gehörten, die sich mit dem technologischen Experiment beschäftigten – florierte die Mixed-Means-Kunst in den späten sechziger Jahren und im darauffolgenden Jahrzehnt. Tatsächlich wurden die siebziger Jahre von Performance und Performance-verwandten Werken vieler Arten dominiert, die von verschiedenen Formen der Selbstverwandlung bis zu Variationen über populäre Bühnen- und Musikformen reichten. Mit dem Ende des Jahrzehnts zogen diese Populärkünste die Aufmerksamkeit wieder auf sich und nahmen den Stil und die Auffassung der Performance Art in sich auf.

Der Zwischenbereich zwischen der Mixed-Means-Kunst und der populären Musik geht zumindest bis zu der Zeit zurück, in der Kabarettsongs bei den Soirées des Cabaret Voltaire gesungen wurden, für die sie geschrieben worden waren. Die derzeitige völlige Vermischung der Welten der Rockmusik und Performance Kunst hat jedoch ihren Ursprung im England der späten sechziger Jahre. Damals nämlich, als die Fluxus-Künstlerin Yoko Ono den Beatle John Lennon kennenlernte und einer den anderen in seine Welt der Kunst einlud. Eine weniger allgemein bekannte, aber breitere Entwicklung, die in London und in Schulen im britischen Raum stattfand, stellte sich letztendlich als weitreichender heraus. In den späten sechziger Jahren trat eine Reihe von klassisch ausgebildeten Komponisten und Darstellern auf, ebenso einige visuelle Künstler und Schriftsteller, die von zahlreichen gemeinsamen Einflüssen geprägt waren, von der klassischen zur Rockmusik, von der traditionellen Kultur Britanniens zu der der Dritten Welt, von Dada und Futurismus zu Cages Lehre und Fluxus-Methoden. Sie schrieben jedem Kunstprodukt im Grunde dieselbe Berechtigung zu und verschmolzen graphische Notation, Viktorianische Literatur, exotische Instrumente, Pop-Style-Collagen und die linksgerichtete Politik zu einem breiten Feld der Objekte und Performances. Mittelpunkt dieser Gruppe war das Scratch Orchestra, ein Ensemble, das von Cornelius Cardew organisiert wurde, einem Verfechter der graphischen Notation und Methoden der Unbestimmbarkeit. Cardew selbst wurde später zum begeisterten Maoisten, aber seine Scratch-Orchestra-Aktivitäten und die Philosophie Cages, die sie vermittelten, beeinflußten eine Reihe von Musikern und Nicht-Musikern, die selbst sehr einflußreich werden sollten.

Tom Philipps, ein Maler und graphischer Künstler, hatte begonnen, in einer ausgefeilten visuell-dichterischen Weise mit einem ganz bestimmten Buch, das er zufällig gefunden hatte, dem überspitzten Viktorianischen Roman "A Human Document" zu arbeiten. Phillips verflocht die schwülstigen Inhalte zu einer endlosen Erzählung – die er "A Humument" nannte –, deren besessene, phantastische, oftmals erotische Untertöne durch ausgeklügelte optische Details des Künstlers verstärkt wurden. Phillips bearbeitete "A Humument" auf verschiedene Weise, seit er sich das erste Mal vor mehr als zwei Jahrzehnten damit befaßt hatte, aber seine bis heute beste Fassung in dieser Serie war die "Oper" "Irma", ein graphisch notiertes Stück für Gesang und Instrumente, bei der er eine besonders intensive erweiterte Passage des abgewandelten Romans verwendete. Phillips äußerst bildhafte Bearbeitung der Partitur zu "Irma", die er 1969 verfaßt hatte, rührt nicht nur von seinem eigenen visuellen Stil her, sondern auch von Cardews verhältnismäßig überladener Form der graphischen Notation und von dem witzigen, ja sogar frechen Geist, der in ihrem Kreis vorherrschte.

Eine andere Persönlichkeit, die aus dieser losen englischen Gruppe von multidisziplinären Quasi-Musikern hervorging, wurde einer der einflußreichsten Theoretiker der Rockmusik. Darüber hinaus war er wie viele Rockmusiker anfangs ein Kunststudent: im Gegensatz zu den meisten dieser Musiker verschrieb er sich auch weiterhin der ernsten Kunst, und auch jetzt schafft er noch räumliche Analogien zu seinen akustischen "Post-Rock" Werken. Brian Eno erlangte am Synthesizer in der Band Roxy Music in den frühen siebziger Jahren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, am Höhepunkt seiner Popularität und der der Band verließ er jedoch die Gruppe, um seiner eigenen Arbeit nachzugehen. Seit dieser Zeit strebte Eno danach, Formen des Umgebungsklangs zu entwickeln, besonders in Verbindung mit ähnlichen Formen visueller Montagen, wobei er oftmals mit anderen gleichgesinnten Musikern zusammenarbeitete. Eno behält heute seine zentrale Position in der Rockmusik in erster Linie dadurch bei, daß er für Bands wie die Talking Heads produziert und arbeitet, und daß er neue Popmusik der Dritten Welt fördert. Aber seine eigene Musik hat bereits eine Spur hinterlassen. Die Wurzeln der neuen "New Age"-Musik mit ihren sanften Harmonien, elektronischen Modulationen und nicht entwickelbaren Sequenzen findet man in Enos sanfter Überarbeitung von Erik Saties "Furniture Music", elektronisch erzeugten Kompositionen, deren kaum wahrnehmbare tonale Verschiebungen und geringe Lautstärke eine Art von Klangumwelt schaffen. Aber Eno ist nicht daran interessiert, den Konzertgehern und Rolltreppenbenützern eine neue Art von Muzak-Hintergrundmusik aufzuerlegen, sondern eine betörende und nachdenkliche Klangumgebung zu erzeugen, in der das Klanggefüge ebenso wichtig ist wie die Melodie, und die dennoch Aufmerksamkeit hervorruft. Der elektronisch erzeugte Klang bietet oft eine akustische Komponente für Enos Video- und Lichtskulptur-Montagen.

