Catching up to Video at Home and Abroad
'Tony Conrad
Tony Conrad
1. ABWÄGEN DER GEFÄHRDUNG: VEKTORPRODUKTE Die Technologie verändert sich so schnell, daß unsere "Software" nie Schritt halten kann – Gilles Deleuze sagt, daß Technologie immer Deterritorialisierung bedeutet. Paul Virilio stellt dazu fest: "Alle gegenwärtigen Technologien … erzeugen immer kürzere Distanzen … Der Raum der Freiheit wird mit zunehmender Geschwindigkeit immer enger. Und Freiheit braucht Raum. Wenn es keinen Raum mehr gibt … dann bleibt nichts übrig außer absoluter Kontrolle, eine Unmittelbarkeit, die die ärgste Art von Konzentration darstellt." (1)
Vier Arbeiten beziehen sich in ganz unterschiedlicher Weise auf Distanz und Transportation: Peter Callas' "Kinema No Yoru" (Film Night, Australien, 1986), Daniel Minahans "Aesthetics and/or Transportation" (USA, 1987), Karl-Heinz Hahnemanns "Kaspar Hauser Stirb" (DDR) und Olhar Eletronicos "Varela in Xingu" (Brasilien, 1985).
Peter Callas' Werk entstand während eines längeren Aufenthalts in Tokio im Marui Warenhaus. Das Bildmaterial dazu bezog er aus japanischen Cartoons aus den dreißiger Jahren; diese Figuren stellen für die Japaner Bezüge zu imperialistischen Vorstellungen her. Als dieses Video auf den riesigen Bildschirmen auf dem Platz in einer der verkehrsreichsten Gegenden Tokios erschien, wurden die imperialistischen Themen nur durch die Formalisierung und Kontextentflechtung der Bilder abgeschwächt. Diese Vorführungsstrategie wirkte sich ihrerseits so aus, daß sie den Raum des Bildschirms und die formale Energie des Mediums Video unterstrich – was wiederum dazu führte, daß das von Callas angesprochene Thema, klar verständlich, zur Endo-kolonisierung (durch das kaiserliche Japan) des Raumes des Fernschschirmes wurde.
Er hatte beobachtet, daß "das Fernsehen in Japan ernsthaft im Begriffe war, den geistigen Boden für eine Stadt zu schaffen, mit rigoros eingeengten Lebensbedingungen und unerträglich langen und unmöglich überfüllten Anfahrtswegen", und sah, daß die japanische Gesellschaft ihrerseits als Reaktion darauf, sich ganz "der Technologie, vor allem der bildübertragenden Technologie als einem Territorium zuwandte, das man zu durchqueren, indem man oder von dem man zu leben hatte, das man kolonisieren mußte"… (2)
"Aesthetics and/or Transportation" ist ein die Zukunft vorwegnehmender Essay von Gregory Battcock, der im April 1974 in Arts erschien. In Daniel Minahans gleichnamigem Videotape erläutert ein Zwischentitel, wie "Vicky Aliata" als Ersatz (oder sonst was?) für Battcock im Museum of Modern Art auftrat; im Video sehen wir dann "Vicky" den Essay lesen, während sich Gregory in seinem Hotelzimmer in Puerto Rico mit seiner knackig muskulösen, jungen Reisegefährtin räkelt. Der ursprüngliche Text strahlt eine betörend postmoderne Atmosphäre aus; das Band ist voll von strukturellen Gestalten, die Battcocks Gedanken beherrschen und seine Stimme (als Autor) doubeln. Insgesamt ist das Band von Minahan eine Demonstration radikal verringerter Distanz – dies nicht durch technische Mittel, sondern indem die Maßstäbe verschoben werden: der Abstand zwischen Text und Gesagtem, zwischen Idee und Kultur, zwischen Tod und Leben, dem Geistigen und dem Physischen, der Darstellung und der Erzählung – sie alle verschieben sich ineinander in zusammenfallende atomische Äquivalenzen im Maß des Abstandes zwischen Battcocks Text und Minahans Band.
