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Ars Electronica 1988
Festival-Programm 1988
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Festival 1979-2007
 

 

Die mechanische Bauhausbühne


' Theater der Klänge Theater der Klänge

Kurt Schmidt: "Das mechanische Ballett" (1923)
Laszlo Moholy-Nagy: "Die mechanische Exzentrik" (1924)


Das Programm wurde erstellt durch:

DAS MECHANISCHE BALLETT:
Inszenierung: Jörg U. Lensing
Assistenz: Gudula Schröder
Musik: Hanno Spelsberg (M. Ballett)
Musiker:
Hanno Spelsberg (Klavier)
Axel Heinrich (Schlagzeug)
N. N. (Violine)
Kostüme: Ernst Merheim und Udo Lensing
Licht: Sascha Hardt
Filmerstellung:
Version 1: Interpretation des Typofoto "Dynamik der Großstadt" von L. Moholy-Nagy: Josef Schiefer
Version 2: Umsetzung des Typofoto "Dynamik der Großstadt":
Buch: Jörg U. Lensing
Sascha Hardt
Regie: Sascha Hardt
DIE MECHANISCHE EXZENTRIK:
Ablaufpartitur, Inszenierung: Jörg U. Lensing
Assistenz: Gudula Schröder
Bühnenkonstruktion, Mechanische Aggregate: Jürgen Steger
Musik: Jörg U. Lensing
Klangregie: Thomas Neuhaus
Choreographie: Malou Airaudo (Menschmechanik)
Kamera: Herbert Twardy
In unverzichtbarer Zusammenarbeit an allen Arbeiten von: Claudia Auerbach, Sascha Hardt, Jacqueline Fischer, Jörg Lensing, Ernst Merheim, Thomas Neuhaus, Tanja Nie, Gudula Schröder, Hanno Spelsberg
Choreographische Beratung: Malou Airaudo und Heide Tegeder
DIE MECHANISCHE BAUHAUSBÜHNE
Warum gibt sich ein neugegründetes Theaterensemble daran, sich mit einer Theaterästhetik der zwanziger Jahre zu beschäftigen, die bis heute nur wenig Gewicht im öffentlichen Theaterleben hatte?

Gemessen an der Fortsetzung von Tradition im Bereich des Tanztheaters, was sich bewußt auf den expressionistischen Tanz der zwanziger Jahre beruft, oder an der immensen Bedeutung Bertolt Brechts für das Sprechtheater, sind die Entwicklungen der "Bauhausbühne" nach dem Zweiten Weltkrieg so gut wie nicht fortgesetzt worden. Mit Zerschlagung des Bauhauses 1933 durch die Nationalsozialisten starb diese richtungweisende Institution bis heute. Eine Renaissance des Bauhauses in den fünfziger Jahren brachte mehr oder weniger eine ökonomischen Zwängen gehorchende und oftmals auch mißverstehende Adaption von Entwicklungen des Bauhauses im Bereich Design und Architektur. So werden heute zu Recht die Massensozialbauten der fünfziger und sechziger Jahre (Trabantenstädte) als inhuman und ästhetisch verfehlt angesehen, obwohl sich deren Architekten auf das Bauhaus beriefen. Ähnlich verhält es sich im Design, welches nur oberflächlich "Bauhausstil" mit Nierentischästhetik paarte und diese Mischung als "Wirtschaftswunderschönheit" verkaufte. Im Theaterbereich hat es zaghafte Adaptionen von Oskar Schlemmers Bühnenarbeiten gegeben. Erst Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre hat es mit einer zweiten Renaissance des Bauhauses auch eine intensivere Beschäftigung mit den Originalen gegeben. Im Zuge davon sind sowohl im Bereich des Design als auch im Bereich der Innenarchitektur Rekonstruktionen von Originalen erarbeitet worden, die über industrielle Fertigung sogar einer großen Käuferschicht zuteil wurden, ohne deswegen an Qualität einbüßen zu müssen.

