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Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
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Festival 1979-2007
 

 

Jenseits der Erde: Das orbitale Zeitalter


'Peter Weibel Peter Weibel

Let us prepare ourselves to escape, to continue life and rebuild our cities on other planets: we shall not be long on this earth.

Ray Bradbury zu Oriana Fallaci
DIE SCHWERKRAFT DER ERDE
Das Zeitalter der Gestirnsbahnen heißt nun Das orbitale Zeitalter. Die Schwerkraft bewirkt, daß alle Dinge, von der Erde angezogen, zu Boden fallen bzw. daß wir Menschen uns nicht mit eigener Kraft vom Boden abheben können. Warum fallen dann der Mond und die Sterne nicht auf die Erde hernieder? Weil diese sich in elliptischen oder kreisförmigen Bahnen (Orbits) umeinander bewegen. Das fundamentale Prinzip, das dieser Bewegung der Planeten zugrunde liegt, ist das Gesetz der Anziehung durch die Schwerkraft, welches ein universales Gesetz ist, also für das ganze Universum gilt.

Da die Planeten (Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, Pluto) nicht in die Sonne stürzen, sondern in elliptischen Bahnen um die Sonne kreisen, so wie der Mond ebenfalls nicht auf die Erde stürzt, sondern um die Erde kreist, ist den Anziehungskräften der Gravitation zu verdanken, gemäß dem einfachen Gesetz, das Sir Isaac Newton (1643–1727) er/fand: Die Anziehung zwischen zwei Körpern ist proportional dem Produkt ihrer Massen und invers proportional dem Quadrat ihrer Entfernung (1687). Das heißt, daß die Anziehungskraft zwischen zwei Körpern abnimmt, wenn die Entfernung zwischen ihnen größer wird und ihre Masse kleiner. Die Anziehungskraft der Gravitation hält die Bewegung eines Planeten kreisförmig, aber was hält ihn in Bewegung?

Nach einem ursprünglichen Schub (dem großen Urknall zu Beginn des expandierenden Universums) ist es die Balance von Zentrifugalkraft und Schwerkraft. Die Zentrifugalkraft würde ja ein Objekt in einer zirkularen Bewegung nach außen stoßen. Die Zentrifugalkraft steigt übrigens mit der Größe des Radius, der Masse des Objektes und je mehr Runden das Objekt pro Sekunde macht. Nachdem Johannes Kepler (1571–1630) die grundlegenden Gesetze für die Planetenbewegung formuliert hatte, nämlich daß die Planeten in elliptischen Bahnen um die Sonne kreisen – die Erde übrigens in einer Entfernung von 150 Millionen Kilometern – konnte Newton darangehen, die Frage zu klären, warum das so ist. Die Erklärung für dieses "Mysterium Cosmographicum" (so lautete der Titel von Keplers Buch, 1597) konnte nicht durch die Konstruktion eines Universums von Kugeln, Würfeln, Pyramiden etc. erreicht werden, sondern nur durch die Annahme eines Gravitationsgesetzes, das die Zentrifugalkraft balancieren würde.

Die Berechnung der Zentrifugalkraft eines Planeten war ja seit Kepler möglich, da wir seine Entfernung zur Sonne, seine Bahn und Umdrehungszeit etc. wußten. Wenn wir also die Zentrifugalkraft in einem Orbit berechnet haben, haben wir auch die Gravitationskraft berechnet, welche der Zentrifugalkraft ja äquivalent sein muß. Aufgrund des Gravitationsgesetzes ziehen also die Planeten und Sterne einander an und gleichen damit die Fliehkraft des alles in Bewegung setzenden Urknalls aus. So wie die Monde um die Planeten und die Planeten um die Sonne kreisen, so kreisen die Sterne um das Zentrum der Galaxis, und auch die Bewegung der Galaxien selbst ist durch die Gravitation geregelt. Es ist daher nicht überraschend, daß Newton der erste war, der die Möglichkeit entwarf, einen künstlichen Satelliten in eine Umlaufbahn um die Sonne zu schicken.

Zwei wesentliche Entdeckungen haben also das menschliche Bild von der Erde revolutioniert: die Entdeckung, daß die Erde nicht das stationäre und einzige Zentrum der Bewegung im Universum ist, sondern daß die Erde nur einer von mehreren Planeten ist, die sich um die Sonne bewegen (1543, De Revolutionibus von Nikolaus Kopernikus, 1473–1543). Zweitens, die Newtonsche Entdeckung, daß diese Bewegung durch ein universales Gravitationsgesetz reguliert ist.

Keplers Gesetze der Planetenorbits lieferten die Voraussetzungen für die Entdeckung der Gravitationsgesetze. Beide bilden den Kern der orbitalen Problematik. Es ist deshalb ein schönes historisches Arrangement, daß die erste Konferenz zum orbitalen Zeitalter in Linz stattfindet, da der Vater des orbitalen Denkens selbst viele Jahre in Linz verbracht hat. Der Entdecker der Gesetze der Gestirnsbahnen (Orbits) gehört also zu den Begründern eines orbitalen Denkens, das die Folgen aus den drei wissenschaftlichen Entdeckungen (Kopernikus, Kepler, Newton), welche die moderne Astronomie begründeten und zur Entwicklung der Astronautik (des bemannten Raumfluges) führten, zu reflektieren trachtet.

