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Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
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Festival 1979-2007
 

 

Aurora Elettronica




AURORA ELETTRONICA
Es soll hier keine Beschreibung oder Erklärung des Theater/Architekturprojekts zur Ars Electronica 86 geliefert werden. Unsere Wunschvorstellung ist, daß das Projekt, ohne Voreingenommenheit und Vorbelastung, zu jenem Zeitpunkt aufgenommen und verstanden wird, an dem es passiert. Es fasziniert uns nämlich die Idee, ein Stück im vorgewählten Raum gleichsam erstmalig "vor Anker" gehen zu lassen, als eine Abfolge unerwarteter Ereignisse, überraschender Gesten, in ungewohnter Atmosphäre.

Nun ist es sicherlich nötig, einige Anhaltspunkte, eine Ausgangsbasis zu schaffen. Aus diesem Grund haben wir den Kunstkritiker Pierluigi Tazzi, der unsere Arbeit seit ihren Anfängen kennt, gebeten, einen Grundsatzartikel zu schreiben. Über jene historischen Themenstellungen, von denen unsere künstlerische Arbeit ihren Ausgang nimmt. Der folgende kurze Abriß durchschreitet nun mit großen Schritten die theatralischen Phänomene, auf die wir mit unserer Arbeit immer wieder Bezug nehmen. Als Versuch eine neue Ausdrucksform zu finden, die – ausgerichtet auf die Zukunft – nicht ohne Kenntnis der Geschichte, ohne Unterricht und Erfahrung, in und mit der Vergangenheit denkbar ist. AURORA ELETTRONICA versucht, einen Zustand des sogenannten "totalen Schauspiels" zu bieten. Impulse wirken hier nicht von außen als Stimulans für einzelne Sinne, sondern das Schauspiel als solches wird als oszillierendes Ereignis dargeboten. Es kann gleichzeitig als ein vom Zuseher getrenntes Szenario, ebenso wie ein "Aktiver Behälter" (in dessen Innerem der Zuseher zum Mitwirkenden wird) erlebt werden.

All dies unterstreicht einmal mehr das Thema der Veränderung, der Metamorphose, die schließlich auch ein Synonym für die Entstehung des Projektes darstellt.

Pina Izzi
PIER LUIGI TAZZI

Theater habe ich immer gemacht, manchmal ohne es zu wissen, darum liebe ich es nicht. Trotzdem mache ich es weiter, bis an die Grenzen meines Bewußtseins."

P. L. T., H, 1979 (unveröffentlicht)
I.
Das Theater ist der Ort des Körpers, der totalen Darstellung des Körpers. Alle Fähigkeiten, alle Möglichkeiten des Körpers werden verwendet, und ebenso wie seine Grenzen und Schwächen im "heiligen" Bereich der Bühne verstärkt. Der Körper kennt seine eigene Beschränktheit (Satire), kennt sein Ziel (Komödie), ebenso wie seinen Tod (Tragödie). Durch ein eigens für ihn entwickeltes Ritual hält der Körper dieses Wissen im zeitlosen Raum einer Bühnenszene fest. Dies wird wohl eine Zeitlang der erzählte und erzählende Körper des "bürgerlichen" Theaters sein, und auch der empfängliche, expressive des post-artaudischen Theaters.

Jedoch gibt es im Theater auch die andere Komponente, jenseits der Motivation aus dem Inneren der menschlichen Kultur. Eine Komponente, die sich vielmehr auf der Ebene der sozialen Praktiken dieser Spezies gebildet hat. Das bildet das wohl "Spektakuläre", das "Schauspielhafte". Die Definition für das Wort "spektakulär" heißt in unserem Sinne, in einem eigens dafür vorgesehenen Raum eine Serie von Zeichen zu setzen. Zeichen, die alle ein mehrschichtiges Miteinander von Bedeutungen tragen, und deren "Gesamtbetrachtung" zu einer darüberliegenden "Gesamtbedeutung" führt, die die Einzelaspekte in sich birgt. Die "Manifestation", die "Darstellung", ist in diesem Begriff ebenfalls enthalten. Der Akt des Sehens und Gesehenwerdens, das Zeigen und Gezeigtwerden, ein allumfassender Akt der Exhibition ebenso wie visuelle Aggression (mit Schwerpunkt visuell, kann aber auch auf andere unterstützende Sinne zurückgreifen) gegenüber einer qualitativ indifferenten Adressatengruppe, an die die jeweilige Botschaft gerichtet ist.

