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Ars Electronica 1987
Festival-Programm 1987
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Festival 1979-2007
 

 

Jugoslawien
YU VIDEO Biljana Tomic



Zu Beginn der siebziger Jahre begann das Studentenkulturzentrum in Belgrad ein Multimedia-Festival unter dem Namen "Erweiterte Medien" zu organisieren. Seit damals wurden in unserem Videoprogramm ganz gezielt die bekanntesten internationalen Autoren und ihre Produktionen vorgestellt. Die Gäste des Studentenkulturzentrums, die wir seit Anfang der siebziger Jahre entweder persönlich oder durch ihre Werke kennengelernt haben, sind wohl die bekanntesten Fachleute für Video: Künstler, Kritiker, Verteiler, Videoprogrammveranstalter.

Nachdem man sich schon zu einem so frühen Zeitpunkt der Entwicklung der Videokunst zugewendet hatte, ist es logisch, daß viele jugoslawische Künstler sich mit diesem Medium in der für die siebziger Jahre charakterischen Art auseinandergesetzt haben, nämlich in Form von Conceptual und Minimal Video, in Performance Video Workshops, Dokumentation … Wie auch in anderen Ländern hing der Entwicklungsprozeß der Videokunst in Jugoslawien von der Aktivität der einzelnen Zentren und von den technischen Kapazitäten, die für diese Arbeit zur Verfügung standen, ab. So kann man sagen, daß anfänglich Belgrad ein starkes Zentrum war, wo besonders gegen Ende der siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre eine sehr wesentliche Produktion entstand, mit folgenden Autoren: Nesa Paripovic, Radomir Damnjan, Rasa Todosijevic, Misa Savic und andere. Diese Werke reichten von Video Performances zu Conceptual Video, hatten oft eine sehr stark betonte soziale und kritische Thematik, waren gelegentlich aber auch rein poetischer Ausdruck.

In Zagreb arbeitete in den siebziger Jahren eine Gruppe von Vertretern der Concept-Art mit Video: Sanja Ivekovic, Dalibor Martinis, Ladislav Galeta, Goran Trbuljak, Mladen Stilinovic, etc. In Ljubljana gab es in den siebziger Jahren zwei bedeutende Videokünstler, Nusa und Srebo Dragan.

In den achtziger Jahren bewirkten eine Reihe neuer Faktoren eine Veränderung im Umgang mit Video in Jugoslawien. Wie auch anderswo führte die explodierende Entwicklung von Technologie und Elektronik gemeinsam mit einer Veränderung des Charakters von Arbeit, des Inhalts und der allgemeinen Einstellung zu den Medien letztlich zu dem dramatischen Moment, in dem viele Künstler die Arbeit aufgaben, einfach weil sie ihre Arbeit nicht mehr wie vorher in der einseitigen Beziehung Kamera–Künstler beherrschen konnten.

1983 stabilisierte sich die Videoszene wieder, was weitgehend dem CD-Video-Festival in Ljubljana und kleineren Treffen und Programmen in Belgrad und anderen Zentren zu danken ist.

Nach 1983 machte Video in Jugoslawien ein Stadium wichtiger Veränderungen durch. Es zeigt sich eine neue Orientierung in Richtung Fernsehen und parallel dazu auch ein gesteigertes Interesse der TV-Direktoren für eine neue Ausdrucksmöglichkeit im Video. Verglichen mit der ersten Periode des "klassischen Video", als eine beachtliche Anzahl visueller Künstler eine direkte persönliche Beziehung zur Kamera- und Videoarbeit entwickelten, haben sie sich heute zurückgezogen und nehmen nur selten teil, während andrerseits eine neue "Medien"generation von Videokünstlern in Erscheinung getreten ist, die in der Welt der Elektronik zu Hause und sehr vertraut mit dem Medium ist.

Da das Verfahren der Bandproduktion zunehmend aufwendiger wird, übernehmen häufig Fernsehstudios die Rolle der Hauptproduzenten, neben einigen wenigen privaten Studios, von denen ich ATV in Ljubljana und "Happy Television" in Zagreb herausheben möchte.

Jugoslawische Fernsehstudios in Belgrad, Sarajevo, Skopje, Ljubljana, Zagreb und Koper sammeln die Videokünstler und sind in der Produktion und Ausstrahlung der Videoarbeiten in ihren Programmen tätig wie auch bei der Veranstaltung von jugoslawischen und internationalen Videotreffen und Festivals.

