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Ars Electronica 1988
Festival-Programm 1988
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Festival 1979-2007
 

 

Videowelt und fraktales Subjekt


'Jean Baudrillard Jean Baudrillard

Bin ich nun Mensch, oder bin ich Maschine? Es gibt heute keine Antwort mehr auf diese Frage: realiter und subjektiv bin ich Mensch, virtuell und praktisch bin ich Maschine. Dies ist der Urzustand anthropologischer Ungewißheit; man kann ihn – auf anderer Ebene – gut mit dem Zustand der sexuellen Ungewißheit vergleichen sowie mit der radikalen Ungewißheit in den Mikrowissenschaften im Hinblick auf den Status von Subjekt und Objekt. Im Verhältnis des Arbeiters zu technischen Gegenständen und zu Maschinen hingegen gibt es keinerlei Ungewißheit: der Arbeiter steht der Maschine stets in irgendeiner Weise fremd gegenüber und ist daher durch sie entfremdet; er wahrt die Eigenschaft des entfremdeten Menschen. Durch die virtuellen Maschinen und die neuen Technologien jedoch bin ich keineswegs entfremdet. Sie bilden mit mir einen integrierten Schaltkreis (dies ist das Prinzip des Interface). Groß- und Mikrocomputer, Fernsehen, Video und selbst der Fotoapparat sind, wie Kontaktlinsen, durchsichtige Prothesen, die derart in den Körper integriert sind, daß sie fast schon genetisch zu ihm gehören, wie etwa Herzschrittmacher (oder auch jener berühmte "Papoula" von Philip K. Dick: ein kleines Implantat für Reklame, das bei Geburt in den Körper des Menschen eingepflanzt wird und ihm als quasi-biologisches Alarmsignal dient). Die Verbindung mit einem "intelligenten" Termin ist – gewollt oder nicht – von derselben Art: es entsteht eine Struktur der Unterordnung (nicht der Entfremdung), ein integrierter Schaltkreis. Was dabei die Qualität des Menschen oder der Maschine ausmacht, ist ununterscheidbar. Das Virtuelle im allgemeinen ist weder real noch irreal, weder immanent noch transzendent, weder innen noch außen; es verwischt all diese Bestimmungen.

Ob der unglaubliche Erfolg der Videokultur und der künstlichen Intelligenz nicht von dieser exorzistischen Funktion herrührt, von der Tatsache, daß sich endlich das ewige Problem der Freiheit nicht einmal mehr stellt? Bin ich Objekt, bin ich Subjekt? Bin ich frei, bin ich entfremdet.) Kein Problem mehr mit den virtuellen Maschinen! Weder seid ihr Subjekte, noch Objekte, weder frei, noch entfremdet.

Die Menschen phantasieren über intelligente Maschinen oder stellen sie her, weil sie insgeheim an ihrer eigenen Intelligenz verzweifeln oder unter der Last einer monströsen und unnützen Intelligenz zusammenbrechen: also treiben sie sie aus und den Menschen ein, um damit spielen und darüber lachen zu können. Diese Intelligenz Maschinen anzuvertrauen, befreit uns in gewisser Weise von jeglicher Anmaßung umfassenden Wissens, gleichwie wir über die Anmaßung, Menschen zu regieren, lachen können, wenn wir die Macht Politikern anvertrauen.

Die Menschen träumen – wider jede Einsicht – von genialen und schöpferischen Maschinen, weil sie an ihrer eigenen Schöpferkraft verzweifeln, oder weil sie es vorziehen, sich ihrer Schöpferkraft zu entledigen, um erst über Maschinen vermittelt deren Nutznießer zu werden. Denn was diese Maschinen bieten, ist zuvorderst das Schauspiel des Denkens, und die Menschen frönen lieber dem Schauspiel des Denkens als dem Denken selber.

Übersetzung: Matthias Rüb