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Ars Electronica 1988
Festival-Programm 1988
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Festival 1979-2007
 

 

Sciame


'Enzo Cosimi Enzo Cosimi / 'Fabrizio Plessi Fabrizio Plessi / 'Luca Spagnoletti Luca Spagnoletti

Choreographie und Regie: Enzo Cosimi
Bühnenbild und visuelle Gestaltung: Fabrizio Plessi
Originalmusik: Luca Spagnoletti
Darsteller: Paola Autore, Rachele Caputo, Rita Cioffi, Enzo Cosimi, Karin Elmore, Franco Scnica.
Lichtdesign: Stefano Pirandello
Ton- und Videotechnik: Riccardo Silvi
Organisation: Francesco Cantalupo/Teorema
Administration: Maurizio Silvio

Bühnengestaltung und Bühnenobjekte: Carlo Ansaloni, Giovanni Grandi, Bruno Marchesin vom Centro Video Arte Palazzo dei Diamanti, unter der Leitung von Lola Bonora.

Produktion: Occhesc, Interconti Internazionali Rovereto, Assoziazione Sarda Musica e Danza Cagliari, Cooperativa Teatro dell' Elfo di Milano, Centro Servizi e Spettacoli, Udine.

SCIAME
Sciame entstand aus der Begegnung des Choreographen Enzo Cosimi (einem der führenden Köpfe des "Neuen Italienischen Tanzes") mit dem visuellen Künstler Fabrizio Plessi (einem der Vorreiter der Video-Installation und der technologischen Skulptur).

Ein Treffen – in jedem Sinne des Wortes – zweier waghalsiger und eigenwilliger Geister, im Grunde beruhend auf einer tiefen Gemeinsamkeit: eine Begegnung, die sich entlang eines Weges vollzieht, der begleitet ist von den (ästhetischen und ideologischen) Vorurteilen beider Künstler.

Worin besteht nun die Gemeinsamkeit? Wie definiert man die Verwandtschaft zweier so verschiedener und auseinanderstrebender Energien? Enzo Cosimi hat diese in einem Interview für das Programm der Premiere beim Festival di Rovereto 1987 so erklärt: Für seine Choreographie spricht Cosimi von einer "abstrakten Erzählung". Er erklärt detailliert seine immerwährende Suche nach einer stark dramatischen Dimension, die aber immer auf "einer ausschließlich abstrakten Auffassung von Tanz" beruhen soll. Es gibt keine "Story" im erzählerischen Sinne: Im Werk kommt kein Abschnitt mit einer "klassischen" Handlung vor. Aber aus den abstrakten Kodices des Tanzes, manipuliert und wiedereingeführt, bis sie bar jeder formalistischen Kälte sind, entwickelt der junge Choreograph seine Darstellung starker Gefühlswelten, seiner Emotionen: unwirtliche "innere Landschaften", ihre eigene Brutalität widerspiegelnd und somit frei von Ästhetizismen, frei von jeder Lieblichkeit und Leichtfertigkeit, fern aller Künstlichkeit. Alles in allem verwendet Enzo Cosimi die Technik in "heißem" Sinne: wild, leidenschaftlich, Fabrizio Plessi baut ebenfalls eine auf einen Angelpunkt konzentrierte Welt auf das Herz eines Gedankens, auf eine Konstante: die "heiße" Technologie. Und genau in diesem Bereich bewegt sich Plessi – wenn auch mit anderen Mitteln – auf derselben Ebene wie Cosimi. Plessi "verwendet" die Technik, wie Cosimi den Tanz "verwendet", Plessi manipuliert diese Technik, erforscht sie, vergewaltigt sie, um sie neu zu definieren und zu sprengen. Durch einen ernsten und strengen Diskurs (mit den Mitteln, den Instrumenten) vermittelt Plessi – immer minimalistisch – durch seine Videoinstallationen starke Bilder innerer Zustände von ausdrucksvoller Emotionalität: In all ihrer Gewaltsamkeit beschreibt er extre me emotionale Dimensionen. Und er sublimiert sie, läßt Poesie daraus werden.