Größte Überraschung aber ist die intensive Beschäftigung mit der Arbeit an der Bauhausbühne. So entstanden neben der künstlerisch sehr wertvollen Rekonstruktion der Bauhaustänze sowie des Triadischen Balletts von Oskar Schlemmer durch den Choreographen Gerhard Bohner auch Rekonstruktionen des Stückes "Mann" von Lothar Schreyer, "Bilder einer Ausstellung" von Wassily Kandinsky und "Blaugrau bleibt Blaugrau" von Andor Weininger. Einhergehend mit der Erarbeitung dieser Stücke gab es bei den Berliner Festspielen ganze Festspielkomplexe zu zeitgleichen Strömungen wie Futurismus und Symbolismus, verbunden mit entsprechenden Theaterrekonstruktionen.

Interessanter Aspekt dieser Beschäftigung mit Theater ist, daß diese Arbeiten in keinem Fall von Theatermachern geleistet wurden, sondern von Choreographen, Künstlern und Komponisten. Es scheint wieder ein Bedürfnis, sowohl der Macher als auch des Publikums, nach spartenübergreifender Bühnenarbeit zu geben!

Bei aller Rekonstruktionsarbeit ist ein radikaler Ansatz der Bauhausbühne bis heute nicht wieder aufgegriffen worden. Die Utopie des Totaltheaters in Form einer "Mechanisierung" der Bühnenhandlung. Grund hierfür wird wohl eine grundlegend andere Haltung heutiger Künstler zu Technik und Mechanik sein, als dies in den zwanziger Jahren der Fall war. Der damaligen, bis in die sechziger Jahre hinein allgemein verbreiteten Fortschrittsgläubigkeit steht heute eine tiefe Skepsis und ein Unbehagen allem Perfektionierten, Automatisierten gegenüber. Zu Recht, haben doch gerade die Katastrophen der jüngsten Zeit gezeigt, an welchen lebensbedrohenden Abgrund die Menschheit mit dieser Technikgläubigkeit geraten ist. Und trotzdem: Kann eine ästhetische Utopie damit beantwortet sein? Oder gilt es vielmehr diesen Ansatz erneut auf einen inhaltlichen Wert in bezug auf Wahrheit, auf eine innere Stimmigkeit, auf Schönheit zu prüfen? Und: Welches Gewicht hat der Mensch in einem solchen Kontext?

Das sind Fragen, die für uns Herausforderung einer künstlerischen Beschäftigung sind. Gerade der Umgang mit dem mechanisierten Totaltheater, in Bewegung gesetzt durch den Menschen und schließlich mit ihm kontrapunktiert, ist der Boden für eine intensive künstlerische wie menschliche Zusammenarbeit von Tänzern, Schauspielern, Musikern und Künstlern.

Dabei sind die Momente der Disziplin in der Arbeit, der Kommunikation untereinander, der Sensibilität in der Gestaltung einer Figur, der Komposition von Dramaturgie und des Ineinanderfügens der heterogenen Materialien die intensivsten und spannendsten für uns.

Und oben an steht für uns, die wir meistens in den existierenden Theatern gelangweilt werden, immer die Frage: Was ist das eigentlich Wesentliche an THEATER? Die mechanische Bauhausbühne ist dabei eine erste Antwort in Form eines reichen und doch reduzierten Theaters.

Bei aller Mechanik ist es jedoch der Mensch bzw. die Menschen, die der Mechanik das Wesen des Theaters verleihen.

Der Mittelpunkt einer nächsten Antwort, in Form eines armen Theaters, wird eben dieser Mensch mit all seinem Reichtum an darstellerischen Möglichkeiten sein!
Jörg U. Lensing
KURT SCHMIDT:
DAS MECHANISCHE BALLETT, SEINE ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG
Gera, den 14. September 1961. Über den Aufsatz von Hermann Dannecker über "Oskar Schlemmer und die abstrakte Bühne" wäre folgendes zu sagen.

Das "Mechanische Ballett" wird jetzt "Bühnenorganisation mit einfachen Formen" genannt. Diese neue Bezeichnung ist genauer, denn unter etwas Mechanischem versteht man etwas nur Maschinelles, dies war nicht beim Mechanischen Ballett, denn die Formen wurden von Menschen bewegt. Der ursprüngliche Titel "Mechanisches Ballett" wird aber hier weiterbehalten.

