Splitterästhetik
'Gerhard Johann Lischka
Gerhard Johann Lischka
Es gibt keine allein seligmachende Kirche und gleichfalls keine allein verbindliche Ästhetik. Das sind doch die Allmachtsansprüche dogmatischer Systeme, die über alle die Käseglocke der einzig möglichen Sicht der Welt stülpen wollen: Totalitarismus.
VER Frühling. Beginn. Wieder zum Leben erwecken. Das Sprießen. Aufkommende Wärme. Sanftes Licht stärker werdend. Unter der Erde, Drang über die Erde. Farbe noch nicht gesättigt. Viele verschiedene Grüntöne. Gelb. Säuseln in den Bäumen. Dampfende Felder.
Jede/r einzelne ist aber so einmalig, daß die Diskussion nur von hier aus kommen kann: von den Präferenzen, Sehnsüchten, Wünschen und Bedürfnissen des Individuums, von seinen zu verschiedenen Zeiten anderen Vorstellungen und in anderen Altersstufen neuen Akzentuierungen. Jede/r ist für sich immer und überall alles, was er/sie sein kann: UNIVERSALIST.
IST Jetzt. Dieser Augenblick, der in den nächsten übergeht und den vorhergehenden bereits vergessen hat. Schlaf. Weit weg. Ganz nah. Der Horizont. Regen. Sonne. Wolkenstreifen. Vom Sturm gepeitschte Straße. Autolärm. Atmen. Der Bus stoppt. Gedränge. Warten. Der erste Schluck Bier. Scheiße. Bezahlen. Frauenlippen. Augenpaare. Ärsche. Abgasgestank. Rhythmen.
Universalität entwickelt sich im dem Menschen gegebenen einmaligen System der Ästhetik, das Machen (Poiesis) und Denken ist, das die Einheit und Einzigartigkeit konstituiert. Der Kopf ruht in der Hand und der Geist ist im Körper.
TUN In der Suppe rühren. Die Haare schneiden. Die Frau streicheln. Das Kind loben. Pfeifen und singen. Spazieren. Schreiben. Telefonieren. Zuhören. Reden. Denken. Baden. Pinkeln. Haare trocknen. Ein Furz. Ein Buch in der Hand halten. Skizzieren. Sitzen.
Jeder Tag hat seine Konstanten, aber auch seine unvorhersehbaren Tücken. Gerade in ihnen liegt der Reiz des Lebens. Sie bewirken, daß man verspielt bleibt, sich relativieren kann, reif wird zur Offenheit gegenüber den anderen.
SAL Salz. Gewürze. Das, was dazu kommt und die Unterschiede desselben ausmacht, sodaß Dasselbe immer ein Anderes ist.
Tücken sind Widerhaken, sind Splitter unter der Haut. Einen Splitter bemerkt man zunächst vielleicht gar nicht. Doch dann fragt man sich, woher man den wohl hat. Aufmerksam verfolgt man die Spuren rückwärts, um die Ursache zu finden.
VERS Blitzlichter der Sprache. Am Anfang, in der Mitte, am Ende: der Reim bringt die Sprache zu sich und läßt sie erklingen. Erinnerung unter der Haut. Ehrfurcht. Spiel.
Als Differenz Wahrgenommenes sind Splitter der Erkenntnis. Sie lassen das Denken nicht zur Ruhe kommen, sind der Stachel für die Sinne. Sie mobilisieren die Abwehrkräfte, die schließlich den Körper und seinen Erlebnishunger gegen Lethargie stärken.
LIST Kein Mist, List ist besser als Intellekt. Falle für die Vernunft. Zaubertrick. Vielgestaltigkeit. Paradox. Falle! Keine Überheblichkeit.
Man kann nicht vorhersagen, wo wieder ein Splitter zum Vorschein kommt: zu komplex ist der Gang des Lebens. Und so vielfältig ist das Erscheinungsbild der Splitter, die Erlebnismomente kreieren, sobald wir uns als versplitterte Ganzheit akzeptieren, als Universalisten.
UNI Rot Gelb Blau. Eins. Zusammen.Orbitale Ästhetik Auflösungserscheinungen des Irdischen zugunsten eines Orbitalen zeigen sich überall, sodaß man sich wiederum für ein Irdisches interessieren muß. Der Prozeß der Ent-Sinnlichung kommt durch das Übergewicht der Massenmedien und deren Schein-Dasein zustande. Die globale Medien-Verstrickung ist durch die Satelliten ermöglicht worden, durch die Posten im Orbit, die die Mutter Erde mittlerweilen fest im Griff haben. Wie sieht nun das Bild des Menschen aus, wie die Architektur und wie der Globus selber? Das versuche ich mittels einer ORBITALEN ÄSTHETIK, einer Zusammensicht ansonst nur verstreut behandelter Einsichten zu zeigen: Ist ein Star ein Mensch und wie wird der Mensch sein eigenes Phantom? Wie sieht der Himmel und wie die Erde aus? Welche Form hat die Geschwindigkeit, mit der wir alle durch den Raum jagen?
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