Für SCIAME hat Plessi Szenen aus metallischen Quadern konstruiert, teils in Übereinstimmung, teils außerhalb des Bewegungsraumes der Tänzer. In der Mitte enthält ein größerer Quader eine quadratische Struktur, einen Rahmen aus Fernsehschirmen, der erst kurz vor Ende des Werkes sichtbar wird, wenn die ihn verkleidende Metallplatte wie eine Zugbrücke zu Boden geht. Und erst dann erkennt man, daß diese Bildschirme belebt sind: teils mit Live-Aufnahmen (eine versteckte Kamera verfolgt die Bewegungen eines nackten Tänzers – Cosimi selbst), teils auch mit Aufzeichnungen (technische Bilder, die wirklich "heiß" und vital sind. Milch und Wasser, jenes Wasser, das in allen Arbeiten Plessis wiederkehrt). Objekte und Szenen unterstreichen alle Aktionen von Sciame: Leitern, Schaufeln, Kübel, Halseisen, Roste. Ungefüge Elemente einer primitivistischen mittelalterliche, Umwelt-Alchemie, ein Kosmos, durchwandert von einem rauhen Klang, einem Ton aus Säure, von einer immerwährenden und finsteren Besessenheit im Hintergrund. Wie die Bienen eines gefangenen Schwarmes tanzen die Darsteller als geschlechtslose, mönchische Gestalten im groben "bäuerlichen" Gewand ihre inneren Spannungen, eine unerträgliche Härte des Seins, ein Netz aus unauflöslichen Gegensätzen, eine Besessenheit, die sie in einen Kerker trockener Handlungen einspannt. Jedes Vergnügen an der Körperlichkeit, an der Bewegung ist ihnen genommen: ein diffuses Gefühl der Bestrafung, der Schuld schlägt wild in Sciame, mit einem Schrei bedrückten Seinsbewußtseins, wie das Pulsieren einer Angst ohne Liebe.

Daraus entsteht ein zwiespältiges Universum, schwer, zeitweilig sogar irritierend durch das Fehlen jeder "Schönheit", durch die Streichung jeder morbiden, aber Sicherheit gebenden Spektakularität. Aber er ist ebenso faszinierend und verführerisch wie irritierend, dieser Weg von quälender Ambivalenz, dieses grausame Erlebnis "verschärften" Tanzes, diese Invasion emotionaler Entladungen in Dynamik und Gestus, diese immer noble und imponierende Inszenierung. Von barbarischer Schönheit, von königlicher Essentialität.
Leonetta Bentivoglio
ZUR MUSIK VON SCIAME
Sciame ist eine Komposition, die im wesentlichen von einem Konzept der Unnatürlichkeit ausgeht: Es will auf indirekte Art erzählen und verweigert eine x-beliebige Imitation der Wirklichkeit, des Alltäglichen, um eine dramatische Dimension von rein abstrakter Konzeption zu schaffen.

Das Klangmaterial geht von dieser Grundsatzannahme aus, um die szenische Erzählung neu zu definieren und in stark kommunikative "Seelenzustände" umzuwandeln, die auf einer inneren vorwiegend psychologischen Dimension aufbauen.

Ich habe durch Anwendung verschiedener Methoden elektronischer Synthese versucht, eine zeitlose Musik zu komponieren, in der sich die Realität und der Traum ohne Kontinuität überlagern, um zu einem Wahrnehmungszustand zu gelangen, der ähnlich dem andersartigen Zustand der Besessenheit oder der Trance ist.

Um dieses Werk zu realisieren, bin ich – in enger Zusammenarbeit mit Enzo Cosimi und Fabrizio Plessi – von heterogenem Material ausgegangen, das mir geeignet schien, diesen angestrebten Zustand zu erreichen: von bearbeiteten Instrumentalklängen, von elektronischen Klängen, von ethnischen Klängen, die in ein engstens mit der Choreographie und der Inszenierung verbundenes Kontinuum abgemischt wurden.

Sciame wurde vom Komponisten im Studio unter Verwendung von Sampling-Techniken, von FM-Synthese und Überlagerungstechniken produziert und abgemischt.
Luca Spagnoletti