Die Bewegung der Planeten in Orbits (elliptischen oder kreisförmigen Bahnen) mittels der Gravitationsgesetze haben eine mächtige Imagination in Gang gesetzt, nämlich den Wunsch, die Gravitation zu überwinden, sich von der Schwerkraft der Erde zu befreien und sich selbst in die kosmische Choreographie der Planetenbewegung zu schleudern. Die revolutionierende Idee, daß die Erde sich bewegt, daß die Erde nur ein um sich selbst rotierender, sich auf einer festen Umlaufbahn (Orbit) bewegender Planet ist, daß das ganze Weltall nur aus Planetenorbits besteht, hat den Wunsch freigelegt, sich selbst in diese Planetenbewegungen hineinzubewegen, selbst ein Orbiter (ein auf einer Umlaufbahn sich bewegendes Objekt) zu sein. Man hat nämlich bald entdeckt, daß die Kenntnis der Fall- und Gravitationsgesetze dazu benutzt werden kann, nicht nur die Schwerkraft der Erde zu überwinden, sondern vor allem dazu, solche Umlaufbahnen selbst zu schaffen und zu steuern. Bei diesen "menschlichen" Orbits könnte erstmals die Größe der Orbits und die Zeitdauer des Aufenthalts eines Objekts auf einem bestimmten Orbit vom Menschen selbst bestimmt werden.

Man stelle sich einen Steinwurf von einem immens hohen Turm vor. Wenn wir den Stein horizontal in den Raum werfen und es keine Schwerkraft und keine atmosphärische Reibung gäbe, würde der Stein in die Unendlichkeit des Universums fliegen. Doch durch die Schwerkraft der Erde wird die Flugbahn des Steines gebeugt gemäß den Newtonschen Gravitationsgesetzen und der Stein würde weit entfernt vom Turm auf der Erde landen. Wenn wir jedoch den Stein mit einer bestimmten maschinellen Kraft in den Horizont und in eine bestimmte Höhe werfen, kann es passieren, daß die Kurve des Niederfalls des Steins gleich wird der Kurve der Erdkugel. Dann würde der Stein die Erde nie erreichen. Denn jedesmal wenn sich die Bahn des Steins nach unten beugt, würde sich die Oberfläche der Erde um denselben Betrag krümmen.

Wenn also durch die ursprüngliche Initialkraft der Stein eine bestimmte Höhe und Geschwindigkeit erreicht hat, und dadurch die Krümmungskurve des Falls des Steins gleich der Krümmungskurve der Erdkugel ist, dann würde der Stein die Erde nie erreichen und als Satellit umkreisen. Wir sehen hier, wie die Fallbewegung eines Objektes in eine orbitale Bewegung um die Erde übergehen kann, wenn das Objekt nur einen genügend starken horizontalen Stoß/Schub (durch eine Raketenexplosion) erhält. Wir sehen hier, wie die orbitale Bewegung mit den Gesetzen der Gravitation und der Zentrifugalkraft zusammenhängt. Die horizontale Geschwindigkeit, die notwendig ist, damit die Fallkurve gleich der Kurve der Erdkugel ist, ist übrigens ca. fünf Meilen pro Sekunde. An dieser Stelle soll deswegen auch als vierter Vorläufer des orbitalen Denkens der Entdecker der Fallgesetze genannt werden: Galileo Galilei (1564–1642).

Im Prinzip erfolgt das Schleudern einer Satellitenrakete ins All auf ähnliche Weise wie mit dem Stein. Die erste Explosion bringt die Rakete über die Atmosphäre hinaus, die zweite Raketenexplosion stößt den Satelliten in horizontale Bewegung. Satelliten sind also künstliche, von Menschen gemachte Planeten, die von Menschen in ihre Umlaufbahn, in ihren Orbit gebracht werden. Daher ist ihre Umlaufbahn auch von Menschen steuerbar, d.h. die Größe und die Dauer des Orbits. Der Mensch kann aber so einen Satellitenplaneten auch von der Erde wegdirigieren und durch weitere kleine Explosionen in neue Umlaufbahnen steuern wie einst ein Segelschiff durch das Meer. Mit diesen künstlichen Planeten kann also der Mensch die Reise jenseits der Schwerkraft der Erde, die Reise durch das All, im schwerelosen Raum, antreten. Der große Urknall zu Beginn des Universums ist also einer ersten Raketenexplosion zu vergleichen.

Der Urknall hat die Planeten in ihre Bewegung versetzt, deren orbitale Form den Gravitationsgesetzen entspringt. Nun versetzen wir mit Hilfe von Raketenexplosionen unsere Satelliten in orbitale Bewegung. Wir erheben uns von der Erde, wir benutzen die Gesetze der Gravitation, um der Schwerkraft, der Anziehungskraft der Erde zu entkommen. Diese Eroberung der orbitalen Sphäre jenseits der irdischen Schwerkraft läßt uns erkennen, daß die Erde selbst nur ein Satellit ist. Das von Menschen gesteuerte Schleudern von Satelliten in Umlaufbahnen um die Erde, wo sie ruhig zwischen den ausgleichenden sie vor Ablenkungen von ihrer Bahn feienden Anziehungskräften von Mond und Erde dahinsegeln, diese künstlichen Orbits (Umlaufbahnen der Planeten) sind ungeheure Eingriffe in die natürlichen Orbits, in die natürliche Ordnung der Planten und Gestirnsbahnen.

