Giancarlo Canteruccio: Angeli di Luce - Angels Of Light
Ein erster Ausgangspunkt ist die Apokalypse des Johannes. Ein faszinierendes Thema, das uns sofort – kaum daß wir begonnen hatten, damit zu arbeiten – schwer und gefährlich erschienen ist, dadurch aber umso interessanter zu verfolgen war. Daraus wurde "Angeli di Luce" montiert, ein Schauspiel, das einer langen und vieldiskutierten Arbeit an "Eneide" folgen sollte, die heute schon als ein kleiner Klassiker des italienischen experimentellen Theaters betrachtet wird.
Mit "Angeli di Luce" wollten wir also vorwärtskommen. Es galt, eine Reihe von Problemen zu lösen, neue Auswahl zu treffen, getroffene Wahl zu konkretisieren.
Jedenfalls schien das Thema der Apokalypse am geeignetsten, den von uns seit Jahren verfolgten Inszenierungsstil weiter zu verfolgen. Nach der "Äneis" ging es nicht darum, einen festgelegten, erzählenden Text zu finden, sondern ein wichtiges Thema festzulegen, mit dessen Hilfe eine Inszenierung der Atmosphäre, der Gefühle möglich werden sollte, die alle durch eine "elektronische" Technik in Inszenierung wie in der Darstellung ausgedrückt werden sollten.
Das Buch der Apokalypse, mehr als Enthüllung/Offenbarung betrachtet denn als erzählerisches Faktum, hat unausbleiblich den Rückgriff auf eine theoretische Untersuchung gefordert, die im Zeitgenössischen die notwendigen Bezüge findet, um jenen "Zustand" zu verstehen, in dessen Inhalt ein so komplexes Thema am besten verarbeitet werden kann. In diesem Sinne haben die theoretischen und literarischen Bezüge, von Henry Michaux' halluzinatorischen Zuständen bis zur prophetisierenden Schreibweise eines Peter Handke, von den Befragungen Edmond Jabes' bis hin zum "Angelus Novus" von Benjamin viel dazu beigetragen, den Ablauf des Schauspiels vorzuzeichnen.
"Angeli di Luce" erwacht zum Leben in einer Umweltatmosphäre, die das unterirdische Versteck von Menschen ohne Zeit sein könnte, aber ebensogut auch ein absoluter Raum, in dem die Dimensionen nur mit Hilfe von Lichtblitzen erkennbar werden – in Bruchstücken von Körpern und Objekten. Zwei Hände, die sich im Schlamm bewegen in jenem Augenblick, da sich das Menschliche von der Urmaterie löst. Ein Buch als die Darstellung der Erkenntnis, ein Mund, der Papier verschlingt – zur Pein und gleichzeitig als Ekstase des Buches, das Anfang und Ende umschließt. Alles Fragmente, die im beschränkten Umfeld eines halluzinatorischen Zustandes existieren, wo ein Traum beginnen kann, doch ebenso die Realität.
Eine ganz offensichtlich abstrakte Einführung, durch die man langsam in die Reise der "Angeli di Luce" eingeführt wird.
Die fragmentarische Uratmosphäre scheint sich langsam zu jenem Dunkel verdichten zu wollen, in dem man nicht mit den Augen, wohl aber mit dem Geist sieht. Zu jenem Dunkel, das sich beeilt, Licht zu werden, gleißendes Licht. Ein verschrecktes Wesen, gegen einen Rolladen gedrückt, erzeugt ein störendes Geräusch, echt, als ob eine Stadt erwachen wollte.
