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Ars Electronica 1987
Festival-Programm 1987
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Festival 1979-2007
 

 

Italien
Video als Kunst Lola Bonora



Wollten wir ausführlich über die italienische "Video-Szene" sprechen, müßte zuerst eine Vielzahl von Mißverständnissen ausgeräumt werden, und ebensoviele Verantwortungsbereiche neu zugeordnet werden. Tatsächlich ist es nicht leicht, in Italien einen Text über Videokunst zu finden, der nicht untertänigst Nam June Paik, Wolf Vostell und die anderen großen Namen von sicherer Schlagkraft und unbestrittener Professionalität zitiert. Andererseits entspricht die zu schildernde Realität fast nie jenem Ernst, der eine so berühmte Patenschaft wie die erwähnten verdienen würde. In diesen letzten Jahren sind in Italien Arbeitsgebiete ausgewählt und Produktionen verfaßt worden, die sowohl im kulturellen Bereich wie im ästhetischen ziemlich diskutabel sind. Diese Produktionen – fast immer der einen oder anderen Modeströmung verpflichtet – haben als einziges Verdienst, daß sie sich selbst abwerten und ein Verfallsdatum aufweisen, wie manches Dosenfutter. Ansonsten ist es natürlich verständlich, daß jemand, der für den Markt und seinen schnellen Konsum arbeitet und produziert, andere Ziele und Arbeitsmethoden hat. Ganz andere Motive bewegen die "Forschung", und nicht zuletzt die Bewertung eines möglicherweise vorhandenen ästhetischen Vermögens, das es für die Gemeinschaft zu erwerben gilt: für eine Kollektivität, die zweifellos ebenso zahlend sein kann, wie dies im Bereich der traditionellen Kunst durchaus üblich ist (ich denke da an Malerei, Skulptur, Musik, Literatur, Kino usw.). In der Tat ist nicht der Markt schuld; falls überhaupt, so ist es die "billige" Qualität der Produkte, die ihn überrennen. Und noch mehr die Verseuchung auf immer erbärmlicherem Niveau, die vom Unterhaltungsfernsehen uns auferlegt wird.

Nach dem Gesagten ist es leicht, festzustellen, welches die vom Centro Video Arte di Palazzo dei Diamanti in Ferrara vertretene Linie ist. Die Auswahl der Videoarbeiten, die ich für eine derartige qualifizierte Begegnung vorschlagen möchte, kann nicht anders, als mit jener kohärenten Vision zusammenhängen, die dem Publikum in Ferrara seit längerem nahegebracht – und von ihm akzeptiert – worden ist.

Manchmal wurde diese Auswahl, die eher den visuellen Künsten verbunden ist, als den Erfordernissen des alltäglichen elektronischen Szenariums, von den talentierteren und vorurteilsfreieren unter den Kommerzkünstlern für rückständig und teilweise falsch erklärt. Ich finde es verständlich und teilweise gerechtfertigt, daß hier ein Raub zu Lasten der künstlerischen Produktion immer wieder begangen wird, um die Botschaft der besseren visuellen Commercials in der Qualität zu erhöhen. Weniger aufbauend finde ich allerdings für die visuelle Kultur, wenn zweifellos schlechte Produktionen in den künstlerischen Rang erhoben werden, die nur und ausschließlich nach Marktgesichtspunkten erzeugt wurden, als daß man sich allzuviele Gedanken über künstlerische Fragen dabei gemacht hätte.

Die vorliegende Sammlung von italienischen Videos wird gebildet aus den Trägern der ersten Preise (von einer Expertenjury) in den vier Ausgaben von U-Tape 1983–86, und von zwei Videos aus der Produktion des Centro Video Arte di Palazzo dei Diamanti, die ihrerseits zwei Preise in Montbeliard (Frankreich) und Locarno errungen haben.

So kann am besten beurteilt werden, was in Italien produziert und wie es eingeschätzt wird.

Giuseppe Baresi
BROWN BOVERI, 3/4", 36'
Eigenproduktion mit der Mitarbeit der Mitglieder der Gruppe Brown Boveri
Bilder und Realisation: Giuseppe Baresi
Schnitt: Paola Tralli
Musik: Giorgio Bona, Paolo Caliari, Walter Maioli, Pino de Vita, Riccardo Sala.

Wichtigste Aufführungen:
Milano: Studio Marconi 23. 5. 86. Uraufführung
Locarno: Festival Videoart (Aug. 86), präsentiert von V. Fagone
Köln: Kunstverein (Sept. 86)
Ferrara: U-Tape 1985, 1. Preis (Dezember)
Rom: American Academy, "Canada ltalia USA" Dreimal Video (März 1986)

… Das Portal ist stets geschlossen. An den Fenstern schwere Gitter. Das Farnkraut ist grün. Rostiges Eisen, vergessene Ziegel und darüber Schimmel, etwas Nebel könnte auch da sein. Pollen fliegen in der Luft. Tiefe Stille. Die Sonne schimmert durch die Risse der Wände, spiegelt sich in den zerbrochenen Scheiben. Sie nennen es "Kathedrale", ein Wald aus Pfeilern in der Leere der drei Schiffe. Brown Boveri verlangt Zeit von uns, langsame und feine Bewegungen. Ein gedämpfter Tanz zwischen seinen neuen Farben und neuen Formen. Irgendwer ist eingetreten. Der Ort ist eine verlassene Fabrik in Mailand, in einer dem Abbruch gewidmeten Gegend. Von November 1984 bis Mai 1985 hat eine Gruppe von Künstlern in dieser Gegend gearbeitet. Das Video wurde am 23. Mai im Studio Marconi gleichzeitig mit der Eröffnung der Brown-Boveri-Ausstellung in den Hallen der Ex-Fabrik gezeigt. Die Fenster von Brown Boveri sind heute vermauert und an das Tor haben sie ein Schloß gehängt.