Von Menschen bestimmte Umlaufbahnen, auf denen sich von Menschen hinaufgeschleuderte Objekte bewegen, bedeuten den Beginn eines Lebens im All, eines Lebens jenseits der Erde. Die Eroberung der orbitalen Sphäre ist daher als Beginn eines neuen Lebens jenseits der Erde vielleicht von gleicher Bedeutung wie der Beginn des Lebens auf der Erde vor Millionen von Jahren. Denn der Beginn des orbitalen Zeitalters markiert nichts anderes als den Beginn des Transfers des Lebens von der Erde ins All und letztlich in die schwarzen kalten Wüsten des Universums. Denn wer oder was sagt, daß nur die Oberfläche des Planeten Erde wirklich der einzige Platz für eine expandierende technologische Zivilisation bleiben muß?

Wer sagt es außer dem Gravitationsgesetz? Die Schwerkraft der Erde ließ uns Millionen Jahre lang die Oberfläche der Erde selbst als einzigen Ort des Lebens erscheinen. Aus der Erde gruben wir die Materialien, aus den Tiefen der Erde holten, pumpten und schürften wir die Energien, nicht aus den Tiefen des Alls. Die neue menschliche Möglichkeit, uns in die Gestirnsbahnen selbst einzubringen, selbst als künstlicher Planet, dessen Nukleus ein Satellit ist, in der orbitalen Choreographie des Kosmos mitzutanzen, eröffnet dem menschlichen Leben ungeheuer große neue Räume jenseits der Erde. In diesem Sinne gehört die Mondlandung zu den vielleicht wichtigsten Ereignissen in der Menschheitsgeschichte, in der Geschichte des menschlichen Lebens. Sie stellt jedenfalls eine Cäsur, eine Vollendung und einen Beginn dar, einen Bruch mit einem Jahrhunderttausende alten Bewußtsein und mit einer Millionen Jahre alten Lebensform, nämlich Gefangener der Gravitation und des Globus zu sein.

Die Kraft der Gravitation bildete den elementarsten Aspekt der Evolution auf der Erde für Billionen von Jahren. An die Erde festgebunden waren die Lebewesen, mit den Füßen nach innen ins Zentrum des Planeten gerichtet. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Bruch mit dieser Regel, wie ihn der Eintritt in die "schwerkraftfreie" orbitale Sphäre darstellt, vielleicht das wichtigste Ereignis in der Geschichte der Menschheit. Als vor 400 Millionen Jahren die ersten Wirbeltiere auftauchten und die Fische das Meer bevölkerten, als nach Millionen von Jahren die Amphibien aufs Festland vorstießen, als vor 50 Millionen Jahren die ersten Primaten auftraten und als im gleichen Zeitraum die Kontinente ihre Drift begannen und sich trennten: in diesem Zeitraum von Millionen Jahren war das Leben an die Erde gebunden.

Selbst die Reise der Lebewesen in verschiedene irdische Lebensräume – vom Wasser ins Land und in die Luft – erstreckten sich über Millionen Jahre, Vergleichen wir dazu die 2000jährige Zeitdauer des orbitalen Bewußtseins und die Dauer der Reise nach außerirdischen Lebensräumen (30 Jahre), so ist diese Reise von der Erde fort verglichen mit der Reise auf der Erde (vom Wasser in die Luft) nicht nur von einer implodierenden Beschleunigung, sondern gewissermaßen auch die natürliche Fortsetzung der Bewegung des Menschen, des Aufstiegs der Lebewesen. Die Bewegung der Kontinente hat Millionen Jahre beansprucht, die Bewegung jenseits der Kontinente brauchte nur 500 Jahre zu ihrer Verwirklichung. Alles Leben hat sich seit drei Billionen Jahren in der Erdatmosphäre abgespielt. Seit 30 Jahren wird der Versuch gemacht, das Leben außerhalb der Erdatmosphäre zu tragen, zu schleudern. Wird eine Satellitenrakete in ihre Umlaufbahn geschossen, ist das der Versuch, Leben außerhalb die Erde zu schießen. Vergleichen wir diesen Bruchteil einer Sekunde im Leben der Erde (was anderes sind ja die 30 Jahre nicht) mit der Millionen Jahre langen Entwicklung des Lebens auf der Erde, so haben wir Anlaß zu Optimismus und eine Vorstellung davon, was in den kommenden Jahrmillionen noch alles vor sich gehen wird.
DER ORBITALE BLICK: DIE ERDE ALS DER DRITTE PLANET

I didn't grow up with the idea of drifting continents and sea floor spreadings, but I tell you, when you look at the way the pieces of the northeastern portion of the African continent seem to fit together, separated by a narrow gulf, you could almost make a believer of anybody.