Die Bühnenarbeit am Weimarer Bauhaus begann mit Lothar Schreyer 1922. Da ich die Vorarbeit Schreyers nicht kannte und nicht bei der Aufführung anwesend war, ist es mir nicht möglich, eine eigene Meinung zu dieser Bühnenarbeit zu haben. Wie ich nach meiner Rückkehr nach Weimar erfuhr, war die Aufführung abgelehnt worden. – Zu expressionistisch und zu mystisch, wurde mir gesagt.

Im Saal der Kunstgewerbeschule in Hamburg erlebte ich 1919 zwei Aufführungen der Kampfbühne von Lothar Schreyer. Erinnerlich ist mir nur Hölderlins "Empedokles". Die andere Aufführung war ein Stück von August Stramm. Im Empedokles war in Schreyers Inszenierung ein Bemühen um das Wortmusikalische und die Verbindung von Wort und Bewegungsausdruck zu fühlen. Schreyer hatte, meiner Meinung nach, den Fehler gemacht, zu expressiv zu sein und wirkte dadurch hysterisch in der Steigerung über das Naturgegebene hinaus. In der Erinnerung höre ich nur noch Schreie und unverständliche Worte. Bei der ganzen Aufführung habe ich nicht ein Wort verstanden, aber doch den Eindruck von außerordentlich gewaltig gesteigerten Gefühlsausdrücken gehabt. Im Gegensatz hierzu erlebte ich in Gera eine Aufführung von Bert Brechts Antigonebearbeitung nach Hölderlin. Inszenierung hatte Intendant Tickart. Wenn leider auch, besonders in den Chören, vieles nicht zu hören war und die Worte verschwammen, so war doch die Brechtsche Antigone so dramatisiert worden, daß die engste Verbindung von Zuhörer und Bühne erfolgte, und auch Inszenierung und Bühnenbild waren eindrucksvoll. Es war nicht das Griechenland des Perikles, das Goethe mit der Seele suchte, sondern das Griechenland Mykenes, finster und unheildrohend. Bei Schreyer erlebten die Zuschauer etwas völlig Unverständliches.

Das nächste Bühnenereignis war 1922, Oskar Schlemmers "Figurales Kabinett". Es wurde bei einem phantastisch, künstlerisch gestalteten Bauhausfest uraufgeführt. Im Zusammenklang der Maskenkostüme der Zuschauer und des Bühnengeschehens gab dies einen festlichen, heiteren und freudigen Ausdruck. Im Figuralen Kabinett, Schlemmer selbst in einem triadischen Kostüm, tänzerisch beschwingt und formvollendet. Dazu wurden im Hintergrund figürliche Formen vorbeigezogen, trafen sich, trennten sich und bewegten sich miteinander. Waren aber von der menschlichen Bewegung getrennt, dies geschah erst im Mechanischen Ballett, das hier seine erste Anregung hatte.

