Bells & Voice
'Llorenç Barber
Llorenç Barber
Der "Linguofarincampanologe" Llorenç Barber bespielt in seinem Stück "Spanische Glocken" einen kleinen, zerlegbaren Glockenturm mit Schlegeln, Atem und Stimme. Aber die Vorstellung, daß hier bloß auf einem Instrument gespielt würde, ist schief; es ereignet sich vielmehr ein intimer, aber auch zeremonieller Dialog zwischen Instrument und Spieler, eine Begegnung der metallischen Höhlung der Glocke mit der fleischigen, feuchten Höhlung des Mundes, ein Ausdruck absoluter Kommunikation.
Die "Spanischen Glocken" basieren nicht auf einer Partitur, obwohl im Verlaufe des Stückes eine Sequenz von "Sätzen" und formale Entwicklungslinien deutlich erkennbar werden. Es handelt sich um eine "strukturierte" Improvisation. Aus dem Einsatz bestimmter Techniken und der damit verbundenen Klangmöglichkeiten resultieren formbildende Tendenzen. Die Improvisation folgt einer formalen Idee, aber die Struktur ist jederzeit veränderbar. "Es ist meine Sprache. Es passiert eine unbeabsichtigte Formbildung. Ich ziehe es vor, ehrlich und frei zu sein, nur das zu benutzen, was ich in den Händen halte. Ich möchte vom Raum und Publikum abhängig sein. Ich will mich nicht wiederholen. Ich möchte mich überraschen."
Die Geschichte des Instruments ist die eines Zufalls. Barber fand auf der Suche nach einem Aschenbehälter für seinen Ofen in einer kleinen Fabrik ein altes schüsselförmiges Eisenteil und war von dessen Klangeigenschaften fasziniert. Er kaufte im Laufe der Zeit eine große Sammlung dieser Stücke unterschiedlicher Größe. Sie dienen normalerweise als Deckel von Wassercontainern. Er begann seine spezielle Technik des Glockenspiels wie beiläufig zu erfinden, indem er mit den Glocken sprach und sie mit dem Mund berührte. In den ersten Konzerten wurde nur eine einzige Glocke mit einem Schlegel verwendet. Die neue Technik des Mundspiels fand ihren reinsten Ausdruck in Konzerten mit zwei Glocken annähernd gleicher Größe, die mit sehr weichen Schlegeln gespielt wurden, so daß bei annähernd unhörbarem Grundton eine Musik der sich kreuzenden Obertöne und deren Schwebungen entstand. Erst allmählich stellte Barber mehrere Glocken zusammen und entwickelte die perkussive Seite des Instruments. "Ich brauche Zeit, ich springe nicht." Nach Barber ist die "Linguofarincampanologie", also etwa "Sprachschlundglockenkunde", eine Kunst und Pseudowissenschaft, die sich beschäftigt mit der Bewegung der Klöppel, Gehirne, Muskeln, Glocken und Masken, mit der gegenseitigen Durchdringung des Äußeren, dem metallischen Hohlraum der Glocke und des Körperinneren, der Mundhöhle. Musik einer dualen Höhlung demnach. Das Blasen, Atmen und Singen der Mundhöhle in Kontakt mit der Metallhöhlung schafft ein Kaleidoskop der Obertöne und Zusammenklänge, die ihren eigenen Wegen folgen (aerodynamische Labyrinthe). Der Klang der einen Höhle ist die Nahrung der anderen. Das Metall verwandelt sich in Fleisch, und die Kehle metallisiert sich. Der Mund ist ein doppelter Filter und Resonanzkörper, für die Glocken wie für sich selbst: er schluckt den Glockenklang und regt ihn gleichzeitig durch Atmen und Laute zu gemeinsamer Vibration an, schafft eine Kollision/Vermählung, aus der eine Verlagerung in ein Drittes – ein Gefundenes, Schönes, Erhellendes entsteht. Die Zunge und die Lippen, die manchmal die Glocken berühren, oder doch nur beinahe berühren, die spezielle Körperhaltung, nahe vor und etwas unter dem Instrument sitzend, der rituelle Tanz der Arme in Kopfhöhe: "Meine Musik ist ein persönliches Spiel des Liebens, freundlich zu einem Instrument zu sein, ein Material zu lieben, es zu küssen, weil ich es liebe." Matthias Osterwold
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