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Ars Electronica 1987
Festival-Programm 1987
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Festival 1979-2007
 

 

Stadtwerkstatt TV
Ein Versuchsballon von Kunstfernsehen im regionalen Einzugsbereich



Konzeption und Realisation: Wolfgang Hofmann, Markus Binder, Thomas Lehner, Georg Ritter

STADTWERKSTATT-TV
Über das regionale Kabelnetz im Großraum Linz strahlt die Stadtwerkstatt Programm aus. Das Medium Fernsehen wird als künstlerisches Mittel verwendet, im Unterschied dazu, lediglich Kunst im Fernsehen zu zeigen. Gesendet wird während der Dauer von Ars Electronica. Die fertige Programmversion besteht aus viermal 24 Stunden, zu gleichen Teilen Bandmaterial und Live-Konzepte. Kanal und Frequenz werden bekanntgegeben.

Stadtwerkstatt-TV / Hauptplatzbaustelle
Live-Veranstaltung am Hauptplatz: Akustisches (= nicht elektronisches) Platzkonzert in und mit der Großbaustelle; mit TV-Installation "Der große Fernsehapparat" an der Dreifaltigkeitssäule.

Live-Übertragung dieses Konzerts vom Hauptplatz auf den Hauptplatz. Das Konzert ist eine elektronisch unverstärkte Klangerzählung auf dem Linzer Hauptplatz, mit dem, was die Baustelle als Mittel zur Geräusch- und Klangerzeugung bietet. Besonderer Anlaß für diesen Veranstaltungsort ist die derzeit einmalige Situation des Hauptplatzes als Großbaustelle: Der Platz ist fast zur Gänze aufgerissen, das offene Erdreich von Baggern durchwühlt, Baumaterialien liegen zuhauf, zylindrische Stahlarmierungen, Stahlrohre, Schalungstafeln, vor der Dreifaltigkeitssäule ein Containerdorf, schmale Bretterstege, Baufahrzeuge, Preßlufthämmer, Walzen, Schächte, nach unten ragende Betonsäulen, Ketten, Seile, Werkzeug, alles für den zivilen Verkehr gesperrt, ein städtebaulicher Ausnahmezustand. Dem Konzert liegt, abgesehen von der Ausschlachtung seiner visuellen Qualitäten für die Fernsehübertragung, die Absicht zugrunde, durch einfachste Vorgänge die Klänge der Baustelle aus dem Zusammenhang des Lärms zu entbinden.
TV/KABELPROJEKT
Fernsehen ist härter als alle jemals darin gezeigten Filme.
28.8.87: Bei dem Entschluß, im Rahmen der Ars Electronica ein regionales Fernsehkabel als Instrument der Kunst einzusetzen, geht es letztlich darum, die vorgeschriebenen S(ch)ichten von Wirklichkeit durch die eigenen abzulösen, anhand des Mediums TV. Die Konsequenzen, die sich aus der Vorbereitung dieses Projekts ergaben, sind die, daß es nicht durchgeführt werden darf. Die Medienhandhabung ist weiterhin arretiert. Allerdings hört man: Alles darf gesagt werden. Diese Behauptung beruft sich (ruhigen Gewissens?) auf eine autorisierte Zensur, die im demokratischen Sinn manövrierunfähig ist. Das ist ein Anspruch, dem keine einzelne Körperschaft je gerecht werden kann. Das dauernde Simulieren einer bestimmten Offenheit: Die meisten Zuschauer glauben, da ist wirklich jemand offen.
Ständig begnügt man sich mit dem, was man nicht will. Man macht es aber trotzdem mit Hingabe.

MEDIUM FERNSEHEN/MONOPOL/MONOPOLEMIK
Es erhebt sich die Forderung nach der Umkehrung des Monopols in sein Gegenteil: Jeder Empfänger ist, wenn er es will, auch ein Sender. Sie können durch Anwählen ihres Codes empfangen werden. Es gibt also eventuell so viele Sender wie Empfänger. Dem Fernsehen ist damit sein Mythos genommen: Es wird nicht mehr tendenziell alles gut genommen, was von einer übergeordneten Stelle augenscheinlich für wichtig genug genommen worden sein muß, um der Sendung wert zu sein. Nachdem das Fernsehen jederzeit und für jeden in beiderlei Richtung angewendet werden kann, verliert es seinen zwingenden und geschobenen Belang. Nun schaut man nicht mehr auf zu dem, was in der einen Gralsschale offeriert wird, sondern jeder hat so ein hehres Gefäß, in dem er servieren kann, was er will. Fernsehen ist nun zu einem Werkzeug des Alltags geworden, es gibt keinen mehr, der die letztendlich untragbare Verantwortung auf sich nehmen kann, auszuwählen und zu entscheiden, was allen gezeigt oder vorenthalten werden muß.
Es ist ein einförmiges Ding um das Menschengeschlecht. Die meisten verarbeiten den größten Teil der Zeit, um zu leben und das bißchen, das ihnen von Freiheit übrigbleibt, ängstigt sie so, daß sie alle Mittel aufsuchen um es loszuwerden.