Die Videoproduktion muß an Kriterien der Fernsehgestaltung angepaßt werden, es wurde schon eine spezifisch kreative Video-TV-Sprache geschaffen, die im allgemeinen einen Einfluß auf die moderne Medienkultur ausübt.

Eines der besten Beispiele der neuen Orientierung ist "Dutch Moves" von Dalibor Martinis, obwohl auch die folgenden Autoren als Vertreter des sich ändernden Videos der achtziger Jahre und des neuen Ausdrucks genannt werden können: Sanja Ivekovic, Miha Vipotnik, Marjan Osole, Marina Grzinic, Aina Smit, Mare Kovacic, Boris Miljkovic, Sloboda Pesic, Breda Beban, Hrvoje Horvatic, etc.

Sanja Ivekovic, Dalibor Martinis
BLACK AND WHITE, 1985, TV Sarajevo

Ivekovic und Martinis setzen sich wieder mit dem Thema des Glücks, der Dissonanz, des Streits und der häuslichen Verbrüderungen auseinander. Den Hintergrund bildet diesmal ein Schachspiel, dieses arabische Kampfspiel ums Überleben.

Dalibor Martinis
DUTCH MOVES, 1986, 53', Meatball, Den Haag

In "Dutch Moves" werden drei Handlungsfäden gesponnen, die alle – sowohl einzeln wie auch gemeinsam – die Frage aufwerfen, was ist Phantasie? Jede der drei Geschichten bedient sich einer eigenen Technik, um diese Streitfrage zu erhellen.

Die erste Handlung spielt sich im Dialog zwischen den zwei Botschaftern ab; die zweite im Wechselspiel der beiden Geheimagenten; und die dritte folgt einem Videokünstler und seinem Mädchen.

Diese drei Themen sind miteinander verwoben und ergänzen einander.

Die Nebenrollen dieser Produktion, (Holbein und "The Chief") verleihen dem Ganzen die nötige Tiefe und runden das Projekt ab.

Es ist das Konzept des Drehbuchs, die Frage der Gegenüberstellung von Wirklichkeit und Einbildung aufzuwerfen und zu zeigen, wo die Grenze verläuft – oder ob man überhaupt eine Grenze ziehen kann. Die Rolle des "Chief" ist deshalb so angelegt, daß er dem Zuseher vermitteln soll, daß er/sie eigentlich kein normales Fernsehprogramm sieht. Jede Schnittstelle in "Dutch Moves" ist wie ein Wechsel von einem Fernsehkanal zu einem anderen, auch Wechsel der geschichtlichen Perioden und sehr unterschiedliche Stilrichtungen der Musik werden eingesetzt. Diese ungewöhnliche Methode wird noch dadurch verstärkt, daß jeder Handlungsablauf eine ganz bestimmte Atmosphäre hat. So treten die Botschafter zum Beispiel nur im historischen Kostüm auf. Der Videokünstler und sein Mädchen verkörpern das typische romantische Liebespaar – und die Geheimagenten werden ständig auf dem Monitorschirm ertappt, auch wenn man sie bloß hört, wenn sie nicht im Bild sind.

Dieser Gegensatz von Wirklichkeit und Einbildung wird dadurch herausgearbeitet, daß die unverbindliche Absurdität der Diplomatie aufgedeckt wird, daß die Schauplätze sehr schnell wechseln und die vorgefaßte Meinung und Vorstellung der Zuseher von Fernsehen, Film und Video in Frage gestellt wird. Dabei spielt auch das gewählte Gemälde seine Rolle. Holbein legt die Anamorphose eines Totenkopfes zwischen die zwei Botschafter, um sie darauf hinzuweisen, daß der Tod nicht in der klaren, präzisen Perspektive gesehen werden kann, die dem Renaissancemenschen so wichtig ist. Das Wort Anamorphose setzt sich aus zwei griechischen Wörtern der Bedeutung "von neuem" und "formen" zusammen.

Der Zuseher, ob er nun ein Mensch des 16. oder des 20. Jahrhunderts ist, ist gezwungen, sich anzustrengen, bevor er belohnt wird.

"Dutch Moves" ist wirklich ein Spiel, bei dem eine Reihe von Techniken, Vorwänden, Überraschungseffekten eingesetzt wird. Es ist zweifellos anspruchsvoll, doch bietet es dem Zuschauer Unterhaltung auf verschiedenen Ebenen und Unterhaltung ist schließlich ein wesentliches Ziel dieser Produktion.