Spectral Musik
MUSICA COSMOGRAPHICAKlang-Monument for Johannes Kepler
'Peter Weibel
Peter Weibel
Toninstallation. Eine Ineinanderschachtelung von akustischer Nähe und visueller Ferne. Technische Assistenz: Franz Xaver Skulpturale Assistenz: Hans Weigand
Ubi materia, ibi geometria. J. K.
Ubi geometria, ibi musica. P. W. Diese Klang-Skulptur bezieht ihr Tonmaterial aus der Umwelt, insofern ist sie eine umweltspezifische Klangskulptur, was das Thema des Klangparks ist. Diese Installation bezieht aber nicht Töne aus der Umwelt, die sie dann verstärkt oder verändert wiedergibt, sondern sie bezieht BILDER aus der Umwelt, und nicht einmal aus der unmittelbaren Umwelt, sondern Bilder aus einer weit entfernten, orbitalen Umwelt. Diese Bilder werden tele- bzw. satelliten-kommuniziert. Was vor Ort geschieht. ist die Umwandlung der Bilder in Töne. Vor Ort hören wir die Töne von weit entfernten Bildern. Diese umgebungs-spezifische Umwandlung geschieht auf computerunterstützter, digitaler Basis. Die umweltspezifischen Töne werden mit Hilfe eines Computers erzeugt, dessen Programm sowohl die visuellen Daten in akustische Daten umwandelt als auch die Klang-Komposition des Synthesizers rechnerisch steuert. Es handelt sich also um berechnete Musik, MUSICA COMPUTA. Diese Computer-Musik ist aber gleichzeitig MUSICA COSMOGRAPHICA, denn sie bezieht ihr Material aus der grafischen Beschreibung des Kosmos. Umweltspezifische Computermusik statt computerimmanente ist das Ergebnis dieser Klang-Installation.
Für die Griechen hatten die 5 regelmäßigen Körper eine mystische Bedeutung. Plato hatte die 5 regelmäßigen Körper (Tetraeder, Hexaeder, Oktaeder, Ikosaeder, Dodekaeder), welche Euklid im 13. Buch seiner "Elemente" untersucht hatte, jenen irdischen Elementen zugeordnet, welche die Materie der Welt ausmachen. Das Feuer sollte dem Tetraeder, die Erde dem Würfel, die Luft dem Oktaeder, das Wasser dem Ikosaeder und die Himmelsmaterie (der Äther) dem Dodekaeder zugeordnet sein. Deswegen nennt man heute diese 5 regelmäßigen Körper platonische Körper. Kepler folgte Platons Spur und glaubte, in den platonischen Körpern den Schlüssel zum Planetensystem, dem "Mysterium Cosmographicum" (1596) zu finden. Die Zahl der Planeten und ihre Abstände von der Sonne erklärte Kepler durch die Ineinanderschachtelung der fünf regelmäßigen platonischen Körper, welchen Kugeln einbeschrieben sind. Die Radien der jeweiligen Kugelschalen ergaben die 6 Sphären, auf denen sich die Planeten "sphärenharmonisch" bewegen, Die Quadrate der Umlaufzeiten der Planeten verhalten sich wie die Kuben der Abstände der Planeten vor der Sonne. Dieses dritte Keplersche Gesetz, nach eigenen Angaben am 15. Mai 1618 (in Linz) entdeckt, verglich die Proportionen der Umlaufzeiten zweier Planeten mit den Proportionen der mittleren Abstände, der Bahnen selber.
Dadurch näherten sich die Planetengesetze der pythagoräischen Proportionslehre von den musikalischen Harmonien an, die von den ganzzahligen Proportionen (Verhältniszahlen) zwischen den schwingenden und nichtschwingenden Abschnitten einer Saite ausgeht. Wenn zwei Abschnitte in der Proportion 3:2 stehen und der längere Abschnitt schwingt, erhalten wir als Ton die Quint. Da die Abstände der Planetenbahnen, die Umlaufzeiten und die Bewegung der Planeten harmonikalischen Proportionsgesetzen zu gehorchen schienen, mußte es eine überirdische, nur für den Verstand intelligible Sphärenmusik geben, welche die Planeten auf ihren Umlaufbahnen begleitete und das Universum erfüllte. Die "Sphärenharmonie" war gefunden: "Harmonice Mundi" (Welthamonik), 1619 publiziert. Friedrich Wilhelm Herschels Entdeckung des Planeten Uranus im Jahre 1781 hat Keplers Erklärung der Bahnradien durch die platonischen Körper zerstört, nicht aber die Idee der "Sphärenharmonie", deren Echo wir noch bei der Deutung des Atomaufbaus in der Kreisbahn der Elektronen finden. Erwin Schrödingers Gleichung für die Elektronen des Atoms, 1926 in seinen "Abhandlungen über Wellenmechanik" veröffentlicht, ist eine Übertragung von Pythagoras' Harmonienlehre schwingender zweidimensionaler Saiten auf die Schwingungsformen des dreidimensionalen Atoms. Wie nur gewisse Frequenzen bei Pythagoras möglich waren, so sind auch nur bestimmte Schwingungsformen des Elektrons im Atom möglich und jede dieser Schwingungsformen entspricht einer genau festgelegten Energie, die beim Übergang von einer Schwingungsform in die andere als elektromagnetische Strahlung das Atom verläßt. "Was wir heutzutage aus der Sprache der Spektren heraushören, ist eine wirkliche Sphärenmusik des Atoms, ein Zusammenklingen ganzzahliger Verhältnisse … Alle ganzzahligen Gesetze der Spektrallinien und der Atomistik fließen letzten Endes aus der Quantentheorie. Sie ist das geheimnisvolle Organon, auf dem die Natur die Sphärenmusik spielt … ", schreibt Arnold Sommerfeld in "Atombau und Spektrallinien" (1931). Eine Sphärenmusik ist also durchaus noch möglich, insbesondere in Linz, wo Johannes Kepler die Jahre 1612 bis 1626 verbracht und die fünf Bücher seiner "Weltharmonik" geschrieben hat.