Goethe/Werther
FERNSEHER: Kaltes Medium aber heißes Eisen. Er hat den offenen Kamin, das Höhlenfeuer und somit alle am Feuer stattfindenden Prozesse der Sprachfindung und der Mythenweitergabe abgelöst. Die Wüste zu sehen, ohne zu schwitzen und ohne auf das Alltägliche zu verzichten, bildet der Monitor den Zimmern die Vorstellung der Welt ein, ohne Anlaß zu geben, sich etwas vorzustellen. So zieht der Bahnhof seiner Wege. Das zeigt der Blick aus dem Fenster eines Wagens ohne Räder. Fernsehen wird flüssig, wenn für alle seine Benützbarkeit auch als Sender gegeben ist. Allerdings wird es auch dann noch jedem selbst gelingen müssen, abzuschalten.

Was ist öffentlich, was ist privat? Privates öffentlich ausüben und Öffentliches privat benützen, anstatt Aufgaben im öffentlichen Dienst mit privaten Interessen zu verwechseln.
TV (Lied, 5stimmig):
Da haut sich der Kopf an,
taumelt vom Schlag und liegt darnieder.
Die Kiste ist betäubend,
keiner mehr hat was zu sagen.
Hilfe zur Umnachtung,
allabendlich, zu diesen Stunden,
da die Verklärung der Wirklichkeit am größten ist.
Sonst scharfe Grenzen verrinnen,
flimmern und sind verwischt.
Viele sind davor eingeschlafen.
Die Schlafkiste, Königin des Publikums.
Media regina rei publicae sunt.
Media regina rei publicae sunt.
Der Fernseher, als Veranstalter schweigt er.
Der Fernseher spricht nicht.


Videotendialog:
"Tauschst du mir die Close-Ups von den Bunkern der Maginotlinie gegen die Fischaugenfahrt unter dem rollenden Zug, du weißt schon?"
"Ja, hab ich doppelt."
"Einen Kuß aus der Nähe bräuchte ich auch noch"
"Hab ich zwar mehrere Versionen, mache ich aber selber gerade etwas damit."


(Paul M. zu Martin P.)

Brief z.hd. herrn direktor karl gerbel:
sehr geehrter herr direktor,
nach unserem eben stattgefundenen telefonat moechte ich zu ihrer anfrage vom 28. juli 1987 den standpunkt des orf auch schriftlich festhalten und ihnen der besonderen dringlichkeit halber fernschriftlich mitteilen:
der orf hat, wie sie selbst schreiben, durch das landesstudio oberoesterreich mit der 'liva ars electronica' entwickelt und damit in den letzten Jahren mehr als bei jedem anderen oesterreichischen festival die moeglichkeiten des orf fuer eine grossveranstaltung in unserem Land eingesetzt.
die 'linzer klangwolke' ist nicht zuletzt durch den medieneinsatz des orf zu einem neuen kulturellen wahrzeichen der landeshauptstadt geworden. im vergangenen jahr setzte der orf im fernsehen mit der "videonale", die in zusammenarbeit mit der 'ars electronica' konzipiert und durchgefuehrt worden ist, einen kuenstlerischen medienschwerpunkt zum fernsehen. wobei das gesamtprogramm ueber 20 programmstunden betrug.
was nun das projekt "bruckner-kanal" anlangt, so ist der orf aus rechtlichen gruenden nicht in der lage, ihnen die zustimmung zu erteilen. bitte wenden sie sich an die zustaendigen instanzen, insbesondere an die post. soweit die formelle rechtslage. materiell ist der orf der auffassung, dass aus praejudiziellen gruenden dieses Projekt nicht wuenschenswert ist. der orf haette aber gegen eine ausnahme deshalb nichts einzuwenden, weil es sich bei dem Projekt "bruckner-kanal" um ein avantgarde-programm im bereich kunst/kultur handelt.
ich hoffe, ihnen mit dieser antwort gedient zu haben.

mit freundlichen gruessen
gerhard weis
nnnn
4. 9. 1987: Dreißig Minuten vor der Pressekonferenz und zwölf Tage vor dem Beginn des Festivals trifft im Brucknerhaus, zu Händen des Veranstalters, dieses Telex vom ORF/Wien ein.
Die übrigen aber hörten nicht auf, sich niederzuwerfen vor ihren Dämonen, ihren Bildern aus Gold, Silber, Erz, Stein und Holz, vor Bildern, die weder sehen, noch gehen, noch hören können.