Die anderen zwei Bänder, das eine aus der Deutschen Demokratischen Republik und das andere aus Brasilien, erfassen ein kulturelles und politisches Terrain, das sich mit der Distanz des Betrachters erweitert. Das Finish von "Kaspar Hauser Stirb" ist ein pseudoheroisches Tableau der drei Hauptfiguren, die einander gratulieren; wir erkennen aus dieser Geste, wie unglaublich weit entfernt diese Künstler davon sind, ein "reales" Video zu machen. Im Gegensatz dazu ist "Varela", eine Parodie auf einen brasilianischen Nachrichtenredakteur, aufs erste so überzeugend, daß wir (die nicht Portugiesisch sprechen und außerdem erwarten, daß uns brasilianisches Fernsehen fremd ist) bereit sind, dies für Fernsehen zu halten, so daß die darauf folgende Begegnung in zweifacher Hinsicht für uns andersartig ist. Wenn wir dann entdecken, daß unser interviewter Indianer den seltsamsten und kuriosesten Schmuck trägt, den es geben kann – und überlegen, ob wohl jeder den anderen beim Sprechen auf die Lippen schaut – wird unser Gesichtspunkt als Zuseher in immer weiter werdenden Schwingungen weggefegt. Auch "Kaspar Hauser Stirb" fängt vor unseren Augen zu schwingen an, aber aus anderen Gründen. Die Ausstattung, die stilisierten Posen und Kostüme und ein unabsichtlich holpriger Realismus (wenn z.B. das Leintuch für die Vergewaltigungsszene ausgebreitet wird) lassen uns argwöhnen, daß alles nur Schein ist; aber die kindische Unartigkeit dieser Burschen, die hosenlos herumziehen, stimmt nicht mit ihrer Darstellungsfreude überein … Letztlich ist es alles in allem unbekümmert abgegriffen und reizlos; ein krasser Gegensatz, der unsere Sympathien zunichte macht und uns ratlos fragen läßt: wie sah wohl ihr Publikum in Berlin aus? Wie haben sie das verstanden? Unser unentschiedenes Gefühl der Ambiguität ist ebenso überwältigend wie es ihre Selbstbezogenheit war.
Für mich gelingt es "Kaspar Hauser Stirb" nicht nur nicht, die nötige erzählerische Distanz zu halten, sondern es stellt nicht einmal eine eindeutige Beziehung zur Kaspar-Hauser-Geschichte her. Dabei wird eines klar: diese Burschen haben die Stadt weit hinter sich gelassen und sind irgendwo draußen an einem nicht definierbaren Ort, weit weg von … Wie bei Xingu, wissen wir gar nicht wirklich, wo das eigentlich ist oder von wo wir kamen. Beide Arbeiten verlassen sich auf ihre materiellen Darstellungen des tatsächlichen prokinematischen Raumes, beide Teams sind auf ihrem Weg an diesen Ort einem fremden Plan gefolgt.
