Diamanda Galas: Masque Of The Red Death
Montag, 23. Juni 1986, 21.30 Uhr Linzer Schiffswerft, Halle 1
Elektroakustische Heimsuchungsmesse für Solosopran, basierend auf dem Alten Testament und Texten von Charles Baudelaire. (Uraufführung/Auftragswerk von Ars Electronica)
Mitwirkende:
Tontechnik: Dave Hunt
Lichtregie: Ian Gugen
Kostüme & Design: Sandy Powell
Bühnenrealisierung: Egon Andritz
Mit freundlicher Unterstützung der Österreichischen Schiffswerften AG Linz–Korneuburg (ÖSWAG)
Virtuosität, emotionales Engagement, tiefempfundener Ausdruck und überzeugende elektronische Manipulation – das sind Attribute, mit denen die internationale Presse die Musikerin, Komponistin und Schauspielerin Diamanda Galas beschreibt. Peter Frank von "Flash Art" zählt Diamanda Galas neben so schillernden Avantgardefiguren wie Laurie Anderson oder Brian Eno zu den Metamusikern, denn ihnen gelingt es, eine Art Gesamtkunstwerk auf die Bühne zu bringen. Dementsprechend zählen Rockfans ebenso wie Avantgardemusikfreunde zu ihrer Anhängerschaft. Diamanda Galas wird für Ars Electronica das Auftragswerk "MASQUE OF THE RED DEATH" (nach einem Buchtitel von Edgar Allan Poe), eine elektroakustische Heimsuchungsmesse präsentieren. Basierend auf Texten des Alten Testaments setzt sich die Künstlerin mit den Plagen, die die Menschen immer wieder heimsuchen, auseinander.
Alle Playback- und Live-Stimmen sowie Synthesizers und andere Tasteninstrumente werden von Diamanda Galas selbst gesungen und gespielt. Die Linzer Schiffswerft wird dabei das zur Musik korrespondierende Ambiente sein. Dieses Auftragswerk von Ars Electronica wird darüber hinaus vom amerikanischen "National Endowment For The Arts (Opera/New Music Theatre Program)", von "The Kitchen" in New York City und von "Intravenal Sound Operations" unterstützt.
"Anliegen der Musik sind Tendenzen zu exzessivem Verhalten. Eine Besessenheit, allgegenwärtige Extreme, die innerhalb von Mikrosekunden aufeinander übergreifen, in einem Augenblick verschmelzen, sich im nächsten wieder auflösen zu einer endgültigen Auflösung, nämlich der Implosion der Seele selbst.
Man geht nicht in ein Krankenhaus, um die Darstellung des eigenen Todes gleichsam wie auf einer Bühne anzuregen, man kennt ihn auswendig.
Es ist dieses Bedürfnis, diese Gier nach den Extremen des Bewußtseins, zu der ich zurückkehre. Ein Schauspieler kann den gewünschten Emotionszustand durch eine geschickte Manipulation externer Objektmaterialien manipulieren oder er kann die Rohmaterialien seiner eigenen Seele in einem Prozeß einsetzen, der die unmittelbare und direkte Erfahrung der Emotion selbst ist. Zweites ist das Anliegen von Darstellern, die nicht nur professionelle, sondern von ihrer Kunst besessene Darsteller sind."
Auszug aus INTRAVENAL SONG (1982) von Diamanda Galas, San Diego, California, veröffentlicht von Perspectives in New Media, 1. April 1983, New York.Peter Frank DAS NEUE MONODRAM DER DIAMANDA GALAS Während sich die textliche Kontinuität auflöst, wird die Geschichte hör- und sichtbar als ein vielschichtiger Palimpsest von Stimmungen und Bedeutungen. (Peter Frank in FLASH ART INTERNATIONAL, Jänner/Februar 1986)
Das vergangene Jahrzehnt hat eine Reihe vielseitig begabter Künstler hervorgebracht, die sich insbesondere der musikalischen Erneuerung widmen. Diese ihre Erneuerungen kommen sowohl aus der Vertrautheit der Künstler mit außermusikalischen Formen und Vorstellungen als auch aus ihrer Beschäftigung mit der Musik selbst. "Metamusiker" unterschiedlichster Herkunft und Ausdrucksweise wie Meredith Monk, Yoko Ono, Brian Eno und Laurie Anderson haben sich bei Anhängern populärer wie auch anspruchsvoller Musik einen festen Platz gesichert.
