MAeLSTROMSÜDPOL
'Erich Wonder
Erich Wonder
/
'Heiner Goebbels
Heiner Goebbels
/
'Heiner Müller
Heiner Müller
Idee, Inszenierung: Erich Wonder Musik, akustische Produktion: Heiner Goebbels Text: Heiner Müller
Stimme: David Bennent Gitarre: Rene Lussier Saxophone, Tarogato: Peter Brötzmann Schlagzeug, Darbouka: Peter Hollinger Synthesizer, Programming: Heiner Goebbels
Projektleitung: Elisabeth Schweeger Künstlerischer Mitarbeiter: Bernhard Kleber Inspizienz: Heidi Rasche
VOEST-ALPINE Gesamtkoordination: Fritz Orasch Projektleitung: Wilhelm Danninger Koordination Verkehrsbetriebe: Alfred Rubitzki Koordination Hochofenbetriebe: Werner Teubl
Schiff: DDSG Linz Licht- und Tontechnik: Gerhard Englisch Pro Show, Linz Pyrotechnik: Ing. Alfred Pokorny, Sollenau Musikaufnahmen: Peter Fey im F.TF-Studio, Frankfurt Sprachaufnahmen: Heiner Goebbels und Tonstudio Bauer, Ludwigsburg Montage, Abmischung: Heiner Goebbels und Jürgen Hiller, unicorn-Studio, Frankfurt Auftragswerk von Ars Electronica (LIVA, Brucknerhaus Linz), in Zusammenarbeit mit VOEST-ALPINE und ORF-Landesstudio OberösterreichZWISCHENRÄUME/NACHBILDER ERICH WONDER Geschichten erzählen sich nicht mehr Gerade da mein Beruf sehr viel mit äußerlichen Dingen zu tun hat, sind für mich Bilder immer als Reibungspunkt des vermeintlich Gegensätzlichen, sozusagen als Fluchtorte, wichtige Bezugspunkte gewesen. Der rote Raum in der Hamburger Ausstellung "Inszenierte Räume" war z.B. ein weitergedachtes rotes Bild von Mark Rothko ein Einstieg vom gemalten Raum in die Bewegung einer anderen Zeit, der Einstieg vom gemalten Raum in die Erzählweisen "anderer" Geschichten, die nicht mehr mit illustrativen Mitteln sichtbar gemacht werden können.
Bilder – als Tor zum Einstieg in die Träume, die Geschichte und die imaginären Reisen. Eintauchen z.B. in Farbe – Farbe als fiktiver Raum, alles hinter sich lassend, den Begriff "Interpretation" als sich selbst überholender, sinnloser Begriff über Bord werfend, versucht sie Geschichten zu erzählen, ohne sie vordergründig sichtbar zu machen. Große Geschichten entstehen in den Köpfen und werden nicht illustriert.
Geschichten muß man sehen wollen. Sie erzählen sich mit schnellen "Nachbildern", die beim schnellen Schließen der Augen entstehen, wenn man lange ins grelle Licht geschaut hat. Die "Nachbilder" verschwinden langsam und ziehen den Betrachter in dunkle, fremde Welten hinein. Man taucht mit einem imaginären Unterseeboot ein, läßt sich fallen, gleitet, schwebt, taucht wieder in versunkene Städte, in nicht malbare Räume, die zwischen größtmöglicher Illusion und extremster Abstraktion etwas Drittes entstehen lassen. Geschichten erzählen, ohne sie darzustellen, ein Bild, ein Raum, ein Flug, gleichzeitig, alles ist möglich – der Betrachter wird nicht mit der "Endlösung" konfrontiert; er wird hineingezogen ins Geschehen, wird zum Bestandteil der Szene. Schon nach den ersten Blicken muß er richtig sehen können. Es ist die Sehnsucht, einen Theaterabend nicht zu illustrieren, sondern Sprache und Bilder und Bewegung aufzunehmen, um sie später, vielleicht nach Wochen, im Kopf neu zu erleben und mit diesem Glücksgefühl eine Weile zu verbringen. Gehörtes, Gedachtes und Gesehenes für sich vollkommen neu erfinden und damit leben.
