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Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
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Festival 1979-2007
 

 

Cabaret Voltaire: A Contemplation Of Dangerous Games




Samstag, 21. Juni 1986, 20 Uhr
Brucknerhaus, Brucknersaal

Uraufführung
Auftragswerk von Ars Electronica

CABARET VOLTAIRE
"A CONTEMPLATION OF DANGEROUS GAMES"
Unübliche Pfade
Da bietet sich eine speziell auf die Ars Electronica '86 ausgerichtete Konzeption an, gestaltet von CABARET VOLTAIRE, die damit unübliche Pfade beschreiten. Dargestellt werden Umfeldelemente wie KLANG und VISION in einer VERSCHMELZUNG aus Elementen von Theater, Rock, Performance, Film und Fernsehen. Neue Sprache = neue Verständigung. Beschränkungen durch TECHNISCHEN STANDARD werden seit jeher von der Gruppe eliminiert durch ihre künstlerischen Überlegungen.

Keine Scheuklappen
Kein einseitiges Dahintraben in stets demselben ausgetretenen Pfad – zur Erzeugung von Klang und visueller Kunst wird alles hergenommen, was das Interesse der Gruppe erweckt. Die Anwendung von neuester COMPUTERTECHNOLOGIE ist vollkommen GLEICHWERTIG mit der Verwendung des billigsten KASSETTENRECORDERS. Beide haben Klangqualitäten, die für die Gruppe interessant und verwendbar sind. Diese grundsätzliche Einstellung in bezug auf individuelle und wesentliche QUALITÄT wird auch im visuellen Selektionsprozeß voll durchgezogen. Diese Performance wird diese Einstellung BELEGEN!

Brennpunkt Publikum
Cabaret Voltaire erproben die Fähigkeit des PUBLIKUMS, Information aufzunehmen und zu behalten. Mehrere Bildschirme und mehrfache Projektionen quer durch den gewählten Aufführungsraum ergeben eine BEZIEHUNG zwischen der vielgefächerten Bilderwelt innerhalb des Raumes – ermöglichen jedem Zuseher eine einmalige PERSÖNLICHE DEUTUNG der Aufführung. Lassen den Zuseher selbst auswählen aus dem Spektrum der MULTIPROJEKTION, lassen ihn Informationen REDIGIEREN und dadurch eigene Wertigkeiten in bezug auf die Handlung setzen. Das ergibt ein PERSÖNLICHES VERSTEHEN und ein VERHÄLTNIS ZUM MATERIAL der Darsteller.

Klangmanipulation
Cabaret Voltaire verwendet auch die tatsächlichen, alltäglichen Klänge und Geräusche der Technik. Den Klang des DATENAUSDRUCKS … das Geräusch der MECHANISCHEN BEWEGUNG von Filmprojektoren … durch das Brucknerhaus RAUSCHENDE RADIOWELLEN … aufgefangene TELEKOMMUNIKATION, sowohl offen als auch verschlüsselt. Diese Medien sind alle anfällig für UNTERBRECHUNGEN. Sind offen für Gebrauch und MISSBRAUCH (wie die moderne Welt der Kommunikation) – Information wird VERZERRT und durch die Wahrnehmung der Künstler MANIPULIERT – eine eigene, ANDERE WAHRHEIT wird geschaffen, die der Zuseher, das Publikum mit seiner eigenen Wahrnehmung aufnehmen kann. WAHRNEHMUNG = WAHRHEIT.
CABARET VOLTAIRE
GEDANKEN ZUR ARS ELECTRONICA
Allgemeines
– und glauben Sie ja nicht, daß es anders sei! … – unsere Kultur erhält eine Realität erst durch die Maschinen – unsere "zerteilte" Welt der sozialen Repräsentation … Leere und Abstraktheit sind die Kennzeichen aller "anderen Welten" … alle anderen Realitäten sind abstoßend (sogar Realisten schließen sich dieser Meinung an). Die immense Kraft der audiovisuellen Technologie liegt, verglichen mit anderen Medien, in der Fähigkeit, mehr grundlegende Informationen vermitteln zu können … wie auch immer, Information ist auf keinen Fall Wahrheit oder etwa Realität. Kulturell gesehen gilt: Anwendung (Benützung) = Wahrheit" – unser Umgang und unser "Benützen" kennzeichnet unsere Welt und unsere Identität … und enthüllt und deckt auf, wie wir benützt werden.

