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Ars Electronica 1988
Festival-Programm 1988
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Festival 1979-2007
 

 

Scherzophren


'Waltraud Cooper Waltraud Cooper

Installation mit Klavier, Neon und Elektronik

Musik: Anestis Logothetis (Wien)
Nicola Sani, Luca Spagnoletti (SIM, Rom)

Improvisationen: Anton Voigt und seine Studenten des Brucknerkonservatoriums Linz, Klavierklasse

Computer-Flügel: Bösendorfer, Wien

Technik: Walter Behr

Computer-Programm für Anestis Logothetis: Gerhard Moser, Wolkersdorf bei Wien.

Computer-Aufnahmen: Erwin Gattermann, Reinhard Brunner (Musikhaus Gattermann, Bad Hall)

Das Klavier wird freundlicherweise von der Firma MERTA, Linz, zur Verfügung gestellt. Weiters danken wir den Firmen Musikhaus Willburger, Bösendorfer Wien und YAMAHA Wien für ihre Kulanz.

Auftragswerk von Ars Electronica (LIVA, Brucknerhaus) und FESTIVAL ARTE ELETTRONICA, Camerino. In Zusammenarbeit mit dem Brucknerkonservatorium Linz und SIM srl. Informatica musicale, Rom.

SCHERZOPHREN
Jeder der 84 Tasten eines Klaviers sind Neonröhren in bestimmten Farben und – anstelle von Saiten – gespeicherte Klangereignisse zugeordnet. Die maxmale Dauer dieser Klangereignisse beträgt 8,5 sec., bei kürzerem Aushalten der Taste erklingt nur ein Teil des Klangereignisses (auch Pause).

Scherzophren ist die konsequente Weiterentwicklung und Vereinigung von
– Farbenklavier (Castel, Skrjabin)
– Präpariertes Klavier (Cage)

Scherzophren ist
– Spiel mit dem Zufall (der Spieler weiß nicht, was beim Anschlagen einer Taste geschehen wird),
– Synästhesie (visuelle Sinneseindrücke werden durch akustische verstärkt und vice versa).

Spielmöglichkeiten:

a) "Musik für Scherzophren" von Anestis Logothetis:
Dauer 12 min. Der Ausführende spielt in der angegebenen Richtung eine chromatische Skala über die gesamte Klaviatur, wobei jede Taste 8,5 sec. ausgchalten wird.

b) "Synchro-Scherzophren":
Der Ausführende spielt eine Komposition, die er vorher auf Tonband produziert oder in ein Computerklavier (Fa. Bösendorfer) eingespielt hat. Das gleichzeitige Erklingen von Originalklang und "Scherzophren-Klang" gibt der Komposition eine zusätzliche, vom Komponisten erwünschte Dimension.

Werkauswahl:
– Mauricio Kagel: Metapiece
– Anestis Logothetis: Diptychon
– Christoph Herndler: Autumn

c) "SCHERZophren":
Der Ausführende (Besucher) spielt eine beliebige Komposition der Klassik oder der Gegenwart, das von Zuhörern und Spieler Erwartete tritt nicht ein.
ANESTIS LOGOTHETIS
ZU "SCHERZOPHREN"
Jenes Wort, das Shakespeare in seiner Tragödie "Hamlet" in den Mund seines Polonius legt: "ist es Wahnsinn, so hat er doch Methode", kann als Motto für das ganze Werk gelten und läßt sich auf das Verhalten eines seiner Macht Beraubten münzen – auffallend, daß "Hamlet" sowohl der Sohn als auch der Geist des Vaters heißt, somit ihr gegenseitiges Handeln ein Modell der Identität und des Verhaltens von Geist und Wirklichkeit abgibt, ein Modell des Geistes als im Alltag einwirkende und lenkende Triebfeder – im Munde eines Polonius aber schrumpfen diese Aussagen in den unmittelbaren Kreis seiner alltäglichen Konfrontation und "Wahnsinn" wird bald von ihm als "die Liebe Hamlets zu seiner (Polonius) Tochter" interpretiert, alles Handeln Hamlets als zweckgebundene "Methode", das übergeordnete Abstraktum dadurch konkretisiert und greifbar gemacht.