Die Wandmalerei, in der ich am Bauhaus tätig war, arbeitete in Berlin im Haus Otte in Zehlendorf. Hier waren zwei Ereignisse von großem Eindruck für mich. Die Ausstellung der Juryfreien im Lehrter Bahnhof machte zum ersten Male mit den sowjetischen Konstruktivisten bekannt. Es war dasselbe Bemühen wie am Bauhaus um klare und reine Formen im Ausdruck unseres technischen Zeitalters. Am Bauhaus war Oskar Schlemmer in seinen nicht figürlichen Plastiken zu einem harmonischen Zusammenklang der Formen gekommen und den Konstruktivisten am nächsten verwandt. In richtiger Erkenntnis wurde später Moholy von Gropius ans Bauhaus berufen. Die Idee des Mechanischen Balletts war plötzlich da, als die Vorarbeiten zur Bauhausausstellung begannen und auch die Entwurfsarbeit ging schnell nacheinander hinweg. Mit den Entwürfen, die im Bauhausbuch "Die Bühne im Bauhaus" abgebildet sind, begann ich gleichzeitig und in mühevoller Tag- undNachtarbeit – ich habe damals manchmal fast nicht geschlafen, so hatte einen die Arbeitsfreude gepackt – wurden diese fertiggestellt. In der Bauhausausstellung waren noch viel mehr Entwürfe für die abstrakte Bühne von mir, als im Buch abgebildet wurden. Da Inflationszeit war, kam manchmal noch der Hunger und an Geld hatte man so gut wie nichts. Es war eine Zeit herrlichster Begeisterung und glücklichster Zusammenarbeit mit Studierenden, die ich hier Freunde nennen möchte, die selbstlos zum Gelingen des Mechanischen Balletts beitrugen. Aus diesem Grunde habe ich auch Bogler und Teltscher mitgenannt. Bogler schuf die technischen Voraussetzungen und Teltscher war tänzerisch sehr gut und trug mit seinem Kostümentwurf (Tänzermensch schwarz, weiß, grau; Anm. TdK) auch zum Gelingen mit bei.

Meine Arbeit für die Bauhaus-Ausstellung habe ich ganz für mich allein geschaffen, kein Lehrer gab Korrektur. Nur der Gedanke, alles zum besten der Bauhausausstellung zu geben, war der herrliche Gedanke, der alle, die wir damals in Weimar waren, beseelte. Es war die schönste Zeit meines Lebens. Also war die Ausstellung der Juryfreien die zweite Anregung für meine damalige Bühnenarbeit.

Das Mechanische Ballett war fertiggestellt, ehe ich das Triadische Ballett von Schlemmer zur Bauhausausstellung sah. Von der Probearbeit in Jena fuhren wir mit dem Zug nach Weimar. Ins Theater gerannt, um zu Beginn da zu sein. Während der Aufführung auf einem ungünstigen Platz im Rang ganz hinten stehend, erlebte ich die Aufführung. Das Triadische Ballett von Oskar Schlemmer mit seiner gelben, rosa und schwarzen Reihe war formvollendetste Kunst und ein unvergessenes Erlebnis. In Worten kann man diesen Eindruck nicht wiedergeben.

Eine weitere Anregung für das Mechanische Ballett verdanke ich Oskar Schlemmer. Dieser sagte mir eines Tages: "In Belvedere (bei Weimar) hat Öser im Teehaus Chinesen gemalt und diese durch Schattengebung plastisch vor der Wand abgesetzt, also eine plastische, illustionistische Malerei geschaffen. Wir wollen dies doch auch einmal versuchen."

Ich fertigte einen Entwurf, der dann mit Schlemmers Zustimmung in gemalter plastischer Form komponiert wurde. Für diese Anregung muß ich dankbar sein, denn durch die illusionsplastische Wirkung der gemalten Schatten bekamen die Formen ein Eigenleben. Sie lösten sich sozusagen von der Wand ab und wurden selbständig. Im Vorkurs von Johannes Itten hatte sich bei mir, wie auch bei vielen anderen Bauhausangehörigen, die abstrakte, rein auf die Formen beschränkte Malerei entwickelt. Nun malte ich keine Öserschen Chinesen, sondern gestaltete reine, aus dem Kreis und dem Quadrat gekommene Formen, die sich durch die Schattengebung voneinander absetzten und, wie schon gesagt, selbständig geworden waren. Im Mechanischen Ballett wurden dann die Einzelformen mit den menschlichen Bewegungsmöglichkeiten verbunden. Wie bei den Maschinen mußten sich dann die Figurinen in einem gleichmäßigen Rhythmus bewegen und miteinander abstrakte Figurationen bilden. In gewissem Sinne konnte man schon von mechanischen Abläufen sprechen.

