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Ars Electronica 1986
Festival-Programm 1986
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Festival 1979-2007
 

 

TERMINAL KUNST – 1. Ausstellungsteil:




DER ELEKTRONISHCHE SCHIRM
Im Katalog zur Ars Electronica 84 wurde Gene Youngbloods Vorstellung zitiert, daß durch die folgerichtige Anwendung von interaktiven Technologien der Aufstieg von sogenannten "Realitätsgemeinschaften" erfolgen wird. Diese sind durch Bewußtsein, Ideologie und Wunsch bestimmt. Solche Gemeinschaften stehen untereinander in Austausch, so jedoch, daß es nichts mit den augenblicklichen Hierarchien der Kommunikationsindustrien zu tun hat.

Video war und ist ein Beispiel für die Privatisierung, Dezentralisierung der elektronischen Bilder. Darum paßte und paßt es auch so schlecht in hierarchische Sende- und Ausstellungshäuser. Darum paßte es gut zu kooperativem Denken, so entstanden eigene Video-Vertriebsgesellschaften.

Grundsätzlich geht die Frage dahin: Was geschieht mit der Kunst durch die ELEKTRONISCHE VERÄNDERUNG, und wie wirkt Kunst, gestalterisches, künstlerisches, erfindendes Tun, das sich elektronischer Mittel bedient, auf die Gesellschaft? Die Beziehung Kunst und Gesellschaft, dies zur Erinnerung, ist eine der grundsätzlichsten Fragen, die sich die Ars Electronica in Linz seit 1979 gestellt hat, und durch vielfältige Diskussionen, Ausstellungen, Aktionen zu beantworten sucht. Auch "TERMINAL KUNST" steht in diesem Nachfrage-Kontext. Denn nur, wo elektronische Systeme der Gestalttechnologie durchschaubar werden, kann es zu einer Demystifizierung von Kunst einerseits und Technologie andererseits kommen. Dem dienen der Ausstellungsteil "Der elektronische Schirm" im Eingangsfoyer des Brucknerhauses ebenso wie die sechs Labors im oberen Foyer.

Niemand bestreitet, daß wir in einer vielfältig auf uns einstürmenden Phase der Technologie-Erfindungen stehen. Niemand wird bestreiten, daß diese hochexpansive Phase Veränderungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens mit sich bringt. Die Geister scheiden sich entschieden dort, wo es um die Fragen der Auswirkungen auf den sozialen Körper geht. Sollen wir versuchen, sie durch eine offensive oder durch eine defensive Strategie in den Griff zu bekommen? Mit der These von den neuen Technologien als Arbeitsplatzvernichtern ist es so wenig getan, wie mit der strahlenden neuen Technologiewelt, die uns in den Anzeigen der Computerfirmen entgegenleuchtet. Kann künstlerische Erfahrung, beziehungsweise Erfahrung, die wir im Umgang mit künstlerischen Werken gewinnen, dazu beitragen, ein klareres Verständnis der Technologie zu erreichen? Hinter den zahlreichen Gruppenbildungen, in denen sich ab Ende der fünfziger Jahre gestalttechnologisch arbeitende Künstler zusammenfinden, steht auch der Gedanke, die Forschungs- und Vermittlungstätigkeit der Gesellschaft gegenüber sichtbarer zu machen.

Das gilt für die 1959 gegründeten Gruppen "T" in Mailand, "N" in Padua ebenso wie für die ab 1960 in Paris wirkende "Groupe de Recherche d'Art Visuel" oder die im gleichen Jahr gegründete internationale "Nouvelle Tendance". (Vgl. hierzu die Beschreibung der erwähnten Gruppen, die ich in meinem Buch "Kunst heute", Ullstein Materialien Mai 1986, gebe.) Schließlich gilt das für "Zero" ab 1958, und die amerikanische Gruppe "Experiments in Art and Technology", 1966 in New York gegründet. Der Gedanke, "neue Kunstformen in Orientierungskarten der Gesellschaft zu übertragen", wie ihn Marshall McLuhan formuliert hatte, steht in einem weiteren Sinne auch hinter der Gründung des "Center for Advanced Visual Studies" durch den Künstler Gyorgy Kepes und der erwähnten Zeitschrift "Leonardo" durch den Künstler Frank J. Malina, beides im Jahr 1967.
Bereits Mitte der sechziger Jahre hatte der 1984 zu früh verstorbene amerikanische Medienkünstler Stan VanDerBeek, ein Pionier des "Expanded Cinema" und des Computerfilms, ein Kommunikationsnetz für künstlerische Filme vorgeschlagen. Darüber hinaus hatte er die Idee mit dem "Movie Drome" (ab 1963) zum Teil schon realisiert, das er als einen Kuppelbau in Stony Point (bei New York) für etwa 30 Personen errichtete.
Sein Konzept basierte darauf, solche Zentren der Medienkünste weltweit aufzubauen, und sie via Satellit zu verbinden. Das System, das er auch "CULTURE INTERCOM" nannte, sollte nicht einfach eine Distributionsstelle, sondern vielmehr auch eine Produktionsstätte sein. Künstler sollten hier arbeiten, ihre Medienwerke die Aufgabe verfolgen, angesichts einer überentwickelten Technologie die unterentwickelte Seite der Emotion, der Phantasie, des elektronischen Kunstimpulses zu stärken.

