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Ars Electronica 1987
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Spanien
Video in Spanien Karin Ohlenschläger



Der Videoboom in Spanien, der sich in den letzten drei, vier Jahren in einer ständig steigenden Kurve entwickelt hat, definiert sich nicht nur damit, daß laut Statistik Spanien das viertstärkste Land im Konsum von Videogeräten sein soll, oder daß in Anbetracht und Hoffnung auf das vielversprechende private Fernsehen, größere und kleinere Produktionsstätten in noch recht unproportionierter Weise wie Pilze aus dem Boden schießen, sondern auch in einer vielfältigen Anzahl kultureller Ereignisse, in denen das Video unumstritten integriert ist, und zwar vor allem in Anbetracht seiner dokumentalen, informativen und kommunikativen Qualitäten.

Was das Interesse für Videofestivals betrifft, so mag beispielhaft sein, daß bei der Durchführung der nationalen Videowoche einer Kleinstadt wie La Coruña, in 1985, der kleine Theatersaal des Stadtkulturhauses mit über zweihundert Sitzplätzen, fünf Tage hindurch übervoll war. Oder daß in Lucena, einem kleinen spanischen Bilderbuchdorf in den Bergen nahe bei Valencia, eine Gruppe ambitionierter junger Organisatoren ein Videofestival zelebrierten, bei dem am letzten Abend die Projektionswand auf den Dorfplatz vor der Kirche installiert wurde, wo sich sowohl die Alten als auch die Jungen mit ihren Stühlen aus den anliegenden Kneipen um die Großbildleinwand sammelten, um Arbeiten von Viola, Wilson oder Sanborn zu sehen. Zufrieden konnten so auch die Organisatoren des II. Videofestivals in Madrid sein, das im Dezember 1986 während zweier Wochen, gemäß ihren Angaben, mehr als 15.000 Besucher zählen konnte.

So wird die Kunstmesse ARCO, nach einem ersten zufriedenstellenden Versuch, ein einwöchiges Videoprogramm in einem dazu extra bestimmten Saal vorzuführen, fürs nächste Jahr ausdrücklich ein Video-Komitee einberufen, das im Rahmen einer rein kommerziellen Messe auch dem Bereich Video in seiner weniger kommerziellen, jedoch umso mehr künstlerischen und allgemein kulturellen Bedeutung gerecht zu werden sucht.

Die Videokunst hat in diesem Land nicht nur oder vielleicht sogar weniger ein eingeweihtes intellektuelles, sondern vielmehr ein recht homogenes Publikum, das diesem Thema offen gegenübersteht. Dies wiederum ist nicht ganz ohne Einfluß auf die vor allem junge Generation der spanischen Videokünstler der achtziger Jahre geblieben, die in den konzeptuellen Ansätzen ihrer Arbeiten nicht unbedingt dahin tendieren, ein eher minoritäres Publikum anzusprechen. Dazu kommt, daß ein Großteil der Videoautoren nicht aus dem Bereich der bildenden Kunst hervorgegangen sind, sondern entweder vom Experimentalfilm oder der Fotografie herkommen oder sich eher frei und unvermittelt als Autodidakten diesem Medium zugewandt haben. Denn abgesehen von den unzureichenden Ausbildungsmöglichkeiten an der Universtität für Informationsforschung in Madrid oder der Hochschule für bildende Künste in Barcelona, gibt es nur private Schulen, die das allgemeine Interesse am Medium kommerziell auszunutzen wissen, und mittels Grundkursen zur Handhabung von Videogeräten alles andere als eine professionelle, geschweige denn künstlerische Ausbildung in diesem Bereich bieten.

Die Unmittelbarkeit und Unbedarftheit, aus der heraus sich die spanische Videoszene der achtziger Jahre entwickelt hat, ohne unbedingte Voreingenommenheit dem medienspezifischen oder auch dem intellektuell künstlerischen Anspruch gegenüber, mag mit der Grund für die potenzielle Frische in Form und Inhalt der Arbeiten sein, wenn dies auch andrerseits zweifellos eine Gefahr des ins Leere Abgleitende neu gewonnener Qualitäten des Mediums bergen mag.

Von der Vielfältigkeit an Thematik, Methodik und Technik einmal abgesehen, soll hier auf drei Aspekte besonders aufmerksam gemacht werden, die sich, über die Inhalte hinaus, an einige der auffallenden Tendenzen innerhalb der spanischen Videoszene annähern mögen. Zum einen ist es die Video-Fiktion, die zweifellos an die narrative Struktur des Filmes anlehnt, jedoch in vielen Fällen eine eigene, individuell ausgerichtete Sprachkomposition herausgebildet hat, die sich nicht gegen, sondern vielmehr parallel zum Film entwickelt, ohne eine medienspezifische Überbewertung oder Abgrenzung zu suchen, sondern in ergänzender und möglichkeitserweiternder Weise formale und inhaltliche Qualitäten beider Medienstrukturen zu nutzen sucht.

Zum anderen bauen viele Arbeiten auf den unmittelbaren Bezug von Bild und Ton, deren Genre gemeinhin als Musik-Video bezeichnet wird, hinter deren äußerer Erscheinungsform jedoch formale und inhaltliche Aspekte von Bedeutung sind, die nur bedingt mit dem rein unterhaltenden kommerziellen Video-Clip gleichzusetzen sind. Bild und Ton sind in diesem Fall entweder von demselben Künstler erarbeitet oder in enger und unmittelbarer Kollaboration zwischen Autor und Musiker entstanden, unter anderem mit der offensichtlichen Intention der durch das "Clip" bisweilen inflationierten und zu "Fast Food" verarbeiteten Relation von Bild und Sound, einen neuen inhaltsbezogenen Zusammenhang zu geben.

