www.aec.at  
Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

James Dashow


'James Dashow James Dashow

"EFFETTI COLLATERALI" für Computer und Klarinette

"MAPPINGS" für Electronic Sounds (analog) und Violoncello

"SECOND VOYAGE" für Computer und Stimme (Sopran)

"MNEMONICS" für Computer und Violine

Solisten:
Mario Buffa, Violine
David Keberle, Klarinette
Luca Pacagnella, Violoncello
Pamela Herbert, Sopran
James Dashow, Mischpult

Effetti Collaterali
ist der erste Versuch des Komponisten, systematisch sein Konzept von AM- und FM-Spektren als Harmonisierung spezifischer Dyaden (Intervalle) zu verwenden. Die von der Klarinette gespielten festgelegten Tonhöhen werden dazu gebracht, ihre eigenen Begleitfrequenzen – bei denen es sich meist um inharmonische Frequenzen bezogen auf die Erzeugerfrequenzen selbst handelt – als Ergebnis eines AM- oder FM-Prozesses zu erzeugen. Jedes Intervall – oder genauer gesagt, jedes Tonpaar – kann mehrere mögliche Spektren hervorbringen, aber die Ähnlichkeit in der Klangqualität bei einer Vielzahl von Spektren reduziert die zahllosen Möglichkeiten bald auf eine beschränkte Anzahl einfach zu handhabender "Familien" von Akkordtypen. Diese Akkorde sind die Basis für eine Menge musikalisch interessanter Beziehungen, und dieses Werk stellt nur eine von vielen möglichen Entwicklungen dieser Klangarten dar.

Als Auftragswerk für eine Konzertreihe neuer Musik an der Französischen Akademie in Rom von François Bousch, dem damaligen Inhaber des "Prix de Rome", wurde EFFETTI COLLATERALI am Rechenzentrum der Universität Padua 1975/76 mit Hilfe von Hubert Howes MUSIC 4BF-Digital-Sound-Synthesis Programms realisiert. Die Erstaufführung erfolgte im Juni 1976 an der Französischen Akademie, und das Werk ist seither zu einem Standardstück für Klarinettisten geworden, die sich auf zeitgenössische Musik spezialisieren. Es wurde von Pan-Records (Rom), PRC S20-12, mit Phillip Rehfeldt, Klarinette, auf Platte veröffentlicht.

Mappings
ist ein Stück in drei großen Abschnitten, von denen ein jeder eine besondere Art der Struktur erforscht, indem die kompositionellen Möglichkeiten, wie sie in den klanglichen Beziehungen zwischen dem Cello und den elektronischen Klängen impliziert sind, entwickelt werden. Gleichzeitig enthält jeder Abschnitt Vor- und/oder Rückbezüge auf späteres oder früheres Material. Einer der Hauptinhalte des Werks ist der Grad der Integration von Solist und elektronischer Begleitung. Im allgemeinen hört man das Cello die Band-Klänge "einleiten", das heißt, die elektronischen Klänge sind zeitlich so angelegt, daß der Eindruck entsteht, sie entstünden AUS dem Cellopart, und nicht als belieferten sie den Cellisten einfach mit Imitationen oder mit zu imitierendem Material. Im dritten Abschnitt wird die Cello-Band-Integration auf ihren Höhepunkt gebracht: Das Solo-Instrument wird zu etwas, das man ein "präpariertes Cello" nennen könnte. Das Klangergebnis – hervorgerufen durch ein gewöhnliches Pizzicato auf der G-Saite, die nun am Steg durch eingeschobene Papierstücke gedämpft wird – ähnelt sehr stark jenen elektronischen Klängen, die typischerweise durch gegenseitige Multiplikation zweier komplexer Signale entsteht (Ringmodulation).

Obwohl die Dreiteilung des Werkes dazu verleiten könnte, es ein "Cello-Konzert" zu nennen, ist die strukturelle Entwicklung, wie sie für ein Konzert typisch ist, nicht der dominierende Faktor, viel eher könnte man MAPPINGS als eine Studie über wechselseitige klangliche Verwandtschaften nennen, wobei die Celloklänge elektronische Gegenstücke anregen, und die elektronischen Klänge ihrerseits so erzeugt werden, daß sie als Anregung zur Entwicklung der Cello-Ideen dienen können. Der Komponist ist oft gefragt worden, wie es um den emotionellen Gehalt dieses Werkes stünde. In der Tat könnte einen die obige Beschreibung dazu veranlassen, in der Musik nichts als eine strenge technische Etüde in kalter, ausdrucksloser Struktur zu sehen. Nichts jedoch liegt weiter weg von den Tatsachen, wie jedes halbwegs aufmerksame Zuhören bald zeigen wird. Für den Komponisten sind ALLE diese Klänge, diese Gesten für das Cello, geladen mit Emotionen, mit jener Emotion, die nur in Musik ausgedrückt werden kann und für die Worte völlig unangebracht sind … weshalb auch der Komponist Musik schreibt und nicht Worte. Eine verbale Beschreibung der möglichen emotionellen Antworten zu diesem Werk würde die Aufmerksamkeit des Zuhörers auf eine beschränkte Anzahl eben dieser Inhalte einengen und somit der Musik die dem aufmerksamen Hörer zugängliche volle Bandbreite an emotionellem Gehalt rauben. Der Komponist ersucht den Hörer nur, der Musik mit seinem gesamten nicht-verbalen Einfühlungsvermögen beizuwohnen, um sich die Möglichkeit des Eindringens in den Fluß des musikalischen Zwiegespräches offen zu halten, ohne auf eine kognitive Erklärung von Dingen zu bestehen, die im wesentlichen eine emotionelle Erfahrung außerhalb der Sphäre dessen, was wir mit Worten erklären können, darstellt.

