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Ars Electronica 1987
Festival-Programm 1987
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Festival 1979-2007
 

 

England
Kunstvideos in UK Jeremy Welsh



Wie es jetzt meistens der Fall ist, sind auch die hier gezeigten Tapes relativ kurz. Anders als beim Längenaspekt ist bei den meisten das einzige Gemeinsame der effektive Gebrauch von Sound und Musik und das visuelle Engagement. Der persönliche Hintergrund bei den Tapes ist breit und unterschiedlich und repräsentiert das Feld der Inhalte des zeitgenössischen Kunstvideos in UK.

Simon Robertshaw
"BIOMETRIKA", 1987, 11'

Im Jahr 1883 prägt Sir Francis Galton, ein Cousin von Charles Darwin, das Wort "Eugenics" (Rassenhygiene). Er war ein Pionier auf dem Gebiet der Vererbungslehre und wollte die menschliche Rasse verfeinern durch "bessere Chancengebung der passenderen Rassen oder Blutanlagen, damit sie die Oberhand über weniger geeignete gewinnen".

"Biometrika" ist eine auf einer Streitfrage basierende Produktion, genauso wie viele Künstler die Sexualität als Arbeitstitel hernehmen. Mein Hauptinteresse gilt der mentalen Gesundheit, durch ausgewählte Darstellung von Menschen mit einem mentalen Handikap.

Simon Biggs
"LE DESIR" (Die Gefangenen), 1987, 8'

Dieses Video ist gedacht als Reverenz an die Skulptur "Le Desir" von Aristide Maillol, den Kupferstich "Gefängnishof" von Gustave Doré und ein Bild zum selben Thema von Vincent van Gogh. Sie werden als Sinnbilder verwendet, die auf unzuvereinbarende Unterschiede, auf die tiefverwurzelte Tragödie unserer ständig vereitelten Kommunikationsversuche hinweisen. Die Themen des Soundtracks basieren auf dem Dialog in Platos "Phaedrus" – stellen die Beziehung her zwischen den Gedanken von Liebe, Sprache und Repräsentation und können sowohl spezifisch als auch metaphorisch betrachtet werden. Die Struktur der Tonspur vermittelt durch die Überlagerung der beiden Dialogstimmen eher Störungen als klare Informationen.

Historische Anklänge der Darstellung und Meinungsbildung werden absichtlich herbeigeführt durch die Anwendung des Computers und der Videotechnologien auf die Mal- und Kupferstichtechniken des 19. Jahrhunderts. Man kann diese Arbeit als Tagebuchaufzeichnung sehen, in der gleichen Art wie die Arbeit von Dante.

Tina Keane
HOPSCOTCH (= Tempelhüpfen), 1986, 9'

HOPSCOTCH kann als eine Art Metapher gesehen werden. Das Zahlensystem und die verschiedenen Unterteilungen dieses alten Spiels beziehen sich sowohl auf Kunst als auch auf Wissenschaft. Auf der ganzen Welt wird es in zahllosen verschiedenen Varianten gespielt.

Das Band kann gesehen werden als experimentelle Arbeit, die das Verhältnis von Kinderritualen/-spielen zu altertümlichen Zeichen, zu Labyrinth und astronomischem Symbolismus untersucht. "Tina Keane hat mit diesem Video alte, allgemeingültige Metaphern mit der Terminologie der modernen Medien zitiert, um einen kritischen Anstoß zu neuer Betrachtungsweise unserer Perzeptionsgewohnheiten zu geben."
(Guy Brett Performance Magazine, 1985)

Catherine Elwes
"PLAY", 1986, 5'

Der Titel weist bereits auf die drei Spielelemente des Bandes hin:

  1. Die Versuche einer Mutter, Klavier zu spielen.

  2. Die gewaltsame Unterbrechung durch das Spielen ihres Kindes.

  3. Das Spiel mit dem Raum und den Oberflächen, das uns die Videotechnologie erlaubt.
Die Konstruktion des Ablaufs bewegt sich wie von einem Außenkreis nach innen – das Kind erobert ganz allmählich den Raum der Mutter, die dann und wann das Klavier verläßt, um das Kind zu beruhigen. Immer wieder kehrt sie zum Klavier zurück, um zu spielen – das Kind stellt sich allerdings in letzter Konsequenz zwischen Mutter und Instrument.

Es ist sicher möglich, hier Freudsche Beziehungen über ein gestörtes Mutter/Kind-Verhältnis aufzudecken, meine grundsätzliche Intention war allerdings nur, eine Abhandlung über den trick- und tränenreichen Feldzug in die Unabhängigkeit anhand dieses kleinen alltäglichen Krieges zu zeigen.

Marion Urch
FROM RUSSIA WITH LOVE, 1986, 5'

Die Künstlerin zeigt auf diesem Band eine Postkarte des Roten Platzes in Moskau, als ausgesprochen poetische Botschaft an ihre Mutter – unterlegt mit dem flirrenden musikalischen Teppich der russischen Volksmusik.