Enos eigener Umweltklang wurde bereits 1960 von den proto-Fluxus, proto-minimalistischen Performance-Konzepten von La Monte Young vorweggenommen. Unter dem Einfluß von Cage entwickelte Young eine äußerst raffinierte und abgeschwächte Methode (indem er zum Beispiel vorschlug, daß Musiker fast eine Stunde lang nach einer Partitur spielten, die aus geraden horizontalen Linien bestand). Nach seiner Übersiedlung nach New York mit anderen Ann-Halprin-Studenten begann Young mit einer intensiven Untersuchung der diversen instrumentalen Stimmungen, vor allem des Klaviers, bei denen die Übertonreihen ebenso wichtig sind wie die Tonhöhesequenzen. Dies stimmt praktisch mit anderen musikalischen Ansätzen zum Minimalismus überein, Ansätze, auf die Young einen eindeutigen Einfluß hatte. Dies gilt auch für seinen Freund Terry Riley, der immer noch im Raum von San Francisco arbeitet, und Steve Reich, der dort ausgebildet wurde und heute in seiner Heimatstadt New York lebt. (21)

Im vergangenen Jahrzehnt ist der musikalische "Minimalismus" zum bestbekannten klassischen Komponistenstil geworden, nicht zuletzt dadurch, daß er das breite Publikum relativ stark anspricht und, zumindest seit Eno, den Rockmusikern leicht zugänglich ist. Von den klassisch-orientierten minimalistischen Komponisten ist vielleicht Philip Glass jener, der am schnellsten Anerkennung fand. Sein Ruhm stammt im wesentlichen daher, daß einerseits seine chromatisch veränderten Rock- und Jazzkompositionen das nicht-klassische Publikum leicht ansprechen, und daß er andererseits eine unwahrscheinlich große Menge an Musik geschrieben hat, die für eine Reihe von Bühnenwerken und Filmen komponiert wurde. Von allen Multi-Media-Aufführungen, zu denen Glass die Musik geschrieben hat, ist sein erstes großangelegtes Stück, "Einstein on the Beach" wahrscheinlich das meist gelobte und einflußreichste. Uraufgeführt beim Festival d'Avignon im Sommer 1976, brachte diese Opernaufführung nicht nur die minimalistische Musik zum ersten Mal in das Umfeld der Bühne (abseits vom Tanz), sondern sie stellte auch im Bereich ihrer Struktur und Fülle ihrer visionären Kraft ein wahres Gesamtkunstwerk dar. Als fünfstündiges Schauspiel, bei dem eine Riesenbesetzung von Sprechern und Tänzern und Glass' eigenes Ensemble mitwirkte, war "Einstein on the Beach" eigentlich eine Zusammenarbeit zwischen Glass und verschiedenen anderen progressiven Künstlern, die in verschiedenen Kunstsparten arbeiteten, unter ihnen die Tänzer Andrew deGroat und Lucinda Childs, die Autorendarsteller Christopher Knowles und Sheryl Sutton, und vor allem – vielleicht von größerer Bedeutung als Glass selbst – der radikale Bühnenschriftsteller Robert Wilson.

"Einstein on the Beach" war Wilsons Schöpfung – die auf seinem Interesse an der Relativitätstheorie und ihrer positiven und negativen Auswirkungen auf die heutige Welt beruhte – und seine Gestaltung. Das Schauspiel wurde durch den eindringlichen Puls und Antrieb von Glass' Partitur zusammengehalten, aber die sozialen und wissenschaftlichen Ideen, die die Szenen miteinander verbanden, und die starren, traumähnlichen Bilder, die diese Szene darstellten, waren zur Gänze von Wilson, einem ehemaligen visuellen Künstler, geschaffen. (22) Es ist nicht ungerechtfertigt, daß Wilsons Bühnenarbeit – gemeinsam mit der von Richard Foreman und der Mabou Mines Troupe – das "Theater der Bilder" genannt wurde. In dieser neuen Schule des Theaters, hängt die Erzählung von der Szene ab, nicht umgekehrt; der übergreifende Gedanke für jedes Stück zeigt sich in einer Reihe von Bühnenbildern, die wie Träume wahrgenommen werden. Dieser Aspekt ist um so wirkungsvoller, wenn er durch Elemente anderer Kunstsparten (Musikbegleitung oder Zwischenspiel, dichterische Sprache, choreographische Bewegung) verstärkt wird; in seiner Perfektion ist das Theater der Bilder ein multimediales Gesamtkunstwerk.