Eine weitere grundlegende Implikation des "Spektakulären" ist der RAUM, verstanden als definierter Ort – als umfeldbezogener Zusammenhang, der der Darstellung, der Manifestation vorgelagert ist. Das Theater ist in diesem Sinne also DER Ort des Spektakels. Die westliche Kultur nimmt die beiden Begriffe "Spektakel" (Schauspiel) und "Aufführung" als Synonyme an und führt sie zu einer Identität. Es könnte allerdings auch die Hypothese der Trennung durchaus vertreten werden: REPRÄSENTATIV, also darstellend, ist alles, was auf eine Realität Bezug nimmt, deren Ablauf in einer signifikanten Phase gehemmt ist (z.B. Malerei, Text, Fotografie, Bilder in der Bewegung usw.) und durch seine "Agenten" dargestellt wird, die als "Darstellungstechniken" definiert werden; SPEKTAKULÄR hingegen ist eine Realität in sich selbst. Sie kann auch darstellende Komponenten umfassen, ihr Ablauf ist nicht "frei", sondern in zeitlich räumliche Parameter eingeschlossen, wobei letztere – manchmal auch elastisch – von den Agenten vorgegeben sind. Die Agenten hier als spektakuläre ARTEFAKTE definiert. Kompliziert wird dieses Problem bei der Betrachtung sogenannter "Naturschauspiele". Hier gibt es keinen bewußt handelnden Agenten (Sonnenuntergang, Vulkaneruption, sturmzerwühltes Meer als Beispiele). Die logische Überlegung folgt auf dem Fuße: Das Naturschauspiel, oder Natur "Spektakel", ist nur dann so zu benennen, wenn das Ereignis zwar gesehen, aber nicht erlebt wird. Verallgemeinert ist es also ein Spektakel, ein Schauspiel, wenn es von einem Betrachter verfolgt wird. Es endet dann, wenn der Betrachter aus seiner Zuseherrolle heraustritt und teilzunehmen beginnt. Um bei unseren oben erwähnten Beispielen anzuknüpfen, ein Schiffbrüchiger erlebt den Sturm überm Meer sicher nicht als schauspielhaft in seiner Qualität. Daraus ergibt sich: Daß ein Spektakel einen Zuseher braucht, der als reiner Zu-seher auftritt. Zwischen dem Ereignis und dem, der es betrachtet, gibt es eine Cäsur, eine Trennwand, ein Fenster, wie Leon Battista Alberti es nennen würde, das mittels eines mehr oder weniger dicken, mehr oder weniger durchdringbaren Filmes den Betrachter von dem trennt, was er betrachtet. In der modernen Kultur des Abendlandes präsentiert sich das Theater also in zwei grundlegenden Komponenten:
  • Als Ort des Körpers

  • Als spektakulärer Raum
Auf der einen Seite das, was man fühlt und von dem man das Gefühl kommuniziert, auf der anderen Seite das unbeteiligte Mitansehen. Jeder Körper hat eine eigene ununterdrückbare Realität. Was er macht, ist undiskutierbar und somit absolut – verlangen, gefallen, mißfallen, sich neigen zu, sich ausbreiten in, flüchten vor, anstreben, genießen, leiden. Jeder dieser Zustände inspiriert ein neues, frisches, noch nie dagewesenes Ereignis. Reproduktion und Kommunikation eines solchen Ereignisses verlangen die Assoziation, die Vorstellung von etwas völlig Unbekanntem – etwas, das vorher nie da war und jetzt existiert. Im Gegensatz dazu verfügt das Spektakuläre über das Augenscheinliche. Es muß offenkundig sein, dadurch ist es von Mal zu Mal diskutierbar und somit relativ. Es kann einer Wertskala unterworfen werden, und – auf der Basis der Publikumsreaktionen – mehr oder weniger exakt gemessen werden. Dies impliziert nun, daß das spektakuläre Ereignis zum mindesten teilweise bekannt sein muß, aus der Wiederholung entspringen muß, um wirksam sein zu können. um decodiert werden zu können.