Nichts wird gesagt, um die Krise der brasilianischen Indianer anzusprechen, deren Wohlergehen schon seit fünfhundert Jahren gefährdet ist. Ruby Trulys "… And The Word Was God" (Kanada) bemüht sich, dieses Problem anzusprechen. Sie beginnt mit einer ikonischen Pose, in der ihre Rolle sowohl ausgeglichen wie zweideutig ist: teils Lehrer, teils Schüler, zunehmend aber die Stimme über die Schulter des Zusehers, "Ist das wahr?" "Wird wirklich so unterrichtet? (Gehirnwäsche?)" "Welches Recht hat diese Person, so einen Text zu erfinden, wenn er überhaupt erfunden ist? Und welches Recht hat diese Person, so einen Text zu verwenden, wenn er nicht nur erfunden ist?" Fragen, auf die sich eine Antwort erübrigt. Trulys technisches Instrumentarium ist raffiniert, ohne aufdringlich zu sein, deutlich, ohne autoritär zu sein. Wir brauchen dringend eine Medienpalette, die vorwiegend dem amerikanischen Ureinwohner entspricht, wie dringend läßt sich an der Dringlichkeit der Botschaft messen, die weiterzugeben ist. "Die abscheuliche Tatsache, daß die Vereinigten Staaten von Amerika unsere Frauen, Kinder und Krieger gejagt und ermordet haben, ist in unserer Erinnerung lebendig." (3)II. EPIDEMIOLOGIE: AUSDRUCK DES ANDERSSEINS Die unabhängige Einzelstimme ist von der Stimme des Andersseins fasziniert (siehe die gegensätzlichen Reflexionen über physisches Anderssein in Paula Levines "Mirror Mirror" (USA, 1987) und Paul Sharits' "Rapture" (USA, 1986); unsere technologische Kolonisierung des Todes "kann in drei unterschiedliche Themen unterteilt werden: erstens, die Schwierigkeit physischen Schmerz auszudrücken, zweitens, die daraus entstehenden politischen und perzeptuellen Komplikationen; und drittens, das Wesen der materiellen und verbalen Ausdrucksfähigkeit oder, einfacher gesagt, das Wesen der menschlichen Kreation." (4)
In Mark Wilcox' "Celebrities" (England, 1985) werden diese drei "Themen" deutlich und, sorgfältig verwoben – zu einem Webbild, dessen Kette das Leben vor dem öffentlichen Auge (Television) und dessen Schuß Krankheit und Tod ist. Wilcox schöpft die strukturellen Funktionen der Alterität, des Doubles voll aus – es ist dies sozusagen seine Schlüsselmasche, mit der der Zuseher schließlich diese Thanatopsie auflösen kann. Zum Thema Schmerz, Anderssein und Verlust stellen auch Carl Wiedemann mit "Illiteracy" (USA, 1987) und Helge Leiberg mit "Ferne Gegenden" (DDR, 1984) unterschiedlich, aber deutlich Ängste in den Vordergrund.
Der mikroskopisch feinste Tod ist jener, der sich in die Bedeutung und das Verstehen der narrativen Geste einschleust – und das Fernsehen hat dies einzufangen gelernt. In Dennis Days "Oh, Nothing" (Kanada, 1987) akzentuieren synekdochische und apostrophische Konstruktionen Aufmerksamkeitsfixierungen, Fluktuationen im sozialen Ritual und verlorene Augenblicke willkürlicher Besinnlichkeit, während gleichzeitig "plastische" Farben und der einfache, "aufgesetzte" Look der Aufnahmen eine modernistisch postmoderne Modernität vortäuschen … Um noch eine wichtigere Erscheinung einzubringen, beschäftigt sich das Video auch mit der Logik der Trance: Fixierung, Manipulierbarkeit des Sensoriums, um der Aufmerksamkeit zu dienen. Julie Zandos elegant originelles "Hey, Bud" (USA, 1987) entdeckt und eröffnet eine unerwartet trächtige Verbindung von Sexualität, Manipulierbarkeit des Publikums und dem (daraus erwachsenden?) Selbstverständnis des Zusehers. Michaela Bueschers "Flirting TV" (Deutschland, 1987) ist eine unbeabsichtigte Umkehrung von "Hey, Bud". Hintergründig, wenn auch humorvoll, werden wir aufgefordert, die Macht der Manipulation des Zusehers auf das Medium auszuüben. Die Werbung hat (wie eine Mutter hinter den Kulissen) die Medien dazu gezwungen, ihre Mittel immer raffinierter werden zu lassen, um unsere Aufmerksamkeit zu manipulieren; wenn uns irgendeine Epidemie bis zu einem mikroskopischen Tod bringen kann, dann könnte sie von der Werbung verursacht sein. Eine freundlichere Seite der "pathogenen" Werbung wird in Ardele Listers "Zoe' vCar" (USA, 1986) gezeigt, das den Zuseher zwischen Ekel und entzückter Teilnahme hin und her schwanken läßt.