Es scheint eine Ironie zu sein, daß solch eine reich strukturierte Theatererfahrung in einer Zeit ihren Ursprung haben sollte, in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren, als minimalistische Strenge bei den künstlerischen, besonders Mixed-Means-Aktivitäten vorherrschte. Aber in seinen Anfängen war das Theater der Bilder selbst karg und sparsam. Mit der Entwicklung ihrer Arbeit schlossen Wilson, Foreman, Jo Ann Akalaitis von den Mabou Mines und andere Künstler des Theaters der Bilder in zunehmendem Maße Informations- und Wirkungsebenen ein, anstatt sie auszuschließen. Dieselbe Entwicklung fand sich in dieser Zeit auch in der reinen Performance-Kunst, dem auf Zeit basierendem Mixed-Means-Werk, das aus der Auseinandersetzung der visuellen Kunst hervorging. Die Strenge der orthodoxen Conceptual Art wich in den frühen siebziger Jahren dramatischeren und persönlicheren, jedoch nicht weniger systematischen und ablauforientierten Nummern von "Körperkünstlern" wie Vito Acconci, Gina Pane, Rebecca Horn und Dennis Oppenheim. Aus diesen Manipulationen des physischen Ich – die entweder live oder in dokumentarischer Form gebracht wurde – entwickelte sich das Solo-Performance-Medium zu Manipulationen der Personen. Transformationskünstler wie Urs Lüthi, Katharina Sieverding, Wally Stevens und Luciano Castelli in Europa, und Colette, Colin Campbell und Paul Cotten in Nordamerika präsentierten sich als Selbstprojektionen, Bilder von maskierter, verstärkter und pervertierter Identität, die von dem eigenen Ich des Künstlers nach außen projiziert und durch soziale Konvention vermittelt wurden. Lifestyle-Künstler andererseits nahmen in ihrem "wirklichen Leben" ein Alter ego an, indem sie ideale (nicht nur zerrüttete) Personen in soziale und ästhetische Auseinandersetzungen und zusammenbrechende Vernunft und Phantasie projizierten. Die Lifestyle-Künstler, die sich vor allem in kanadischen Zentren wie Toronto (General Idea) und Vancouver (Western Front) gruppierten, aber ebenso in London, New York und anderen Städten auftraten, waren durch ein Kommunikationsnetz der Mail-Künstler miteinander verbunden und bildeten eine stilfreie Bewegung von Fluxus-beeinflußten Intimisten, die danach strebten, unauffällig von den sozial strukturierten Medien zu profitieren (besonders von der Post, obwohl Radio und Fernsehen ebenso Freiwild waren, wenn sie zur Verfügung standen).

Die zunehmende feministische Bewegung erlangte in diesen Darstellungs- und Sozialformen künstlerischen Ausdruck, sei es nun durch die symbolhaften Präsentationen von Ulrike Rosenbach in Deutschland, die politischen Aktionen von Suzanne Lazy in Kalifornien oder die autobiographischen, im Grunde erzählenden, aber äußerst abstrakten und bildhaften Präsentationen vieler Performance-Künstlerinnen in Amerika (zum Beispiel die von Julia Haywards stilisierten Erzählungen von ihrer Kindheit in Florida und in Gegenüberstellung dazu ihr Leben als Erwachsene im Kunstghetto von New York). Einige europäische Darsteller und Darstellerinnen arbeiteten auch mit ihrer eigenen Geschichte; Christian Boltanski zählte zu den bedeutendsten unter ihnen. Andere Performance-Künstler beider Kontinente verschmolzen das tatsächliche Selbst mit dem ihrer Phantasie entsprungenen Ich, wirkliche Geschichte mit erdachter Geschichte und lebten schließlich das Leben ihrer Charaktere als ob sie selbst Teil ihrer eigenen Erzählungen wären. Eleanor Antins Figurengruppen, vom "König" ihrer Stadt in Kalifornien über die schwarze Ballerina, die einst in der Diaghilev-Gruppe tanzte, bis zur Krankenschwester, die ein Leben à la Seifenoper voller Affären und Rettungsaktionen führte, wurden sowohl in fiktiver Zeit und fiktivem Raum (mit Hilfe von Film, Video und Live-Bühne) als auch in wirklicher Zeit und wirklichem Raum (zur Verwirrung der Nachbarn) dargestellt.

Laurie Anderson begann ihre Laufbahn als Performance-Künstlerin irgendwo zwischen Body Art und autobiographischer Kunst (obwohl sie nie darauf zurückgriff, ihre Figuren zu verkörpern). Ihre ersten live-aufgeführten Stücke wurden an öffentlichen Plätzen realisiert und wurden in Planung und Technik komplexer, je mehr sie sich in immer ausgefeiltere Strukturen und immer persönlicheres Erzählmaterial hineinwagte. Nahezu von Anfang an stützte sich Anderson jedoch auf eine Kunstsparte, die wenige ihrer autobiographisch arbeitenden Kollegen verwendeten: die Musik. Ihre erste Darbietung, "Automotive", machte aus einem ehemaligen Konzertpublikum in einer ländlichen Stadt in Vermont ein Orchester. Als klassisch ausgebildete Geigerin begann Anderson ihre Fähigkeiten 1974 in "Dusts on Ice" einzusetzen, einem Freiluftstück, das an diversen Orten um New York (und im darauffolgenden Jahr in Genua) aufgeführt wurde, in dem ihr Spiel von Tonbandmusik begleitet wurde, während sie in Schlittschuhen auf einem schmelzenden Eisblock stand. Anderson sang und erzählte auch autobiographische Geschichten – eine Form, die sie danach in verschiedenen Aufführungen wiederholte und die in der For-Instants-Serie ihren Höhepunkt fand. Diese Veranstaltungen umfaßten Live-Musik, Tonbandmusik und Gesang, stillstehende und sich bewegende Projektionen und elementare Formen der Klang- und Bildtechnik, die Anderson seither so erfolgreich ausgeschöpft hat. In den For-Instants-Aufführungen brachte Anderson ihre ersten vollständig komponierten Lieder vor, komische und wehmütige Erzählungen ihres vergangenen und gegenwärtigen Lebens, in denen sie beständig faszinierende strukturelle Muster des menschlichen Verhaltens, zufällige Ereignisse, und den Ausbau der alltäglichen gewöhnlichen Lebensumstände zu spontanen, erfrischend komischen Situationen erkennen läßt.