Der Mensch betrachtet die Realität mit Angst, und – als würde er vom Schutt zurückgedrängt – öffnet er die metallische Barriere und tritt in die Unendlichkeit des Traumes ein. Der Raum wird erkennbar im Augenblick seiner Entstehung. Die Lichtgeometrien enthüllen wie in einem schnellen Prozeß einer Metamorphose den Stein. Drei Felsen von magischer Farbe öffnen sich zu einem Buch, um das Licht freizulassen und um wiederum unendlicher Raum zu werden, in dem die Form sich entwickeln, sich strukturieren und erfahren werden kann. Vom Gold der Alchemisten bis zu den unendlichen Konstellationen, alles zerteilt sich, um sich darzustellen, keine Form ist ausdauernd, alles geschieht als Funktion eines kontinuierlichen Prozesses ohne Ende. Der Mensch bewegt sich im Raum als wehrlose Masse, dann als Multiplikation seiner selbst, dann wieder als Personifikation einer "Monstrosität".
Ebenso wie die bisher als Bild dargestellten Formen bleibt auch der flächige Raum nicht erhalten, er zerbröckelt, um eine weitere Tiefe zu entdecken, um die Richtungen zu vervielfachen.
Aus einer konfusen Geometrie erreichen die Körper langsam ein organischeres Stadium, verständlich als Form, nicht jedoch als Subjekt. Sie tanzen, einer pulsierenden Sonne zugewendet. Einer Sonne, die Leben schafft und zum Realen führt, zu einem konfusen Realen, in dem die Kommunikation unsicher ist, wo vom Vergangenen erzählt wird wie in einem Zustand eines tiefen halluzinatorischen Abgrundes. Hier intensiviert sich die Reise zum Licht; und die Menschen, getragen von einer außergewöhnlichen Magie, beginnen das Licht zu verzehren, die Offenbarung: "… und ich nahm das Büchlein aus der Hand des Engels und verschlang es. In meinem Munde war es süß wie Honig, doch als ich es verschluckt hatte, ward mein Bauch ganz bitter." Der Laser, als die perfekte Synthese des Lichts, als Schriftzeichen, als Wort; als Linie, die von der Erde ausgeht und sich in der Unendlichkeit verliert. Das Licht, als mikroskopisches Energiepartikel transportiert, um selbst mögliche Ausdrucksform zu werden. Eine neue Energie fließt in die Körper, die in einen Zustand katapultiert werden, in dem sich die "Perspektive" zu materialisieren scheint. In ein unaufhörliches Verschwinden und Wiederentstehen des Raumes. Dort, wo die Konzepte von Dimension und Dauer bedeutungslos werden. In einen unentzifferbaren Raum, eine unentzifferbare Zeit, in denen etwas Außergewöhnliches geschehen kann, was auch immer es sei.Lorenzo Mango FÜR EINE TECHNOLOGISCHE MAGIE Die Szene als Leere, als Wüste, offen für die vagen Zeichen des Bildes; ein weißes Blatt, das beschließt, sich beschreiben zu lassen, das Theater als Schriftweise dieser Leere, als Schöpfung dieses Zustandes der Besessenheit und der Askese. Es ist ein abstraktes – oder astrales – Theater, das dabei entsteht. Gewollt, verzweifelt weit weg von den heutigen Geschichten oder den Zitaten aus der Antike. Dies ist der Weg der Gruppe KRYPTON von der "Eneide" bis zu "Angeli di Luce", von der Ekstase einer allmächtigen Technologie, die mit der Klassizität scherzt und sie als eine ideale Erzählung auffaßt, bis zum rasenden Weg, der zur endgültigen Weisheit und zur Wurzel einer Ausdrucksweise führt.
Es ist zwar ein LOGISCHER Übergang, aus Arbeit und Poesie entspringend, aber es ist kein einfacher Weg, weil er die radikale Hinwendung zum Austausch der Bewegung für die Unbeweglichkeit des Bildes für die Abstraktion auch theoretisch fordert. Und gerade diese Negationen der Form (oder der FORMALITÄTEN) bringen Krypton dazu, ihre Sprachweise auf eine harte Probe zu stellen, indem sie sie mit dem Symbol reagieren lassen, mit dem Imaginären, dem Visionären. Eine anstrengende Konfrontation, weil der Weg in den Mittelpunkt gestellt wird, die Reise mehr als das Ende, das Ziel: Der schmerzvolle Umgang mit einer Idee wird dargestellt. Ihr Eifer, Gestalt zu erlangen, sich im Feuer der Leidenschaft und des Gedankens zu verzehren.