II.
In der westlichen Kulturgeschichte können wir auch Momente erleben, in denen das Spektakuläre über den Körper herrscht:

DIE SZENE IN DER ITALIENISCHEN RENAISSANCE
Die Entdeckung der Perspektive geht der Erneuerung der Theaterszenographie um ein Weniges voraus. So führt die Definition des von der Perspektive bestimmten dargestellten Raumes zur Definition des szenischen Raumes als einheitlicher Gegebenheit. Die Bühnentechnik nimmt diese Entdeckungen rasch auf und erfindet die sogenannte VIERTE WAND: Zum ersten Mal erfolgt eine klare Trennung zwischen dem realen Raum und dem Raum der szenischen Illusion. Darstellung und Spektakel vereinigen sich im illusorischen Raum der Szene.

DAS BAROCKTHEATER
Die illusionsfördernde Betonung durch perspektivische Elemente spielt in das unwiederholbare Erlebnis des Unendlichen – entworfen und verstanden als Raum ohne Ende(n), in dem sich jeder architektonische Versuch ad absurdum führt. Das Theater mutiert zum phantastischen Bilderrahmen, schließt jede wunderbare Extravaganz ein. Als Ergebnis präsentiert sich ein unmittelbares visuelles Vergnügen, geprägt von immenser äußerer Emotion und von kollektiver, phantasievoller Illusion.

MEYERHOLD
Die Maschine konstruiert die Szene nicht, sie durchdringt sie. Anstelle des illusorischen, von der Bühnenmaschinerie geschaffenen Bildes tritt eine neue Konzeption des szenischen Raumes ein. Jedes Element, einschließlich des Schauspielers, dient nicht der Illusion, nicht einer anderen Realität, sondern zelebriert sich selbst, als eigene ununterdrückbare Präsenz. Der technizistische Konstruktivismus feiert die materielle Substanz der mechanischen Gesellschaft. Durch das Nachlassen der Forderung nach dem "Spielerischen" wird die Relation zwischen Mensch und Maschine positiviert. Durch die stete Planmäßigkeit der Mechanisierung kann der Massenmensch in ein kollektives Arbeitsfest eingebunden werden. Die Konstruktion des Lebens findet in einem gänzlich durchgeplanten urbanen Universum statt und wird dennoch als "frei" von der eigenen Planung gesehen. Dem szenischen Maschinismus vermählt sich die biochemische Akrobatik. Die Stadt tritt ins "Theater" ein, durch eine Selbstrealisation ihrer Attraktionen. Zu den rein optischen Stimulationen des Barocktheaters kommen jetzt die rein nervlichen Stimulationen des konstruktivistischen Theaters. Als Gegenüberstellung, nicht als Opposition, gilt den widersprüchlichen Bildern der Technologie die Utopie der "Maschine als Befreier".

DAS THEATER DES BAUHAUS
Das Bauhausprojekt versucht, die scheinbar in der konstruktivistischen Utopie verlorengegangene Einheit wieder aufzuspüren. Ein neuer Ganzheitsanspruch wird gestellt. Der Anspruch des "totalen Projekts", das die Fähigkeit hat, in sich die Totalität der Wirklichkeit aufzunehmen. Als Funktion bei Moholy-Nagy, als Schicksal bei Schlemmer, als Konstruktion bei Gropius.