Diamanda Galas (deren Auftreten neueren Datums ist als das der vorhergenannten Künstler), ist in vielen der "traditionellen" Musikfächer ausgebildet, einschließlich Operngesang (dramatisch und belcanto), klassische Theorie und Aufführungspraxis und frühbarocke vokale Verzierungskunst. Sie hat auch einige Erfahrung mit Avantgarde Jazzimprovisation (damit wurde sie erstmalig in engerem Rahmen bekannt), elektronischer Musik und Performance im Kontext der visual art. Etwas von all diesen Disziplinen finden wir in Galas' Kunst, und doch ist ihre Arbeit nie ein Pasticcio. Sie verbindet Disziplinen, nicht um kluge eklektische Stilisierung zu erzielen, sondern um eine visionäre Intensität zu erreichen, die den Themen entspricht, von denen sie sich gefordert fühlt.
Galas gilt als aufregend extreme Proponentin der neuen Techniken zur Erweiterung der Natur und der Möglichkeiten der menschlichen Stimme. Ihre stimmlichen Erweiterungen bauen nicht nur auf der bahnbrechenden Leistung von Sängerinnen/Performer wie Monk und Joan La Barbara, sondern auf den rein stimmlichen Experimenten der Cathy Berberian, der inzwischen schon Legende gewordenen Avantgarde-Virtuosin. Galas führt diese Tradition nicht nur mit neuen Techniken weiter, sondern auch mit neuen Aufführungskonzepten. Ihre stimmlich-klanglichen Konzepte läßt sie übergeordneten Episoden entsprechen, gruppiert auftretenden musikalischen Ereignissen, die durch ihre gegenseitige Nähe an Bedeutung gewinnen. In einigen Kompositionen treten diese in kurzen "Sätzen" auf, in anderen verursachen sie einen stetigen Fluß, niemals jedoch entsprechen sie der ständig wiederholenden, entwickelnden Methode der konventionellen Themendurchführung. Sie erinnern aber auch nicht an die wiederholende Modularmethode, die durch Steve Reich und Philip Glass bekannt gemacht wurde. Das Gefühl der Galas für chronologische Formulierung betont, keineswegs wahllos, die Diskontinuität eher als die Kontinuität. Wie auch bei der Textbehandlung zerbricht Galas ihr Klangmaterial und erzeugt gezackte Splitter hörbaren Sinns und setzt diese Splitter wieder in fast kubistischer Manier zusammen, so daß eine neue Hörgestalt aufgebaut wird, die dicht besetzt ist mit den scharfen Kanten dieser Splitter. Dieser Prozeß wird intuitiv wiedergegeben, der jeweiligen Reaktion der Galas auf ihr verbales und musikalisches Material entsprechend. Dadurch entsteht eine zusammenhängende Struktur passend zum verwendeten Text.
Galas, die in San Diego geboren ist, studierte die verschiedensten muskalischen Formen und auch Performance an einem Institut der Universität von Kalifornien im nahegelegenen La Jolla. Über Erfahrungen, die sie nach Abschluß ihrer Studien in Europa machte, und die Interpretation von Werken anderer Komponisten (z.B. Vinko Globokar, Iannis Xenakis, Luciano Berio) gelangte Galas zur Entwicklung ihres eigenen Solomusiktheaters. 1981 hatte sie die Komposition ihres ersten reifen Werkes fertiggestellt, die erste einer Reihe von Schreiopern, wie deutsche Kritiker sie nannten unter Bezugnahme auf das Schreitheater des späten deutschen Expressionismus. Eine angemessenere Bezeichnung wäre vielleicht Monodram, ein von Arnold Schoenberg geprägter Ausdruck. Von Anfang an hatte Galas an ein musikalisches Gegenstück zum Schreitheater des Wiener Komponisten gedacht, wie es dieser in "Erwartung" und "Die glückliche Hand" für Sprechgesang mit Orchesterbegleitung geschaffen hatte.
Seit ihrem ersten Werk hat Galas vier weitere realisiert: "The Litanies of Satan" ("Die Litaneien des Satan"), "Tragouthia apo to aima exoun fonos" ("Lied vom Blut der Ermordeten"), "Les Yeux sans sang" ("Augen ohne Blut") und "Panoptikon". Der erste Teil ihres bisher anspruchsvollsten Werkes "Masque of the Red Death" ("Maske des roten Todes") wird bei Ars Electronica uraufgeführt. Für jedes ihrer Monodramen verwendet sie einen andersartigen Text, ein unterschiedliches Maß an elektronischer Modifikation und betont einmal stärker den rein musikalischen Klang, dann wieder den verbalen Ausdruck. Wenn auch häufig zusammenhängende Sprachfetzen durchbrechen, so ist die Sprache in Galas' Aufführungen weniger Mittel der sprachlichen Information an sich, als eine machtvolle, wenn auch rätselhafte tönende Erscheinung. Durch vokale und elektronische Manipulation werden die Texte teils verwischt und sehr verzerrt, so daß die Kontinuität der Handlung verlorengeht.