Das Mechanische Ballett, das aus dem Gefühl geschaffen wurde, daß technische Formen der vom Menschen geschaffenen zusätzlichen Organe schön sind wie die Naturformen, wurde vom Nationalsozialismus in den Leipziger Neuesten Nachrichten abgebildet, als die Ausstellung "Entartete Kunst" in Leipzig stattfand. Ich habe mir diese die Kunst diffamierende Ausstellung nicht angesehen. Mein bereits vorhanden gewesener Angstkomplex während der Zeit des Nazismus wurde dadurch noch gesteigert.

Eine weitere Abbildung aus dem Buch "Bühne im Bauhaus" (Szene aus Hippopotamo) wurde in der Nazizeit als Beispiel entarteter Kunst auf einer gedruckten Wandzeitung mit anderen Kunstwerken abgebildet und diffamiert.

In dieser Szene wollte ich ausdrücken, daß die Technik, wenn sie der Menschheit hilft, gut ist; dient sie im Kriege der Vernichtung, ist sie ein alles zerstampfender Hippopotamos.

In Zürich auf der Ausstellung "Oskar Schlemmer und die abstrakte Bühne" wurde das Mechanische Ballett unter der schon genannten Bezeichnung "Bühnen-Organisation mit einfachen Formen" ausgestellt.

Aufführungen des Mechanischen Balletts fanden 1923 in Jena und Weimar, hier vor dem Werkbund, und 1924 in Berlin zum Kostümfest der Juryfreien Kunstausstellung statt.

Abschrift im Bauhaus-Archiv nach einer Naßkopie – Berlin, den 25.2.1987
Korrigiert nach Bearbeitung von Kurt Schmidt vom 28.8.1987 für die Veröffentlichung im Programmheft des Theater der Klänge.
MECHANISCHE EXZENTRIK
LASZLO MOHOLY-NAGY
Eine Synthese von Form, Bewegung, Ton, Licht (Farbe).

Das bisherige Theater ist Mitteilung von Geschehnissen (Bericht) oder Lehren (Propaganda). Form, Bewegung, Ton, Licht (Farbe) waren vollkommen dieser Mitteilung oder Propaganda untergeordnet. Das Erzählungsdrama der Frühzeit wuchs rasch zum Aktionsdrama, und so begannen die Elemente der Bewegungsdrama-Gestaltung sich zu klären. Das heißt der ursprüngliche Zweck des Dramas: Bericht, Propaganda wurde langsam ausgeschaltet, und die Mitteilung versuchte man primär zu gestalten.

Bei August Stramm entwickelte sich das Drama zum Beispiel zu Explosionen, wo nicht mehr Mitteilung, nicht mehr Propaganda, nicht Charaktere gestaltet werden sollten, sondern schon Gestaltungsversuche an Bewegung und Ton (Sprache), allerdings noch durch die Stoßkraft menschlicher Energiequellen (Leidenschaft).

Das Theater gab bei Stramm keine richtig erzählbare Geschichte, sondern etwas anderes: Aktion und Tempo, welche ohne Vorbereitung aus dem Impuls des Bewegungswunsches fast automatisch und in quellender Folge hervorbrachen, obwohl noch mit literarischer Belastung.

Das dadaistische und futuristische Theater der Überraschungen ist noch weiter gegangen, indem es versucht hat, das Literarische ganz zu streichen. Aber in diesen Stücken spielen noch die menschlichen Leistungen – ebenso in der Aktion wie in der Rezeption – die Hauptrolle.

Demgegenüber soll das heutige Theater mit der unauflösbaren Einheit der dynamisch-kontrastierenden Phänomenrelation von Form, Bewegung, Ton und Licht gestaltet werden.

Die Konsequenz ist, daß es mit dem Theaterschriftsteller und mit seiner Literatur zu Ende sein muß.

Form-, Bewegungs-, Ton- und Lichtgestaltung einer dynamischen Aktionskonzentration wird die mechanische Exzentrik sein.

