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Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
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Festival 1979-2007
 

 

"Audio-Uniform-Konzerte"


'Rolf Langebartels Rolf Langebartels / ' Hans Peter Kuhn Hans Peter Kuhn / 'Benoît Maubrey Benoît Maubrey

Freitag, 20. Juni, bis Freitag, 27. Juni 1986

Idee und Konzept:
Benoit Maubrey (USA/Frankreich)

Bänder:
Hans Peter Kuhn (Westdeutschland)

Kostüme:
Anne Leva (USA)

Choreografie:
Susken Rosenthal (Westdeutschland)
Gregory Wolczyn (Polen)

Elektronik:
Wulf Köthe (Westdeutschland)

Unser besonderer Dank gilt der VOEST-ALPINE Linz, die die Grundausstattung für die "Linz-Uniformen" zur Verfügung stellte.

ROLF LANGEBARTELS
ÜBER KLINGENDE KÖRPER UND SPRECHENDE KLEIDER
Der große Schriftsteller Denis Diderot, Begründer der französischen Enzyklopädie, läßt die Kleinode der Hofdamen des Sultans Mangogul sprechen. In "Les Bijoux indiscretes" vernimmt man die Stimmen der Kleinode von Alcine, Monima, Ismene und einigen anderen unter ihren Röcken hervor. Im vierten Akt einer Oper gar singen die Kleinode eines Chors von dreißig Sängerinnen, derweil das Orchester sich nicht beirren läßt, und unterdessen weiterspielt. Das sorgt in dem galanten Roman für einige Überraschungen und Verwirrungen der Wahrnehmung. Mangogul dreht, um die Kleinode zum Sprechen zu bringen, an dem eingefaßten Stein eines Ringes, den er vom Genius Cucufa erhalten hat.

Benoit Maubrey und Hans Peter Kuhn sind im Zeitalter der Satelliten, der Computer und der Unterhaltungselektronik auf solch geheimnisvollen Ring nicht angewiesen. Für Überraschung und Irritation der Wahrnehmung sorgen ihre Medienmenschen und Audiokleider aber ebenso. Ich höre einen Hubschrauber über den Platz fliegen, und sehe zum Himmel auf, um dann festzustellen, daß der Klang aus dem Rücken einer Person in meiner Nähe kommt. Die Person dreht sich, die Richtung des Klanges verändert sich, und ich bemerke andere Personen in einiger Entfernung, die ebenfalls klingen. Auch tragen sie gleiche Kleider. Die Männer Anzüge und die Frauen Kostüme aus einem Kunststoff mit dem Muster eines Leoparden- oder Tigerfelles bedruckt. Die klingenden Personen gehen umher, scheinen einer Choreographie zu folgen. Sie trennen sich und kommen wieder zusammen. Ich höre das Wort "experience" aus sieben menschlichen Körpern klingen. Sieben Performer umkreisen den Turm der Gedächtniskirche in Berlin, eine Wortmontage, die sich in der akustischen Räumlichkeit wiederholt, variiert: das Wort "xxx experience" aus der Ferne kommend, dann auf mich gerichtet von den Performern abgestrahlt, wieder verschwindend. Die Klänge bewegen sich in der Form einer Spirale durch den Raum, der Kirchturm in der Achse. Passanten folgen den Audiomenschen und wollen genau hören, was da gespielt wird. Sie richten Fragen an die Performer. Eine Körperdrehung und aus dem Rücken antwortet eine Vogelstimme.

Das war die Audioherde! Sie hörten die Audioherde live in Berlin, Breitscheidplatz, 1. September 1985. Benoit Maubrey: Konzept, Hans Peter Kuhn: tapes.

