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Ars Electronica 1988
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Öffentliche Bilder und Bilder der Macht


'Peter Weibel Peter Weibel

Entgegen der allgemeinen Annahme werden öffentliche Bilder nicht mehr von der Kunstwelt oder von Einzelpersonen erzeugt. Öffentliche Bilder sind eine Domäne der Massenmedien geworden: Printmedien, Straßenzeichen, Plakate, Reklamewände, Film- und Fernsehbilder, Schautafeln aller Art, Firmenzeichen (Logos) usw. Fast immer sind öffentliche Bilder Medienbilder, hergestellt von Firmen, Agenturen oder politischen Institutionen. Das Ziel der öffentlichen Bilder ist die Propaganda für Gebrauchsgüter und Ideologien. Daher sind öffentliche Bilder nicht nur Werbung für Waren und Ideologien, sondern sind zur eigentlichen Struktur von Gebrauchswaren und Ideologien geworden. Werbebilder wurden ein unentbehrlicher Teil des Produktionsprozesses selbst. Für ein Produkt zu werben bedeutet, durch eine Kampagne öffentlicher Bilder einen Tauschwert und einen Bedarf für ein Produkt zu erzeugen, was gelegentlich kostenintensiver sein kann, als die Herstellung des Produktes selbst. Öffentliche Bilder sind daher selbst zu einem glamourösen Gebrauchsgut geworden.

Von Malern hergestellte Bilder gelangen selten an die Öffentlichkeit. Traditionelle Bilder dringen nur dann an die Öffentlichkeit, wenn sie in Medienbilder umgewandelt werden. Traditionelle Bilder, wie Gemälde, haben ihre historische Qualität überhaupt ein Bild zu sein verloren. Sie sind reine Waren geworden.

Die Vernichtung der Waren-Struktur des Bildes kann daher die Aufgabe eines zeitgenössischen Bildkünstlers sein. Sie ist möglich innerhalb der Medienbilder, da Medienbilder das Herz der öffentlichen Bilder sind. Künstlerische Medienbilder können die Rolle des Lärms in der Musik der Plutokratie spielen. Eine der Strategien der Subversion geht davon aus, daß die drei klassischen Kategorien von Zeichen ihre Funktion verloren haben. Wir leben nicht mehr mit Zeichen, die sich direkt auf Gegenstände in unserer Umwelt beziehen, wir handeln nicht mehr in Übereinstimmung mit lkonen, Indices oder Symbolen, die sich auf Gegenstände beziehen, sei es mittels visueller Ähnlichkeit, physischer Abhängigkeit, Willkür oder konventioneller Kodierung. Da in der kapitalistischen Welt alle Gegenstände durch Waren ersetzt sind, haben wir eine neue Kategorie von Zeichen, die sich auf Waren statt auf Gegenstände bezieht. Diese neue Klasse von Zeichen wird Logos genannt. Wir leben in einer Logo-Kultur anstelle der historischen Bild- und Symbolkultur. In dieser Logo-Kultur sind die Institutionen, welche öffentliche Bilder erzeugen, und die Logos für Produkte zum Bezugsrahmen geworden. In früheren Zeiten fungierten die "innere Erfahrung" oder "Visionen" als Ausgangspunkt.