Der wissenschaftliche Astronaut und Geologe Harrison H. Schmitt 1972 auf seinem Flug zum Mond zur Bodenbesatzung in Houston.
Der Aufbruch in die orbitale Sphäre hat also auch das Bewußtsein verändert. Wenn wir uns vorstellen, daß der aufrechte Gang des Menschen 400 Millionen Jahre zu seiner Entwicklung gebraucht hat und daß innerhalb weniger Jahrhunderte Leonardo da Vincis Traum vom Fliegen, vom Verlassen der Erde, verwirklicht wurde; daß weiters menschliches Leben für Millionen Jahre an die Erde gebunden war, und seit zirka 30 Jahren der Mensch und mit ihm das Leben sich von der Erde lösen, so können wir ermessen, wie umwälzend und wie neuartig diese revolutionierende Erfahrung, diese Veränderung des Bewußtseins sein muß, so tief, daß wir sie wahrscheinlich kaum erkennen können. Das Symposion "Das orbitale Zeitalter" setzt eben nun erstmals an, Spuren dieser Erfahrung und Veränderung zu untersuchen.

Denn das orbitale Zeitalter hat nicht nur ein Datum, ein Bild, sondern auch ein Bewußtsein: der Raum ist unsere neue, aber auch unsere letzte Grenze. Den eigentlichen Kern dieses Bewußtseins finden wir ebenfalls in Problemen des Gewichts und der Gravitation, doch schon bei weitem früher als bei den genannten wissenschaftlichen Vätern. Die Eroberung der orbitalen Sphäre erfüllt nämlich einen alten Wunschtraum, der vor mehr als 2000 Jahren ausgesprochen wurde, und dieser Wunschtraum geht über Raumflugträume hinaus. Die orbitale Expansion hat nämlich zwei Dimensionen. Die eine richtet sich nach vorne, in den neuen Ozean des Sonnensystems und der Milchstraße. Die andere richtet sich nach hinten, auf die Erde selbst. Von der orbitalen Sphäre aus kann ich nämlich nicht nur in den Kosmos sehen, was ich ja auch von der Erde aus schon immer konnte, sondern kann, erstmals seit die Erde und die Menschen existieren, auch auf die Erde selbst blicken. Der Blick vom orbitalen Satelliten, vom künstlichen Planeten, auf den Planeten Erde selbst ist das bisher größte, schönste und wichtigste Bild, das die Menschheit hervorgebracht hat. Es ist ein Bild, das für Millionen Jahre unvorstellbar war.

Die Reise ins Sonnensystem und der Blick zurück auf die Erde sind also die zwei Dimensionen der orbitalen Revolution, des orbitalen Sprungs. Dabei scheint uns die zweite Dimension, der orbitale Blick auf die Erde, im Augenblick von größerer Bedeutung. Dieser orbitale Blick auf die Erde, dieser Standpunkt außerhalb der Erde, bestimmt das orbitale Bewußtsein. Der eigentliche Vater dieses orbitalen Bewußtseins ist Archimedes (287–212 vor Christi).

Wenn wir Pappus (Pappi Alexandrini collectionis quae supersunt, Hrg. T. Hultsch, VIII, S. 1060, Berlin 1876–8) Glauben schenken dürfen, war es in Verbindung mit seiner Lösung des Problems, wie man ein gegebenes Gewicht mit einer gegebenen Kraft bewegen kann, daß Archimedes den berühmten Satz ausrief: "Gib mir einen Platz, auf dem ich stehen kann, und ich werde die Erde bewegen." (doV moi pou Vtv kai kinv ten gen)
Dieser berühmte Archimedische Ort ist also kein niedergeschriebenes Statement, sondern entspringt nur oraler Überlieferung. Gemäß Plutarch soll Archimedes zu König Hieron gesagt haben, daß jedes gegebene Gewicht durch eine gegebene Kraft bewegt werden kann, und als Beispiel angegeben hat, daß er sogar, gäbe man ihm eine andere Erde, er zu ihr überwechseln würde und er von dort aus diese unsere Erde bewegen würde. Als Hieron voll Verwunderung um ein praktisches Beispiel bat, wie ein großes Gewicht durch eine kleine Kraft bewegt werden könne, konstruierte Archimedes einen Flaschenzug, mit dem er weit weg sitzend spielerisch ein schwer beladenes Schiff mit seinen bloßen Händen bewegte, was alle Syracusaner zusammen nicht vermocht hatten. Mit Hilfe einer mechanischen Erfindung (die Kraftübertragungen und Schwerpunktverlagerungen inkludierte) illustrierte Archimedes, daß auf einem Punkt außerhalb der Erde die Erde selbst mit geringer Kraft bewegt werden könne. Dieser Punkt, Ort, Platz (pd bv) außerhalb der Erde ist der orbitale Punkt. Mit der Eroberung der orbitalen Sphäre haben wir diesen archimedischen Punkt außerhalb der Erde erreicht. Werden wir dementsprechend auch die Erde bewegen und verändern? ist pa bv der orbitale Ort?
DER NEUE ORBITALE OZEAN UND SEINE PIONIERE

Space is the new ocean and this nation must sail upon it.