Vielleicht als Ergebnis ihrer aktiven Teilnahme an der "Nova Convention" (1978) und anderer Verbindungen mit dem dystopischen visionären Schriftsteller William S. Burroughs, wurde Andersons Weltanschauung um einiges schwärzer, paranoider und stärker auf politische und soziale Themen ausgerichtet. Sie verlor nichts von ihrem Witz oder ihrer musikalischen Differenziertheit, obwohl sie sich nach und nach eine populäre und zugänglichere Musik aneignete. Von allem Anfang an betrachtete Anderson ihre Lieder als Teil des Rock/Folk-Idioms. Der unvorhersehbare Publikumserfolg von "O Superman", einem ihrer Lieder aus United States I–IV, ermunterte Anderson, sich noch eindeutiger dem Rockstil zu verschreiben. Zur gleichen Zeit ermutigte und befähigte sie ihr Erfolg, ihre Konzerte weiterhin als multimediale Aufführungen zu präsentieren, die von der Planung, Form und Technik her ausgefeilter waren, als es je ein normales Rockkonzert sein könnte. Laurie Anderson hatte das Gesamtkunstwerk der Rock-Kunst geschaffen.

Andersons Erfolg in diesem Bereich kam keineswegs überraschend; die Anhänger der Popmusik warteten nur auf eine dichte, lyrische und technisch ausgeklügelte Darbietung wie "United States", eine Aufführung, bei der die "hohe" Kunst der Mixed-Means sich die "niedere" Kunst der Rockmusik zunutze machte. Brian Eno war lange Zeit – mit einigem Erfolg – dafür eingetreten, die Schranken zwischen den beiden Formen der Auseinandersetzung niederzureißen. Das Auftauchen des Punk-Rocks Mitte der siebziger Jahre gewöhnte das Rockpublikum noch stärker an die Idee eines formalisierten, informationsträchtigen Mixed-Means-Bühnenwerkes, das sich um die Rockmusik aufbaute. In seinem spät-minimalistischen Rohzustand kam dieser Vorschlag nicht vom Punk selbst, sondern Punk und die eindringlicheren Körper- und Transformationskünstler beeinflußten einander von Beginn an gegenseitig. Ihre aggressive Projektion und Manipulation des Ich und seiner Gestalt fanden in der absichtlich häßlichen Musik, die von Punk-Rockern und der feindlich gesinnten sozialen Haltung, die sie annahmen, und bei ihrem ähnlich bekleideten und sich ähnlich verhaltenden Publikum ihren Widerhall. Eine Reihe von Performance- und Identitätskünstlern in London, New York und Kalifornien spielten mit Punk-Bands und gründeten sogar welche. Der New Yorker Lichtbildhauer Alan Bermowitz, der auch unter dem Namen Alan Vega bekannt ist, wurde Alan Suicide für seine Gruppe Suicide, und das Londoner Team von Genesis P. Orridge (sic) und Cosey Fanni Tutti (sic), die manchmal brutale Körperkunststücke wie die COUM Transmissions aufführten, spielten in einer frühen und verhältnismäßig erfolgreichen Punk-"Lärm"-Band, Throbbing Gristle. Die Nice-Style-Gruppe, die lebende Bilder darstellte, kündigte sich ebenfalls in London als "die erste posierende Band der Welt" an – nicht notwendigerweise eine Punk-Pose, aber eindeutig ein Fall von Performance-Kunst, die die Aufmachung, die bei Rockkonzerten üblich war, übernahm. (23)

Die zahlreich gegründeten Rock-Clubs, die Punk- und Post-Punk-Musik zur Aufführung brachten, boten Performance- und anderen Künstlern einen neuen und aufregenden Treffpunkt für ihre Arbeit. Diese Clubs begannen in den späten siebziger Jahren (und tun es auch heute noch, wenn auch nicht mit demselben Sinn für Abenteuer), jüngeren und wagemutigeren Künstlern die Möglichkeit zu bieten, ihre Werke außerhalb jener öffentlich finanzierten Galerien zu zeigen, die sie oft einschränkten, wie zum Beispiel die amerikanischen "alternative spaces" und die deutschen Kunsthallen. Die finanziell besser gestellten Clubs stellten auch technisch gut ausgerüstete Bühnen zur Verfügung, wodurch sie die Möglichkeit schufen, kompliziertere Mixed-Means-Vorstellungen aufzuziehen. Die Qualität oder Differenziertheit solcher Aufführungen war nicht immer im gleichen Maß hoch, aber ebensowenig die Qualität und Differenziertheit des Publikums.