Maurizio Bonora
SISMA (CLOSE UP)

Die ästhetischen Arbeiten, die Bonora vollbringt, wenn er mit dem Video arbeitet, bringen uns in jedem Fall einen Schirm voller suggestiver Bilder in Bewegung, die uns in erschreckende und gleichzeitig faszinierende Welten transportieren.

In "Sisma (Erdbeben)" bemächtigen sich die Farbe, die fließende und gleichmäßige Bewegung, die Dichte des Materials und der einhüllende Klang des Zusehers, und die Magie der Formen vollbringt gemeinsam mit den anderen Elementen gleichsam eine Prophezeihung.

Giorgio Cattani
METROPOLITAN TRACES

ln einem alten Unterhaltungsfilm aus der Cinethek Griffith in Genua wird ein ganzes Liebesdrama (Erklärungen, Zurückweisungen, Verlassen, Eifersucht, Duelle) nur über die einfache Bewegung der Beine und Füße dargestellt. Mit moderner und ausgefeilter Sensibilität und unter Betonung der langen Zeiträume des "real-time" eher als der Hektik der frühen Filme zeichnet Cattani aus einem Ausschnitt Umwelt, Atmosphäre und Klang eines innerstädtischen Raumes mit eleganter Ironie.
(Vittorio Fagone)

Giancarlo Cauteruccio
CORPO, ambient-video-laser, Farbe, 20 min
abgeschlossen Ende September 1982, aufgenommen im Studio der CO.EL, Florenz
Musik aufgenommen im Studio CMT, Florenz
Projekt und Regie: Giancarlo Cauteruccio
Musik: GC. Cauteruccio und Andrea Venturoli
Körper und Maske: Regina Martino
Produktion: Pina Izzi
Video-Operator: Duilio Ringressi
Schnitt: Susy Anglani
Videoeffekte: Valerio Anglani
Laser/Computersysteme: LCS Scandicci, Florenz
Eine Produktion der GRUPPO DI RICERCA MULTIMEDIA KRYPTON, Via F.D. Guerrazzi 21, 50132 FLORENZ, Tel. 055/291800

CORPO ist die erste Videoproduktion von KRYPTON. Das Video ist als tragendes Element des gleichnamigen Stückes entstanden und wurde als Projektion auf eine gigantische Leinwand in der Form einer Hintergrundkulisse eingesetzt. In CORPO werden Wirklichkeit und Möglichkeit in einer Abfolge schnellster rhythmischer Sequenzen konfrontiert. Eine künstliche Landschaft bemächtigt sich der Leinwand, wird durchdrungen vom Auge und durchdringt das Auge. Der Körper ist anfänglich nur als formales "datum" anwesend, als tierischer Körper, menschlicher Körper, Spielzeug, der elektrische Körper. Die Haut, die Wärme, SCHWEISS, ENERGIE, TEMPERATUR.

Der Laser, zusammengefaßtes Licht, elektrische Wärme. Haut und Laser berühren sich, Körper- und elektrische Temperatur. Synthetische Mikroorganismen, sensorische Makrostimuli. Netzwerk der Nerven, elektrisches Netzwerk. Magnetband, Video-Mischpult, Audio-Mischpult, Farben, Doppelprojektion, Internal Key, Cromakey, Intarsien. Ein Spiel, nur ein Spiel, ein Video-Spiel.

Theo Eshetu
QUESTA È VITA/THAT'S LIFE, Format PAL, Farbe, Dauer 11 min
Regie und Kamera: Theo Eshetu
Schnitt: Massimo Fioravanti
Mit: Jean René, LeMoine, Felix Imevbore, Michela Morelli, Ever Jiuli, Theo Eshetu u.a.
Musik: Art Blakey, The Four Tops, Otis Redding
Produktion: White Light und Artvideo, November 1986
Erster Preis bei U-Tape Festival, Ferrara 1986

"QUESTA È VITA (Das ist Leben)", das auch heißen könnte "Questa è Video (Das ist Video)", ist die Wiedererweckung einer primitiven Methodologie in der Realisierung eines Programms mit elektronischen Mitteln. Die Verwendung subjektiver Elemente, Momente von Riten, modernen musikalischen Mythen und von Fernseh- und pornographischen Bildern wurden genau geplant eingebaut, um die Magie der Kommunikation zu erforschen. Die Botschaft in diesem Fall ist nicht didaktisch oder informativ, sondern die spezifischen Charakteristika des Videos werden durch eine Collage von Klängen und Bildern illustriert.

Crudelity Stoffe
ROMEO & JULIET
Musik: Requiem (W. A. Mozart)
Produktion: Crudelity Stoffe 1984
Originalprogramm für Apple 2 Computer von Marco Tecce und Michele Böhme, auf Video umkopiert im STS Video Center, Rom.

Romeo und Julia, die große Shakespearische Tragödie, wird in "Hommage to Liza" überarbeitet, einer Graphicsoftware, die dem Künstler die Möglichkeit gibt, Bilder durch ständigen Auf- und Abbau von polygonalen geometrischen Formen zu erzeugen. Diese Technik wird allgemein "abolition" genannt.