Österreich
Testbilder Ilse Gassinger
Ohne Code, Codierer oder Decodierer machen sich die Statisten davon
Jean Baudrillard Im Kontext von technologischer Mediatisierung der Welt und elektronisch-imaginativer Vergesellschaftung evoziert das postmoderne Zeitalter eine Kultur des Simulakrums, von der (Video)Kunst infiziert und gleichzeitig entfremdet ist. Sinnliches Erleben geschieht zunehmend auf der Basis industrieller Simulation, eine weitgehende Verschleifung von real und imaginär, privat und öffentlich ist konstatierbar. Ästhetik wird so allgemein, wie der polymorphe Geschmack das Interaktionsritual der Metropole ist. VideoKunst als eigenständiges Ausdruck- und Zeichensystem steht am Schnittpunkt von imaginärer Repräsentation und einer Entimaginisierung ästhetischer Wahrnehmung. An der Schnittstelle von analoger Abbildung und digitalem Imageprocessing kontaminieren die Begriffe Produktion und Reproduktion. Ob sich VideoKunst einzig auf die Grundlagen ihres Mediums zu konzentrieren hat – sei es in Form eines referentiellen Bezugs zur Immaterialität elektronisch-digitaler Bildsysteme, sei es in der Art von Dechiffrierung und Destruktion film- und fernsehimmanenter Strukturen/ob der semantische Raum ästhetischer Konstruktion bei Video mit Themenstellungen der bildenden Kunst (Farbe, Licht, Raum, Perspektive …) anzufüllen ist/ob Videokunst erst mit der Einführung der neuen Erzählkunst ihre eigene kreative Ästhetik gefunden hat … – im Pluralismus der Diskurse und Genrezuweisungen wird VideoKunst zum schillernden Chamäleon ästhetischer Indifferenz, Wahrnehmung und die Lesbarkeit von Videotexten zum Schaltproblem. VideoKunst kennt keinen privilegierten Ort, auch wenn da und dort eine Kritik an der Musealisierung von Video einerseits, an der Vereinnahmung durch das Fernsehen anderseits laut wird.
VideoKunst kennt auch keinen privilegierten Betrachter. Es sind Vorabkonstruktionen, wenn so manche Suche nach dem postmodernen Zuschauersubjekt es als elektronischen Spaziergänger, als Hans-im-Glück der Medienzerstreuung konstituiert, oder es als Residuum aus Museumsbesucher, Cineast und Fern-Seher zu synthetisieren versucht.
Im wachsenden Labyrinth neuer Bild- und Tonräume sucht Videokunst neue Sinnorte für ein medial testiertes Publikum, um erinnerungsfähige Gedächtnisspuren zu hinterlassen. In ihrem Potential zur Erweiterung von Sinn- und Subjektgrenzen sind Videobilder Testbilder für eine Neuorientierung ästhetischer Erfahrung zur Modifikation überholter Apperzeptionsweisen.
DlE VIDEOBÜHNE EUROPA: ÖSTERREICH-BEITRAG Gestaltung und Durchführung der Präsentation: Ilse Gassinger. Auswahl und Zusammenstellung: Ilse Gassinger, Gudrun Bielz.
Die Auswahl orientiert sich an aktuellen Videoarbeiten, wobei die einzelnen Beiträge geeignet sein sollten, den operativen Ereignisraum österreichischer Monovideokunst in seinen signifikanten Tendenzen zu dokumentieren.
Romana Scheffknecht, Karl Kowanz PAKET PLATTENSEE, 5 min 30, Farbe, Ö 1987 Musik: Pas Paravant
Paket Plattensee ist eine Widmung. Es behandelt die Ungleichzeitigkeit in der Form von Ablagerungen, die als Block (Paket) erfaßt und als zueinander sich bewegende, schwimmende Schichten definiert werden muß. Ein Name kann auf der Landkarte versuchsweise seinen Platz verlassen, um einen weißen Fleck freizugeben.
Julean Simon Video: DER HEIMCOMPUTER WLLL SEIN GEDICHT AUFSAGEN … Reciter Le Dictionnaire Websters: My Favorite Pages, 3.Version einer Dokumentation von Julean A. Simon, 14 min 30, Farbe, Ö 1986/87
Wörterbuchcomputer. Das alphabetische Ordnungsprinzip läßt sich gut IN DER ZEIT darstellen/da die Veränderung einer Vokabel zur vorigen nun ein visuelles Kriterium ist, besitzt die Alphabetik für die Bildschirmverwaltung ökonomische Relevanz: der erste Buchstabe zeigt die maximale Konstanz (S-1), während sie für die folgenden zunehmend sinkt/visuell äußert sich das in den trägen Vorsilben und flüchtigen Endungen – beschreibbar als optisches Zentrum um die Silbe Syl/Sym/Syn/Sys und ein, sagen wir, Antizentrum, wo sich die Veränderung und damit Bewegung vollzieht: Dieses ANTIZENTRUM legen wir in die Bildschirmmitte. Die Gegenstandsfelder (es heißt gegen – stand): Grundsätzlich reicht der Kontext auch hier über DAS DING nicht hinaus/da die Gegenstände als solche bekannt sind, werden wir sie eng schneiden/heißt koppeln. Naturgemäß gibt das Verknüpfungen, sei es durch die Trägheit des Auges, sei es durch die Tendenz, sich die einzelnen Elemente in Assoziationslandschaften einzugliedern.
