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Ars Electronica 1987
Festival-Programm 1987
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Festival 1979-2007
 

 

Box Man


'Peter Weibel Peter Weibel / 'Henry Jesionka Henry Jesionka / 'David Felder David Felder

BOX MAN ist ein 30minütiges Werk in zwei großen Teilen. Jedem dieser zwei großen Teile geht ein Videozwischenspiel voraus und/oder folgt ein Nachspiel. Der erste große Abschnitt führt drei Arten von Verhaltensweisen musikalisch und in Bewegung vor, diese sind manisch, besessen und tobend. Der erste Teil besteht aus fünf Abschnitten, die ihrerseits wieder in drei Gruppen unterteilt sind. Die ersten zwei der fünf größeren Abschnitte dienen jeweils als Resonanz für die vorhergegangene musikalische Sequenz, in der vorher aufgezeichnete antiphonale Videosequenzen sich überschneiden und die Phantomgestalten erstehen lassen. In den drei folgenden Abschnitten deuten Bilder, die zeitgemäß von den musikalischen Sequenzen versetzt sind, die zunehmende Desorientierung und Zersplitterung des Posaunisten an und verbinden die sich entwickelnde Abfolge von Ereignissen durch unzusammenhängende Variation, in der ein Prozeß nicht unmittelbar wahrnehmbar ist. Das Video hat sowohl eine kausale und eine deutende Funktion, es rückt das Verhalten des Performers in den Mittelpunkt und erklärt es.

Jede kleinere Einheit ist musikalisch als Fermate angelegt oder als Stop, als Halt, bei dem erstarrte Bewegung oder langsames Tempo den starken Gegensatz zu der herrschenden manischen Energie vermitteln. Videobilder beantworten und erweitern die Geschwindigkeit, den Grad, das Ausmaß der musikalischen und physischen Gebärde in direkter Beziehung zu dem Performer. Das Video wird also auf drei Ebenen eingesetzt: 1) Weiterführung der physischen Bewegung in direkt wahrnehmbare Beziehung; 2) Entwicklung vielfältiger Schattengestalten als Durchführung der musikalischen/verhaltensmäßigen Charakteristika ohne direkt auf Ebene 1 Bezug zu nehmen; 3) Projektion einer Reihe unzusammenhängender, narrativer Bilder, die als Ursache und Wirkung fungieren. Diese drei strukturellen Ebenen ermöglichen Transformationsprozesse, die hier durch Ebene 2 ausgelöst werden. Im ersten Teil von BOX MAN wird Ebene 1 vierundzwanzigmal, Ebene 2 fünfzehnmal und die dritte Ebene dreimal auftreten. Außerdem wird jeder der zwei Hauptteile des Stückes durch ein pre- und ein postkausales Bild eingeleitet.

Der zweite Teil greift das langsame Tempo auf, das schon vorher im Hintergrund der Bühne in der Bühnenausstattung vorgegeben war. Während sich der erste Teil mit der Aufsplitterung eines einzelnen befaßte, zeigt der zweite Teil diese Aufsplitterung gebrochen durch die Linse des Kollektivs.

Nur das letzte Bild des Nachspiels bzw. des Zwischenspiels von Teil 1 wird langsam ausgeblendet, sonst werden keine Bilder projiziert. Ein abstrakter Wechsel des Tempos, der Perspektive, der räumlichen Dimensionen, der Instrumentation (von Tenor auf Altposaune), der vorher aufgezeichneten Tonbandeinspielungen (16 mehrspurige, vorprozessierte Posaunen) etc. verdeutlichen den radikalen Wechsel von Tag zu Nacht und von einer inneren zu einer äußeren Landschaft. Zart angedeutete Töne werden zu einem Glissando und die Bewegung wird durch sitzende und liegende Stellungen negiert. Der Posaunist schreitet ein Stück die Bühne hinauf und spielt den letzten Ton des ersten Teils, da endet der Performanceabschnitt in einem Stop und langsamer Auflösung. Es verbleibt ein schier bewegungsloses, sehr schönes Videobild als Abschluß.

Beachten Sie bitte die Zeichnungen als Beispiele der exakten musikalischen Struktur.

Dieses Werk beschäftigt sich mit mehreren Beziehungen: 1) Den Beziehungen zwischen einem Performer und seiner technologischen Fortführung durch direkte Audioverarbeitung über digitale Verzögerung und Signalprozessoren. 2) Beziehungen zwischen dem Live-Performer und seinen vorher aufgenommenen und vorher komponierten Phantomgestalten, die nun durch Multiprojektionsvideo und mehrspurige Tonbandeinspielungen entstehen. 3) Den psychotemporalen und psycho-räumlichen Konsequenzen der vorher genannten Beziehungen, die den inneren Kampf zwischen dem einzelnen und dem Kollektiv darstellen und zwischen den Phantomgestalten, die durch Video, Beleuchtung, Bewegung und Ausstattung sichtbar gemacht werden. Der musikalische Ausdruck des Posaunisten bleibt strikt eindimensional trotz der aufgebrochenen visuellen Welt und der traumartig komprimierten, nicht-verbalen, imagistischen Zeit, in der er sich befindet; eine Zeit, die Erinnerungen an die Vergangenheit zerbricht und zukünftige Ereignisse vorwegnimmt.

BOX MAN bringt die obengenannten Beziehungen im Rahmen des Kontextes des erstaunlichen, gleichnamigen Romans des japanischen Schriftstellers KOBO ABE. Der Komponist stellt sich eine Inszenierung vor, die Video und Bewegung spiegelt, die strukturell alle formalen und artikulatorischen Attitüden, die in der musikalischen Komposition eingesetzt werden, zu einem straff durchkonzipierten Werk vereint. Die physische Inszenierung und der strukturelle Aufbau sind faktisch untrennbar verflochten.