Die Idee der Sphärenmusik wird beim Wort genommen und Musik von der Atmo-Sphäre direkt abgeleitet. - Ein Wettersatellit namens Meteosat
sendet seine digitalen Bilder (800 x 800 Bildpunkte pro Bild) von der Erde und von ihrem atmo-sphärischen Zustand direkt alle halben Stunden zu einer im Donaupark stationierten Satelliten-Antenne. Diese Antenne leitet die Bilder weiter zum Bildschirmspeicher des Computers, an den ein Monitor angeschlossen ist, auf dem diese Erd-Bilder (Kontinente, Wolken) zu sehen sind.
- Dieser Monitor
befindet sich in der Erde, von einer Glasplatte überdeckt. Der Betrachter steigt auf eine Plattform und dann auf die Glasplatte über dem TV-Apparat. Wenn er auf den Bildschirm blickt, blickt er direkt in das Erdinnere, in das Zentrum der Erde, auf der er steht. Sein Blick aber hat eine Position weit jenseits der Erde. Der Mensch steht auf der Erde, sein Auge aber fliegt gleichsam über der Erde. Körperliche und visuelle Wahrnehmung sind gespalten. Er ist gleichzeitig anwesend (Körper) und abwesend (Auge). Live nimmt der Betrachter Bilder der Erde wahr, die er eigentlich nur sehen könnte, wenn er sich außerhalb der Erde befände. Er blickt in die Erde, aber gleichzeitig live auf die Erde von außen. Er steht auf der Erde, aber was er sieht, ist die Erde, Tausende Kilometer entfernt. Der vom Körper dislozierte Blick ist ein doppelter Blick (vom realen Auge und vom Prothesen-Auge). Zwei Bilder und zwei Empfindungen stellen sich ein: auf der Erde zu sein und nicht zu sein, in die Erde zu schauen und auf die Erde zu schauen, Gefangener der Gravitation, festgeklebt an die Erde,und Triumphator über die Gravitation, freischwebend im Raum, zu sein.
- Ein Computer.
Ein künstliches Auge (Satellit) beschreibt den Kosmos, liefert uns Bilder vom (atmo-)sphärischen Zustand der Erde. Ein in den orbitalen Sphären sich bewegendes Auge liefert "kosmographische" Sphären-Bilder, die wir hier auf der Erde (in Linz) mit einer Antenne empfangen und auf einem Fernsehschirm wiedergeben. Diese visuelle, graphische Beschreibung des Kosmos, der (Atmo-)Sphäre verwandelt ein Computer in eine akustische Beschreibung der Sphäre: Musica Cosmographica entsteht. Die Bilder der irdischen Sphäre im TV-Schirm, die sich ständig ändern, erzeugen computerunterstützt eine sich ständig ändernde "Sphären"-Musik. Im Bildschirmspeicher des Computers können die letzten elf Bilder des Meteosat gespeichert werden. Die Spektral-Werte dieser Wolken-Bilder (Weiß-, Grau-Werte) ergeben Kurven, die von einem eigens hergestellten Programm in akustische Kurven (Wellen) umgesetzt werden. Die digitalen (Satelliten-)Bilder werden also im Arbeitsspeicher des Computers in digitale Töne umgewandelt, indem das Programm die Kurven-Werte als musikalische Parameter für einen Synthesizer verwendet.
- Ein Synthesizer.
Ein externalisiertes, im All frei schwebendes Auge, das wie ein Planet die Erde umkreist, die Satelliten-Kamera, liefert Bilder der Erde, die im TV-Schirm als Linien von Punkten aufgebaut werden. Diese Scan-Lines, gleichsam Spektrallinien der Bilder, tastet der Computer ab und verwendet sie als Grundlagen für die musikalische Komposition. Als zweiter musikalischer Parameter dienen die Spektralfarben. Die Farben (Weiß- und Grau-Werte) des Wolkenbildes ändern sich nämlich – computergesteuert – ständig, es können die Bilder computergesteuert eingefärbt werden. Diese visuellen Parameter (Kurven-Wellen und Farb-Werte) werden vom Computer in akustische umgesetzt und für eine Komposition benützt. Das sich ständig verändernde Wetterbild der Erde liefert ein sich ständig veränderndes Klangbild. Das Computerprogramm, das die visuellen, digitalen Werte des Wetterbildes in akustische digitale Werte umgesetzt hat, steuert die musikalischen Parameter (wie Tonhöhe, -dauer, Klangfarbe etc.) im Synthesizer. Dadurch entsteht computerunterstützte Musik, die aus dem Sphärenkosmos (in Form von Wetter-Bildern) gewonnen wurde. Die Synthesizer-Klänge gehen darin über Verstärker zu den Lautsprechern in den "kontinentalen" Säulen.
|