BRD
Zwar Video, aber Kunst Dieter Daniels
Beispiele deutscher Videoproduktionen Videokünstler arbeiten mit einer Technik, die nicht für sie geschaffen, geschweige denn von ihnen selbst erfunden wurde. Dies unterscheidet die Videokunst von den meisten anderen künstlerischen Praktiken. Nicht nur Malerei und Skulptur, selbst die Fotografie erlaubt einen wesentlich größeren eigenen Anteil an der kreativen Handhabung und Weiterentwicklung der Technik als das elektronische Medium. Je höher der technische Standard ist, den ein Künstler verwendet, um so geringer ist sein Einfluß auf die Modifizierung der gegebenen Möglichkeiten – wer schreibt schon die Programme zur digitalen Bildverarbeitung selbst? Ist also der Künstler letztlich so stark von den ihm vorgezeichneten Mitteln abhängig, daß er vom alten Ideal des "frei Schaffenden" immer weiter abrückt und nur noch die formal bereits vorgeschriebenen Varianten von Stanzen, Klappen, Freeze, Aufrasterung etc. kombiniert, also vom schaffenden Künstler zum Anwender von Technik wird?
Um die Situation zusammenzufassen: Technische Innovation, auch wenn sie noch so eklatante Effekte erzeugt, ist nicht der Garant für inhaltliche Aktualität. Es ist nicht die Aufgabe der Videokunst, Demo-Tapes für neue Entwicklungen der Elektronikindustrie zu produzieren. Trotzdem bleibt es ein legitimes Interesse des Videokünstlers, auf dem aktuellen Stand der Technik zu arbeiten und die vorhandenen Möglichkeiten adäquat einzusetzen.
Um die Beliebigkeit, die jeder Auswahl unweigerlich anhaftet, wenigstens etwas einzuschränken, habe ich die folgende Auswahl von Videos unter dem Aspekt zusammengestellt, Beispiele für den verschiedenen Umgang von Künstlern mit Technologie aufzuzeigen. Man mag einwenden: ist die Thematisierung des Mediums im Medium nicht ein alter Hut, das ist doch in den 60ern und 70ern in extenso abgehandelt worden usw. Ich glaube allerdings, daß in der Videokunst als Interferenzzone zweier extrem schnellebiger Bereiche – der aktuellen Kunst und der elektronischen Technologie –, die Relation dieser Bereiche von einer ständigen Aktualität ist.
Für die Situation in der Bundesrepublik Deutschland ist die Frage nach der Relation Kunst/Technik von besonderer Relevanz. Über lange Jahre hin hat die Videokunst in Deutschland eine weitgehend autonome Entwicklung vollzogen. Ohne engere Verbindungen zum Fernseh-, Medien- oder Filmsektor ist Videokunst vor allem im Kontext der bildenden Kunst diskutiert worden. Auch die Diskussion in der Kunst fand geraume Zeit eher im kleinen Kreis statt, was aber den Grundstock für eine deutliche künstlerische Kontinuität seit den sechziger Jahren legte. Dies unterscheidet die bundesdeutsche Situation vom Großteil des europäischen Auslands ebenso wie von den USA. In den USA ist das TV schon lange ein wichtiger Faktor für Videokünstler, in anderen Ländern Europas kamen wichtige Impulse für das neue Interesse am Video seit den 80ern aus den Bereichen Theater, Film und Musik.
Die Frage nach der Autonomie des Künstlers gegenüber der Technik stellt sich vor allem, wenn man darauf beharrt, Video unter dem Blickwinkel der bildenden Kunst zu diskutieren. Der Kunstbegriff ist hier wie in sonst keiner Kunstgattung mit der Idee des eigenhändigen, physischen Schaffens verbunden. Klarerweise ist dies für den Umgang mit Video nur sehr bedingt aufrechtzuerhalten. Dennoch läßt sich feststellen, daß die künstlerische Autonomie von Video in Deutschland sich auch in einer technischen Autonomie niedergeschlagen hat. Auch wenn solche Phänomene mit der zunehmenden Ausweitung kultureller Videoarbeit immer schwerer faßbar werden, sind doch noch deutlich Anzeichen dieser Entwicklung spürbar. Alle Videokünstler, die sich in dieser Auswahl finden, arbeiten selbst mit der Videotechnik. Bei den meisten deutschen Videoproduktionen steht am Ende nur der Name des Künstlers, manchmal noch ein Name für Kamera oder Schnitt – ein signifikanter Unterschied zu vielen internationalen Produktionen mit langem Nachspann von Regie bis Licht, Maske, Kostüme und Special Effects. Die künstlerische und technische Eigenständigkeit des Videomachers bleibt auf die eine oder andere Weise im fertigen Produkt sichtbar, oft führt sie zu einer direkteren Auseinandersetzung mit dem Medium.