President John F. Kennedy
Ich sagte, das orbitale Zeitalter hat ein Datum und ein Bild. Das Datum lautet 4. Oktober 1957, als von den Sowjets das erste von Menschen gemachte Objekt in eine Umlaufbahn um die Erde geschossen wurde. Dieser künstliche Mond wurde Sputnik genannt, was auf Russisch soviel bedeutet wie bei uns die ewigen Metaphern für den Mond, nämlich "Reisebegleiter" oder "freundschaftlicher Mitwanderer". Dabei wurde einem Vorschlag des russischen Pioniers der Raumfahrt gefolgt, Konstantin Tsiolkovsky (1857–1935).

Mit diesem Datum beginnt gleichsam offiziell das orbitale Zeitalter. Das Bild des orbitalen Zeitalters ist jenes der Mondlandung im Juli 1969 durch das amerikanische Raumschiff Apollo 11. Gleichzeitig mit der Fernsehübertragung der Mondlandung konnte man, aus dem Fenster blickend, den Mond in weiter Ferne sehen. Der reale Mond blieb weit entfernt wie immer, aber sein Bild, seine televisive Vergrößerung auf dem TV-Schirm war ganz nahe. Ich sah gleichzeitig zwei Bilder ein und desselben Objekts, das reale Bild des Mondes und das elektronische Bild, das mich sozusagen zum Gast der Mondoberfläche machte. Die späteren Übertragungen von Bildern, welche den Blick aus der Raumkapsel auf die Erde zeigten, stellen die Vollendung dieses ersten ursprünglichen Bildes dar.

Dieses orbitale Bild des Planeten Erde, sozusagen aus der Luke des neuen orbitalen Ozeanschiffes, ist das Logo der Raumschiffahrt. Die Geschichte der Aviatik ist ein evolutionäres Zwischenglied im Eskapismus von der Erde in den orbitalen Raum, die wir aber gleichzeitig als Vorstufe der Raumfahrt sehen müssen, deswegen der Bezug auf Leonardos Träume von Flugmaschinen.

Die eigentliche Geschichte der orbitalen Raumfahrt beginnt mit Konstantin Tsiolkovsky (1857–1935). Er veröffentlichte die erste Arbeit über den Gebrauch von Raketen, die von flüssigem Hydrogen und Oxygen angetrieben werden. Er beschrieb 1903 auch ein Raum-Habitat, das mit künstlicher Gravitation mit Hilfe der Zentrifugalkraft rotieren würde.

Hermann Oberth veröffentlichte 1923 das berühmte Buch "Die Rakete zu den Planetenräumen", in dem ebenfalls Propulsionsprobleme und das Leben im Raumall diskutiert wurden. J. Desmond Bernal (1901–1971), einer der Begründer der modernen Kristallographie, publizierte als junger Lektor in Cambridge das Buch "The World, the Flesh and the Devil", in dem er die Emanzipation der Menschheit von der Erde prophezeite. Emphatisch pries er die Kolonisation des Raumes, die Restauration der Erde durch die Emigration ins All, wo die Menschen in ausgenommenen Asteroiden mit riesigen Flügeln zum Einfangen der Sonnenenergie oder auf selbstgemachten künstlichen Planeten, die um die Sonne kreisen, leben würden. Die selbstgesteuerte Evolution der Menschheit würde in einem "gewichtlosen" Leben ihre Vollendung finden.

Gleichzeitig konstruierte Robert Goddard (1882–1945) die erste reale Rakete mit flüssigem Treibstoff. Am 16. März 1926 flog die erste kleine Rakete über ein Feld in Massachusetts. Wernher von Braun (1912–1977) betrieb in den Jahren danach Raketenforschung in Deutschland, kriegsbedingt. Er sollte später das Team führen, das im Jänner 1958 mit Explorer 1 den ersten US-Satelliten in seinen Orbit schoß. 1959 publizierte der berühmte Physiker Freeman Dyson, heute am Institute for advanced Study in Princeton, seine Ideen über "the Greening of the Galaxis" und über die Extension der menschlichen Aktivität ins All. Am spektakulärsten ist das Konzept der Dyson-Sphäre, die Idee, eine Art Box um die Sonne zu geben, eine Art sphärische Schale um den Mutterstern. Die Schale würde aus einer großen Zahl von künstlichen Raumstädten bestehen, die alle ihre eigene Umlaufbahn hätten. Die Struktur dieses neuen verbesserten Arrangements des planetarischen Materials, diese künstliche Biosphäre, würde erstmals die gesamte Strahlungsenergie des Muttersterns nutzen.

Dyson glaubt, daß innerhalb weniger tausend Jahre die menschliche Bevölkerung millionenfach größer sein wird als im 20. Jahrhundert und daher die Suche nach neuen Lebensräumen, Energie und Materialquellen jenseits der Erde unsere einzige Möglichkeit ist. Das Lancieren künstlicher Satelliten und Raumfähren mit riesigen Solarzellen ist für ihn der erste Versuch in diese Richtung, eine bewohnbare Dyson-Sphäre zu schaffen. Ein ehemaliger Student Dysons, Gerald O'Neill, heute ebenfalls Physikprofessor in Princeton, hat die bisher größten wissenschaftlichen Anstrengungen unternommen, Modelle für bewohnbare Raumstädte zu entwerfen. Seine Ideen wurden unter dem Namen "The Princeton Prospectus" bekannt. Der entscheidende Fortschritt zu den bisherigen Modellen liegt darin, daß das Baumaterial für diese orbitalen Habitate nicht von der Erde, sondern mit Hilfe spezieller Maschinen vom Mond, also vom All selbst kommen sollte.