Audiomenschen – klingende menschliche Körper, oder sind es wandelnde Lautsprecher? Über der Nacktheit unserer Leiber tragen wir Kleider zum Wärmeschutz, aber auch als Schmuck. Kleider dienen der Inszenierung von Personen, als Uniformen auch der Präsentation und Demonstration von Bedeutung, Anspruch und Macht der Institutionen. Marshall McLuhan beobachtet in der Kleidung der jüngsten Vergangenheit, wie sich der Akzent vom rein Optischen auf das Plastische, Taktile verschiebt und wie sich ein rituelles Produzieren der Körper privat und in der Öffentlichkeit entwickelt. Die sprechenden Kleider von Maubrey und Kuhn erweitern unsere Kleidung ins Akustische und Auditive, unsere Leiber und unsere Haut gewinnen so eine klangliche Plastizität. Die Audioherde nehmen wir mit allen unseren Sinnen gleichzeitig wahr, die sprechenden Kleider entpuppen sich als ein heißes Medium, wie das Radio, mit dem sich eine persönliche Beziehung zwischen Autor und Hörer, zwischen Audioperformer und Publikum einstellt. Ganz im Gegensatz zum Walkman, der den Hörer isoliert von seiner Umgebung, ihn zur Monade macht.

Gleichzeitig sind die Audiomenschen auch als Lautsprecher in Bewegung anzusehen. Die Performer tragen die Lautsprecher in ihren Kleidern und damit die über sie abgespielten Klänge eine Treppe hinauf, die Lautsprecher und Klänge entfernen sich, und verschwinden in einem anderen Raum, sie werden gegen eine Wand gerichtet, und die Klänge dort reflektiert. Insgesamt bildet die Audioherde in dieser Vorstellung mit ihren sieben bewegten Lautsprechern eine Klangskulptur im Raum, einen atmenden Klangorganismus, der sich ausdehnt und wieder zusammenzieht. Natürlich sind diese bewegten Lautsprecher keine Roboter, sondern menschliche Performer, die spontan auf die Reaktionen des Publikums antworten können, die ihre Bewegungen und Choreographie zum Beispiel am Lichtwechsel der Verkehrsampeln orientieren können, oder anderen in der Situation vorgefundenen Zeitstrukturen.

Hans Peter Kuhn ist Musiker, Benoit Maubrey ist bildender Künstler, und beide stammen aus dem Diskurs und Arbeitszusammenhang von Künstlern in Berlin, die sich einer raum- und situationsbezogenen Kunst verschrieben haben. Maler, Musiker und Bildhauer produzieren nicht mehr nur in Ateliers oder Studios Bilder, Kompositionen und Skulpturen, die dann von Ausstellung zu Ausstellung, von Konzert zu Konzert transportiert und präsentiert werden, sondern wollen als Künstler mit ihren jeweils gepflegten und entwickelten Medien und Fähigkeiten in Situationen eingreifen, die sie als räumliche, zeitliche, soziale, historische etc. Sachverhalte und Personenkonstellationen begreifen. Ihre künstlerischen Eingriffe arbeiten meist peripher, nicht am Zentrum der Situation, und versuchen eine Wahrnehmung über die Personen- und Sachverhalte in Gang zu setzen. Sie wollen nicht so sehr ihre künstlerische Persönlichkeit als Genies aufbauen und keine egozentristische Kunst zelebrieren, sondern hebeln an der Situation, um die Dinge im Fluß der Wahrnehmung zu halten. So benutzen denn auch Benoit Maubrey und Hans Peter Kuhn die in einer Stadt vorgefundenen Räume, Straßen, Plätze und Parks, die dort vorgefundenen Kostüme und Uniformen, die dort alltäglichen Klänge. Die Audiomenschen gleichen sich der jeweils vorgefundenen Situation an, eine Art von Mimesis drückt sich in den jeweils verschiedenen Inszenierungen der Audiomenschen für verschiedene Situationen aus. Es kann dadurch ein lebendiger und virulenter Keim entstehen, der eine Stadt und die dort lebenden Menschen vor Erstarrung bewahren und die Verhältnisse in Bewegung bringen kann.
April 1986
DIE AUDIO-UNIFORM-KONZERTE IN LINZ
Vorläufer der AUDIO-UNIFORM sind die "Audio-Kleider", die ebenfalls als mobile Lautsprecheranlage im Freien konzipiert waren. In Second-Hand-Kleidungsstücke wurden Lautsprecher und kleine Verstärker eingesetzt. Über einen angeschlossenen Walkman konnten Cassetten abgespielt werden. 1984 wurden die Audio-Kleider weiterentwickelt zu den AUDIO-UNIFORMEN: Eine ganze Serie gleichartiger Anzüge für Männer und Frauen, die mit einem Lautsprecher-Korsett unter der Jacke und einem außen auf dem Rücken angenähten Verstärker versehen sind. Gleichzeitig wurde durch die spezielle Konstruktion der Korsetts und der Verstärker die Tonqualität erheblich verbessert. Mit einer Gruppe von Menschen, die AUDIO-UNIFORMEN tragen, lassen sich Klang-Environments in öffentlichen Räumen inszenieren.

