www.aec.at  
Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Gerhard Johann Lischka: Medienkunst


'Gerhard Johann Lischka Gerhard Johann Lischka

Die Welt der Bilder, Texte und Töne versammelt sich heute an einem einzigen Terminal, an dem der "Künstler" von morgen Platz genommen hat, um sie nach seinem Willen miteinander zu verschränken: an der PAINT BOX. In traditionellen Begriffen gesprochen, wäre diese ein Pinsel, Farben und eine Staffelei. Doch nach heutiger Technologie lauten sie Computer, Synthesizer und Bildschirm. Diese drei Elemente, angeschlossen an das Netz von Bild-, Text- und Tonproduzenten, -verwerter und -speicher, ist für jeden sich über die paint box Beugenden der Nabel der Welt.

Denn aus der unübersehbaren und nicht mehr vorstellbaren Fülle an Daten, die zur Verfügung stehen, kann – primär im Anschluß mit anderen Collaborateuren – ein sich immer noch um neue Berge von Daten auftürmendes bestes Resultat aus vielen Möglichkeiten gewählt werden. Aus der Linearität und "Identität" der Schrift heraus explodiert ein nie mehr arretierbares Gefüge aus Bildern, Texten und Tönen, die ein eindimensionales, reduziertes Weltbild in die Fülle subjektiver Weltbilder stürzen, um in nicht endender Kombination wiederum Neues entstehen zu lassen. Vom Sog des Produzierten fortgerissen, muß der Operateur ein offenes Kunstwerk akzeptieren.

Die Welt versammelt sich an einem Ort, aber nicht um definiert zu werden, sondern um im Dialog die momentanen Möglichkeiten zu erörtern. Das ist das Neue am Magnetismus der VIDEO CLIPS, die als gegenwärtig heißeste Ware die Fähigkeiten der paint box am besten charakterisieren. Wer weiß, was die Zukunft noch alles bringen wird? Ich möchte nicht behaupten, daß die clips die besten Erzeugnisse der Medienwelt sind. Ihre Macher orientieren sich zu sehr an Avantgardemustern aus der Vergangenheit und "sex and crime" Klischees. Doch die Einheit von Bild, Text und Ton ist bei ihnen auf den aktuellen Nenner gebracht. Das heißt, daß sowohl alle konventionellen Medien in ihnen Unterschlupf gefunden haben, als auch die immer neu dazukommenden technologischen Finessen sich hier einbringen lassen.

Was dabei herauskommen kann, ist sowohl das Bild, welches uns ein offener Müllcontainer vermittelt, wie Global Groove (Paik 1973). Die Nervigkeit unserer Zeit, gerade der globalen Verstrickungen, auch der postmodernen Situation, daß wir auf den Atombombenarsenalen sitzen, das Nukleare, drücken sie am besten aus. Aber auch die Milliarden Menschen, deren bis ins Allerfeinste verzettelten Eigenheiten und Ausdrucksformen. Dies selbstverständlich nur, wenn die eigenen Wünsche und Vorstellungen zum Zuge kommen und nicht, wie heute noch fast ausschließlich, die Ballung von Macht in der Distribution und Handhabung der clips in den Massenmedien.

Bisher, das kann man vereinfachend behaupten, dienten die MEDIEN zur Organisation der Massen unter welchem Diktat auch immer. Beim Film war das noch nicht so deutlich, es hat sich aber bei den Zeitungen, dem Radio und nun beim TV gezeigt. Es gibt eine zentrale Ausgabestelle von Information, da wird redigiert, zensuriert, manipuliert und kopiert. Diese sogenannten Sender erreichen auf den verschiedensten Distributionskanälen ein im Grunde genommen total unterschiedlichem Geschmack huldigendes Publikum, das mit der jeweiligen Konserve aber dennoch gleichgeschaltet wird – ob es will oder nicht. Die aus der Rezeption entstehenden Meinungen bewirken (durch die Jahre hindurch) eben eine Art Vereinfachung, was die Klischees der Medien sind. Zumeist sind sie gekoppelt mit einerseits dem täglich sich zutragenden Horror und andererseits den Images, die sich zu Celebrities mausern. Man kann an ihnen nicht vorbeisehen, sie fixieren uns mit ihrem Blick aus den verstecktesten Winkeln.

Wir können diesen Mechanismen nicht mehr entkommen, denn sie sind wie früher die Kirche, dann die öffentlichen Plätze, die Träger der "Ideologie" der Gesellschaft, die sich, trotz Blockbildungen und unterschiedlichem politischen Credo, gerade durch die Massenmedien zu einer immer ähnlicher werdenden globalen Masse herausbildet. Wer die ersten Fernsehstunden nach dem 2. Weltkrieg erlebt hat, kann das nur bestätigen. Plötzlich, aus der Logik der TV-Entwicklung, gab es ein in jeweils größeren Ordnungen operierendes Verbundsystem, bis zum heute global vernetzten Satelliten-TV.

Die Welt wurde dadurch ORBITAL. Sie wird von außen, von oben her gelenkt, und nächste Eroberergenerationen stoßen nicht mehr durch den Dschungel und die Weltenmeere auf Neuland vor, sondern sie fliegen nach dem Mond (dessen Betreten 1969 eigentlich recht wenig gebracht hat), nun auf bemannte Weltraumstationen, die mittlerweile zusammen mit den vielen Hunderten von Satelliten die Erde fest im Griff haben. Zunächst natürlich, wie bei allem "Fortschritt", militärisch, indem abgehört, fotografiert, überhaupt spioniert wird. Der Kopf der Machthabenden hat sich von ihren Schultern getrennt, und schwebt geostationär wie das Antlitz Gottes durch das All.