Nie wird der Inhalt als einfache Story vermittelt, sondern als Gegenstand ihrer Interpretation wird er als ein vielschichtiger Palimpsest von Stimmungen und Bedeutungen hör- und auch sichtbar. Die künstlerische Person Galas, ihr Werk und ihre vampirhafte Erscheinung vermittelt den Eindruck einer oft unerhörten Blasphemie und Scheinmorbidität. Der Popszene nahestehende Kommentatoren und Interviewer befassen sich vor allem mit ihrer verblüffenden Art der Darstellung, wobei sie manchmal (wenn vielleicht auch nur aufgrund des Titels von Baudelaire) mehr als bloße Andeutungen von Dämonie und Hexerei entdecken, und die Galas findet Spaß daran, diesen vereinfachenden Deutungen zu entsprechen. Man kann jedoch nicht leugnen, daß ihre Arbeit auf einer Leidenschaft fußt, einer Leidenschaft, die ihrem Mitgefühl für verzweifelt heroische und trotzige Menschen entspringt, die sich in entsetzlichen Notsituationen befinden. Diese Menschen werden geschlagen, der Hoffnung beraubt. Sie aber hängen an ihrer Menschlichkeit, wenn ihnen sonst nichts bleibt. So nahe dem Untergang diese Figuren auch sein mögen, die die Galas in ihren Monodramen beschreibt und verkörpert, sie sind in ihrem Selbstgefühl und dem tieferen Sinn so bewegend und auch mächtig, selbst wenn ihre entsetzlichen Situationen tatsächlich im Zustand ihrer Seelen zu finden sind. Dieses Thema des "einzelnen gegen alle" (einschließlich das eigene Ich) durchzieht die Literatur, aus der Schoenbergs Monodramen erwuchsen und erneuert sich in den Werken der Galas.
Formal halten sich die Stücke von Galas an keine vorgegebene Strukturformel; jedes bezieht seine eigene Kontinuität aus der ihm eigenen Form. Es fällt auf, daß die Galas im Verlauf des Erarbeitens jedes Stückes die jeweilige Gestalt gefunden hat. Was vielleicht nicht so auffällt ist, daß sich diese Gestalt von einer Vorstellung zur nächsten immer subtil verändert. Die Galas improvisiert ständig in verschiedenen Teilen ihrer Werke, bis sich diese Teile und die Stücke als ganze nicht mehr weiter entwickeln lassen. Die Stücke werden dann nicht in ihr "Repertoire" aufgenommen, jedenfalls nicht für längere Zeit, sondern sie zeugen andere Stücke. So ist jede Aufführung jeder Komposition anders – außer und bis sie am Punkt der unwiderruflichen Fixierung angelangt ist. Und oft wird sie schon früher von der Künstlerin neueren Stücken "geopfert", "Les Yeus sans sang" erwächst aus dem ersten Stück "Wild Women with Steak Knives". Zur Zeit haben beide Werke den gleichen Text, doch wird sich der Text des neuen Stückes wahrscheinlich ändern – und damit natürlich auch das Stück selbst. Alle Kompositionen der Galas sind "in Arbeit befindlich".
So wird also das Gesamtwerk von Galas mit ihr verschwinden, wenn sie sich nicht dazu entschließen sollte, ihre Stücke zu formalisieren und ihre Methoden im Unterricht weiterzugeben. Selbst wenn sie das nicht tut, könnte sich erweisen, daß die Galas einen beachtlichen Einfluß auf die Evolution der zeitgebundenen Kunst hat. Schon daß sie von erweiterten stimmlichen Techniken zu kompletten Monodramen gelangte, ist an sich eine ausgesprochene Innovation. Sie hat die Techniken der Collage, die Erforschungen der Körperresonanz, neue Atemtechniken und Klangdichtungstexte, die man üblicherweise mit dem Genre der erweiterten Stimmtechnik verbindet, in etwas verwandelt, das sie "ein elektro-akustisches Theater" nennt, "dessen Kern die Stimme des Darstellers ist".
Zum "elektroakustischen Theater" der Galas gehört eine auffallende visuelle Komponente. In ihren Partituren finden wir komplizierte Folgen von Beleuchtungsanordnungen. Die ständig halluzinatorische Intensität der Klänge, die sie erzeugt, der Texte, die in diese Klänge eingebettet sind, und auch ihre Bühnenerscheinung, eine Erscheinung, die gleichzeitig hager und gewaltig, lockend und abweisend wirkt. Die Galas führt uns wieder zu den wilden Leidenschaften der Expressionisten und auch zu der maßlosen visionären Dekadenz der Symbolisten. Ihr Image der selbstzerstörerischen femme fatale erinnert an symbolistische Bildsprache und Vorstellungen, wie auch ihr ehrgeiziges Bemühen, durch Verschmelzen von klanglichen, theatralischen und visuellen Medien ein Gesamtkunstwerk zu schaffen. Ihre Ausnutzung der Effekte projizierten Lichts erinnert an die Experimente von Künstlern und Musikern des Symbolismus mit Klang und Farbe.
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