Johannesapokalypse


DAS ANSETZEN GROSSER HÖRGERÄTE
Dem Publikum werden die Augen verklebt, die Ohren verstopft, sodann der (teilweise elektronisch verfremdete!) natürliche Schall des Veranstaltungsortes, wie zum Beispiel das Geräusch des Kartenabreißens, die Beginnfanfare, das Surren des Vorhangmotors, das Klappen der Sitze, das Klicken der Lichtschalter, elektronisch in Licht verwandelt, in so verstärktes und helles Licht aber, daß es sogar in die zugeklebten Augen dringt. Sodann wird das ohnehin vorhandene Licht am Veranstaltungsort, das Tageslicht, die Bühnenscheinwerfer, die Taschenlampen der Saalordner, die grünen Kontrollämpchen der Notlichter, elektronisch in Schallsignale verwandelt, und zwar derart verstärkt, daß es laut und deutlich in die zugestopften Ohren dringt. Dann werden allen Augen und Ohren wieder geöffnet und sie werden in einen tiefen Wald oder einen Speisesaal geführt, um zu sehen und zu hören.
UNÜBERBIETBARE WIRKLICHKEIT
Sie sei hervorgehoben. Geschehen, das gerade Eingang in unsere Sinne findet, ohne daß jemand versucht hat, seine Wirkung vorauszuberechnen, oder gar auf die Eindrücke dessen abzustimmen, was gleichzeitig umher geschieht.

Aber nachdem jeder Versuch, sie hervorzuheben (die Wirklichkeit), wieder ein Kunstgriff ist, … am geringsten vielleicht noch der einfache Hinweis …

Wie läßt sich die Kunstwirkung der Realität hervorheben? Etwa, auf alle Sinne zielend, mit einer so anhaltenden, durchdringenden und hermetischen, generierten "Welt" "verfremdeter" Stimuli, daß jeder, der dann aus ihr entlassen ist und seine Umgebung mit schließlich wieder nichts anderem als seinem Körper wahrnimmt, es merkt, was da von selbst für eine Erzählung los ist?
KLANGREZEPT (Taschenwunder, simple Spezialität)
Ein Stück Zwirn, 80 cm lang, und ein einfacher Drahtkleiderhaken: Je ein Zwirnende mit einem Doppelknoten an je einem Ende der Längsseite des Kleiderhakens befestigt, so daß der Kleiderbügel mit dem Haken nach unten und waagrechter Längsseite (Dreiecksbasis) am Zwirn baumeln kann. Nun wird der Zwirn mit seiner Mitte auf die Kopfdecke gelegt, so daß der Kleiderbügel bei leicht vorgebeugtem Oberkörper frei vom Kopf hängen kann, während der Zwirn vor beiden Ohren nach unten verläuft. Jetzt die Zeigefinger tief in die Ohren stecken, aber so, daß der Zwirn dabei auf beiden Zeigefingerspitzen liegt. Dann mit leicht vorgebeugtem Oberkörper und Blick nach unten auf den vom Kopf hängenden Kleiderhaken leicht schwingend auf den nächsten harten Gegenstand zugehen, etwa eine Mauer oder ein Möbel, bis ihn der Kleiderhaken berührt, erst leicht, dann stärker anschlagen lassen. Berührung modifizieren! Hakenscheitel über rauhe Oberflächen schleifen!
PRAKTISCHE VERANSTALTUNG:
Das Publikum findet sich zu angekündigtem Ort und Termin ein, um zu lauschen, ohne daß etwas Bestimmtes, für diese Veranstaltung Vorgesehenes dargeboten wird. Das mehrmals innerhalb z.B. zweier Wochen, quasi als Musikzyklus, ähnlich einer Konzertreihe. Repräsentative Auswahl verschiedener Veranstaltungsorte. (Proponiert für 1988/Stadtwerkstatt/Arbeitstitel: SCHALL UND RAUCH)
IN EIGENER SACHE:
Welche Eigenschaft dieser Stadt ist es, der die Liebe gilt?
Was ist Grund, daß ich noch immer, oder immer wieder hier bin?
Es kann doch nicht nur die Unfähigkeit sein, diese Stadt zu verlassen. Was ist es, das es wert ist?
Das Material! Die Härte! Die Unschuld!

Schade, daß der Schaden immer so groß werden muß, um ein Klima der heiteren Nachdenklichkeit einzuleiten. Aber auch ohne den Schaden haben wir hier schon eine ganze Weile für den Spott nicht zu sorgen brauchen.
Wie wird die Stadt also mit der Tatsache fertig, daß sie schneller gewachsen ist, als ihr gut tut, ohne sich aufzugeben?

Damit das kulturelle Selbstwertgefühl mit dem der Wirtschaft gleichziehen kann, braucht es einen Bürgermeister, der ins Jenseits der Wirtschaft zu denken imstande ist (das ist es, das Verhältnis von Geisteskultur und Wirtschaft, das die Identität ausmacht).
DIE KULTUR VON LINZ WAR BIS JETZT DIE WIRTSCHAFT.