Moholy-Nagy sieht die Aufgabe des Künstlers (jenseits einer Beschränktheit im eigenen Arbeitsgebiet) in einer Organisation des vielfältigen und inhomogenen Materials einer städtischen Realität. Nach der Aufstellung verschiedener sich überlagernder, überschneidender Sender kommt die Suche nach dem neuen Sinn – nicht mehr jener der humanistischen Vision, nicht der Nicht-Sinn des vielschichtigen Bildes der Technologie. Vielmehr ein Theater der Totalität, als produktiver Zusammenfluß der Fragmente, die sich so auf der Basis des Spektakulären in eine neue Ganzheit formen.

Schlemmer entfernt seinerseits den Menschen von der Bühne oder verschiebt ihn als Bediener zum Schaltpult jener Zentrale, die das Fest des Auges steuert. Oder hebt ihn überhaupt weit jenseits des Ganzen, Angelus Novus – Gott und Marionette zugleich, ein feiner Mechanismus von hoher Präzision. Theater als Jahrmarkt der Attraktionen für eine neue Kindheit der Menschheit. Gleichzeitig Verfeinerung seiner selbst, seiner eigenen vorhersehbaren Realität. Es kann keine Trennung geben zwischen dem Raum des Spektakels und dem gelebten Raum – nichts weiteres als die Ausformung der realen Beziehung zwischen Mensch und Raum im Inneren des technologischen Universums (1) – das bedeutet Pantomime im Schlemmer'schen Sinn. Gropius verspürt hingegen die Notwendigkeit, das Theater in einen eigens konstruierten Raum zurückzuführen. Getrennt von der Realität, die ihn dennoch umgibt und einbettet. Sein Totaltheater präsentiert sich als globale Alternative zum Realen, als ideale Gegen-Stadt, als getrenntes kontrolliertes Territorium. Es treibt glückselig dahin, heraus aus dem fließenden und unkontrollierbaren Chaos der technologisch determinierten und produzierten Realität. Er beachtet jedoch nicht, daß "die Utopie die Stadt nicht mehr bewohnt, ebensowenig wie ihre spektakuläre Metapher, wenn nicht als Spiel oder als eine ins Imaginäre gewandete produktive Struktur."(2)

III.
Die Avantgarde sah sich nun mit der Maschinenwelt konfrontiert, die die zentrale Figur des Regisseurs als ASSEMBLER vorsah – mit der Aufgabe, die szenische Maschine Theater zum Laufen zu bringen. Die Verantwortlichkeit des Regisseurs "Kreativität" war also gottähnlich – Gott in der Position als einziger Verantwortlicher der Weltmaschinerie. Mit der Entwicklung der Technologie wird der Mensch abgelöst. Und zwar in jenem Augenblick, da die STANDARD ACCURACY der industriellen Produktion den Menschen vom Spektakulären frei macht, das Theater den Körper freigibt. Wir sind bei Artaud angelangt. Das Spektakel jedenfalls geht weiter. Die Technologie wird, zum ersten, das Schauspiel außerhalb der beschränkten Umwelt der Theaterszene, und zweitens, in die erweiterte Szene der Metropole projiziert, der Mantel für die gesamte Oberfläche des Planeten, in einer Art realisierter Totalität, allerdings nicht mehr unter der Vorherrschaft des Menschen.

Künstlerische Praktiken und die dabei entstehenden Produkte, Massenmedien und Informationen sind ebenso viele Spiegel. Nicht mehr in der Einheitlichkeit einer Renaissancebühne, sondern in der Zersplitterung ihrer eigenen Besonderheiten. Widerspiegelt das große städtische und technologische Schauspiel, seine Wunder, seine Phantasmagorien, das überlagerte, ephemere, schnelle Auftauchen der Erscheinungen. Diese Form der Zersplitterung wird betont durch Telematik und Television – jeder Ort wird entheiligt, jeder Raum der ihm innewohnenden Weihe beraubt, dem Individuum aus der einsamen Masse wird der gnadenlose Filterspiegel des Imaginären vorgehalten. Körper und Schauspiel wird nun im Theater als Projektierungsort, als Erfindungsort in den Konflikt getrieben. Das Schauspiel beschneidet den Körper, brennt ihm ein Mal ein, verletzt und entwertet ihn. Der Körper seinerseits macht sich selbst zum Schauspiel: Der STAR.

