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Metadesign: Auf dem Weg zu einem Postmodernismus der Rekonstruktion


'Gene Youngblood Gene Youngblood

KURZFASSUNG

Der Begriff "das orbitale Zeitalter" beschwört den Mythos einer Kommunikationsrevolution. Einen Mythos, der so alt ist wie das Fernsehen. Diesem Mythos zufolge können und werden die neuen Technologien der Telekommunikation die Struktur und Funktion der Massenmedien umkehren, und zwar (a) vom zentralisierten Output zum dezentralisierten Input, (b) von der Hierarchie zur Heteroarchie, (c) vom Massenpublikum zum Spezialpublikum, (d) von der Kommunikation zur Konversation, (e) vom Kommerz zur Gemeinschaft, (f) vom Nationalstaat zum globalen Dorf.

In anderen Worten, diesem Mythos entsprechend wird der kulturelle Imperialismus der Massenmedien durch autonome "Realitätsgemeinschaften" ersetzt – durch soziale Gruppen von politisch bedeutsamer Größe, die durch die Telekommunikationsnetze entstehen und daher nicht durch die geographische Lage, sondern durch das Bewußtsein, die Ideologie und die Sehnsucht bestimmt sind. Die Glieder dieser elektronischen Gemeinschaften besitzen das Werkzeug für Simulation und Konversation, sie könnten sowohl Modelle möglicher Wirklichkeiten (Kunst) schaffen und den kulturellen Kontext kontrollieren, in welchem diese Modelle veröffentlicht und wahrgenommen werden (Politik) – die Kommunikationsrevolution ist gleichzusetzen mit der kulturellen Revolution.

Die Kommunikationsrevolution ist zwar mythisch und doch ist sie politisch unumgänglich, denn nur eine radikale Umkehrung der herrschenden Kommunikationsstrukturen ermöglicht uns, in gleichem Maße zu erschaffen als wir zerstören: das Maß der Zerstörung wird aufgehoben durch das Maß an Kommunikation.

Die Rolle der Kunst in der Kommunikationsrevolution stellt sich als höchst problematisch dar, denn wie jeder weiß, sind die Theorien und Praktiken der herkömmlichen schönen Künste beinahe gänzlich irrelevant für die gegenwärtige technokulturelle und soziopolitische Realität. In jedem kulturell und politisch relevanten Sinn ist die Kunst, wie wir sie kennen, tot. Der "Postmodernismus des Widerstandes" stellt ein Versagen der Phantasie dar: sie ermöglicht uns nicht, in gleichem Maß zu erschaffen wie zu zerstören. Geeignete Strategien sind außerästhetisch und superkulturell – nur AUSSERHALB der Tradition der schönen Künste gangbar. Die einzige richtige Strategie ist METADESIGN das Schaffen eines Kontextes und nicht eines Inhaltes. Telekommunikationsnetze, Computerprogramme und interaktive Disktechnologien sind Beispiele für Metadesign. Sie sind Metasysteme, Umfelder, in denen andere den Kontext ihrer kulturellen Produktionen kontrollieren können.

Das Konzept einer Avantgarde, von der postmodernen Theorie geleugnet, ist heute in Wirklichkeit viel eher angebracht als je zuvor, aber es hat nichts mit Ästhetik zu tun. Nur soziale Situationen, nicht Kunstwerke, können als Avantgarde bestehen. Wir müssen einen Zugang zu alternativer Erfahrung haben, nicht bloß neue Ideen, denn wir wissen mehr über unser Sein als wir wohl jemals gewußt haben. Heute erfüllt nur Metadesign die ursprünglichen Kriterien von Avantgarde:
(a) es stellt die einzige neue Grenze zum Unbekannten dar: tatsächlichen elektronischen Raum und die Kunst der Simulation.
(b) nur Metadesign kann den Status quo umstürzen: das Entstehen der autonomen Realitätsgemeinschaften bedeutet die kulturelle Revolution.
(c) es erfordert eine Neudifinition der Institution Kunst: eine utilitaristische und wirksame Praktik, der es eher um den Kontext als um den Inhalt geht.

Metadesign führt Kunst und Politik wieder zusammen: es befähigt die Kunst politisch zu wirken. Metadesigner arbeiten mit kulturellem Kontext, nicht mit politischen Fragen. Sie arbeiten nicht darauf hin, eine politische Idee zu verkünden, sondern wollen Situationen schaffen, in denen jede Idee allein durch ihr Dasein in diesem Kontext politisch werden kann. Das Ziel ist eher zu befähigen, als Propaganda zu machen. Elektronische Gemeinschaften dazu zu ermächtigen, daß sie den Sinn und den Kontext kontrollieren, ist eine revolutionäre Handlung. Während der Postmodernismus der DEkonstruktion die ideologische Subversion als einen absoluten Wert der KUNST postuliert, postuliert der Postmodernismus der REkonstruktion ideologische Autonomie als einen absoluten LEBENSWERT.