– Sogar unser soziales Denken passiert audiovisuell, in Bild und Tonspur. "FERNSEHEN" ein Mittel, mit dem jemand in Distanz zu den Dingen gehalten wird, die er gerade er erlebt. Wir werden dem Ereignis zwar nahegebracht, erstarren aber in qualvollem Verlangen und im Wissen, es nie erreichen zu können … Zwar in Sicherheit, aber gepeinigt.

– Welch ein Objekt ergibt das für unser soziales Denken! … ein vom Menschen gemachtes Traumbild tanzt zum Rhythmus der Begierde in einer Sequenz des unstillbaren Verlangens. Warum verwenden wir unsere Traummaschine in dieser selbstquälerischen Art? … Die Gebühren des Philosophen zahlt die Technologie, während wir, unter dem Druck eines enormen Verlangens und verunsichert durch die steten Lügen der Menschheit, der Versuchung nachgeben und uns in jene Träume stürzen, die mit Geld erkauft wurden … Warum bloß können wir im Schlaf an unsere Existenz glauben, und den Tod fürchten, wenn wir aufgewacht sind? (Übrigens, Träumen ist ein gutes Mittel, den Schlaf zu konservieren, indem man Handlungen in imaginäre Ereignisse auflöst.)

Spezielles
– DADA … alter, unreiner, syphilitischer Ahnherr unseres verwaisten Bastardentums … Das einzige, was wir aus dem Ruin deines verarmten Glücksspielerdaseins geerbt haben, ist dein altes Springmesser "Aufschlitzer", dem wir eine elektronische Klinge verpaßt und eine Tätowierung aus zeitgenössischen Rhythmen eingebrannt haben. Morphologie und Syntax des "Aufschlitzers" treffen sich in Bildern, Worten und Klängen … Gegebene Ordnung wird desintegriert, gewohnte Kategorien von Zu- und Einordnungen werden rücksichtslos derangiert. Resultat: "kulturelles Fragment" damit wird ein synthetisch-synästhetisches Kontinuum konstruiert, keine fortschreitende lineare Erzählung, sondern eine formal autonome Struktur – eine Struktur, deren Hauptmodus Kontrast und Analogie ist, angewandt als Kritik. DADA und SURREALISMUS vermachen uns die Collage, und das Puzzlespiel als Medien, deren formale Qualitäten genau zur gegenwärtigen urbanen Erfahrung passen … Selbstwiderlegung des städtischen Lebens mit seinem kulturellen Durcheinander, seiner Uneinigkeit – eines Lebens, von Natur aus unfähig zur Bildung einer einzigen konsistenten Form. Alle sogenannten "formalen" Hilfsmittel, wie Rhythmus, Dauer, Wiederholung, Verzerrung, Inversion, Löschung usw., werden verwendet sowohl für "gefundene" als auch für "erzeugte" Elemente. Abgewertet und synthetisiert zu einer abstrakten formellen Struktur, weisen diese Elemente eine expressive Kontinuität auf – ohne sich auf eine Beschreibung einzulassen, die doch nur die Freiheit einschränkt, indem sie den Ausdruck auf erzählerische und illustrative Erfordernisse einer dominanten Ideologie beschränkt. Im "Aufschlitzer" überwindet die Freiheit des "Aufhäufungsaktes" das aufgehäufte Material … Barrieren werden eingerissen, Vergessenes wiederbelebt, Unbekanntes verstanden … Audiovisuelles "Aufschlitzen" als Metapher für den träumenden sozialen Geist … Wachen wir auf, wenn wir die Qualität des Traums verändern? … Und dennoch kann der Traum vom Wachsein das scharfe Vergnügen eines dumpfen Schmerzes bereiten, kann Echtes durch die Parodie erreichen, kann in seiner Ironie manche Wahrheit aussprechen.

ENDE.