Viele der heute interessantesten und bedeutendsten Mixed-Means-Künstler sind aus dieser quasi-populären Umgebung des Punk-Rock und der Dance-Clubs hervorgegangen. Eine ganze Generation von unterhaltungsorientierten Darstellern in Amerika, Charakterkomiker wie Ann Magnuson und Eric Bogosian, begannen, ihre Nummern in diesem kabarettähnlichen Milieu zu entwickeln. Interessanterweise sind einige der begabtesten Mixed-Means-Zeit-Künstler, die mit Ensembles, moderner Technik und anderen Merkmalen des Gesamtkunstwerkes arbeiteten, ebenfalls aus diesem New-Wave-Dance-Club-Milieu hervorgegangen oder sind zumindestens damit in Berührung gekommen. Robert Longo, der den größten Bekanntheitsgrad als Maler und Bildhauer und lange Zeit als Gitarrist in einer New-Wave-Band erlangte, entwickelte fast ein Jahrzehnt lang eine multisektionale, multimediale Aufführung, "Sound Distance of a Good Man", wobei er Bewegungen, Mitwirkende, Medien und besonders Bilder hinzufügte, bis das Werk epische Ausmaße, sowohl was Länge als auch Wucht betrifft, annahm. Mit dem Einsatz der Musik von Peter Gordon und seiner Jazz-Truppe, der Tänzer Bill T. Jones und Arnie Zane, von Sängern, Filmen, projizierten Photographien und anderen live- und elektronischen Elementen drückt "Sound Distance of a Good Man" dieselbe Faszination über und Angst vor der individuellen und institutionellen Macht aus, wie die zwei- und dreidimensionalen Bilder Longos: ein soziales Thema, das in Punk-New-Wave-Sound und Lyrik immer wieder auftaucht. Ebenso behandeln die "Monodramen" von Diamanda Galas mit der Leidenschaft des Post-Punk aktuelle soziale und geistige, feministische, antifaschistische, apokalyptische und ekstatische Themen. Galas, die über eine erstaunliche Stimmbeherrschung und eine ganze Palette von Gesangstechniken verfügt, baut ihre stimmlichen Mittel durch elektronische Modulationen aus und unterstreicht die halluzinatorische Leidenschaft ihrer Stimme und Texte durch dramatische Beleuchtung und abwechselnd als Vampire und Opfer auftretende Bühnenfiguren. Galas, die diese virtuosen Ton- und Licht-Solos sowohl in Jazz- als auch New-Wave-Clubs erstmalig vortrug, zieht nun enthusiastische Massen in Konzerthallen und zu Festivals.

Dieses Zusammentreffen von "ernsten" und "populären" Formen vollzieht sich also sowohl im Unterhaltungs- als auch im Kulturbereich – obwohl der Punk-New-Wave-Club einen wesentlich moderneren und anspruchsvolleren Unterhaltungsrahmen bietet, als zum Beispiel ein für das Fernsehen verfilmtes Rockvideo. Letzteres, ein ganz und gar kommerzielles Medium, hat jedoch Zeichen der Reaktion auf die Mixed-Means-Werke gezeigt, die in hohem Grad in die Clubs eingedrungen sind. Umgekehrt haben Mixed-Means-Künstler seit Laurie Anderson ein neues Interesse an state-of-the-art-Technologie bekundet, sei es, daß sie für die Bühne entwickelt worden war oder nicht. Nun, da Computer praktisch gang und gäbe sind, beinahe so wie Haushaltsgegenstände, wie Telefone und Fernsehapparate, haben Künstler wieder den Zugang zu ihnen gefunden und profitieren in zunehmendem Maße von den immer vielfältigeren Möglichkeiten der Maschine. Es könnte sein, daß in unserer Zeit der Stand der Wissenschaft mit dem Stand der Kunst Schritt halten kann. Es steht jedoch fest, daß eine neue Ära der experimentellen Kunst anbricht, mit neuen Medien und mit alten und neuen Mixed-Means-Formen – die idealen Möglichkeiten, ein Jahrhundert der Innovation zu beenden und ein neues einzuleiten, in dem wir – wie so viele Künstler ankündigen – unsere Existenz entweder gewaltig verbessern oder gänzlich zerstören können.
Los Angeles, August 1988

(1)
Vielleicht sollte ich einige dieser Begriffe definieren, da die einzelnen Autoren solche Neologismen unterschiedlich verwenden. Der Begriff "intermediär" bezieht sich auf Kunst, die Charakteristika von mehr als einer Kunstform zum Ausdruck bringt, wobei sie auf verschiedene sonst eigenständige Disziplinen zurückgreift – die traditionellen, akademischen Techniken der Malerei, Komposition, Dichtung und anderen Kunstformen –, um ein untrennbares Hybrid zu schaffen. Die "multimediäre" Form bezieht sich auf Kunstwerke, in denen verschiedenartige Kunsttechniken überlagert werden; eine Trennung dieser Techniken würde das ursprüngliche Konzept des Werkes zwar zerstören, die getrennten Aspekte fungieren jedoch als verständliche Kunstphänomene und erinnern somit zumindest an das Original. So ist auch die visuelle Dichtung als Intermedium zu verstehen: wenn der visuelle Aspekt beseitigt wird, verbleibt kein verbaler. Die große Oper andererseits ist ein Medienverbund: wenn der Bühnenaspekt beseitigt wird, bleibt die Musik als ein eigenständiges ästhetisches Phänomen – wie das Bühnenbild, die Kostüme, die Poesie und/oder Prosa des Originallibrettos usw. "Mixed Means", wie es hier verwendet wird, bezieht sich sowohl auf intermediale als auch auf multimediale Kunstwerke, während "Zeitkunst" auch die Mixed-Means-Kunstwerke miteinschließt, die Zeit und (oder, in einigen Fällen, anstelle von) Raum umfaßten. Ein Gesamtkunstwerk ist ein Mixed-Means-Kunstwerk, das danach trachtet, viele Kunstformen zu einem überspannenden Ganzen multimedial zu verbinden, oder sie miteinander intermedial zu verschmelzen; die Teile dieses Ganzen können trennbar sein (wie in Wagners Musiktheater) oder nicht (wie in Happenings), aber sie haben eine gemeinsame Quelle und einen gemeinsamen Keim und sind miteinander verbunden von größerer Bedeutung als voneinander getrennt. "Einstein on the Beach", das das Theater von Robert Wilson, die Musik von Philip Glass, die Choreographie von Lucinda Childs und Andrew die Groat usw. miteinander in Einklang bringt, ist ein Beispiel für ein zeitgenössisches multimediales Gesamtkunstwerk; John Cages "Variations V", in dem die Musik aus elektronischen Tönen besteht, die vom Tanz Merce Cunninghams und seiner Truppe ausgelöst werden – die Tänzer werden so zu Instrumenten, die Musik erzeugen –, ist ein Beispiel für ein intermediales Gesamtkunstwerk. zurück