Moderne Bilderzeugung befaßt sich daher mit den formalen, institutionellen und politischen Elementen, die das Bild aufbauen. In diesem Sinne kann der visuelle Künstler durch Zerlegen der Bildelemente den Bezugsrahmen und die Darstellung des Bildes verändern. Bauen die politischen und institutionellen Mächte die Welt auf und nutzen sie die Künstler als gutbezahlte Sklaven, um die Welt so darzustellen, wie sie sie aufgebaut haben? Eine der wenigen Strategien einer sozial machtlosen Klasse, zu der auch die Künstler gehören, ist es, Bilder zu zerlegen und neu zusammenzusetzen. Zwischen Scylla und Charybdis, zwischen der Darstellung und dem Aufbau der Welt – der klassischen Dichotomie zwischen machtlos und mächtig, zwischen Kunst und Politik – gibt es einen dritten Weg: Dekonstruktion und Rekonstruktion, Scanning und Resynthesis, Sampling und Scratching. Statt der Darstellung, die immer eine Form der Anpassung ist, die immer eine Form der Bestätigung ist, können das ästhetische System und das soziale System ein Kopplungssystem für Zerlegen und Wiederzusammensetzen sein. Der zeitgenössische Künstler muß daher vor allem die öffentlichen Bilder, die Bilder der Macht, zerlegen und wieder neu und anders zusammensetzen, in dem Bestreben, die Geschichte neu zu erschaffen, die Gegenwart neu zu erfinden und die Realität neu zu erfüllen. Haben die Medien die Realität in einen Klub verwandelt – den Realitätsklub, der den Anwälten, Politikern, Gesellschaften, Firmen, Institutionen und dem Militär gehört? Der Künstler und jeder Einzelmensch hat die Chance, die Realität durch Zerlegen der Medienbilder neu zu erfinden. Die meisten Menschen erfahren das reale Leben nur durch von Macht kontrollierte Medien. Leben aus zweiter Hand als ein Medien-Ersatz für das wirkliche Leben, ist das Schicksal der meisten Menschen. Die Welt wurde ein privater Klub – nur für Mitglieder, die Mitglieder der herrschenden Klasse. Gemälde sind eine Art von Eintrittskarte für diesen Klub. Medienbilder von Künstlern können sich in schmutzige Eintrittskarten verwandeln, gefälschte Eintrittskarten, und daher die Logik der Mitgliedschaft untergraben. Die Macht abzubauen ist die wahre Absicht der Dekonstruktion: das System in Widerspruch zur Darstellung in den Medienbildern in Frage zu stellen.

Statt einer Ontologie des Bildes, aufgebaut auf der Dreifachbeziehung Objekt–Sein–Wahrheit, brauchen wir eine Erkenntnislehre des Bildes, aufgebaut auf die Dreifachbeziehung Zeichen–Macht–Wahrheit. In dieser neuen Beziehung und Grundlage künstlerischer Arbeit haben wir die Möglichkeit, die Macht aufzudecken, durch Wiederherstellen, Zerlegen, Wiederverschlüsseln und Entschlüsseln der Zeichenreihen und durch Neudefinition der Zeichen. Dieser Wechsel von der Ontologie zur Erkenntnislehre wird bereits angekündigt durch den Wechsel von der Produktion zur Nach-Produktion, typisch für das elektronische Bild. Die Ontologie des Bildes gründet auf den Mythen der alten Produktionsmethoden. Die Erkenntnislehre des Bildes gründet auf den neuen Produktionsmethoden, die nach-produktiv und fern-apparativ sind. Lokale topologische Produktionsmethoden werden durch räumlich-zeitlich verzweigte Post-Produktionsmethoden ersetzt. Diese Verschiebung von der Produktion zur Nach-Produktion, welche den Übergang vom kinematografischen zum elektronischen Bild zur Gänze charakterisiert, geschah im wesentlichen in den siebziger Jahren und wurde natürlich zu Beginn als Abwertung des Bildes erfahren. Seit damals konnte jedes schlechte Bild in der Nach-Bearbeitung gerettet werden, und die konstruktiven Elemente des Bildes wurden zum Sujet des Bildes an sich. Die technisch am meisten konstruktiven Elemente des Bildes wurden selbst das Thema und der Inhalt des Bildes.

Durch Nach-Produktion rückte sowohl die Möglichkeit der freien Verfügbarkeit (der Geschichte) des Bildes als auch der Enteignung des Bildes ins Bewußtsein. Die Inflation der Bilder war die zweite Welle, hervorgerufen durch die Betonung der Nach-Bearbeitung. Die erste Welle, der logische Vorläufer, war die Entlarvung des Bildes, die Auslöschung der historischen Qualitäten der Bilderzeugung, die jetzt, in der dritten, wiederbelebenden Welle, wieder angeregt wird – als ein Antrieb, ein Hunger nach dem Bild, als Nostalgie für eine verlorene Sache.