Ton: IN GEWISSER WEISE HANDELT ES SICH BEI DER REZITATION UM O-TON Die leicht schwankende Synchronizität zum Schriftbild bedingt die rezitative Dynamik/um die Variabilität in der vokalen Linie zu verdeutlichen, unterlegen wir sie mit einem konstanten Puls. Die akustischen Abläufe während der Gegenstandsfelder setzen wir als Zeitklammern.
Manfred Neuwirth EXPERTEN, 1 min 20, Farbe, 1986 TEXT: Im Medienraum der Hyperinformation ent-äußern sich Atomexperten. Es rauscht der Kontrollschirm.
Rainer Ganahl WOMAN NOT DESCENDING THE STAIRCASE, 4', Farbe, 1987
Mit freeze framing aus einem oder mehreren Commercials immer wieder dieselbe Paraphrase von Frau abbremsen.
Mit Identifikationsangeboten in roten Dressen die Schwelle Form hedonistisch stilisieren. Mit zunehmendem Quotieren die überwundene Authentizität via digitaler technic akzelerieren.
Mit atomisierten Aktzellen das Nackte der Geschichte verkehren, d.h. vom hi-tech zum hi-touch und wieder zurück.
Mit hyperdimensionalen Pixeln dürfte Duchamp wohl nicht geschachert haben, oder? Woman not descending the staircase produziert in Gwent (GB) im Februar 1987 mit einem Fairlight-Computer. Die Imagery wurde aus Commercials appropriiert und mit dem Computer in mehreren Arbeitsschritten manipuliert. Ähnlich verfuhr ich mit dem musikalischen Material, doch entstammt dieses der Post-Webernschen Musik.
Chris Althaler VIDEO: MEN, 4 min, Farbe, Ö 1987 mit Claudio Misculin, Triest
Ich sehe ihn jetzt gut. Ich mag das Energievolle, Kraftvolle, Körperhafte in mir und dir. Der Text ist international. Claudio Misculin hat seine Männlichkeit konzentriert. Ich habe Hand an ihn gelegt, ihn geschnitten und potenziert. Na? Und mein Gedicht kommt langsam.
Anna Steininger DIE EVIDENZ DES KALKÜLS, 8 min, Farbe, Ö 1987 Gestaltung, Ton, Montage: Anna Steininger, Ilse Gassinger
Mit den Methoden der Destruktion und Remontage beginnt ein erneuter Transit durch die Wüste der unendlichen Wiederholungen männlicher und weiblicher Präsentationsmuster in der TV-Werbung. Nach und nach stellt sich eine Beschleunigung in Richtung schematischer Indifferenz ein, und somit eine partikular geglückte Transformation aggressiver Codes in Briefmarken.
Hans Weigand AROM – Die Liebe zum Wiederholbaren Musik: Pas Paravant
Gudrun Bielz/Ruth Schnell "XXX", 4 min 30, Farbe, 1987
Der Bewegungsraum reduziert sich auf Flächen, die flachen Zeichen auf Dekoration. Dreiecke, Hauskonturen, Treppen, Quadrate – schematisiert, entmythologisiert, zusammengefügt zu Mustern für schnelle Bewegungsabläufe – austauschbare Zeichen.
Das klischierte Naturbild – grünes Gras vom Computer – es lebt. Die Pfeile der Kultur rasen über die Kunstnatur – Naturkunst der Menschen des 20. Jahrhunderts.
Permanente Pfeilbewegungen – sie treffen auf keine Ziele – ziellos aber zielgerichtet. Mechanismus und Wiederholung – die Strukturen des Kleincomputers greifen auf unsere Ideologien über. Nature morte.
Robert Wölfl & Lydia Lindner Inszenierung, 8' 30", Farbe, 1987
Inszenierung meint Inszenierung des Selbst; die Maßnahmen treffen für das Schaubarmachen der eigenen Person auf der Bühne einer digitalen Weltsicht. Nicht zur Darstellung, sondern zur Erkundung und Ausleuchtung des neuen Bildes vom Menschen in einem immateriellen (elektronischen) Raum, der besetzt ist von der Glorifizierung der Schnelligkeit und vom Begriff des Austausches. Doch der Akt des Austauschens von Information hat Sinn und Bedeutung hinter sich gelassen und ist zu einem reinen Ereignis geworden. (Der Raum konstituiert sich durch ein reines Ereignis.)