Die deskriptive Mechanik von Shawn Usha und Ilana Scherls "Brasil – External Debt" (USA, 1987); die damit in Beziehung stehenden kolonialen Erinnerungen (des amerikanischen Fernsehimperialismus), die ungebeten durch Karen Ranuccis "Cross Section One Afternoon Of Mexican TV" (USA, 1985) geweckt werden (wie auch die doppelkonturigen Male der Leidenschaft und des Verlustes, die den überquellenden Inhalt ergänzen); und die insistierende Logik von Grupo Chaskis "Miss Universe in Peru" (Peru, 1984) – sie alle zeigen, wie das politisch geschädigte Gewebe südamerikanischer Kultur dicht mit den funktionierenden Organen der sozialen Ordnung verwachsen ist; ihre gemeinsame Oberfläche ist eine einzige angespannte, ausdruckslose Narbe. AIDS, dessen weiterer Verlauf so ungemein entscheidend erscheint, ist insgesamt abstumpfend vertraut; in der jüngsten Zeit haben so viele Millionen Menschen verständnislos gegen ein mörderisches Los gekämpft … wie die Hungerkatastrophe in Nordafrika hat auch AIDS die Wehrlosen getroffen. Andrerseits verbindet die besondere Etiologie und Übertragbarkeit von AIDS das Problem seiner erfolgreichen Bekämpfung mit dem Projekt einer Steuerung des Verhaltens der Bevölkerung durch die Medien. Das gemeinsam produzierte "Testing The Limits" (USA, 1987) ist ein unabhängiger Versuch in dieser Richtung.III. GEFÄHRDUNG, ANSTECKUNG, VERÄNDERLICHKEIT Dieses Jahr hat sich Infermental 7 mit einer ganzen Skala von Erwartungen und Herausforderungen auseinanderzusetzen – sie kommen vom Publikum, von den Produzenten und von den Videomachern –, denn die weltpolitischen Bedingungen und die Ontogenie von Infermental haben zusammengespielt, um auf einen Streich Infermental zu einer wichtigen weltumspannenden kulturellen Pipeline zu machen. Mit der diesjährigen Ausgabe ist Infermental zum erstenmal sowohl DAHEIM in den USA und als eingeladener Gast in der Sowjetunion vertreten.
Die Jugendkultur in der UdSSR von heute ist sehr lebendig. Doch "trotz der Ähnlichkeiten in der Mode in ihrem Interesse für amerikanische Musik und die neuesten westlichen Filme, wirken die jungen Sowjetbürger von heute eher wie die westliche Generation der sechziger Jahre als wie ihre Zeitgenossen in Italien oder in den USA." (5) Ein technologischer Aspekt dieser Asynchronie der Generationen ist ein relativ größeres Engagement für den unabhängigen Film (nicht so sehr für Videos) als vergleichsweise bei den Westeuropäern. Valie Export meint, "daß die Amerikaner … noch mit dem Experimentalfilm arbeiten, während die Deutschen und die Österreicher damit aufgehört haben. Es gibt jetzt kaum einen deutschen Experimentalfilm." (6) Deutsche und österreichische Videokunst gibt es in Hülle und Fülle; ihre Vitalität und Stärke werden durch den klaren sarkastischen Konzeptualismus von Paula Coerpers "Die FFF Show" (Westdeutschand, 1986) und durch den technologischen Erfindungsreichtum und die Frische der Komposition von Ursula Pürrer und Angela Hans Scheirl "(Im Original Färbig)" (Österreich, 1986) belegt.