Zu beiden voran besprochenen Tendenzen kommt die ständige Suche nach der Plastizität des elektronischen lmpulses, entweder um damit der Erzählstruktur eine andere Dimension zu geben, oder die medieneigenen Texturen, Volumen, Farbigkeit und Bewegung als in sich gestalterische Elemente zu definieren.

Ein anderer, nicht unwesentlicher Aspekt zum Verständnis vieler Videoarbeiten ist der des traumhaft Absurden, die Grenzsituationen sozialer und emotioneller Lebensbereiche Suchenden, die ständige Traum-Realitätsspiegelung, und dies nicht nur, weil es die Bildsprache des Mediums geradezu anbieten mag, sondern weil es ein entscheidender Teil der Essenz dessen ist, was in den herausragenden Werken des spanischen Films, der Literatur, der Musik und der bildenden Kunst, in der Kultur dieses Landes überhaupt verschlüsselt liegt.
August 1987

Jose Ramon Da Cruz
HIJAS HEROICAS (Heroische Töchter), 1985, 17 Min.

Der Prototyp des ruhmreichen "Macho" latino americano, am Beispiel des 1887 in Toulouse geborenen und später in Argentinien lebenden Künstlers Carlos Gardel, wird in einer surrealen, schwarz-weiß konzipierten Erzählung desmystifiziert. "Seine vier Töchter, eins, zwei, drei", die er aufgrund seiner Impotenz in Wahrheit nie besaß, treten das Erbe ihres Vaters an, der bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam, und doch immer präsent bleibt.

Antonio Segade
DUERME RAINER, XA ESTAS MORTO (Schlafe, Rainer, schon bist du tot), 1987, 5 Min.

Ein Homenaje an Rainer Werner Faßbinder, und, wie der Autor ironischerweise vermerkt, ein "Homenaje an die nicht elektronische Bildsprache", an den kulturellen und speziell künstlerischen Einfluß des Films und seine bereichernden Impulse für das Medium Video.

Raúl Rodriguez
HOMBRES, MUJERES Y NINOS (Männer, Frauen und Kinder), 1986, 12 Min.

Bildpoetische Beschreibung eines in sich geschlossenen, traditionsbehafteten spanischen Dorfes, das herausgelöst aus den Koordinaten gegenwärtiger Zeiterscheinungen, in einem ihm eigenen Raum und Zeit bestimmenden Rhythmus das Ritual seines Lebensinhaltes, seiner Seinsberechtigung pflegt.

Javier Vadillo
TANGO, 1986, 16 Min.

Dem in Spanien gepflegten Stierkampf ist eine Relation inne, die sich ironischerweise in einer fotonovellistisch konzipierten Fiktion auf die Mann-Frau-Beziehung überspiegelt und sich in einem passional geladenen Spannungsfeld definiert, das sich gleichzeitig in seiner plastischen Dimension zu äußern sucht.

Xavier Vilaverde
VIUDA GOMES (Die Witwe Gomez), 1985, 12 Min.

Eine grelle Beleuchtung moralisch verfangener interfamiliärer Beziehungen, die in ihrem absurden und alptraumhaften Ausmaß die Impulse gestauter Aggressionen bis zu ihrer psychologisch emotionellen Grenze führen. Die Fiktion einer von einer jungen Punk-Rock-Gruppe geschauspielten und gleichzeitig musikalisch durchlebten Situation, in der sich die Problematik zwischenmenschlicher Beziehungen, einem zur Explosion gezündeten sozialkritischen Reibungspunkt einordnet.

Xavier Vilaverde
GALICIA CANIBAL, 1987, 4 Min.

Die politischen, sozialen und kulturellen Kontraste einer der augenblicklich konfliktreichen spanischen Regionen, Galizien, entlädt sich in einem ständig steigenden, bildsprengenden Rhythmus, der eine im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubende Geschwindigkeit und Zeitgefühl markiert, in dem alte und neue "Weltbilder" aneinanderbersten, den emotionalen Moment einer traumatischen Realitätsspiegelung und die Zerbrechlichkeit des Augenblicks darstellend.

Javier Colis
PROCESO/ADAGIO SITUACION, 1986, 3 Min.

Diese Arbeit versucht der Auseinandersetzung des Künstlers mit seinem eigenen Schaffensprozeß, mit dem emotiven Bezug zu dem von ihm ausgewählten Medium und der sich daraus ergebenden Situation, eine von Textur, Volumen und Rhythmus geprägte Dimension zu geben.

Antonio Cano/Pedro Garhel
INFINITO 5, 1985, 10 Min.

Eine in sich geschlossene plastische Arbeit, in der die synthetische Komposition aus Licht/Schatten, Farbe, Volumen, Bewegung und Klang das Spannungsfeld zweier Menschen in Relation zu sich und zum architektonisch gestalteten Raum zu transzendieren sucht.

Pedro Garhel
ATLANTA, 1986, 4 Min.

Elektronisches "Porträt" eines depersonifizierten Menschenbildes, dessen äußere Erscheinung nur im Ausmaß seiner physisch und mental sich extrovertierenden und in ständiger Mutation expandierenden Möglichkeiten im multidimensionalen Raum-Zeit-Raster erfassen läßt.