Im August 1974 veröffentlichte er erstmals seine Ideen im britischen Wissenschaftsmagazin "Nature", 1977 veröffentlichte er das Buch "The High Frontier", das ihm eine große Anhängerschaft verschaffte. Die Idee seiner Raumsiedlungen, mit Hilfe von Mondmaterial neues Land in Form von großen Habitaten zu schaffen, die um die Erde kreisen, sollte die Probleme der Erde lösen (wie Überbevölkerung, Energiemangel, Verschmutzung, Nahrungsmittelknappheit, klimatische Veränderungen und die Begrenzung des ökonomischen Wachstums). Mit Hilfe der chemischen Elemente, die schon im All vorhanden sind, und der Sonnenenergie glaubt er, im Raum selbst durch die Abwesenheit von Reibung und Gravitation sogar bessere Bedingungen für industrielles und agrikulturelles Wachstum zu finden, so daß die neuen Raumbewohner unabhängig von der Erde wären.

Zu Ehren von J. D. Bernal nannte er das Modell der ersten sphärischen Siedlung mit zirka 50.000 Leuten Bernal-Sphäre. Die Leute würden innerhalb dieser Sphären leben, wo sozusagen der Boden nach außen gerichtet und daher auch die Füße nach außen von der Axis weg gerichtet wären. Wenn sie nach oben blickten, würden sie nicht den Sternenhimmel, sondern die andere Seite der Siedlung sehen. Um im Beispiel zu bleiben: wäre die Erde so eine hohle Sphäre, würden die Nordamerikaner am Himmel Australien sehen. Deswegen ist man später, um Isolationsgefühlen, Klaustrophobien etc. vorzubeugen, unter der Anleitung des Anthropologen Magorah Maruvama von der University of Illinois, dazu übergegangen, als Modell des Habitats einen Torus zu nehmen, da dieser aufwärts gekurvt eine Art Horizont eingebaut hätte. Skylab (1973) und Space Shuttle (1983) sind die ersten Zellen solcher von Menschen bewohnbarer orbitalen Habitate.

Verglichen mit der ersten und nur einmaligen Umkreisung der Erde in einem Satelliten mit menschlicher Besatzung, am 12. April 1961 durch Juri Gagarin, der im Februar 1962 eine dreimalige Umkreisung durch John Glenn folgte, ist der Fortschritt ungeheuer, wenn man sieht, wie die Astronauten 20 Jahre später in den Raumfähren ein Bad nehmen, wissenschaftlich arbeiten, sich trimmen, gepflegt essen, eigene Schlafstätten haben und sich dabei tagelang im All aufhalten. Raumflüge haben also ihre spartanische Zeit bereits hinter sich. Aus experimentellen Missionen werden operative Erkundungen, die von den guten Möglichkeiten jenes weiten Reiches jenseits der Erde Gebrauch machen. Spaceshuttle ist das erste wirkliche "aerospace vehicle", Luft- und Raumfahrzeug, denn es ist in der Luft genauso zu Hause wie im Weltraum.

Aus dem Spaceshuttle werden sich orbitale Fabriken entwickeln und mit ihnen die orbitalen Wohnräume. Innerhalb weniger Dekaden hat das orbitale Zeitalter Gestalt angenommen, begannen die Menschen, im orbitalen Weltraum zu arbeiten und zu leben. Diese Menschen können sicherlich mit denjenigen Pionieren verglichen werden, die im 17. Jahrhundert von England nach Amerika segelten, oder mit jenen prähistorischen Menschen, welche die Inseln des Südpazifik bewohnbar machten. Diese Leute werden aber keine Sklaven verwenden, also Menschen ausbeuten, um den Schwierigkeiten der Anfangsphase zu begegnen. Ihre Sklaven werden Roboter sein. Daher werden Robotnics, Computer- und Automatentheorie zu den wichtigsten Medien des orbitalen Zeitalters nach den Gravitationsgesetzen werden. Oder wird es im orbitalen Zeitalter zu einem Krieg zwischen Raumherren und Raummietern kommen?
DAS ORBITALE BEWUSSTSEIN
Der Vergleich mit den Pilgrim Fathers erinnert uns daran, daß die Kolonisation Amerikas nicht ohne Kriege verlief, daß überhaupt fast alle menschlichen Expansionen kriegerischen Charakter hatten. Das korrespondiert mit der Tatsache, daß die NASA (National Aeronautics and Space Administration) vom Militär finanziert wird, und daß US-Präsident Reagan den Weltraum in einen Kriegsschauplatz verwandelt mit seiner Strategic Defense Initiative (SDI). Die Abgründe im Konzept des Fortschritts werden auch im orbitalen Raum nicht verschlossen bleiben.