Aber die Welt ist weit weg, entfernt sich in einer eigenen immateriellen Substanz: Dem Licht und seinen Erscheinungen, der Energie. Die Beziehungen dematerialisieren sich, verlieren den konkreten Bezug. Die Erscheinung der Objekte bildet sich, erklärt sich als ephemer: Dauer und Ewigkeit verlieren sich, verschwinden. Alles wird indirekt. Zwischendinge aus Gegenstand und Realität bilden sich. Welcher Realität? Jener, die noch immer die Existenz in Scheiben schneidet und sie bestimmt: Leben und Tod, Freude und Wünsche, Bedürfnisbefriedigung und Wunscherfüllung, Impulse und Stimuli. Das reale und das simulierte Universum laufen parallel. Ununterscheidbar? Das Theater: Wie kann der Ort der Simulation und der Travestie mit einem simulierten Universum in Wettstreit treten und eine Beziehung zu diesem aufbauen? Das Theater ist ein antiker Ort der Simulation des Realen, der Dinge, die da sind, wie jener, die da nicht sind. Gemeinsam und gleichzeitig. Aber resultiert nicht diese immer öfter wiederholte simulierte Modellverwendung in einer Simulation der Simulation? Oder wird es nicht vielmehr Methode, Lesart eines bereits geschriebenen Textes über etwas, das schon die Inszenierung eines simulierten Modells ist, garantierte Konformität mit dem zu ersetzenden Phänomen? Das Artefakt der Information, der Hybrid Bild/Objekt soll die Leere auffüllen, die in der humanistischen Kultur zwischen geistiger Vorstellung und Realität klafft. Es entstehen neue Kombinationen aus dem visuellen Aspekt der Realität, aus dem Wissen und aus den Handlungen.

Das Theater muß sich in seiner zukünftigen Hypothese über diese Zwitterstellung erheben oder es wird darin untergehen Es geht jedenfalls schon lange nicht mehr um die Beziehungen Körper/Gegenstand mit Maschine-Spektakel/Technologie.

Etwas anderes, Hybrides, das die beiden antiken Termini überragt, das sie nicht mehr dialektisch gegenüberstellt, sondern sie zum Verstummen bringt. Dadurch die traditionellen Apparate einer Renaissance, eines Bauhaus und, und und – aus den Angeln hebt, andere Fundamente legt, andere Verschiebungen produziert, andere Ziele erfindet.
GIANCARLO CAUTERUCCIO
AURORA ELETTRONICA – DIE METAMORPHOSE DES LICHTS

Regienotizen
Finsternis. Aus einer Ecke des Platzes hört man ein ungewöhnliches, ungewohntes Geräusch. Es handelt sich um das Brodeln urzeitlichen Magmas, hervorgerufen durch eine unbekannte Kraft, die Oberfläche des Platzes beginnt zu vibrieren. Nach und nach breitet sich der Ton aus, schwimmt über den Platz und nimmt ihn schließlich ganz ein.

Drei flackernde Irrlichter steigen langsam von unten nach oben an der Fassade verschiedener Gebäude empor. Zielpunkt sind drei Punkte hoch oben auf den Fassaden, die noch im Dunkeln liegen. Während der Wanderung der Irrlichter verändert sich der dumpf gluckernde Klang, wird immer rhythmischer, symbolisiert eine Reise durch vergangene Zivilisationen in die Zeichen der Jetztzeit. Die drei Punkte sind erreicht, beim ersten Kontakt mit den flackernden Irrlichtern kommt es zur Explosion, die einen ungeheuren Motor aus Mikromechanismen in Bewegung setzt – eine gewaltige Kettenreaktion schimmernder Explosionen. Auch der Klang explodiert, löst sich auf, findet zurück und setzt sich in völlig neuentwickelten Formen wieder zusammen.