Afrika (in Boris Jochananovs "Afrika As Gagarin" (UdSSR, 1987)) ist der angenommene Name von Sergej Bugaev, einem Moskauer Künstler, der sensationelles Aufsehen erregt; seine Bilder sind von der gleichen primitiven sexy Auffälligkeit wie die der anderen Moskauer "Neuen Maler", die häufig mit Collage und nicht dauerhaften Oberflächen arbeiten. Die Neuen Maler sind jung, sie spielen in Rockgruppen, spielen Theater und haben eindringliche Filme gemacht. "Diese Bewegung ist zusammengetroffen mit den neuen Möglichkeiten für die sowjetische Rockkultur in den vergangenen zwei Jahren. Das resultierende Phänomen ist ähnlich dem von East Village und hat eine junge Generation hervorgebracht, wie sie Rußland noch nie gesehen hat …
"Die New Painters und Popular Mechanics funktionieren mehr oder weniger wie die Popstars der Sowjetunion." (7) Bei Sara Hornbachers "Anti-scenes in Panama (A Tropical Movie)" (USA, 1985) werden wir vielleicht daran erinnert, wie die Kunstwelt von New York im Vergleich dazu aussieht. Sind diese Videotapes gegenseitige Übersetzungen? Sozusagen "Peter Nagy al Alan Shepard" und "Land-Skates in Karelia"?IV. KONVERSATION ALS MITTEILBARKEIT Was im Westen neu ist, ist der noch nie dagewesene Gegendruck, der in den vergangenen Jahren durch die Firmen, die die Produktionsgeräte für die Konsumenten herstellen, aufgebaut wurde. Hierher gehören einige der äußerst aggressiven und unregulierbar neuen Industrien der letzten Zeit, deren unabhängige Konsumenten sich mit Eigenveröffentlichungen mittels Computer, Videoproduktionen, Musikproduktionen im eigenen Studio zu Hause und dem Anschließen an Schnittstellen per Telefon befassen.
An der Vorderfront dieser Energiewelle ist eine gewisse Angstlichkeit gegenüber der Hardware. Stellen Sie sich die Videogestalter vor – sie sind geplagt von unerfüllbaren Produktionsambitionen, von unverständlicher komplizierter Technologie, von frustrierenden Pannen mit den Geräten, von simplifizierten Erwartungen des Publikums. So wie Liebhaber Witze über Sex machen und Soldaten über ihre Gewehre, so drehen sie in ihren ironischen Videotapes die Welt auf dem Spieß der für sie wichtigen Beschäftigung. Manfred Neuwirths "Experten" (Österreich, 1986) übt Rache für die Macht des Wissens, Volker Andings "Kelvin" (BRD, 1987) versucht den Zuseher aufzuspießen. Gary Hills "Meditations" (USA, 1979/86) attackiert und vernichtet die Hardware direkt, und Axel Klepsch, der Tati der Technologie, stellt uns in "Augen Zu!" (BRD, 1986) direkt neben den Gestalter. Bei der Beschreibung des Amerika vor Columbus zieht Tzveran Todorov den Schluß, daß "das durch das Fehlen der Schrift nötige Merken von Gesetzen und Traditionen, wie wir gesehen haben, dazu führt, daß das Ritual über die Improvisation herrscht." (8) Das Fernsehen nun macht das Schreiben überflüssig, es erfordert eidetisch interpretative Perfektion und erreicht ein Mitgehen des Publikums durch Gelegenheiten zum Wiedererkennen, durch Rituale. Vielleicht sagt man damit, daß Schreiben und Lesen dem Fernsehen technisch überlegen sind – doch die Praxis beider weist parallele Faszinationen und analoge Züge auf. Einige Arbeiten (z.B. David Smith und Lee Murrays "Continuous Entertainment" (USA), Petr Vranas "Medienpornesie" (BRD, 1987), City Groups "Valvegrind" (New Zealand, 1985/86) beinhalten spezifisch rituelle, Performance- oder quasi-schamanistische Elemente, die dazu dienen, die Distanz der Arbeiten von der sozialen Norm oder besonders vom Text, vom Geschriebenen zu unterstreichen. Steina verwendet in "Lillith" (USA, 1987) Verschiebungen der Brennebene und Bildfang, um unseren Blick zu fesseln, uns zu lähmen und zu hypnotisieren. Dann schnellt ihr Protagonist wie eine Kobra quer durch die paradoxe Landschaft (die typisch für Steina geworden ist) mit einer zischenden und undeutlichen Stimme; ihr Bild prägt uns die Tatsache der Präsenz ein, aber – ironischer und unmöglicherweise – ohne den Inhalt oder den Kontext der Präsenz.