Umso wichtiger ist die zweite Dimension der Raumfahrt, der orbitale Blick auf die Erde selbst. Weil von diesem Standort aus erstmals die "Erde als Raumschiff" (Buckminster Fuller) erkennbar ist, als Einheit. Das Versprechen, statt vereinigten Staaten irgendwelcher Nationen die Erde selbst als die einzige Nation zu sehen, als vereinigte Erde, ist wie das Versprechen eines kommenden goldenen Zeitalters. Diese Idee wurde als planetarisches oder globales Bewußtsein und von psychedelischen Bewegungen wie Whole Earth Catalog (Steward Brand) erstmals vorgetragen und ihre Wirkung hält bis heute an. Siehe "The global rain. Speculations on the evolutionary leap to planetary consciousness" von Peter Russell (1983, Los Angeles).

Das orbitale Bewußtsein ist nicht das gleiche wie das planetarische oder globale, obwohl es dem vereinheitlichenden orbitalen Blick nahesteht in der Idee der Einheit der Erde. Doch das orbitale Bewußtsein ist komplexer, kennt die negative Dialektik der menschlichen Fortschrittsidee. Sicherlich wird eine vereinigte Welt notwendig und unvermeidbar sein, aber gerade eben weil wir in einer nuklearen Ära am Leben bleiben wollen. Sozialer Fortschritt ist möglich, aber nur unter den Bedingungen der Logik der Diversität und Heterogenität. Neue Gedanken, neue Lebensformen, neue, von der Tradition abweichende Ansichten über das menschliche Zusammenleben, über die menschlichen Beziehungen wie über unsere Beziehungen zur Erde und zum Kosmos werden notwendig sein und toleriert werden müssen als Ergebnis der zum Überleben gehörenden Anpassung.

Doch nicht nur kulturelle Diversität ist unbedingt notwendig, sondern wir müssen erkennen, daß der Mensch nun selbst seine genetische Diversität steuern kann, seitdem Sol Spiegelman 1965 erstmals eine lebende Einheit (einen aktiven Virus) aus nicht lebendem Material entwickelt hat. Spiegelman sagte halb im Scherz: "Nachdem alle ökologischen Nischen der Erde von DNA besetzt waren, mußte die DNA den Menschen erfinden, um die Möglichkeiten des extra-terrestrischen Lebens als eines anderen Ortes der Replikation zu erforschen." Nicht die Sprache ist also ein Virus W. Burroughs, sondern der Mensch selbst ist der Virus im All. Die Menschen werden sich wie bisher über die Jahrhunderttausende hinweg genetisch verändern und fortsetzen, sich weiter genetisch zu verändern, ob wir wollen oder nicht. "Cloning" ist somit die Möglichkeit, die Richtung dieser Evolution selbst zu steuern. Auch das Cloning wird mithelfen, das Universum für den Menschen bewohnbar zu machen.
DIE GEKLONTE ERDE
Die Geschichte des menschlichen Leibes
als Geschichte der Prothesis
konvergiert mit
der Geschichte der Erde
als Geschichte der Prothesis.
Die Erde wird zum menschlichen Leib.

Die Werkzeuge und die technische Kultur
entspringen den Auslagerungen Exterriorisationen)
des menschlichen Leibes.
Die Werkzeuge und technischen Produkte
sind Ersatzglieder (Prothesen) und
vervollkommnen die menschlichen Organe:
Motor – Muskel
Hand – Hammer, Hebel
Fuß – Rad
Auge – Brille, Mikroskop, Fernrohr, Fernsehen
Ohr – Telefon, Radio
Gedächtnis – Schrift, Fotografie, Schallplatte
rechnen – Computer
Mutterleib – Wohnhaus, Erde.

Das Wesen der Prothesis ist die Ersetzung
natürlicher Organe durch vom Menschen gemachte künstliche Hilfsorgane:
die technomorphe Transformation der Erde
als Teil des menschlichen Leibes.
Die Technik ist das Make up der Erde.

Die Modellierung des Leibes
führte zur Technik als Prothesen-Kultur
zum geklonten Leib.

Computational Modelling und Cloning
sind die avanciertesten Prothesen.
Der Mensch wird zum Prothesengott
zum Herrn über seinen Leib
über die Erde und das All.

Die Eroberung des Alls
setzt die Exterriorisation des Körpers fort.
Satelliten und Raumschiffe sind
nicht nur Auslagerungen des Körpers
sondern auch Exterriorisationen der Erde.

Die Wohnorte und Energiequellen
die Organe und Werkzeuge
der Erde werden ins All ausgelagert.
Die Erde als Mutterleib wird
im Raumzeitalter exterriorialisiert.
Wie das Innere der Erde
wird auch das Unbewußte des Menschen
nach außen gelagert.
Die Erde wird zum Gehirn des Menschen
des Prothesengottes Menschen.
Die Erde wird zu einer Prothese
zum Werkzeug des Menschen.

The Earth as Brainwork:
selfmade reality
selbsterzeugte Welt.

Die Erde wird zum Menschen:
das ist das Ziel der Werkzeuge
der Prothesen und der Technik.
Satelliten sind die Augen, Ohren
und Kameras der menschlichen Erde
der zum Leib des Menschen gewordenen Erde.
Auf das Cloning des Leibes
folgt die geklonte Erde.

Die Raumschiffe sind die
ersten Zellen der geklonten Erde.
Das Mutterschiff und Mastertape Erde
wird unendlich viele Kopien
ins All entlassen.

So wie jede Zelle eines individuellen Organismus
beim Cloning der Bauch eines
identischen Individuums werden kann
so auch die Erde Bauch für
identische Erdsteine und Erdzellen.

