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Ars Electronica 1988
Festival-Programm 1988
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Festival 1979-2007
 

 

Hex/"Holosound"


' Logos-Duo Logos-Duo

1. Konzertversion
– ein Konzert für Violine und computergesteuertes Orchester, bestehend aus elektroakustischen, selbstgebauten Instrumenten
Solo: Moniek Darge

2. Audio-art
Installationsprojekt
– für Laptopcomputer und acht eingesperrte elektroakustische Instrumente

Eines der hervorstechendsten Merkmale der Werke von Godfried-Willem Raes seit 1968 ist wohl der mehr oder weniger ausgeprägte Einsatz von neuen und einmaligen Instrumenten und Klangquellen. Es handelt sich dabei fast durchwegs um grundsätzlich akustische Instrumente und Klangquellen, auch wenn die Klänge oft per Lautsprecher zu den Ohren des Publikums gelangen. Das gilt sicherlich auch für sein Werk "HEX". Obwohl bei beiden Versionen dieses Stückes ein Zentralcomputer verwendet wird, der die globale Entwicklung der Musik in der Zeit steuert, stammen alle zu hörenden Klänge von tatsächlich schwingenden Objekten wie Saiten, Metallblättern, Federn etc.

… In dem Stück werden keinerlei Klangoszillatoren verwendet. Deshalb klingt auch das in diesem Stück verwendete Klangmaterial nie wie eine Karikatur realen Klanges, wie das nur allzuoft bei elektrischer Musik der Fall ist. Und doch sind sowohl visuell wie auch funktionell elektronische Schaltkreise in diesem Stück vorhanden und absolut dominierend. Bei der Klangerzeugung werden kleine, aber schnelle Einfunktionscomputersysteme eingesetzt, um die Schwingungen der physikalischen Objekte genau zu steuern, die auf den Leiterplatten, aus denen die einzelnen Instrumente bestehen, enthalten sind. Sie sind derart programmiert, daß es nie zu periodischen Oszillationen in den Objekten kommen wird. Zuerst aktiviert der Schaltkreis das Objekt und gibt anschließend jede entstehende Resonanz ein. Eine daraufhin folgende numerische Berechnung löst eine Sequenz von Pulsen aus, die sich von der zuerst abgelesenen Zahl ein wenig unterscheidet. Ab da wiederholt sich der Vorgang – d.h. eigentlich ist es eine gerechnete Rückkoppelungsschleife – bis ein Stoppbefehl gegeben wird. Diese Schaltkreise, die von dem Autor eigens zu diesem Zweck entwickelt und gebaut wurden, und zwar acht für "HEX", werden ihrerseits einzeln von einem kleinen Laptopcomputer gesteuert, der als zentrales Makrosteuergerät dient. Er ist mit den einzelnen Karten durch ein 8 Bit breites, paralleles bidirektionales Bindeglied verbunden. Dieser Computer, ein modifizierter Epson HX-20, fährt sowohl das Programm für die Konzertversion wie auch für die Installationsversion des Stückes. Da bei dieser Schaltung die meisten der algorithmischen Aufgaben in Realzeit den einzelnen Instrumenten auf Karte zugeteilt sind, kann ein kleiner zentraler Computer zum Einsatz kommen, da seine Aufgabe ausschließlich auf die Ausführung und Steuerung der Makrostruktur der musikalischen Komposition beschränkt ist. Bei der Konzertversion wird dieses Programm interaktiv gestaltet, d.h., daß der zentrale Computer durch den Autor bedient wird, der je nach den Umständen der Performance den expressiven Verlauf des Stückes in Realzeit bestimmen kann. Gemeinsam mit dem Operator übernimmt der Computer die Rolle des Orchesters und sein Verhältnis zur Solovioline ist ganz ähnlich dem bei einem klassischen Konzert. Nur hat die Violine nicht eine vollständig individuelle musikalische Linie, da der Computer Zugriff auf ihre Klänge hat und sie modulieren und in die Palette des Orchesters integrieren kann. So wird das Stück wirklich interaktiv.

Im Fall von "HEX" als automatisiertes Audioinstallationsprojekt, fährt der zentrale Computer ein gänzlich anderes Programm und ist die visuelle Präsentation des Stückes auffällig. Hierbei sind alle auf Schaltkarten gedruckte Instrumente in Käfigen montiert, etwa zu vergleichen mit den Musikern in einem Orchester. Sie sind alle an den zentralen Computer mittels langen Flachkabeln angeschlossen und führen dessen Befehle und programmierten Wünsche kunstgerecht aus. Dennoch hat jedes von ihnen seinen spezifischen Charakter, auf den das zentrale Gehirn absolut keinen Einfluß hat.

