Imaginary Landscape: Electronik in Live-performance, 1989 & 1939
'Nicolas Collins
Nicolas Collins
Auszug eines Referates anläßlich des "Audio Art Symposium" in Linz, September 1988
John Cage's Imaginary Landscape #l, geschrieben 1939 für zwei Plattenspieler mit variabler Geschwindigkeit, gedämpftes Klavier und Becken sowie Testaufnahmen von rein elektronischen Tönen, ist als eines der ersten Stücke live-aufgeführter elektronischer Musik berühmt geworden. Dabei sind aber andere, weniger augenfällige Aspekte dieser Komposition noch eher als revolutionär zu betrachten. Statt eines der kostspieligen elektronischen Instrumente jener Zeit zu verwenden, wie z.B. das Ondes Martenot oder das Theremin, wählte Cage den Plattenspieler – ein erschwingliches Gerät, das man vorher noch nie als "Instrument" bezeichnet hatte und das theoretisch von einem jeden gespielt werden konnte. In prophetischer Voraussicht alternativer Aufführungsorte stand in der Partitur ausdrücklich, daß das Stück zu "Aufnahme- oder Sendezwecken" aufzuführen sei. Schließlich wurden die Klänge tatsächlich in eine Landschaft, eine landscape, gesetzt, da sie in radikal neuartiger Weise, so wie Klänge im Alltagsleben vorkommen, angeordnet wurden und nicht mit aller Gewalt wie "alte Musikinstrumente" klingen sollten (so beklagte sich Cage in seinem Manifest von 1937, The Future of Music: Credo). Diese Verflechtung von Technologie mit ihren musikalischen und sozialen Bezügen unterscheidet dieses Musikstück von anderen Musikstücken seiner Zeit und von allen Werken elektronischer Musik der vergangenen 20 Jahre und stellt einen der wichtigsten Beiträge von Cage zur Musik des 20. Jahrhunderts dar.
Nach der Blüte elektronischer Musik nach Cage in den siebziger Jahren ist es eine Forderung unserer Tage, die Rolle der Technologien in der zeitgenössischen Musik neu zu bewerten. Bei der elektronischen Instrumentierung hat die Popmusik die Avantgarde verdrängt. Viele der bedeutenden Persönlichkeiten der früheren Periode und die meisten der neuen, jüngeren Komponisten wenden sich wieder verstärkt den traditionellen Instrumenten zu.
Dieses Referat wird sich mit den drei Hauptfragen befassen, die ich als zentral für diese Veränderung ansehe: die "Glockenkurve" der Evolution musikalischer elektronischer Technologie; deren Zusammentreffen mit dem Entstehen und Vergehen des Minimalismus; und die langfristige Bedeutung der Ideen, die zum erstenmal in "Imaginary Landscape" gebracht wurden. Juni 1988
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