Auf den senkrechten Flächen des Raums erscheinen Visionen, Illusionen – abstrakte Zeichen, die sich langsam verändern. Punkte, Linien, geometrische Formen, archetypische Zeichen von Architektur, mysteriöse Schriftzeichen – noch unentzifferbar. Zeichen erzählen von der Zeit, die Architektur spricht von ihrer Zeit – Visionen, unmittelbar und flüchtig, überlagern sich, schreiben in der Dunkelheit, – langsam zerbricht die Stille des Raums, die Leere füllt sich mit einer unaufhörlichen Melodie von Sein und Nichtsein.

Vogel, Ikarus und Flugzeug ziehen ihre Bahn auf den noch unentzifferbaren Oberflächen, erscheinen und verschwinden – werden zur Synthese in einem Pfeil aus Licht, in einem Wegweiser, der sanft gegen endlos weite Ziele steigt, und die Blicke zu fernen Erinnerungen führt.

Die zusammengekauerten Menschen erheben sich langsam, wie nach einem langen Schlaf. Der Atem der Körper bewegt langsam flirrend die Luft.

Auf der Bahn eines elektrischen Windes bewegen sich Worte, entzifferbare und andere, in immerwährender Mutation.

Unerwartete Schnittflächen aus Laser machen uns atemlos, werfen die Ebenen der Raumauffassung um und lösen das Zwiegespräch der Menschen aus. Durch das Gemurmel und Gewisper streifen Lichtstrahlen wie urzeitliche Schlangen durch die Unendlichkeit des Meeresraums. Pfade ins Grenzenlose werden gezogen – ein Choral drängt sich immer stärker nach oben. Bündel aus scharf-weißem Licht überlagern sich, suchen Elemente, verweilen auf Details. Immer näher kommen die Chöre, immer lauter wird ihr Gesang, die Vorahnung eines außergewöhnlichen Ereignisses liegt in der Luft. Und wahrhaftig, der Klang gebiert eine enorme Explosion, als ob die Erdkruste aufbrechen möchte. Wie durch Magie beginnt aus der Oberfläche der Erde die Geburt einer gewaltigen Form, die in den Himmel hinaufwächst.

DIE PYRAMIDE – Mythologisches Zeichen, Monument der Vergangenheit, gleichzeitig der Zukunft – so zeitlos in der Archetypie. Der Gigant erzeugt durch sein Erscheinen Licht und Energie. Die Stadt beginnt zu tanzen, die Fassaden beginnen sich zu unterhalten, Innen und Außen verschmelzen in einem poetischen Augenblick zu einem Ganzen.

Laser erzeugen ein Dach aus Licht, der Raum wird zu einem intimen Plätzchen. Silberne Männer dringen in den Raum ein und sprechen durch mystisch, magisches Pulsieren des Lichts. Bilder tanzen auf den Fassaden, heben Strukturen hervor, beschwören Erinnerungen, indem sie Zukünftiges projizieren. Tänze aus Geometrie konstruiert in Laser.

Die Fenster eines Gebäudes werden von innen her beleuchtet – strahlen wie das Schaltbrett eines Computers unendlich viele Kombinationen aus. Elemente des Äußeren durchdringen die Gebäudefassaden, beziehen sie in das Spiel des Raums ein.

Klare menschliche Stimmen tauschen Ideen aus, lassen Verhaltensmuster verschmelzen, erobern Raum und Zeit.
Personen, die bisher auf den seitlichen Szenerien agiert haben, bewegen sich mit diskreter Langsamkeit auf die Pyramide zu, betrachten sie, wollen sie ergründen, erforschen, erklettern, in Besitz nehmen.

Andere Personen klettern blitzschnell Fassaden hoch, laufen Vertikale hinauf.

So werden Pyramide und historische Gebäude von Menschen einer neuen Zeit erobert.

Licht flammt auf, enthüllt die ganze Geometrie des Raums, zeichnet und überzeichnet seine morphologische Dynamik. Grenzen zwischen Realität und Imagination zerspringen.