(2)
Die Ursonate unterscheidet sich vom Triadischen Ballett nicht einfach dadurch, daß sie klangliche, nicht visuelle Erfahrung unterbreitet, sondern dadurch, daß die Ursonate vorgibt, Musik zu sein – ja sogar Musik von recht traditioneller Struktur, während das Ballett mit der Musik (die eigens von Paul Hindemith für dieses Stück komponiert wurde) in Einklang gebracht wird. zurück

(3)
Das Vorherrschen der formalistischen Kritik im besonderen über die Kunst und den Tanz in New York, in der Zeit von 1965 bis 1975, trug zu dieser strukturellen Schwerpunktsetzung bei und führte in der Musik zu einer analogen Handhabung der Darbietungen mit Mixed-Means. Das heißt nicht, daß sich solche Kritiker auf musikalische Metaphern beriefen, sondern daß sie in den Aufführungen einen Sinn für geordnete Zeit und einen geordneten Ereignisablauf erkannten (parallel zu Edgard Varèses Beschreibung der Musik als "organisierten Klang"). Die Bezugnahme hier auf ein musikalisches Paradigma soll nämlich nicht andeuten, daß Happenings und ähnliches darauf abzielten, den strengen, leicht erkennbaren Organisationsformeln zu folgen, wie es die meisten Kompositionen noch erkennen lassen, sondern daß Nachkriegsaufführungen mit Mixed-Means die Eingliederung des Ereignisses in Zeitformen betonten, deren struktureller Zusammenhang tatsächlich zumindest Teil des Inhalts der Aufführung ist.zurück

(4)
Nur bei der aufgezeichneten Videokunst war dies nicht generell der Fall; und zudem hat die Musik nur einen verschwindend kleinen Teil der Videokunststücke beeinflußt.

Es muß erklärt werden, daß die Fluxus-Darbietungen als "Konzerte" präsentiert wurden, aus Rücksicht auf den musikalischen Hintergrund vieler ihrer Mitwirkenden und auf die Umgebung, in der sie erstmalig gebracht wurden. Getreu der Form scheuten die Fluxus-Darsteller keine Mühe, indem sie so oft wie möglich Musikinstrumente verwendeten, die sie mit großer Präzision und Förmlichkeit spielten, wobei sie sogar Smokings trugen – um die steifen Konventionen eines Kammerkonzertabends satirisch anzugreifen. zurück

(5)
Der verstorbene Kenneth Coutts-Smith schlug in seinem 1978 geschriebenen Werk allerdings einen anderen Grund für die musikalische Analogie zur und den Einfluß auf die Nachkriegs-Performance-Art vor, insbesondere in bezug auf Happenings und Fluxus-Events. "Happenings und Fluxus (und was das betrifft ihre Prototypen in Dada)", schrieb er, "benötigen nicht grundsätzlich kein Publikum, obwohl meistens eines vorhanden ist. Diese Erkenntnis läßt sofort einen signifikanten und wichtigen Faktor klar werden: die Analogie, die sich hier zeigt (und die implizierten Querverweise), sollte nicht zwischen Performance Art und Drama, sondern zwischen Performance Art und dem Konzert bestehen. Für ihre Existenz benötigt die musikalische Darbietung nicht die Gegenwart eines außenstehenden Publikums. Tatsächlich wird ein Großteil der Musik (wie Kammermusik und solistische Instrumentalmusik) als autonom begriffen und verstanden. Die Künstler können rein zu ihrem eigenen Vergnügen spielen und tun dies auch häufig. Die ästhetische Dimension liegt darin, ein Zuhörer oder Betrachter der eigenen Mitwirkung zu sein."
(Coutts-Smith, Kenneth, Role Art and Social Context, in Bronson A. A., and Peggy Gale, editors, Performance By Artists. Toronto, Art Metropole. 1979, p. 224.) zurück

(6)
In seinem Buch A Primer of Happenings and Time/Space Art (New York: Something Else Press. 1965, p. 94) erzählt der Happening-Künstler Al Hansen, während er sich seine Studien bei John Cage in Erinnerung ruft: "… als ich mein Seminar beendet hatte, erkannte ich, daß sich alle Kunstformen nicht im Filmrahmen treffen (wie Eisenstein behauptet hatte), sondern im Augapfel. Im Kopf des Betrachters, wohl oder übel." Cage hatte, indem er sich auf ein Paradigma berief, das teilweise von der Musik abgeleitet war, teilweise von der Zen-Philosophie, Eisensteins Forderung in Hansens Geist nicht verdrängt, sondern erweitert. zurück