Die elektronischen Klänge zu MAPPINGS sind zur Gänze analog und wurden im Studio di Musica Elettronica Sciadoni in Rom realisiert.

Second Voyage
ist eine Großkomposition, die versucht, den emotionellen Hintergrund des Textes "Voyage in the Blue" von John Ashbury zu entwickeln und zu vertiefen. Der Fluß der musikalischen Ideen und Stimmengeflechte läuft parallel und kontrapunktisch zum komplexen Zusammenspiel der Bilder, Meditationen, Erklärungen und Feststellungen, die der Dichter in seiner charakteristischen Art einsetzt. Ashburys Begriff unseres "Wissens ohne zu wissen, daß wir wissen" was Polanyi "die schweigende Dimension" nennt – wird in seinem Werk auf alles ausgedehnt, was der Dichter zu einem Objekt seiner Betrachtungen wählt, und mißt daher auch den bescheidensten Ereignissen besondere Bedeutung zu. Die Tragweite der "großen" Gedanken wird mit Hinblick auf die neuentwickelten Implikationen alltäglicher Ereignisse, die nun "geladen sind mit so viel Licht", neu definiert.

Dem Komponisten bot dieses Werk eine ideale Grundlage zur musikalischen Behandlung. Die Auswahl elektronischer Klänge als Begleitung erfolgte aus der Überlegung, daß die im elektronischen Medium möglichen komplexen Strukturen und räumlichen Manipulationen genau angemessen sind, um dem expliziten und impliziten Gehalt des Gedichtes gerecht zu werden. Das Ergebnis ist eine ausführliche Konzert-"Arie" oder vielmehr eine "konzertante Szene", die Momente des Dramas, der Konversation, der Meditation ebenso enthält, wie eine Lyrik, stets begleitet von einer enormen Vielfalt elektronischer Klanggewebe, die sich rastlos in verschiedenen Ebenen im Hintergrund bewegen.

In diesem Werk hat Dashow konsequent seine Technik der Ableitung inharmonischer Akkord-Spektren aus einer Anzahl dyadischer und triadischer Gruppen von Noten, die von der Stimme gesungen werden. Die Tenorlinie wird immer von inharmonischen Akkorden harmonisiert, die aus der Stimme selbst mit Hilfe der vom Komponisten entwickelten Prozeduren aus den gängigen tonerzeugenden Algorithmen wie AM (Amplitudenmodulation), FM (Frequenzmodulation) und RM ("Ring"-modulation bzw. Signalvervielfachung) erzeugt werden. Nachdem jede Dyade (jedes Intervall) dazu veranlaßt werden kann, eine Vielzahl inharmonischer Akkordspektren zu erzeugen, ist es die Aufgabe des Komponisten, aus den von jeder strukturell bedeutsamen Dyade angebotenen Vielfalt jene Kombination oder Folge von Klängen auszuwählen, die den lokalen und generellen Anforderungen der Komposition am besten entsprechen. Die Passagen für Computer solo entwickeln einige der Implikationen aus den im Zuge der Begleitung entwickelten musikalischen Ideen weiter, und bereiten die manchmal radikalen Veränderungen in der Struktur zwischen den einzelnen Abschnitten vor.

SECOND VOYAGE wurde für den Tenor George Shirley – dem es auch gewidmet ist – geschrieben, und entstand als Auftragswerk des National Endowment for the Arts für die 200-Jahr-Feier der USA. Das Stück wurde mit Hilfe der Programmiersprache MUSIC360 für digitale Klangsynthese (VERCOE) unter Verwendung der Ressourcen des Rechenzentrums der Universität Padua realisiert. Der Komponist möchte an dieser Stelle allen Mitarbeitern des Rechenzentrums für ihre Kooperation und Geduld danken, ganz besonders aber G. Tisato für seine ausdauernde Unterstützung und Förderung.

SECOND VOYAGE wurde mit dem Jerome-Preis für Aufnahmen (New York) ausgezeichnet und ist auf CRI, SD-456, mit George Shirley, Tenor, erschienen.

Voyage in the Blue
John Ashbery

As on a festal day in early spring
The tidelands maneuver and the air is quick with imitations:
Ships, hats appear. And those,
The mind-readers, who are never far off. But
To get to know them we must avoid them.