Interessant sind nie die klaren Fronten, sondern die Brüche, Widersprüche, Spiegelungen. Aus extremen Gegensätzlichkeiten kann etwas Neues, Frisches, Drittes entstehen – im Kopf. Extreme Spannung zwischen größter Stille und äußerster Bewegung, die als Drittes wieder zu großer überlegter Stille wird. Tarkowskis nächtliche Fahrt in "Solaris", eine Fahrt auf Highways in ständigen Zwischenbereichen, bestehend aus ewigem Eintauchen-Auftauchen-Eintauchen-Auftauchen, der Nachtflug durch tausend Tunnels, durch tausend Lichthöfe, Eintauchen in Lichtmeere. Ewiges Wechselspiel zwischen blendenden Lichtschleusen und extremer Finsternis. Nie völliger Tag – nie völlige Nacht. Monochrome Räume, die das Fliegen lernen. Eintauchen in dumpfe Farbräume – sich darin verlieren, sich wälzen. Ob Traum oder Wahrheit ist nicht mehr die Frage. Die wahren Geschichten sind nie mehr die Hauptmotive, sie nisten in den Zwischenräumen. Aufregender ist das Danach, das Davor oder das Dazwischen. In dieser perfekt illustrierten Welt werden die Zwischenräume immer wichtiger und interessanter. Plätze für anarchistische Phantasien.
Der Grenzbereich also ist das aufregende Feld des Unausgesprochenen, des "noch nicht zu Tode Erzählten". Geschichten erzählen sich nicht mehr im alten Sinn. Die Geschichte gibt es nicht mehr. Geschichten werden durch fiktive Bewegung erzählt. Umkehrungen erzählen heute mehr als sture Logik. Außenräume werden zu Innenräumen, Innenräume finden draußen statt. Statik entsteht durch Bewegung. Dunkelheit entsteht durch Licht. Eine neue Wirklichkeit. Der Betrachter wird kreativer Teil des Bildes, einmal eingetaucht, kann er sich nicht mehr entziehen, er begibt sich auf die Reise – eine Reise durch und mit den Räumen als Bewegung. Räume, die sich und ihre Umgebung ständig verändern. Raumbewegung als konsequente Zertrümmerung der einmal gedachten ästhetischen Lösung. Eine Reise, um aus dem Getto des festgefrorenen ästhetischen Augenblicks auszubrechen. Bei dieser Reise trifft der Blick vielleicht einen noch nie gesehenen Ausschnitt, formuliert eine Sequenz, behauptet in der Aneinanderreihung von möglichen Bildausschnitten die Vielfalt der Einsichten, möglichen Erlebnissen und bringt uns über die Unmöglichkeit einer klaren Sicht zu neuen ästhetischen Abenteuern.
Ruhe regt zur Phantasie an – Monochromität zur Handlung – der stille Raum der Nacht fordert auf zur lichtstarken Projektion Das vordergründig statische Bild erweist sich als rotierendes Raumerlebnis. Die mögliche Ruhe entsteht erst durch Bewegung. In dieser Reise ist alles möglich, nichts kann wahr sein. Jeder Versuch einer Vereinheitlichung und die Sehnsucht nach Harmonie, der viele (Künstler?) nachjagen, ist absurd und weltfremd. Die einzig wahre Kunst besteht heute in ihrem Widerspruch.
Zum Zeitpunkt des höchsten Glücks und des größten Unglücks sich in die beweglichen Bilder hineinzufressen, sich an ihnen stoßen und sich in ihnen verstecken.HEINER GOEBBELS ZUSATZBEMERKUNG In dem Text MAeLSTROMSÜDPOL verarbeitet Heiner Müller Motive aus dem "Umständlichen Bericht des Arthur Gordon Pym zu Nantucket …" von Edgar Allen Poe. Die tatsächlich weitschweifigen Tagebucheintragungen, von Poe zur Untermauerung einer vorgeblichen Authentizität dieser fiktiven Erlebnise eingesetzt, werden hier radikal entschlackt, Müller kommt ausschließlich zur Sache: was bleibt, sind die letzten Eindrücke, in der Anziehungskraft des Südpols.