Die Wahl ist auf ein theatralisches SCHICKSAL gefallen. Eine vermaledeite Wahl, weil sie die Spannung des Werkes exaltiert, aber dieses gleichzeitig vergiftet sehen will von einem Gedanken der Reinheit, in der man das Theater nicht sieht, wohl aber spürt. Es ist dies eine Berufung voller Ambitionen, aber auch von großer künstlerischer Würde, die Suche nach einer eigenen persönlichen Wahrheit über die Fähigkeit der bloßen Verwaltung des eigenen künstlerischen Vermögens an Bildern hinaus.
In dieser Hinsicht wendet sich KRYPTON heute der zeitgenössischen Technologie und ihren Instrumenten zu. Nicht um daraus Ikonen zu machen, sondern um eine Gefühlsatmosphäre zu aktivieren und den Zuseher in den Abgrund des Imaginären stürzen zu lassen. Technologie ist also, einen Stein in ein zu beschreibendes Papier zu verwandeln, Luft in eine Turbine, Körper vom Licht auffressen zu lassen, bis zum Aufopfern des Schattens. Technologie ist auch die Möglichkeit, die Welt der Dinge zu verlassen und sich den Erfindungen der Phantasie zuzuwenden, um die Schöpfung bei Null zu beginnen und eine Visionskraft freizusetzen, die eine Neuauflage des Mythos realisiert. Technologische Mythologie also, weil sich diese beiden Begriffe immer zusammenschließen und weil die Sprache jene Grundlage ist, auf der der Mythos versucht, Gestalt anzunehmen. Es ist nicht mehr die Frage, Formen zu zitieren, die Gesichter herauszuarbeiten, die Stile zu reproduzieren; inzwischen geht es vielmehr darum, in die Tiefe einzudringen, wo die Realität eine ihr eigene rätselhafte stumme Sprache spricht, wo das Problem der Sinne neu formuliert wird. Angeli di Luce ist also ein Schauspiel, das weit über die Grenzen des Wahrnehmbaren eindringt, das eine sympathetische Kommunikation mit dem Zuseher sucht. Das Gefühl stimuliert die imaginären Saiten der Seele, man muß in die Magie eindringen und ins Mysterium vom Verschwinden der Form. In den letzten Grad des Fleisches, wo die Materie vergeht, und auch zu jenem schmerzlichen Punkt des Wortes, wo alles seinen Anfang nimmt, als es zum ersten Male gesprochen wurde. Das Erste, das Letzte, Anfang und Ende sind die Extrema der Gefühle, die zu erfahren KRYPTON uns zwingt. Auch der apokalyptische Bezug zu Johannes, dem Träumer und Schriftsteller; anstatt sich in die Katastrophe der im Überfluß verteilten Bilder zu begeben, sammelt man sich in der Stille der Erwartung, in der man die Welt sich auslöschen sieht und man das Auftauchen eines neuen ersten WORTES erwartet.
Angeli di Luce stellt sich also zu Recht als Beispiel eines Theaters dar, das sich das Hirn zermartert, um aus dem reinen Bereich des wahrgenommenen Gefühls herauszukommen ohne ganz darauf zu verzichten. Deshalb erfreut es sich – noch – an Sprüngen, an unvermuteten Läufen, an flackernden Feuerchen. Gewaltsame und eindringliche Intensität öffnen Krypton eine schwere, nie zuvor begangene Straße, eine Straße, die Angst macht, und die schon allein aus diesem Grund bis zum Ende und ohne Unterbrechung durchlaufen werden muß.
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