And so, into our darkness life seeps,
Keeping its part of the bargain. But what of
Houses, standing ruined, desolate just now:
Is this not also beautiful and wonderful?
For where a mirage has once been, life must be.

The pageant, growing ever more curious, reaches
An ultimate turning point. Now everything is going to be
Not dark, but on the contrary, charged with so much light
It looks dark, because things are now packed so closely together.
We see it with our teeth. And once this.

Distant corner is rounded, everything
Is not to be made new again. We shall be inhabited
In the old way, as ideal things came to us,
Yet in the having we shall be growing, rising above it
Into an admixture of deep blue enameled sky and bristly gold stars.

The way the date came in
Made no sense, it never had any.
It should have been a caution to you
To listen more carefully to the words
Under the wind as it moved toward us.

Perhaps, sinking into the pearl stain of that passionate eye
The minutes came to seem the excrement of all they were passing through,
A time when colors no longer mattered.
They are to us as qualities we were not meant to catch
As being too far removed from our closed-in state.

And ideally the chime of this
Will come to have the fascination of a remembered thing
Without avatars, or so remote, like a catastrophe
In some unheard-of country, that our concern
Will be only another fact in a long list of important facts.

You and I and the dog
Are here, this is what matters for now.
In other times things will happen that cannot possibly involve us now
And this is good, a true thing, perpendicular to the ground
Like the freshest, least complicated and earliest of memories.

We have them all, those people, and now they have us.
Their decision was limited, waiting for us to make the first move.
But now that we have done so the results are unfathomable, as though
A single implication could sway the whole universe on its stem.
We are fashionably troubled by this new edge of what had seemed finite.

Before and now seems infinite though encircled by gradual doubts
Of whatever came over us. Perhaps the old chic was less barren,
More something to be looked forward to, than this
Morning in the orchards under an unclouded sky,
This painful freshness of each thing being exactly itself.

Perhaps all that is wanted is time.
People cover us, they are older
And have lived before. They want no part of us,
Only to be dying, and over with it.
Out of step with all that is passing along with them.

But living with it deep into the midst of things.
It is civilization that counts, after all, they seem
To be saying, and we are as much a part of it as anybody else
Only we think less about it, even not at all, until some
Fool comes shouting into the forest an nightfall.

News of something we know and care little of,
As the distant castle rejoices to the joyous
Sound of hooves, releasing rooks straight up into the faultless air
And meanwhile weights its shadow ever heavier on the mirroring
Surface of the river, surrounding the little boat with three figures in it.

Mnemonics
ist ein großformatiges Werk mit Momenten des Dramas, von Lyrik und strengem Strukturalismus innerhalb eines breiten Panoramas reicher inharmonischer Klanggewebe. All dies als Unterstützung für die Solovioline, die in einem komplexen Dialog mit den begleitenden elektronischen Klängen steht. Das Werk entwickelt sich über eine sorgfältig ausgearbeitete Grundstruktur, die so konzipiert ist, daß die mit dem charakteristischen Timbre der Violine besonders harmonierenden inharmonischen Akkordspektren in den vordergründigen Bereich der unmittelbaren Wahrnehmung treten.

Wie immer verwendet Dashow auch hier die von ihm entwickelten Techniken, und setzt seine Forschungen zur Schaffung von verwandten inharmonischen Klängen aus spezifischen Intervallen oder Dreiklängen fort, indem er gängige und weniger gängige Signalmodulations-Algorithmen einsetzt. Im vorliegenden Werk dient die Grundstruktur, aus der auch der Violinpart abgeleitet ist, als Ausgangspunkt für den elektronischen Teil: Kombinationen von aus den Basisgruppen abgeleiteten Intervallen werden zu den erzeugenden Dyaden für die elektronischen Akkord-Spektren. Bisweilen wird eine zusätzliche Synthese eingesetzt, um etwa ein Fragment der zugrundeliegenden Notenstruktur zu betonen, das von einer Variante desselben Materials gefolgt wird, wobei es nun durch die inharmonischen Klänge harmonisiert und mit der Violine als Angelpunkt dieser Quasi-Variationen dargebracht wird. Das Stück baut auf klar definierten Abschnitten auf, die entweder durch schrittweise Veränderung oder abruptes Abbrechen fortschreiten, wobei die Angemessenheit des Abbrechens vom nachfolgenden Material sozusagen "erklärt" wird. Kurz gesagt, die GESAMTHEIT der Abfolge der musikalischen Ideen bestimmt die Form der Einzelteile, dies wiederum in Abstimmung mit den Implikationen jener spezifisch klanglich-melodischen Ideen, die der eigentliche Anlaß zu dem Stück waren.

Als Auftragswerk des National Endowment for the Arts wurde MNEMONICS 1982 komponiert, 1984 überarbeitet und 1984/85 im Centro di Monologia Computazionale an der Universität Padua (Italien) unter Verwendung des vom Komponisten weiterentwickelten Programms für digitale Klangsynthese MUSIC360 von Vercoe mit der Unterstützung des rechenzentrumseigenen ICMS-Programms (Tisato) elektronisch realisiert.