Aufgenommen wurde das Band im Studio vor chromatisierten Hintergründen. Urch zeigt hier eine Serie von einfachen Handlungen und Szenerien, die der Tourist erlebt – gleichzeitig werden geschickte Vergleiche gezogen zwischen den Kulturen des Kommunismus und Kapitalismus, zwischen der Religion des Katholizismus und Kapitalismus, zwischen der Religion des Katholizismus und der Religion des Staates.

Mike Stubbs
GREETINGS FROM THE CAPE OF GOOD HOPE (Grüße vom Kap der Guten Hoffnung), 1986/87

Präsident Botha möchte uns glauben machen, daß die Schwarzen in Südafrika glücklich sind und die Apartheidpolitik ein Thema der Vergangenheit ist. Bedauerlicherweise bestätigen aber die Statistiken das genaue Gegenteil.

Mit dem sogenannten "state of emergency" hat die südafrikanische Regierung die Medien ausgeschaltet, um "zu verhindern, daß ausländische Zeitungen die Wahrheit verdrehen". Keine Nachrichten werden weitervermittelt. Mein Band (das ursprünglich als Video-Postkarte gedacht war) verwendet nun die Ironie, um zu zeigen, wer hier tatsächlich die "Wahrheit verdreht".

Graham Young
DOMESTIQUES (Nr. 15 aus der Reihe "ACCIDENTS IN THE HOME"), 1987, 3'

Als Serientitel steht "Accidents in the home" (Haushaltsunfälle) für die Summe der häuslichen Tätigkeit, der privaten Atmosphäre. "… der Raum des einzelnen" zum ersten, und zweitens die Kontrolle über sogenannte "leblose" Objekte/Geräte. "… werden leblose Objekte so funktionieren, wie sie sollen?"

Die unmittelbare häusliche Umgebung des einzelnen setzt bei der Umsetzung in Video vielerlei Überlegungen voraus. Das sind Räume, die man sehr gewissenhaft untersuchen sollte. Nichts ist da zu gewöhnlich, nichts zu alltäglich – alles ist wert, untersucht und visuell umgesetzt zu werden.

"… werden die leblosen Objekte so funktionieren, wie sie sollen?" Der Gedanke an Haushaltsunfälle erweckt in mir immer die Idee, daß sich da leblose Geräte/Objekte verselbständigt haben – daß Unfälle eben dann passieren, wenn wir die Kontrolle über diese Objekte/Geräte verlieren. Meistens sind diese Unfälle auch geringfügig, fatal und leicht verfolgbar und erklärbar. Ich liebe diese Momente der Zerstörung, die endlosen Stunden der Planung, die Wiederholung. Es ist meine Pflicht, diese Momente festzuhalten, einzufangen im Augenblick der Kontrolle.

Jeremy Welsh
DEMOCRACY, 1987, 4'

"Was bedeutet Demokratie 1987, in der 'freien' Gesellschaft Englands oder eines anderen Staates? Die Machtsymbole sind auf der ganzen Welt die gleichen, die Repressalien sind ähnlich. Der Unterschied liegt nur im Mehr oder Weniger!"

Stephen Littman
IN THE NAME OF THE GUN (Im Namen des Gewehrs), 1975, 5'

Manchmal habe ich diesen Traum. Ein Traum, dem ich nicht auskommen kann. Er ist da, lauert die ganze Zeit im Dunklen. Der Traum eines kleinen Jungen. Man weiß, daß es ein Knabentraum ist, denn der Hauptdarsteller schießt mit einem Gewehr. Ist es nicht lustig, daß ich immer glaube, dieser Traum könnte wahr sein …?

Clive Gillman
ELECTRICAL DEVELOPMENT, 1986, 10'

Ein Band in zwei Teilen. Der erste als Traum, in dem das Bild der Elektrizität als mystische, wunderbare Kraft auftritt; der zweite als Beobachtung (aus einem privaten Blickwinkel) einer an sich öffentlichen Angelegenheit (Elektrizität), die sich jedoch in privater Hand befindet.

John Goff
"TRANSITIVE FOUR", 1986, 5'

So etwas wie ein videographisches Lexikon, in dem Worte in ihrem Verhältnis zum Schlüsselkonzept von Bewegung und Wechsel gezeigt werden, kinetisch, mit assoziierten Images.

Das geschriebene Wort wechselt, wenn es durch die "Cathode-Ray Tube" gezeigt wird – die aktiven, flüchtigen und kurzlebigen Aspekte der Sprache spiegeln die unfaßbare unbeständige Natur des CRT/VDU Displays. "Worte" sind DATA-Muster, "Geplapper" stetig produziert – wirkt wie Reibung, wie Gedankensprünge – Maschinen und Informationen in ständiger Bewegung.