Bei der akustischen Inszenierung dieser knappen Seite Text reizte mich – im Gegensatz zu meinen anderen Hörstücken – nicht die mehr oder weniger kunstvolle Verknüpfung, sondern die Entzerrung von Musik und Sprache, im Verhältnis Erlebnis/Beschreibung. Den SOG, von dem Arthur Gordon Pym in den antarktischen Katarakt gezogen wird, fest im Blick, konzentrierte ich mich auch zum erstenmal auf die Arbeit mit einer Stimme (die David Bennents). Es ist der gleiche Sog, der als zentrales Motiv bei Poe in der anderen von Heiner Müller im Titel zitierten Erzählung "Der Sturz in den Maelstrom" die Fischer in den Strudel der Lofoten treibt. Dadurch wieder auf diese Erzählung aufmerksam geworden, versuche ich in dem Konzert "LOOKING UPON THE WIDE WASTE OF LIQUID EBONY" eher eine musikalisch/szenische Analyse der Erzählstrategie und Textstruktur. Das trennt und ergänzt die beiden Aufführungen.
Die bei der Uraufführung von MAeLSTROMSÜDPOL zur documenta 8 im vergangenen Jahr komponierte und (in aller Eile) ausschließlich von mir selbst eingespielte Musik habe ich jetzt für die Aufführungen in Linz und Berlin mit der Beteiligung von Rene Lussier, Peter Brötzmann und Peter Hollinger mehr als rekonstruiert und völlig neu aufgenommen.HEINER MÜLLER TEXT FÜR MAELSTROMSÜDPOL Die Insel des großen Blutbades ihre Bewohner ihre Sitten hat es noch Zweck sie mitzuteilen TEKELILI TEKELILI (that corpse you planted last year in your garden has it begun to sprout will it bloom this year) die südliche Nebelwand heute höher verliert die graue Färbung das Wasser unheimlich war auch sieht es bedeutend milchiger aus heftige Oberflächenbewegung in der Nähe des Bootes begleitet wie gewöhnlich von einem wilden Flackern am oberen Nebelrand ein weißer Staub fällt auf das Boot auf das Wasser aschenartig keine Asche
der Nebel wird ruhig das Wasser glatt wir fragen NUNU warum das Blutbad er zeigt seine Zähne sie sind schwarz TSALAL ein weißes Tier schwimmt vorbei das Wasser so heiß daß die Hand brennt der aschenartige Staub fällt ohne Pause die Nebelwand nimmt andere Formen an ein Katarakt der schweigend von einem riesigen Wehr am fernen Himmel stürzt ein weißer Vorhang der den Horizont kein Laut plötzlich Dunkelheit gleichzeitig aus der milchigen Tiefe ein Leuchten der Aschenregen keine Asche der uns begraben will OH KEEP THE DOG FAR HENCE THAT'S FRIEND TO MEN OR WITH HIS NAILS HE'LL DIG IT UP AGAIN wir treiben mit zunehmender Geschwindigkeit auf die Nebelwand zu manchmal reißt die Nebelwand und wir blicken in einen Wirbel aus flackernden Bildern wie Fetzen von Fotografien im Feuer ihre Gegenstände nicht mehr auszumachen lautlose Stürme wehen aus dem Riß über das glühende Wasser zwingen seinen Fluß in ihre Richtung große weiße Vögel gegen den Sturm TEKELILI TEKELILI ihren Schrei haben wir auf der Insel gehört sie selber nicht gesehen waren sie kleiner vor dem Blutbad der Wilde zuckt im Takt ihres Flügelschlags auf den Boden des Bootes als wir ihn berühren ist er tot seine Haut eisig die Zähne weiß wir schneiden in seine Haut kein Blut mehr nach dem zweiten Schnitt geht sein Leichnam ohne sichtbaren Übergang in dem Nebel auf der jetzt nach unserem Boot greift THAT CORPS wir gleiten in dem Katarakt ein breiter Durchgang tut sich auf wie zum Empfang hinter und schließt sich der schäumende Nebel übermenschengroß eine Gestalt auf unserer Bahn THAT CORPS YOU PLANTED ihre Haut ist weiß wie Schnee etwas greift in mein Gehirn OH KEEP THE DOG.
|