Woody Vasulkas "The Art of Memory" (USA, 1987) ist in seinen Zielen auffällig analog, jedoch nicht in seinen Strategien. Ansatzpunkt seines Werkes ist das Zitat in seinem Titel: "Ad Herennium" (Anonym, ca. 86 v.Chr.), der erste Text mit Anleitungen zum Gedächtnistraining für die römische Rhetorik, und dann insbesondere Robert Fludds "Ars Memoria" (1619), welches das "Memory Theater" vorstellte. (9)
Juan Downeys "La Madrepatria" (Das Mutterland) (USA, 1987) ist ein sehr persönliches und doch "traditionell" künstlerisches (ausgewogenes, elegantes, sorgfältig artikuliertes) Abbild seiner chilenischen Heimat. Hier wird das Spiel zwischen surrealistischen, psychologischen Elementen und formellen Designrhythmen in einen reziproken aber unvermischbaren Austausch zwischen der Vertrautheit des Daheims und der Familienbeziehungen einerseits und dem formellen gesellschaftlichen Kontext andrerseits umgesetzt.
Armin Heurichs "Last Rites" (USA, 1987) "kolonisiert" die Technologie – immer wieder verlangt er seine Geräte "my tools" in einem übertriebenen und theatralisch autoritären Ton – eine Geste, die noch schärfer herauskommt durch ständige Dekontextualisierung – eine invasive Geste, die aus "Instrumenten" ein Anderes macht. Diese Faszination des Anspruches auf das Terrain der Geräte wirkt als dezentralisierender Mechanismus, da dadurch Besitz, sei es persönlicher oder kollektiver, angedeutet wird. Heurich schrieb über die "Demokratisierung der Verteilung der künstlerischen Geräte" und nannte dabei vor allem (und begeistert) das kürzlich auf den Markt gekommene Pixelvision System von Fisher Price (East Aurora, N.Y.). Dieses komplette, tragbare Videosystem, das auf Audiokassetten mit sehr niedriger Auflösung aufnimmt, wird einschließlich Monitor um ca. 230 US-Dollar als Kinderspielzeug verkauft. (10)
John Cage gab einmal den Rat, "Schreiben Sie keine Musik, die man nicht aufführt". Wenn man die Wahl hat, zwischen einem exklusiven aber sehr kleinen Publikum oder "ins Fernsehen zu kommen", dann gibt es einige Gründe, um den Weg des Pixelvisionssystems zu wählen. Und wie Valie Export sagt: "Es gibt immer mehr Tabus. Es stellt sich immer die Frage, ob man etwas ändert oder nicht. Man muß es ja nicht ändern, aber dann werden sie es eben nicht senden oder es gäbe Probleme mit dem Vertrag. Und andrerseits können sie es ja einfach herausschneiden, denn sie besitzen die Rechte. (11)"
(1) Virilio, Paul, and Sylvere Lotringer, Pure War, tr. Mark Polizotti. New York: Semiotext(e), 1983. zurück
(2) Callas, Peter, "Technology as Territory/Video and Desire in Japan." Fremantle, Western Australia; Praxis: 1987. zurück
(3) Heap of Birds, Edgar. "Sharp Rocks", in Wallis, Brian, ed. Blasted Allegories., An Anthology of Writings by Contemporary Artists. New York, Cambridge Massachusetts, London: The New Museum of Contemporary Art, MIT, 1987. zurück
(4) Scarry, Elaine. The Body in Pain: The Making and Unmaking of the World. New York/Oxford: Oxford University, 1985. zurück
(5)Kagarlitsky, Boris. "The Intelligentsia and the Changes", tr. Brian Pearce. New Left Review 164, 1987. zurück
(6) Sommer, Ines. "Valie Export Interview." Chicago: Experimental Film Coalition Newsletter 4:2, June 1987. zurück
(7) Caley, Shaun. "To Russia with Love", Flash Art 137, 1987. zurück
(8) Todorov, Tzvetan. The Conquest of America., The Question of the Other, tr. Richard Howard. Harper & Row, 1987. zurück
(9) Vgl. auch Yates, Frances A. The Art of Memory, 1966. zurück
(10) Vgl. Heurich, Armin. "Quakervision." Buffalo: The Squealer. Dec 87/Jan 88. zurück
(11) Sommer, Ines. Op. cit. zurück
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