Das Bild des zukünftigen Menschen ist das des elektronischen Spaziergängers; richtungslos und sich mit immer derselben Geschwindigkeit bewegend, erinnert er an die Vorstellung vom Menschen als einer informationsverarbeitenden Maschine. Der Spaziergänger ist der Reisende ohne Geschichte.
Ilse Gassinger QUICK LUNCH, 3 min 20, Farbe, Ö 1987
Die Rekonstruktion der Erinnerung an einen Sommer in der Stadt: außer drei Minuten Super-8-Film war da noch der Eindruck von Hitze, Verwirrung, Intensität. Alles ging so schnell …
Ursula Pürrer und Angela Scheirl IM ORIGINAL FARBIG, 13 min, Farbe, Ö 1986 Betonobjekte: Christine Susanna Prantauer Editing: Manfred Neuwirth Verfolger: Dietmar Schipek
Testbilder Freizeitpark, Suchscheinwerfer, paßgenaue Verschiebungen DAS ROLLFELD: Simulation des Open-air-Kinos, Flugobjekt auf Landepiste Projektion auf Betonobjekte, "Gestörte Farben" Baustelle H-Gate: DAS H-PROFIL und DAS U-PROFIL Höchst zulässige Gesamtlast: "Projektionstisch auf Wiese, flitzendes Rasenstück, Schaltstellenpool"
Kurze, dynamische Teilfilme. Das ZEICHENBLATT ist die Nullebene. Ähnlich dem Aufbau der Computersoftware werden die Programme = Teilfilme in Menütafeln durch Titel und Zeichen angekündigt. Die Anzeige leuchtet auf. Das Menübild, das synthetisch aus dem Bildschirm gezogen wird, gibt die Szene frei, die dahinter schon begonnen hat.
Helmut Stadlmann "BUONA IDEA", 1986, 1' 20, Farbe
Komposition aus gefundenen und erzeugten Klängen und aus gefundenen wie auch paintbox-generierten Bildern. Fixe Kombination aus ursprünglich nicht zusammengehörigem Bild und Ton. Abfolge der Schnitte als viermal variierte reihenähnliche Folge. Kleine Studie von Schnitt, Dynamik und Sinn. U-Matic-High-Band, Paintbox, Videokamera, Fernsehapparat, Edward Muybridge "Animals in Motion", Lexikon, Cassettenrecorder, E-Gitarre, Geräusche.
Inge Graf + ZYX "ACHTUNG! RAUM-KONTROLLE", 4 min, Farbe, 1986
Unsere Arbeit wird von uns in das Feld des konkreten experimentellen Musikvideos eingereiht und stellt im Bereich der Videokunst eine von Plänen und Vorschriften nicht eingeengte neue künstlerische Kategorie dar, die ihre Tätigkeit frei von allen gegenständlichen Gesetzen entfaltet mit dem Ziel, die Vorherrschaft des Abbildes in der Videokunst zu brechen. Als Waffe gegen die Erklärung der Welt verfremdet, entleert und zerstört sie die Wirklichkeit, um sie dadurch ins um so grellere Licht zu setzen.
Unser Interesse konzentriert sich auf das rein künstlerische Problem, den abgenutzten klassischen Figurenstil, die Imitation der Natur und den langweiligen Wunsch nach Handlung in Video, Film und Musik zu überwinden und dadurch zu einer neuen Intensität des persönlichen Ausdrucks zu gelangen. Der Rückzug des Menschen aus unseren Bildern ist endlich erfolgt, stellvertretend ist er noch als anonyme Figur präsent, als Zeichen unter Zeichen in Erwartung eines rational-formalen Ereignisses.
Der neue mechanisch-elektronische Künstler in seinem erweiterten Aktionszentrum hat die Grenzen des Allgemeinmenschlichen verlassen. Durch den unmittelbaren Umgang mit den konkreten Bildmitteln (Fläche, Linie, Volumen, Raum, Farbe, Ton, Zeit, Technik), entweder nach den Gesetzen der Mathematik oder in spielerischer Abstraktion, verdichtet sich das Werk zu einem ästhetischen Prozeß der rhythmischen Simultanität der Formen, Farben und Töne.
Rupert Putz, Karl Kowanz STADTAUTOBAHN, NACHT und MITTERNACHT, 6 min, SW, 1987 Musik: Putz/Kowanz Text: Video ist nachtblind, aber es hat feine Ohren. Es kann das Gehörte blitzschnell, man kann sagen gleichzeitig, abbilden, wie ein Meßgerät.
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