Der Vorgang der Bildherstellung ist historisch definitiv und endgültig von der (lokalen) Produktion getrennt und damit auch von diesbezüglichen Begriffen wie Eigentumsrecht usw. Die traditionellen, mit der lokalen Produktion verbundenen Parameter von Zeit, Raum und Sozialisierung werden gleichfalls durch die post-produktiven Tendenzen verwandelt. In der Nach-Produktion tendieren Bilder bis dahin, neue soziale, zeitliche und räumliche Methoden zu zeigen, auch Utopien der Enteignung usw. Aneignung (Appropriation) ist das Reizwort, das versucht, die produktionsmäßigen und sozialen Folgen zu beschreiben, die sich aus der Verschiebung von der Produktion zur Post-Produktion bei der Bild- und Tonherstellung ergeben und die eine allgemeine Tendenz in der Wirtschaft bei der Herstellung von Gütern wiederholen. Das Gespräch über die Aneignung bezieht sich daher nicht nur auf die Verwendung von Bildern oder Tönen, die bei anderen gefunden werden, von den Bild- und Ton-Banken oder auf die Enteignung von Bilden – was oft nicht die Gefahr vermeidet, die Gegenwart zu historisieren und die Geschichte zu neohistorisieren, wie im Falle der neuen Kunstbewegungen (vom Neo-Expressionismus bis zu Neo-Geo). Die wirkliche Aneignung wäre, den an der Macht befindlichen Apparat zu enteignen – den Apparat der Darstellung, wie wir ihn kennen. Die Entlokalisierung oder Fernproduktion (in der Nach-Bearbeitung) bedeutet nicht, sich von der Geschichte zu distanzieren, oder diachrone Annäherungen zu bevorzugen, sondern eher, die Geschichte der Macht zu distanzieren, die von der Macht geschriebene Geschichte. Aneignung bedeutet daher eigentlich Enteignung der Macht.

Ahistorisch und apolitisch zu werden ist das Ergebnis einer oberflächlichen kapitalistischen Interpretation von Appropriation, wie sie in den Neo-Bewegungen der Kunst offenbar wird, wo hingegen Aneignung, verstanden als Enteignung, ein Neuschreiben der Geschichte bedeuten könnte, eine Neuschaffung der Welt durch historische und soziale Zerlegung der Bestandteile des Bildes, des Bilderzeugungsprozesses, der Darstellungsmethode des Bildes. Das Bild unterdrückt die Realität in seinem Gefüge und seiner Gestaltung, in seiner Referenz – und Repräsentationsweise. Diese Unterdrückung ist mit einer speziellen Funktion verbunden, die aus der vernachlässigten Tatsache stammt, daß das stabile Bild (z.B. ein Gemälde) nicht der letzte Wert ist, nicht in sich selbst realen Wert hat. Das Bild braucht seine Unterstützung durch andere Werte – durch Geschichte, soziale Akzeptanz und Geld. Der Wert des Geldes ist der reale Wert des Bildes. Geld ist der letztlich bestimmende Wert. Ohne diese Unterstützung hat ein Bild keinen Wert und existiert nicht. Wie der Scheck oder die Kreditkarte sich auf Geld bezieht und nicht auf Objekte, so verkörpert auch das Bild eine Telepräsenz, einen Abstraktionsgrad, eine abstrakte Tauschform, die sich nur mehr auf Geld bezieht. Geld ist die Tele-Präsenz von Objekten und Werten. Das Bild als die Tele-Präsenz von Objekten wiederholt diese Logik des Kapitals. Öffentliche Bilder sind daher Bilder, die Geld unterstützen, die diese Fassung und Form der Gesellschaft unterstützen, jenes Weltreich an Werten, in dem Geld den letzten und grundlegenden Wert darstellt. Öffentliche Bilder sind daher Werbebilder für diese Werte. Öffentliche Bilder übermitteln im allgemeinen nicht die Wahrheit; sie sind Strategien der Verführung, die Waren verherrlichen. Wie Geld, so führt auch das Bild, vor allem das öffentliche Bild dazu, die Realität zu unterdrücken.