Wie durch die Abgase die Atmosphäre aufgeheizt wird, wird sie es auch durch die kriegerischen Techniken. Im Orbit soll die Sicherheit für die Zukunft liegen, im gigantischen Projekt SDI. Man könnte wirklich nichts dagegen haben, wenn sich die Hitzköpfe ihre Schlachten weit weg von der Erde liefern würden: Doch fällt am Ende nicht alles wieder uns auf den Kopf? Welche Zukunftstechnologien auch durch das orbitale Denken eröffnet werden, es wäre vielleicht doch zunächst angebracht, die globalen Probleme zu lösen, bevor man sie in den Orbit vertagt.

Mit dem Starwars-Programm wird deutlich, daß der Krieg einer ohne Krieger geworden ist, statt dessen einer der Technokraten. Weiter ist auch der Krieg nicht mehr unbedingt ersichtlich, denn er spielt sich in der Produktion und Veralterung von Waffen ab, und im kleinen, aber sehr effektiven Rahmen der Terrorakte der verschiedensten Gruppierungen, die skrupellos Zivilisten zu Opfern machen. Somit wird jede/r potentiell zum Opfer nicht nur eines tätlichen Angriffs, sondern gleichfalls irgendwelcher "Programme", die auf sie/ihn einprasseln.

Davon bleibt auch der Kulturbetrieb nicht verschont: weshalb wir zunächst dem Wechselbad verschiedenster Geschmacksrichtungen, Qualitätsvorstellungen und Bestätigungsakte ausgeliefert sind, bevor wir zu uns selber kommen können. Man muß also durchlässig werden, offen sein, und dann sich doch mal für dies und später vielleicht für etwas anderes entscheiden, was die Vorstellungen von Qualität, Wert oder einfach Präferenz sind. An der globalen KULTURFRONT geht es um einen "immateriellen Imperialismus" der Images, die uns eingebrannt werden, wie früher den Rinderherden das Zeichen ihres Besitzers. Als Jugendliche sind wir süchtig nach diesen Zeichen, sind Fans, verschreiben uns unseren Idolen. Um recht spät zu merken, daß die nichts anderes als die Schokoladenseite, die unerreichbare Ferne der Nähe der Eltern oder Bekannten waren, die nur alltäglich sind, im Vergleich zur lockenden Anziehungskraft der Heroen der Massenkultur.

Die große Schwierigkeit liegt darin, diesen Mechanismus der Züchtigung von Images zunächst zu durchschauen, und dann sich selbst dermaßen in die Kulturproduktion einzubringen, daß aus einer Kultur für die Massen eine durch die Massen werden könnte. Eine Kultur von Gruppen, die sich offen halten und verändern, eine Kultur, in der das Individuum zählt, weil es nicht nur Rezipient ist, sondern in gleichem Maße, falls es das beabsichtigt, als Produzent aktiv ist. Beim KÜNSTLER scheint dies bereits erfüllt zu sein. Denn er gestaltet seine Welt, ungebrochen von Auflagen und sogenannten Sachzwängen. Dabei muß nicht die Frage sein, ob er von seinen "Werken" leben kann oder noch einem Brotberuf nachzugehen hat.

Doch seine Autonomie wird dann nur eine scheinbare sein, wenn – wie dies in den achtziger Jahren vielfach der Fall ist – sein Produkt so konform ist, daß er zusammen mit seiner Signatur zu irgendeinem Konsumgut verkommen ist, das von einem Paar Lautsprecher nur insofern unterschieden werden kann, als sein Werk ein einmaliges ist. In der Funktion bliebe es aber gleich: akustische Befriedigung sowie bei einem Bild optische Befriedigung. Die "wilde" Malerei ist zum allergrößten Teil die schamlose Ausbeutung einer überholten Vorstellung vom Künstler (als Malerfürst). Diese Werke sind Zeugen eines Rückzugsgefechts vor den noch nicht vom Künstler genutzten Möglichkeiten, sich des gesamten Medienangebots zu bedienen und Medienkunst zu machen.

Von MEDIENKUNST kann man erst dann sprechen, wenn innerhalb eines gewissen Mediums die künstlerische Absicht zum Tragen kommt: im Unterschied zur üblichen miesen Mache. Ob ein Medium rein, vermischt oder in neuen Kombinationen verwendet wird, spielt dabei keine Rolle. Aber der Akzent wird immer auch auf das Überspringen des Funkens auf das Leben gerichtet sein: den intermediären Aktionismus. Damit das Kunstwerk nicht als ausschließlich auf sich verweisendes verstanden wird, sondern auch als Aufforderung an den Rezipienten selber aktiv zu werden.

Das ist der Keim des Dialogischen, der noch weiter entfaltet werden kann, wenn das Kunstwerk zum Dialog-Schnittpunkt wird in Gedanken, vielleicht auch im gemeinsamen Gestalten. Dazu sind die neuen Medien wie Film und Video geschaffen, wie einstmals Rituale. Denn sie sind Zusammenarbeit und gemeinsames Erlebnis. Und ein künstlerisches Produkt tut auch nie so, als sei ihm das Publikum nichts wert. Das Publikum ist phantasievoller Mit- und Endgestalter des Gezeigten, es ist Partizipient. Dann sieht man, was auch bei der paint box der Fall ist, daß da nicht einfach ein input und ein output vorhanden ist, dazwischen eine undefinierbare black box. Nein, es ist ein Spiel mit bekannten Elementen, die der Zufall in noch nicht so gesehene, gehörte und geahnte Möglichkeiten verwandelte.