(7)
Unter Cages bekanntesten Aphorismen wurde diese in der "Bibel" der Mixed-Means Mitte der sechziger Jahre zitiert, Marshall McLuhen und Quentin Fiores "The Medium is the Massage" (New York: Bantam Books, 1967). zurück

(8)
Diese Beschreibung von Untitled Event ist eine gekürzte Fassung von jener in Goldberg, Roselee, Performance: Live Art 1909 to the Present. (New York: Harry N. Abrams Inc. 1979, p. 82). zurück

(9)
In einer Anmerkung, die er einer Schallplatte seiner (und Browns) Musik beilegte, beobachtete Feldman, daß er "die graphische Darstellung nie als eine Improvisationskunst angesehen hatte, sondern eher als ein völlig abstraktes Klangabenteuer." (Morton Feldman/Earle Brown. New York: Time Records 58007 oder S/8007. 1961.) zurück

(10)
Karen Frank von Mauer erörtert diese Analogie in ihrer Abhandlung "Mondrian und die Musik im Stijl", erschienen in von Mauer, Karen, Hrsg. Vom Klang der Bilder – Die Musik in der Kunst des 20. Jahrhunderts. (München: Prestel-Verlag 1985, S. 400–407.) zurück

(11)
Zitat aus Nyman, Michael. Experimental Music., Cage and Beyond (New York: Schirmer. Books 1974, p. 48.) Einige Jahre später komponierte Brown tatsächlich ein Werk, in das er ein Calder-Mobile integrierte, und zwar sowohl als Instrument (Perkussion) als auch als Dirigent (durch seine Bewegung). zurück

(12)
Besonders bei Karkoschka, Erhard. Notation in New Music, (New York: Praeger Publishers. 1972.) zurück

(13)
Im Katalog zum geschichtlichen Überblick der elektrisch betriebenen Kunst, Electra (Paris: Les Amis du Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris. 1983, pp. 284–287), die 1983 in Paris aufgeführt wurde, erzählt Billy Kluver kurz die Geschichte seines Programms, Künstler in die Bell Labors einzuführen. zurück

(14)
Verschiedene andere in kleinerem Rahmen angewandte Techniken wurden ebenso untersucht, wie der Biofeedback-Mechanismus, mit Hilfe dessen Alvin Lucier Musik zu produzieren pflegte. zurück

(15)
Laut Kaprows zusammenfassendem Resümee, das der Künstler selbst verfaßte, war 1937 sein Schaffen "ausschließlich environmental geworden" – indem er Licht, Düfte, elektronische Klänge und ungewöhnliche Materialien miteinbezog. Seine beiden letzten Verarbeitungen in der Hansa Gallery (1958) enthielten keine Kunstobjekte als solches, sondern initierten eine Auffassung, die heute unter den Künstlern alltäglich geworden ist. Die "Kunst" wurde eher als Umgebung erlebt, und nicht als Bilder oder Skulpturen, die einfach nur betrachtet werden; eine Umgebung, die den Besucher beschäftigte, ihn Gegenstände bewegen, Schalter betätigen, Hindernisse übersteigen und Essen verzehren ließ. Die nächsten sieben Jahre erweiterte er die Möglichkeiten des Environments (wie man es fortan nannte) in der Smolin Gallery und in der Judson Gallery, die er 1961 leitete. Nach und nach wurde der Schauraum zugunsten von zwangloseren und natürlicheren Schauplätzen aufgegeben, wie z.B. leere Brauereien, offene Felder und Wälder. Aufträge kamen von amerikanischen Universitäten und Kunstinstitutionen anderer Länder.

Er entwarf auch Szenenbilder, Kostüme und die Beleuchtung für die Eileen Passloff Dance Company, und elektronische Klänge für Richard Barrs Produktion von Ionescos "The Killer"; zahlreiche Konzerte der Neuen Musik präsentierten seine Tonbänder. zurück

(16)
In seinem Resümee fährt Kaprow fort:
"Im selben Zeitraum von 1957–1958 entwickelte Kaprow das Happening als eine Erweiterung des environmentalen Begriffs, wodurch er unsere gesprochene Sprache um ein unerwartetes alltägliches Wort bereicherte, und er schuf eine Kunstform, die auf verschiedene Weise auf der ganzen Welt praktiziert wird. Bei Kaprows Form des Happening verschmolzen häufig normale Menschen, normale Zeit und alltäglicher Raum der Straßen und Supermärkte mit beinahe (aber nicht ganz) alltäglichen Aktivitäten, wie dem Tapezieren eines Raumes, dem Graben einer Grube und dem Pulsmessen. Phantasie fehlte niemals, aber es gab immer eine starke Bindung an die gemeinsame Erfahrung. Kunst und Leben wurden miteinander vermischt.

Die Reaktion des Publikums auf den Verlust der klaren Unterscheidungen kam unmittelbar. Kaprows Werk wurde in Fachzeitschriften für Malerei, Dichtkunst, Tanz, Architektur, Musik, Drama und Erziehung erörtert. Das war seiner Meinung nach angemessen: jeder hatte recht. Eine Ausgabe des Time Magazine in den sechziger Jahren traf vielleicht genau ins Schwarze, als sie sein Werk unter der Rubrik "Modernes Leben" erwähnte.