Klaus vom Bruch gehört zu den Künstlern, die seit über zehn Jahren kontinuierlich mit Video arbeiten. Seine Arbeit verbindet die technischen, politischen und menschlichen Aspekte des Mediums, und wie das Beispiel von "Azimut" zeigt, führt vom Bruch auch angesichts der Möglichkeit, technisch in die vollen greifen zu können ("Azimut" ist als Auftragsproduktion für "Talking Back To The Media", Amsterdam, in einem professionellen Spitzenstudio entstanden), konsequent die eigene Linie weiter. Technische Finessen (z.B. Framestore) werden subtil zur Intensivierung der Aussage eingesetzt statt zur Multiplizierung der Möglichkeiten. Auf umgekehrtem Weg kommt Ingo Günther zum Ziel, wenn er in einer Reihe von Bändern den jeweils neuesten Stand der Technik radikal auf seine inhaltlichen Möglichkeiten hin überprüft. ("Hi Tao" 1981, "Eleven Waiters" 1982, "Multipolarband" 1984, "Rotorama" 1985). Er arbeitet dabei bewußt immer im Grenzbereich zwischen einer neuen Semantik der elektronischen Bildbearbeitung und einer physischen Überbeanspruchung durch die Redundanz der Effekte –, eine Grenze, die sich ständig verschiebt. Noch weiter in die innere Struktur des Mediums dringt die Arbeit von Norbert Meissner vor. Die avancierteste Technik wird in einer fast archäologischen Methode auf Reststücke von TV-Aufnahmen, Bildstörungen und das Rauschen angewandt, die Frage nach der Möglichkeit des elektronischen Bildes schlägt um in eine ontologische Untersuchung.
Daß die Auseinandersetzung mit der Videotechnik nicht an den höchsten Studiostandard gebunden ist, zeigen die Arbeiten von Bettina Gruber/Maria Vedder und von Dieter Kiessling. Kiesslings Band ist mit den Mitteln einer Heimvideoanlage entstanden und gerade deshalb eine gültige Reflexion über das Medium. Bei aller formalen Geschlossenheit und ästhetischen Strenge wirkt es trotzdem auch wie eine Persiflage der Digitaltechnologie und ihrer tiefenräumlichen Bildverschiebung. Für Bettina Gruber und Maria Vedder hat die jahrelange Erfahrung mit Video über technisch elaborierte Produktionen zu einem bewußten Verzicht auf fast jegliche Elektronik geführt. Das Szenario des "Big Brother Blues" ist ohne jeden Schnitt ebenso abwechslungsreich und wahrscheinlich amüsanter als die meisten kommerziellen Clips.
Die Arbeiten von vom Bruch und Günther zeigen, daß Video notwendig auch ein politisches Medium ist. Von einem formalstrukturellen Ausgangspunkt her kommt Egon Bunne in "Frankenheimer" zu einem ähnlichen Ergebnis. Bei einem vergleichbaren strukturellen lnteresse führt Jean-François Guiton Fragen der Bild- und Tonkomposition zu klassischen Lösungen. Auch Guiton beschränkt sich dabei auf ein einfaches technisches Repertoire, dem er aber die definitiven formalen Möglichkeiten entlockt. Daß Videokünstler auch eigene Beiträge zur Technologie liefern, zeigt die von der Gruppe Vidox ausgearbeitete Methode zur Kombination von Video und Zeichentrick.