Die erste Uniform wurde für das AUDIO-HERDE-Projekt im Rahmen der Bundesgartenschau 1985 in Berlin entworfen. Die Mitglieder der AUDIO-HERDE trugen Uniformen aus Synthetik-Stoff, der mit Tierfell-Imitat bedruckt war. über die Lautsprecher wurden Cassetten mit Original-Tiergeräuschen (Krähen, Frösche, Affen, Vögel, Menschen etc.) abgespielt. Die einzelnen Geräusche korrespondierten mit dem jeweiligen Vegetationsbereich der Gartenausstellung, in dem sich die Gruppe gerade bewegte.

Außer diesen Performances auf der Gartenschau gab es auch Auftritte der Uniformen in verschiedenen Stadt-Landschaften. Die örtlichen Gegebenheiten bestimmten dabei die Choreographie der Aufführungen: An einer großen Straßenkreuzung in Hamburg richtete sich der zeitliche Ablauf der Performance nach dem Schaltrhythmus der Ampelanlage, in einem Einkaufszentrum in München gaben parallel laufende Rolltreppen die Struktur der Aufführung vor.

Für die Stadt Linz, als Österreichs Stahlmetropole, werden zehn Uniformen nach dem Vorbild der Arbeitskleidung der Stahlwerker kreiert.

Auf der Eröffnungsveranstaltung der Ars Electronica wird Hans Peter Kuhn ein Live-Konzert aus vokalen und elektronischen Klängen sowie aus Original-Industriegeräuschen auf dem Hauptplatz in Linz aufführen. Im Gegensatz zu einer normalen Konzertsituation, bei der eine festinstallierte Lautsprecheranlage die Musik verstärkt, wird das Linzer Konzert live über die AUDIO-STAHLARBEITER-UNIFORMEN zu hören sein (als individuelle, bewegliche Verstärkeranlagen). Allerdings nicht direkt, sondern in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Rundfunk, der das Konzert im lokalen Radioprogramm überträgt. Die Uniformen sind deshalb mit einem kleinen Radioempfänger statt mit einem Walkman ausgestattet. Ein Übertragungswagen steht auf dem Hauptplatz, um dort den Vokal- und Elektronikteil des Konzerts aufzuzeichnen. Ein zweiter Wagen überträgt die Arbeitsgeräusche eines der riesigen Schmiedehämmer im Stahlwerk. Beide Quellen werden dann zusammengemischt und gesendet. Das Konzert kann natürlich gleichzeitig von allen Radiogeräten in der Stadt empfangen werden.

Für die folgenden Festivaltage werden die Performances der Uniformgruppe an verschiedenen öffentlichen Plätzen der Stadt inszeniert (z.B. im Botanischen Garten, im Donaupark, auf den Donaubrücken, in Seitenstraßen). Dabei werden Elemente des Eröffnungskonzertes als Klangmaterial verwendet werden.
März 1986
Benoit Maubrey/Hans Peter Kuhn

Benoit Maubrey/Hans Peter Kuhn
Gemeinschaftsprojekte

1984 – Performance AUDIO-KLEIDER, Staatliche Kunsthalle Berlin
– Installation DAS AUDIO CAFE, Kunst und Medien, Staatliche Kunsthalle Berlin
– Installation DIE AUDIO BADEWANNE, Schauplatz im Kutscherhaus, Berlin
1985 – Performances AUDIO-UNIFORM, Bundesgartenschau Berlin, Gasteig Kulturzentrum München, Alternativa 4 Lissabon
– Installation THE BOX, Gasteig Kulturzentrum München, Friedensbiennale Kunsthalle Hamburg