Menschen tanzen in totaler Harmonie, in unaufhörlichem Rhythmus, während die Revolte des Raumes schon im Gange ist. Die Elektronik mit ihrer Geschwindigkeit, ihrer Faszination, ihrer expressiven Körperlichkeit, ihrer Sprache, hat auf die Mauern der Zeit geschrieben, hat in einem Augenblick eine unendlich lange Geschichte erzählt. Die Geschichte von der METAMORPHOSE von Zeit und Raum.
TONY VERITÀ
METAMORPHOSE

"Die Suche nach dem Licht" in neun Akten.
Gedanken eines Regisseurs
ERSTER AKT
Die bleiche Wintersonne tastet mit ihren Strahlen über den Ort der Handlung. Er erwacht kurz vor sieben, sicher, daß ihn niemand beobachtet. Anstatt aufzustehen, bleibt er im Bett liegen. Es fällt ihm nicht leicht, die Augen offenzuhalten, bis die suchenden Strahlen seinem Blick begegnen. Mit geschlossenen Lidern versucht er sich die eisigen Wasser der Donau vorzustellen. Doch so sehr er sich auch bemüht, etwas zu sehen, ein mythischer Rest eines unsichtbaren Wertes schafft es immer wieder, ihm zu widerstehen. Ein Wert, auf den Bewußtsein und Emotion gleichzeitig einwirken wollen. Während ihr Licht die Leere des Hotelzimmers füllt, denkt er, daß die Entdeckung, Dinge und ihre Umgebung durch ein kristallenes Prisma zu betrachten, gleichzusetzen ist mit der Entdeckung der Irisfarben in eben diesen Dingen und ihrer Umgebung.

ZWEITER AKT
Im Land, wo er geboren wurde, verbrennen sie die Stoppelfelder im Sommer. Seit jeher, und beinahe mit antiker Methodik, brennen die Flammenreihen auf die Häuser zu, ohne sie jemals zu erreichen. Einen Moment lassen sie uns erzittern, lassen an Scheiterhaufen denken, an Weltenbrand. Der Wind läßt sie aufleuchten – und die Erscheinung dieser Nacht aus verbrannter Erde, aus Feuer, scheint wie das Fest eines Steines, der unermüdlich seine Farben wechselt. Im Winter ist es nicht leicht für ihn, zwischen künstlicher und natürlicher Landschaft zu unterscheiden. Der Horizont der Ereignisse bleibt immer offen. Seine Wellen erscheinen als visuelle Parcours, erdacht aus der Notwendigkeit heraus, Objekte zu erreichen, und sich unter ihnen zu bewegen. Im Entstehen einer Geschichte aus Vergangenem und Gegenwärtigem – immer in der Angst, daß alles entflieht, ohne Spuren zu hinterlassen, zwischen den Figuren in der hoffnungslosen Erwartung einer Begegnung.

DRITTER AKT
Er lebt in einem Freiraum, in dem sich die Technologie als eine Verstrickung des Künstlerischen mit der Künstlichkeit darbietet. Die umliegenden Objekte stehen idealerweise in einer zeitlosen Periode zwischen Gegenwart und Utopie, nahe genug, um greifbar zu sein, fern genug, um in erfinderische Abenteuer treiben zu können, Deshalb fühlt er sich in diesem Freiraum so wohl, auch wenn die Objekte ihm eine leichte Erregung mitteilen im Hinblick auf jene Zeit, zu der Greta Garbo in Wien sagte: "Aber warum solltet ihr von einer Frau wie mir angezogen werden? Ich bin immer nervös oder krank … traurig … oder allzu fröhlich."