Ein visueller Aspekt beider Versionen von "HEX" ist, daß alle Schaltkreise, Instrumente und Leiterplatten offen und unverkleidet belassen werden. So kann jeder, der genau schaut, das Funktionieren der angeschlossenen Objekte wahrnehmen. Dadurch entsteht einerseits ein direkt magischer Eindruck, der aber andrerseits bei genauerem Hinsehen wieder entmystifiziert wird.

ENTSTEHUNG
"HEX" wurde im März 1988 in Kigali, der Hauptstadt von Ruanda, uraufgeführt. Bei der Welttournee von Logos-Duo im gleichen Monat stand dieses Stück auf dem Programm und wurde auch in Nairobi, Bangkok, Wellington (beim dortigen Computermusik-Festival), in Auckland und Hongkong aufgeführt. In Europa wurde das Stück erstmals im Juni 1988 in Den Haag anläßlich des Audio Art Festivals aufgeführt. Bei all diesen Aufführungen war Moniek Darge die Solistin.
Als Installation wird das Stück erstmals bei dem Festival in Linz, Österreich, aufgeführt, gemeinsam mit der früher entstandenen "Holosound"-Installation. Danach wird es die Reise nach Köln und verschiedenen Orten in den USA antreten.
"HOLOSOUND"
Holosound verzaubert den Raum
kleinste Bewegungen versetzen den Raum in Schwingungen
ein Finger
eine Zehenspitze
Wellen treffen auf das Trommelfell und werden zu Klängen
Bewegungen hören
im Banne von Hexenkunst
Zauberei
rote Kreise als Demarkationslinien
Umgrenzung magischer Sphären
Schlüssel metallischer Klänge
faszinierendes Zentrum des Nichts
Feuer
Phönix und Rauch
wortloses Entschwinden in Leere

Die in HOLOSOUND geschaffenen Ultraschall-Bewegungshologramme übersetzen jede einzelne Bewegung in Klang. Ebenso soll HOLOSOUND die mögliche Realisation eines dynamischen, mehrdimensionalen Oszillations-Systems sein, das durch die unmittelbaren Körperbewegungen eines Performers in Realzeit kontrolliert werden kann.

Bewegung ist nicht nur sichtbar, sie ist auch hörbar. Ein frequenzmodulierter Ultraschall-Sender wird in einem Raum aufgestellt und auf drei Ultraschall-Empfänger gerichtet, die in vier Ecken eines imaginären Vierecks stehen (alle Winkel haben 60 Grad). Der Raum wird verzaubert und begrenzt durch zwei rote magische Kreise.

Sobald die Akteurin den das Viereck einschließenden äußeren Kreis betritt, empfängt jeder der drei Empfänger ein unterschiedliches Differenz-Signal: die Bewegung bewirkt einen Doppler-Effekt der ursprünglichen Ultraschallwelle, und mittels der relativ langsamen Körperbewegungen wird eine geringfügige Tonhöhenverschiebung erzeugt. Diese Differenz-Tonhöhe liegt innerhalb des Hörbereichs. Alle Klänge werden ausschließlich durch die Bewegung der Akteurin innerhalb der magischen Kreise erzeugt. Sie spielt ein geheimnisvolles, unsichtbares Instrument, sie spielt den Raum selbst.

Der zweite Performer sitzt bewegungslos außerhalb der magischen Kreise und bedient die Elektronik, mittels der die drei Signale gemischt und kontrolliert werden. Deren Summe wird sodann verwendet als Frequenzmodulations-Quelle für den Ultraschall-Sender. Dieser Teil des Equipments stellt ein erstes mehrdimensionales Oszillations-System dar, welches vollständig und in sinnvoller Weise durch Bewegung gesteuert werden kann. Es handelt sich also um ein Klang-Hologramm, in dem ausschließlich musikalisch relevante Bewegungs-Parameter verwendet werden: im Gegensatz zu Systemen, die – meistens durch Licht gesteuert – auf der Basis von Nähe und Entfernung arbeiten.

Im zweiten Teil von HOLOSOUND wird ein zweites dreidimensionales und quadrophonisches Oszillations-System eingesetzt. Die drei Signale der Ultraschall-Empfänger werden als Eingang für spezielle magnetische Transducer benutzt, die eine Anzahl austauschbarer Objekte (z.B. Metallfedern, Rasierklingen, Stahlbänder, Plastik …" auch ein Sandwich würde es tun) zum Schwingen anregen. An diesen Objekten wiederum werden piezoelektrische Elemente befestigt; deren Signale werden verstärkt und digitalisiert, und können so durch einen computer-gesteuerten "Modulo-N Divider/Multiplier" verarbeitet werden. Nach diesem programmierten Prozeß wird das Signal, zusammen mit dem aus den Ultraschall-Empfängern abgeleiteten ursprünglichen Signal, wieder zurückgeführt zu den Vibrations-Transducern. Auf diese Weise werden vier dreidimensionale und kontrollierbare Oszillations-Systeme geschaffen, die ausschließlich durch Bewegung ausgelöst werden.