Demgegenüber ist die heutige Exzentrik nur eine auf den menschlichen Mechanismus bezogene Bewegungsorganisation. Ihre Wirkung besteht im wesentlichen darin, daß der Zuschauer erstaunt oder erschrocken ist über die ihm vorgeführten Möglichkeiten seines eigenen Organismus (Material = Mensch), also vollkommen subjektive Wirkung. Dem objektiven Gestaltungswillen gegenüber ist dieses Material aber unerhört begrenzt, und da es in dieser Begrenzung zudem noch mit sekundären (literarischen) Elementen vermischt ist, bietet es ihm verhältnismäßig nur ganz minimale Möglichkeiten. Allerdings ist unsere Zeit als Übergangsperiode ziemlich günstig für diese Art menschlicher Überraschungen, und zwar auf einem spannenden Niveau, das erreicht wird durch selten gebrauchte, überkultivierte Form (amerikanische Clownerie, Chaplin, Fratellini usw.).

Die richtige heutige Forderung ist: eine wirkliche Form- und Bewegungsorganisation, welche gleichwertig den heute erzeugbaren akustischen und optischen (elektrischen) Phänomenen beigeordnet ist und die Bewegung nicht als Träger literarischer und gefühlsmäßiger Ereignisse mißbraucht.

(Aus einem gleichnamigen Bauhaus-Sonderdruck, um 1924/25.)

Der Film, welcher Bestandteil der Mechanischen Exzentrik ist, wurde nach einer Skizze aus dem Jahr 1921/22 von Moholy-Nagy realisiert, welche den Titel "Dynamik der Groß-Stadt" trägt.

Dynamik der Groß-Stadt
Die Manuskriptskizze Dynamik der Groß-Stadt entstand im Jahre 1921/22. Der Film "Dynamik der Groß-Stadt" will weder lehren noch moralisieren noch erzählen; er möchte visuell, nur visuell wirken. Die Elemente des Visuellen stehen hier nicht unbedingt in logischer Bindung miteinander; trotzdem schließen sie sich durch ihre fotografisch-visuellen Relationen zu einem lebendigen Zusammenhang raumzeitlicher Ereignisse zusammen und schalten den Zuschauer aktiv in die Stadtdynamik ein.

Ziel des Filmes: Ausnutzung der Apparatur, eigene optische Aktion, optische Tempogliederung – statt literarischer, theatralischer Handlung: Dynamik des Optischen. Viel Bewegung mitunter bis zur Brutalität gesteigert.

Laszlo Moholy-Nagy aus "Malerei, Fotografie, Film" Bauhausbücher 8, München 1928

Mitwirkende:
Conférencier: Jörg U. Lensing
Das mechanische Ballett
Windmühle: Claudia Auerbach
Maschinenwesen: Laura Wissing
Lokomotive: Jacqueline Fischer
Tänzer: Christina Numa
Kleiner: Rainer Behr
Klavier: Hanno Spelsberg
Schlagzeug: Axel Heinrich
Posaune: Peter Arnolds
Lichtregie: Sascha Hardt
Choreographie und Inszenierung: Jörg U. Lensing
Assistenz: Gudula Schröder, Jacqueline Fischer
Musikkomposition: Hanno Spelsberg
Figurinen:
Entwurf: Kurt Schmidt (1923)
Umsetzung: Ernst Merheim
Anfertigung: Udo Lensing
Choreographische Beratung: Malou Airaudo, Heide Tegeder

Die mechanische Exzentrik
Drahtzieher: Gudula Schröder, Laura Wissing, Hanno Spelsberg, Jürgen Steger, Claudia Auerbach
Clownerie: Axel Heinrich
Menschmechanik: Rainer Behr
Licht und Diagestaltung: Sascha Hardt
Filmprojektor: Jacqueline Fischer
Klangregie: Thomas Neuhaus
Verfolger: Christina Numa
Ablaufpartitur und Inszenierung: Jörg U. Lensing
Assistenz: Gudula Schröder
Bühnenkonstruktion und mechanische Aggregate: Jürgen Steger
Neonlichtobjekt (Bühne 3): Jürgen Lit Fischer
Musik: Jörg U. Lensing
Musik von Minute 6–8
Elektroapparate: Thomas Neuhaus
Kostüme: Janina Mackowski
Filmerstellung Version II: Sascha Hardt
Choreographie und Menschmechanik: Malou Airaudo