Seit 1958 hat er fast 200 solche EREIGNISSE AUSGEFÜHRT. Angefangen vom Douglass College in New Jersey, seinem ersten öffentlichen Happening, dann 1959 in der Reuben Gallery in New York – einer Performance-orien tierten Gruppe, die er mitorganisierte und die einen beträchtlichen Einfluß auf die Neuen Künste ausübte – wurde sein Werk von wichtigen Institutionen auf beiden Seiten des Atlantiks unterstützt. zurück

(17)
In ihren Methoden wurden sie von der traditionellen multimedialen Methode des Dichtkunst- und Kunsttheaters beeinflußt, das in New York zu dieser Zeit auch vorherrschte. Künstler wie Larry Rivers, Alex Katz und sogar Robert Rauschenberg – wie auch Grooms und Dine selbst – entwarfen Szenenbilder und Kostüme für Dada- und surrealistisch beeinflußte Bühnenstücke von Frank O'Hara, Kenneth Koch und anderen New-York-School-Dichtern. zurück

(18)
Detaillierte Beschreibungen und Diskussionen von Happenings von Kaprow, Whitman, Oldenburg, Dine und Groom, siehe Kirby, Michael, Happenings. (New York: E. P. Dutton & Co. 1965). zurück

(19)
Obwohl Robert Rauschenberg für Szenenbilder und Kostüme mit Merce Cunningham und anderen Tänzern und Darstellern zusammenarbeitete, dauerte es bis 1963, bis er seine eigene happeningähnliche Aufführung schuf. Er realisierte weiterhin bis Ende der sechziger Jahre solche auf Zeit basierende Mixed-Means-Werke – die im Stil eher dem post-Cunningham minimalistischen Tanz entsprachen, als den von der Malerei beeinflußten Happenings von Oldenburg und Whitman. zurück

(20)
Udo Kultermann berichtet, daß die Gutai-Künstler für eine Open-Air-Veranstaltung "in den Kiefernwäldern bei Ashyia City in der Nähe von Kobe große Figuren nach Entwürfen von Atsuko Tanaka bauten und sie von innen mit bunten Lampen beleuchteten. Die Lampen leuchteten rhythmisch auf und erzielten so unterschiedliche Eindrücke, die an Lichtreklamen und Blutkreislauf erinnerten. Ein sich bewegendes Band, das mit Fußabdrücken übersät war, schlängelte sich über den Waldboden einen Baum hinauf. Es gab auch räumliche Konstruktionen, die man betreten konnte, Verkehrszeichen, quallenförmige Erdhügel, Plastik, Seile, ausgestopfte Säcke, die mit Bändern an Bäumen befestigt waren und herabhingen. Im selben Jahr führte Saburo Murakami 'Struggling with the Screen' auf, ein Happening, das ein Element einbezog, das später bei ähnlichen Ereignissen in der ganzen Welt wiederholt wurde: das Durchbrechen und Durchspringen von Papierwänden.

Im Juli 1957 präsentierte die Gutai Gruppe ihr erstes Happening in einem Theater, das sich 'Gutai Art on the Stage' nannte. Die Dokumentationsfilme, die dort von Amateuren gedreht wurden, zeigen Figuren in Masken und Phantasiekostümen in einem Wechselspiel von Maskerade und Striptease-Show. Sie verwendeten Spotlights, Rauschschwaden, Feuer, Wasser und Glühlampen; sie bliesen einen Ballon nach dem anderen auf und zerplatzten sie. Die dritte Theatervorstellung der Gutai-Gruppe, die sie in der Sankai Hall in Osaka 1962 gaben, beinhaltete Happenings, die sich 'Dance for Rock', 'Faces and Signs' und 'Turning Silver Wall' nannten."
(Kultermann, Udo. Art and Life. New York: Praeger Publishers. New York. 1971, pp. 80–81). zurück

(21)
Besonders in den frühen Jahren des minimalistischen Experiments beinhalteten die Komposition und Performances eine ganze Menge von nicht-musikalischer Aktivität, jedoch nur solche, die ein wesentlicher Bestandteil der Klangerzeugung waren. Rileys Arbeiten der späten sechziger und frühen siebziger Jahre wollten akustische Meditationen sein, die in einer Umgebung dargeboten wurden, die diesem meditativen Zustand förderlich war, und Teil von Youngs Klavierkonzerten waren (und sind es auch heute oft noch) die sanften Wechsel von projiziertem Licht und Schatten, Werke seiner Frau Marian Zazeela. Reichs 1966 komponierte "Pendulum Music" besteht aus vier Mikrophonen, die alle über Lautsprechern, an die sie angeschlossen waren, hingen; vier Helfer hielten die Mikrophone so hoch wie möglich und ließen sie dann zur selben Zeit fallen und die Musik bestand aus dem Feedback-Klang, der durch das Herabsausen entstand. Dieses und viele andere Werke, die er Mitte der sechziger Jahre komponierte, wurden von Reich mittels verbaler Beschreibung notiert, und nicht in der traditionellen (wenn auch nachgezeichneten) Notation, die er sonst verwendete. zurück

(22)
Wilson hat häufig Zeichenstudien für seine Theaterstücke in Galerien und Museen ausgestellt, wo sie sowohl wegen ihrer abstrakten formalen Qualitäten wie auch dafür, daß sie die Bühnenereignisse nahe brachten, bewundert wurden. zurück

(23)
Berichte dieser Aktivitäten und der Skandale, die sie manchmal hervorriefen, findet man in Goldberg, Roselee. Performance: Live Art 1909 to the Present. op. cit. pp. 116–122. zurück


Übersetzt von Ines Kveder und Astrid Lackner.