Einleitung
Das orbitale Zeitalter
'Peter Weibel
Peter Weibel
Die militärische Weltraumpolitik, die Vision einer im Weltraum stationierten Raketenabwehr (Strategic Defense Initiative – SDI), machen der Weltöffentlichkeit deutlich, wenn auch unter negativen Vorzeichen, daß die Menschheit seit ca. zwei Jahrzehnten dabei ist, den Globus und die planetarische Fläche zu verlassen. Doch nicht allein die Satelliten und Raketen bewegen sich im orbitalen Kreislauf, sondern auch unsere Ideen. Der Weltraum soll nicht den Waffen allein überlassen werden, sondern auch als Perspektive neuer Zusammenhänge dienen. Auch wenn im Moment der Weltraum vornehmlich als Militärschauplatz und als mögliches Schlachtfeld gehandelt wird, so zeigen die ebenso stationierten TV-Satelliten die Möglichkeiten der orbitalen Technologie, nicht nur politische Grenzen zu überwinden. Unser Symposion soll dazu dienen, erstmals die Perspektiven des neuen orbitalen Zeitalters, die Veränderungen für die menschliche Zivilisation durch die Eroberung der orbitalen Sphäre zu untersuchen.
Wir befinden uns am Ende des planetarischen Denkens, wo der Globus als Nomos der Geschichte galt. Dies erzeugte die Idee einer den ganzen Globus umspannenden, vereinheitlichenden Welt-Raum-Ordnung. Diese globale Ordnung tendierte aber zu einer gefährlichen Universalisierung, zu einer totalitären One-World, zum Weltstaat, aus dem keiner mehr emigrieren kann. Mit der orbitalen Sphäre wird aber der "Nomos der Erde", das Gesetz der Erde verlassen, und die Menschheit hat die Chance, die Gefahren der Planetarisierung und Universalisierung hinsichtlich einer Mono-Welt und Mono-Kultur zu beseitigen. Erst die orbitale Perspektive ermöglicht, neue Erbauer des Erdballs zu werden. Der Globus verliert seine planetarische Grenze. In der orbitalen Sphäre wandelt sich die geschlossene Welt zum unendlichen Universum. Der orbitale Luftraum wird langfristig zu unserer Lebenswelt, kurzfristig verhilft er dazu, die globalen Grenzlinien des Planeten Erde zu überwinden. Der Satellit Pioneer 10 hat in seinem Gepäck eine Zeichnung von zwei Menschen (Frau/Mann) und das Sonnensystem. Dieser Personalausweis des homo sapiens, gedacht für eine allfällige Begegnung mit fremden Intelligenzen, ist das erste orbitale Poem, die erste orbitale Kommunikation. Die Verschiebung der Grenze sternwärts bezeugen die bereits heute in orbitalen Bahnen sich bewegenden 1500 Satelliten, orbitale Botschafter. Sie bezeugen aber auch das Verschieben, Öffnen und Aufheben globaler Grenzen.
Unser Symposion versucht nun, Denker, Wissenschaftler, Künstlerphilosophen, Techniker, Medienexperten zu versammeln, in deren Arbeiten eine orbitale Denkweise bereits zu erkennen ist, bzw. sich mit Problemen beschäftigen, die mit dem Verlassen der planetarischen Sphäre zusammenhängen (wie z.B. die Idee der Grenze).
Es werden daher Referate gehalten, welche die technische und naturwissenschaftliche Entwicklung beschreiben, wie es zur Eroberung der orbitalen Bahnen gekommen ist und wie ihr momentaner militärischer und nachrichtentechnischer Ist-Zustand ist. Wie "missiles" und "messages" im orbitalen Raum ventiliert werden.
Das ökologische Inseparabilitäts-Theorem (alles mit allem verbunden, so daß Verursachungen an einem Ort erst nach langer Frist an einem anderen Ort Folgen zeitigen können, von denen wir im Augenblick nichts wissen) ist ein Musterbeispiel für die orbitale Überwindung planetarischen Denkens in globalen borderlines. Es zeigt sich ja, daß die gezogenen Grenzen falsch sind. Kalendarische und arbeitszeitmäßige Veränderungen werden daher eben so wie ökologische Prozesse Gegenstand von Referaten sein. Sind große multinationale Konzerne die eigentlichen Weltgesellschaften, die sich durch die Eroberung der orbitalen Sphäre auch die Macht im Weltraum sichern wollen? Oder ist der orbitale Standpunkt, jener bereits von Archimedes ersehnte Punkt außerhalb der Erde, von wo aus man die Welt positiv verändern kann?
Das orbitale Zeitalter hat jedenfalls bereits begonnen – das klarzumachen und seine Konsequenzen vorzustellen, ist das Ziel unseres Symposions, das sich erstmals mit diesem Themenkomplex beschäftigt, in einem Festival, das sich ja selbst die Aufgabe stellt, die Beziehung Kunst–Technologie–Gesellschaft darzustellen.
Peter Weibel
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