VIERTER AKT
Sein geschlossener Mund zeigt Überraschung. Ohne einen echten Grund kommt er plötzlich zu der Überzeugung, daß sie sowohl Auge als auch Geist getäuscht hat. Mit ihrer Unschuld und naiven Einfalt hat sie aus dem goldenen Fieber einen Exorzismus gemacht – eine Brücke geschlagen zwischen dem Unendlichen und der Faszination seines Wohnraumes. Jede ihrer Handlungen ist Theater, schade nur, daß sie kein Kino ist. Ja, denn in einem Film würde sie sich jetzt hineinhüllen in jene goldene Fahne, die um den einzigen Zeugen des abgelaufenen Dramas, einen knorrig-zarten Baum geschlungen ist. Tatsächlich ist aber jede ihrer Handlungen Theater – und er muß sie immer wieder suchen, an jenem Ort, der die Riten des Übergangs in sich birgt. An jenem Ort, wo die Katastrophe stattgefunden hat und die Oberfläche noch Spuren und Verletzungen zeigt.

FÜNFTER AKT
Er lebt in dem, was sich dann wieder auflöst, und verschwindet. In dem, was nicht programmierbar ist. Das Problem ist nur, soll man in diesem Zustand weiterverharren oder nicht? Sie verwendet künstliche Materialien immaterieller Art und Weise, um losgelöste Räume zu konstruieren. Die Bilder, die aus ihrer Erinnerung auftauchen, sind schräge Strahlen, stehen in starkem Kontrast zum Schatten – zu verlassenen Orten, zu Gerüchen … Die Gerüche sind wohl der eigentliche Ausgangspunkt ihrer Erinnerung. Ausgehend von einem Idealkonzept, das die Existenz aller Farben beinhaltet, arbeitet sie mit der Monochromie. Ihre Art sich Farben vorzustellen, kommt aus der Imagination des "Sich-Entfärbens", des langsamen allmählichen Verlöschens von Farben. In der Einfarbigkeit sucht sie etwas, etwas, das nicht vordergründig existiert … vielleicht ist sie selbst dieses Etwas?

SECHSTER AKT
Sie würde gerne seine Art "zu sein" verstehen – seine Art, er in ihr zu sein. Was für ein Gedanke! – Währenddessen friert die Donau, friert weiter, bevor sich ihre Gemüter erhitzen.

SIEBTER AKT
Das Übermaß an Champagner hat sie sentimental gemacht. Sie haben zueinander ein zerbrechliches Spiel aus Intersektionen und Juxpositionen aufgebaut, wie Elemente eines surrealen Bausatzes – ein Beispiel für perfekte Kenntnis der Kunst der Verführung.

ACHTER AKT
Eine eigene Synthese haben Ort, Zeit und Umstände gebildet. – Die Begegnung zwischen ihm und ihr ist in einem Traum passiert, der den Regisseur nächtens heimgesucht hat, und dessen beunruhigende Effekte bis ins Erwachen hineingespielt haben. Am Tag wollte er dann bewußt die kinetischen und psychischen Wahrnehmungen des Traums wiederentdecken, wiedererwecken. Wie schon vorher etliche Male hat er den Traum als eine Art Regieanweisung, als szenisches Drehbuch betrachtet. Jedes geträumte Element sollte auf die sensitive Erfahrung einwirken. Ergebnis dieser Prämissen ist eine "filmische" Konstruktion einer Reihe von illusionistischen Phänomenen – geschaffen, um das Bewegende des Traumes aufzudecken statt zu verstecken.

NEUNTER AKT
Die dabei entstandene Szene ist eine Art lebendes Theater. Man tritt ohne besondere Erwartungen ein, kommt mit einem Rucksack an Fragezeichen wieder heraus. Niemals wird der Zuseher auf diese Fragen eine Antwort geben, denn die Wichtigkeit hat sich verschoben. Wichtig ist nur mehr, allein zu bleiben, abzuwarten, bis sich das Mosaik von selbst zusammensetzt … ohne auf die Dinge zu drängen. Abzuwarten in der Strenge der Kälte, daß sie auf dem Linzer Hauptplatz die Exzesse der Leidenschaft der Sonnenstadt bekanntgebe.

(1)
Vgl. M. Taturi, "La stiera a il labirinto", Turin 1980zurück

(2)
Ibidem, P. 136zurück