Volker Anding und Axel Klepsch schließlich bringen ihre Auseinandersetzung mit dem Medium in einen narrativen Kontext. Klepsch dramatisiert mit videospezifischen Effekten den Kampf mit der Elektronik und verknüpft damit Anspielungen auf die Geschichte der Videokunst. Volker Anding hat in seiner TV-Trilogie die Interferenz von Fernsehen und Leben zum Thema gemacht. Die drei Episoden belegen, daß es längst nicht mehr um den Realitätscharakter des Mediums geht, sondern um die Mediengerechtigkeit der Realität.
Volker Anding "KELVIN", 1987, 4 min, Prod.: Lichtblick, Kamera: M. Scheer, Schnitt: J. Ortmanns
"… die Erfindung des Fernsehens ist ein interessantes Kapitel in der Geschichte der Unterhaltung. Man kann es mit der Erfindung des Wasserklosetts vergleichen – sie brachte keine Änderung in den Gewohnheiten der Leute, sie machte einfach die Notwendigkeit überflüssig, das Haus zu verlassen."
Alfred Hitchcock, 1963 Kelvin versetzt uns gleichnishaft zurück in eine Steinzeithöhle. Der fellbekleidete Bewohner dieses Baus schafft es mit Hilfe eines magischen Sesam-öffne-dich-Rituals, in die Felswand ein Fenster zur Welt zu sprengen. Ohne seinen Platz im bequemen Ohrensessel verlassen zu müssen, schaut er gebannt auf die Bilder, die gleichnishaft in seine Höhle dringen. Magische Praxis geht nahtlos über in das rituelle Essen von Salzstangen und das Trinken von Dosenbier. Die Kulthöhle ist zum unheimlich-gemütlichen Wohnzimmer geworden, zum Kafka-Bau, den man nicht mehr verlassen muß, um sich sein Weltbild zu erschaffen. Das unermeßliche Flimmern und Rauschen zahlloser kleiner Punkte dringt ein und steigert sich für den Fernsehenden zu einem kosmischen Rauschzustand. Bild und Betrachter sind eins. (Peter Friese, 1987)
Klaus vom Bruch "AZIMUT", 1985, 6.36 min Produktion: Time Based Arts
Aufnahmen des Gesichts und Oberkörpers von Klaus vom Bruch wechseln sich ab mit einer rotierenden Parabolantenne. Dazu kommt ein Zitat Fidel Castros: Die Revolution läßt sich nicht exportieren noch läßt sie sich vermeiden. Diese Verbindung und Wiederholung von nur wenigen Elementen vermag so komplexe Aussagen zu transportieren wie die Relation der emotionalen und der politischen Dimension von Technologie. Der Kontrast des physisch präsenten Körpers zur immateriellen Telekommunikation wird zumindestens metaphorisch synchronisiert: Die Rotation der Antenne geht über in den Rhythmus des Atmens. Der Künstler als Sender und Empfänger – ein Motiv, das sich auch in den Installationen Klaus vom Bruchs findet. Oder auch: Kunst als Utopie der Revolte gegen die mediale Vereinnahmung. "Ich baue einen Piratensender." (K.v.B.)
Egon Bunne (Llurex Video) "FRANKENHEIMER", 1984, 4.17 min, PAL
Die Weiterverarbeitung von Aufnahmen, die im Rahmen der Dreharbeiten zu einem Politthriller entstanden sind. Die Wiederholungen von Szenen während eines Drehtages und die Wiederholung mittels Schnittechnik lassen eine Irritation über den zeitlichen Ablauf entstehen – ebenso offen bleibt der Realitätsanspruch des Geschehens. Ob hier ein Politiker oder ein Schauspieler agiert, die Situationen und Inszenierungen sind mittlerweile so vergleichbar geworden, daß es sich kaum noch entscheiden läßt.