Im Raumzeitalter
ersetzen wir Teile der Erde,
bis die Erde selbst ersetzt wird.
Eine ersetzbare geklonte Erde
wird infinit reproduzierbar.
Die Erde verwandelt sich
in eine unsterbliche
gigantische Prothese.
DIE ORBITALE BESCHLEUNIGUNG: CHRONOPOLITIK
Die Ägypter bauten Jahrtausende an ihren Tempeln, an den Domen wurde noch hundert Jahre gebaut, heute braucht man für ein Museum oder eine Kirche höchstens noch ein paar Jahre. Diese Beschleunigung des Bauens hat mit jenem Wechsel zu tun, den Paul Virilio den Wechsel von der Geopolitik zur Chronopolitik nannte. Terrorismus ist die beschleunigte Chronopolitik des Krieges. Diese Beschleunigung evoziert aber auch die Ahnung von einer Verlangsamung. Eine verlangsamte Phantasie kann sich vorstellen, daß wir wiederum Jahrtausende an unseren Städten bauen, nur diesmal im All. Das orbitale Zeitalter ist ein Zeitalter der Beschleunigung.

Diese Beschleunigung betrifft fast alle Bereiche der Gesellschaft wie Transportation, Bildung etc. Durch die beschleunigte Kommunikation, auf der Ebene der Information wie auf der Ebene des Transports gleichermaßen, ist unser Planet geschrumpft. Wofür wir früher noch Monate und Wochen brauchten, nämlich um von Europa nach Amerika oder Asien zu kommen, dafür brauchen wir heute nur mehr wenige Stunden. Desgleichen werden die zeitlichen Abstände zwischen wichtigen Entfernungen immer geringer. Siehe die Entwicklung vom Transistor (1947) zum Integrated Circuit um 1960.

Wir können sagen, daß die Geschwindigkeit des Wechsels in der gegenwärtigen Gesellschaft exponentiell beschleunigt zunimmt. An den Intervallen zwischen der Entdeckung und der physikalischen Umsetzung unserer technologischen Mittel selbst können wir diese Geschwindigkeit des Wechsels ablesen. In der Fotografie hat es noch 112 Jahre, beim Telefon noch 56 Jahre, beim Radio noch 35 Jahre, beim Radar noch 15 Jahre gedauert, um eine theoretische Erkenntnis in eine physikalische Anwendung umzuwandeln. Bei der Atombombe nur mehr sechs Jahre und bei den Fortschritten in der Mikroelektronik nur mehr eineinhalb Jahre. Das gleiche ist bei der Bevölkerungszunahme zu beobachten. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hat die Menschheit gebraucht, um die erste Milliarde an Menschen zu erreichen. 1930 hat die Weltbevölkerung bereits die zweite Milliarde erreicht, nur 80 Jahre später. Und nur 30 Jahre später, 1960, hatten wir bereits die dritte Milliarde erreicht. Und nur 15 Jahre später, 1975, hatten wir bereits die vierte Milliarde. Es ist zu erwarten, daß wir in 50 Jahren acht Milliarden Menschen haben werden, das heißt, in den letzten 200 Jahren hat sich dann die Erdbevölkerung verachtfacht. Die Konflikte, die daraus entstehen werden, innerhalb einer Nation, aber auch zwischen den Nationen und Kontinenten, sind voraussehbar. Es wäre allerdings ursächlich falsch, dieses exponentielle Wachstum der Weltbevölkerung getrennt vom exponentiellen Wachstum der Technologie zu sehen.

Das Gegenteil ist wahr. Innerhalb dieses technologischen Wachstums, dieser technologischen Beschleunigung, spielt die Computerkultur eine besondere Rolle, denn sie ist Teil der dritten Kommunikationsrevolution, welche die Grundlage des orbitalen Zeitalters bildet. War die Erfindung der Schrift vor zirka 5000 Jahren die erste Kommunikationsrevolution, weil hier erstmals die direkte Kommunikation zwischen Personen verlassen wurde, die bis dahin einzige Möglichkeit der Kommunikation. Mit Hilfe der Schrift konnten räumliche und zeitliche Distanzen überwunden werden. Vergangene Ereignisse konnten aufbewahrt werden und an spätere oder woanders lebende Personen weitergeliefert werden. Entkörperlichte Information konnte in Raum und Zeit herumgeschoben werden. Die zweite Kommunikationsrevolution stellte die Erfindung des Buchdrucks vor zirka 500 Jahren dar. Was die Schrift für die individuelle Kommunikation geleistet hat, wurde nun für die Massenkommunikation möglich. Der Druck führt die Massenkommunikation ein. Die Symbolisation von Botschaften durch elektromagnetische Felder, wie sie vor zirka 150 Jahren durch das Telefon eingeführt wurde, welche die Grundlage für die elektronische Informationsverarbeitung durch den Computer lieferte, wäre die dritte Kommunikationsrevolution.

Die Entkörperlichung der Botschaft hat nun weltweiten Rang erreicht. Ein Netzwerk von Computerterminals, Telefonen, Telexsystemen, Satelliten-TVs etc. hat ein neues orbitales Informationsenvironment geschaffen.