Auf dieser Grundlage können wir sehen, daß die Kunst nicht den höchsten Grad von Freiheit einschließen kann, wie dies proklamiert wird. Gerade das Gegenteil ist wahr. Aus freiem Handel und freien Medien entstand nicht ein freier Austausch von Informationen, sondern die Information wurde in einen Tauschwert am freien Markt verwandelt. Indem Information zur Ware wurde, wurde die Information selbst in solchem Ausmaß verschleiert, daß die Aufdeckung der Wahrheit über wichtige soziale Fakten und Ereignisse, wie wir alle wissen, nahezu unmöglich geworden ist. Es ist eine lächerliche Lüge, daß es in irgendeinem Land eine freie Presse oder freie Medien gibt. Nicht der Nachrichtenwert der Information ist wichtig, sondern vielmehr ihr abstrakter freier Tauschwert bzw. ihre machtpolitische Signifikanz.

Alles wurde liberalisiert, wurde befreit – die Künste, die Medien, die Zeichen – genau zu dem Augenblick in der Geschichte und nur unter der Bedingung, daß Freiheit keine Bedeutung mehr hat, zumindest nicht in ihrer historischen Bedeutung. Freiheit bedeutet heute eine Freiheit der Abstraktion, die Abstraktion von allem und jedem in einen Tauschwert, in einen abstrakten freien Tauschwert.

DER ELEKTRONISCHE KOLONIALISMUS
Diese Freiheit der Kunst, die eine Abstraktion des freien Tauschwertes darstellt, ist ein weiterer Grund dafür, warum die Kunst sich nicht mit der Realität befaßt, besonders nicht mit der Dritten Welt. Epidemien sind Indikatoren, die unsere Kultur als schwarze Löcher, als Implosionen zeigen. Medien wurden ein Mittel, nicht nur um andere Völker zu kolonialisiercn, sondern auch das eigene Volk. Das Weltreich der Kolonisation, im Sinne der Kolonisierung von Kontinenten und Völkern, ist schließlich zusammengebrochen. Ein kultureller Beweis für das Verschwinden räumlicher Kolonisation ist die nostalgische Aufbereitung von kolonialem Glanz oder Elend im kommerziellen Film. Nach dem Zusammenbruch der räumlichen und rassischen Kolonisation begannen die Leute an der Macht, ihr eigenes Land oder fremde Länder zeitlich oder geistig zu kolonialisieren. Fernsehen ist das Mittel, um das eigene Volk zu kolonialisieren. Öffentliche Medien beherrschen, kolonialisieren und unterdrücken das eigene Volk und beuten es aus. Die geistige Kolonisation des eigenen Volkes, diese brutale Verlängerung der historischen Art der Ausbeutung und Unterdrückung, ist die Kolonisation der Wünsche, des Bewußtseins, des Bedarfs und der Werte, der Stile und Gefühle, des Verhaltens und der Ziele. Eine schwache Art von Erkenntnis dieses Problems, eine gegenwärtige Verfahrensweise, Bilder der Massenmedien, der Medien der Kolonisation, aufzunehmen und abzubauen. Die Entkolonialisierung der Medien ist die Aufgabe der zeitgenössischen Künstler. Aufgebaut auf die Macht der Darstellung kolonialisieren die Institutionen der Macht das Volk mit darstellenden Bildern, denen die Morphologie des Verlangens folgt. Nach der Zerstörung der Darstellung ist der nächste Schritt, die Medien zu entkolonialisieren, die Medienbilder wieder in Besitz zu nehmen und die Realität wiederzugewinnen. Die Medien zu entkolonialisieren ist ein Weg, die Weltherrschaft der Macht abzubauen und zu zerstören.