Ingo Günther "ROTORAMA", 1985, 7 min Post-Production: NEXUS, New York & LEMA, Los Angeles
This time I tried to beat corporate TV with its own means: condensing a few hours of off-the-air effects (including parts of my own last videotape) to take advantage of digital effects, just as television does. Then I processed the materials a few times with digital equipment, as typical used for commercials, news etc. The result is some kind of ongoing accident of movement, content and image. After seven minutes, what's left? Rotorama was originally conceived to be shown as part of a video installation consisting of two spinning, rotating monitors; 19th century mechanics where juxtaposed to 20th century digital electronics. (Ingo Günther)
Jean-François Guiton "FUSSNOTE", 1985, 5 min, PAL
Aus einem einfachen Motiv wird eine komplexe Bild- und Tonkomposition entwickelt. Die dem Videoschnitt eigene Möglichkeit beliebiger Wiederholung einer Sequenz findet hierbei ihre adäquate inhaltliche Umsetzung. Ebenso der Umgang mit dem Monitor, mit dem Paradox des TV-Kastens: die Ausschnitthaftigkeit seines Bildes, dem seine räumliche Präsenz als Objekt gegenübersteht. "Im Bild ist es kaum, aber es kommt aus dem Kasten nicht heraus. Ein schmerzhaft schreiendes Heraussreißen. Der Fuß klebt am Boden, der Körper am Bild. Das Rollen hilft auch nicht." (J. F. Guiton)
Dieter Kiessling "FALLENDE SCHEIBE" und "FALLENDE SCHEIBE 3" 1986, 0.45 & 0.32 min, PAL
"Fallende Scheibe: Eine weiße Scheibe fällt auf einen schwarzen Untergrund und zerspringt. Nach wenigen Sekunden fällt der Untergrund, eine schwarze Platte, auf eine graue Fläche und zerspringt ebenfalls. Fallende Scheibe 3: Eine Scheibe fällt und zerspringt." (D. Kiessling)
Axel Klepsch "AUGEN ZU", 1986, 8 min, PAL
Das eigenwillige Ergebnis einer Auftragsarbeit über "Video an deutschen Kunsthochschulen". Ein Slapstick über den Kampf mit der Technik, wobei die ironischen Anspielungen auf die Geschichte der Videokunst nicht zu übersehen sind.
Norbert Meissner O.T., 1987, 7 min, PAL
Ein Video über das Rauschen. Die wesentlichen Bild- und Tonelemente sind durch elektronische Manipulation aus Rauschen und Bildstörungen gewonnen. Durch Selektion und Differenzierung entsteht aus dem amorphen Chaos und Zufallsstrukturen eine neue Bildwelt.
Bettina Gruber und Maria Vedder "BIG BROTHER BLUES", 1986, 7 min
Videofilm in drei Bildern: 1. Der Berg ruft. 2. Die lachenden Pyramiden. 3. Gefährlicher Schnee. Ein Videofilm mit packenden Naturaufnahmen, faszinierenden Einblicken in fremde Kulturen und einer kritischen Beobachtung des Bärensports. Die drei Tableaux folgen in ruhiger Reihenfolge aufeinander und zeigen Welten, in die eine Art "Big Brother" seine Nase steckt, respektive mit Messer und Gabel herumfuchtelt oder abhört, was der Berg ruft. Untermalt werden diese stillen, konzentrierten Bilder durch eine sich wiederholende, aber sich variierende "Programmusik". Im Gegensatz zur gängigen Videoclip-Ästhetik tritt die Musik hinter den Bildern zurück, begleitet sie, ohne über sie zu dominieren. Und so entsteht ein Bilderbogen mit klaren Bildern, stiller Musik und unhektischem Verlauf, eine kleine Reise zu großen und kleinen Welten. (B. Gruber/M. Vedder)
Vidox "MEDlENPORNESIE", 1986, 5 min Konzept: Petr Vrána Produktion: Friedemann Baader, Niki Lazar, Harry Soremski, Mike Krebs Musik: Peter Weibel/Hotel Morphila Orchester Darsteller: Kasper Keune, Meike Behrends, Bumi Lazar
Musikvideo mit Zeichentrick nach der Vidox-Methode. Die Vidox-Methode erlaubt die direkte Kombination von Video und Animation, von elektronischem Bild und Zeichnung, durch die Übermalung von Video-Prints auf Papier, die wieder mit der Kamera abgenommen werden. Dieses freie Zusammenspiel von Videotechnik und Handzeichnung gibt dem Clip trotz collagenhafter Vielfalt der Bilder eine ästhetische Stringenz.
|