Transferieren wir nun dieses Shakespearesche Modell des Zusammenpralls verschiedener Bewußtseinsebenen auf die des Schaffensprozesses, dann läßt sich jenes Wort "ist es Wahnsinn, so hat er doch Methode" zunächst auf die Unruhe anwenden, aus der ein auf Innovation zielender Schaffensprozeß bestückt ist. Dann aber erscheint der Geist jener Worte bei der Betrachtung des Derivates eigener konzentrierter und innovatorischer Arbeit. Und in Anbetracht heutigen Wissens über Gene, Viren, Psyche, Atome und Weltall erhellen jene Worte ungeheuerlich! Und zu wahrer Sentenz unserer Existenz der verketteten Beziehungen und Wechselbeziehungen ihrer leiblichen und seelischen Komponenten. Man erwischt sich bei der Beurteilung seiner eigenen Arbeit am Pendeln zwischen "Polonius, Hamlet-Sohn und Hamlet-Vatergeist", zwischen diesem Geist, der bestimmt, jener der zweifelt und einer, der interpretiert nach seinen Möglichkeiten. Das Produkt entstand aber in einer bestimmenden Phase des Bewußtseins und in dieser Phase gehört es ja zu den Dingen, von denen wir wissen, was sie sind: nämlich organisiertes Material, eine Abhaltung, eine Inszenierung: In-Szene-Setzung momentaner oder erarbeiteter geistiger Situation durch ein den Sinnen zugewandtes Material, das dadurch sich selbst mit dem organisierten und organisierenden Geist verkettet und mit ihm korreliert. Dieses Korrelat muß nicht den Erwartungen eines Beobachters entsprechen, der unter einem ästhetisch-geistigen Ding immer das Abbild eines anderen, womöglich bekannten Dinges versteht und zu Adornos Schluß kommt: "Die Gestalt aller künstlerischen Utopie heute ist: Dinge machen, von denen wir nicht wissen, was sie sind." (Aus: "Vers une musique informelle" Th.W. Adorno, Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik 1961.)

Diese Phase der Beobachtung korreliert mit Vorprogrammierungen, aus denen der Beobachter angereichert ist und die seine Beurteilungen lenken. Solch ein Beobachter ist sich der Urheber eines Werkes selbst und daher kann auch er – jetzt als Außenseiter und nicht im Augenblick des Schaffens sich befindender vor seinem eigenen Werk befremdet stehen, und gleich einem Polonius sagen: "ist es Wahnsinn, so hat er doch Methode", oder interpretierend: "es war die Liebe und ihre Methode, eines Materials habhaft zu werden." Der zweifelnde und zugleich kompetente Geist hat sich – dank seiner Struktur – ja bereits entschieden und das Ding als Werk seiner selbst deklariert, als die Kompetenz seines Geistes Manifestierendes; die Fähigkeit seines Schöpfers Zeigendes; der mit einer begrenzten Anzahl von Elementen und Regeln eine unbegrenzte Zahl von Äußerungen zu bilden und zu verstehen vermag, sowie über die Stimmigkeit oder Richtigkeit von Äußerungen zu entscheiden.
So sehr all dies sich singulär anhört, gehört es doch zur dynamischen Komponente einer Gesellschaft, aus ihren sie lenkenden Schichten, die auch in jedem einzelnen stecken: jene Bewußtseinsebenen, die gleichzeitig Programmiertes tragen und verfügen – siehe Polonius-Syndrom der Konventionen – wie auch programmieren (Vater-Geist) und das Kybernetikon, das Zu-steuernde (Hamlet-Sohn) schaffen.

Das Abbild, welches die Profanität einem ästhetisch-geistigen, den Sinnen zugewandten und Geist inhärierten Werk abverlangt, ist nicht mehr ein "Ding", sondern ein Sachverhalt, der sich Dingen als Materialien bedient, um durch diese sich sichtbar und hörbar zu machen, zu manifestieren, zu bekunden. Daß das Zu-Unterhaltende hier in Arbeit transferiert, ist offenkundig, aber dem Witz und dem Spaß nicht abgeneigt, im Gegenteil diesem anhängig, zugänglich, ja aus ihnen bestehend bzw. mit ihnen angereichert.

Aus solchem Geiste heraus fiel es mir nicht schwer, mich fürs Projekt der Objektschöpferin Traute Cooper einzuspannen: die Tastatur eines Klaviers mit verschiedenen Klanglichkeiten zu bestücken, so daß ein solcherart gestimmtes Klavier jede Klavierkomposition in die permutierenden Konfigurationen seiner Stimmung steuert, alle Notation samt ihren Genauigkeitsmerkmalen ad absurdum führt und selbst, sagen wir, Mozarts Komponieren als von der Determinierung der Klavierfabrikation Abhängiges, dem Zufall Höriges, auf Fabrikationsvoraussetzungen Relativiertes ausweist. Integer erklingt die Reihenfolge meiner den Tasten unterlegten Konfigurationen bei chromatischem Spiel der Tastatur von links nach rechts, also von "tief" nach "hoch". Sonst kann man jedes Stück auf diesem Klavier spielen, ohne es je erkennen zu können, da das Klavier sein Programm an jedes Spiel anbindet. Es ist sich selbst treu, selbst präzise, selbststimmig.