Alle die erwähnten und andere Gruppierungen schließen auch untereinander ein elektronisches Netzwerk, sind Teil des "Cultural Intercom", eines weltweiten Kommunikationsverbundes in unserem "globalen Dorf". Seit McLuhan diesen Terminus prägte, zeigte es sich, zeigt es sich heute noch deutlicher, daß er das ELEKTRONISCHE DORF meinte. Was kann man über die Kunst im elektronischen Dorf sagen?
Eine Antwort führt zur DEZENTRALISIERUNG des künstlerischen Objektes und/oder Prozesses. Wir kennen diesen Vorgang ja auch von der Musik. Schallplattenproduktionen höchster Qualität im Akustischen werden aus mehreren Live-Produktionen zusammengeschnitten, sind nicht mehr auf die "reale" Aufführung angewiesen. Das Musik-Hören privatisiert sich. Musik wird besonders gefördert durch die tragbaren Kassettenrecorder, wird zu einer mobilen Erlebnisform, eine Musik in Wanderschaft. Statt in den Konzertsaal zu gehen, kommt der Konzertsaal zu uns, begleitet uns auf einem Spaziergang, bei der Lektüre, bei der Arbeit. Dieselbe Entwicklung hat mittlerweile eingesetzt für Kleinst-Fernsehgeräte, die wir wie eine Uhr um die Hand legen oder in die Westentasche stecken. (Woraus die Medienkritiker auch gleich den Slogan von der Westentaschenkultur ableiten.)

Es kommt allerdings darauf an, mit welchen Verweisen auf welche Realitäten wir diesen Begriff belegen. Wir haben auf den Gebieten Musik, Theater, bildende Kunst und anderen, ein doppeltes Erscheinungsbild: das ORIGINAL, die Aufführung, die den Originalschauplätzen Museum, Galerie, Theater eine möglicherweise auch gesellschaftliche Bedeutung geben. Auf der anderen Seite haben wir das mehr und mehr perfektionierte MEDIENWERK, die Kassette, die Platte, die Diskette und anderes, die mehr und mehr die "Bibliotheken" (= Mediatheken) im elektronischen Dorf bevölkern.

Spricht man statt von der Bibliothek von der "HAUS-PINAKOTHEK", so ist man bei einer Formulierung, die Laszlo Moholy-Nagy 1927 in seinem Bauhausbuch "Malerei – Fotografie – Film" benutzte, ein Weg, wie er voraussagte, der den "Originalen" eine weite Verbreitung sichert und der uns freimacht vom Einzelobjekt und dessen Marktwert. Und der, wie er meinte, seine Vorläufer in den asiatischen Formen der "Sammlung" von Rollenbildern oder in den grafischen Sammlungen Europas hat.

Die "Haus-Pinakothek" der zweiten Hälfte der achtziger Jahre, eventuell darüber hinaus, ist die künstlerische Ausgabe des integrierten Netzes, das unter dem Schlagwort ISDN = "INTEGRATED SERVICES DIGITAL NETWORK" läuft, also ein Informations- und Kommunikationsnetzwerk, das verschiedene Dienstleistungen wie Datenübertragung, Telex und Teletex, Bildschirmtext, Telefon, Telefax auf digitaler Grundlage vereint (vgl. Skizze). Es macht die Kennzeichnung unseres elektronischen Dorfes aus, daß zwei Entwicklungen gegenwärtig ziemlich parallel stattfinden: Auf der einen Seite DEZENTRALISIERT und diversifiziert sich sowohl die Herstellung als auch die Verbreitung der neuen Technologien; auf der anderen Seite kommt es zum ZUSAMMENSCHLUSS, zur Vernetzung der unterschiedlichen Angebote, so daß Computer- und Telekommunikationssysteme austauschbar, zusammengekoppelt werden.

Ich kann und will hier nicht eingehen auf die vielfältigen Fragen, die in diesem Zusammenhang von der Medien- und Technologiekritik gestellt werden. Tatsache ist, daß eine solche, eben skizzierte zweigeteilte Entwicklung stattfinden wird, da die eigenständige Dynamik – wie immer man sie beurteilt – der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen Entscheidungen dahin drängt. Zweite Tatsache ist, daß dies enorme Konsequenzen in unserer Gesellschafts-, Sprach-, Bildkultur haben wird.

Gibt es für die erwähnte Zweigleisigkeit – Dezentralisierung und Zusammenschluß – konstruktive Beispiele aus der Künstlerpraxis der letzten Zeit? Ich möchte zur Beantwortung dieser Frage auf das Beispiel der kanadischen Kunstszene greifen. Dort kam es seit Mitte der sechziger Jahre zum kooperativen Zusammenschluß verschiedener Video-Kommunen, der bis heute funktionstüchtig ist. Video steht dabei als ein weiter Überbegriff für kommunales, gesellschaftliches, politisches, künstlerisches, erzählerisches, experimentelles Produzieren von Videotapes.

Ein interessantes Modell, wie aktuelle Technologien sowohl dezentralisiert als auch in einem Netzwerk verbunden eingesetzt werden können, um für die Gesellschaft und den Künstler ergiebig zu sein, wurde 1979 vorgestellt: "THE LIVING MUSEUM", also das lebende Museum. Dieses Modell trägt verschiedene Züge eines sinnvollen Gebrauchs des erwähnten ISDN im Rahmen der Kunst. Der zugrundeliegende Gedanke ist, Computer Terminals und Timesharing Computer interaktiv zu benutzen. Diesem Netz sollen die über Kanada verstreuten parallelen Galerien und Video-Stationen angeschlossen werden. Zu den Dienstleistungen innerhalb dieses Netzes gehören sowohl eine bessere, schnellere, übersichtlichere Auswertung der vorhandenen Angebote (Videos, Wanderausstellungen, Zeitschriften, Kataloge, Bücher), wie auch der kreative, experimentelle Umgang mit der Computertechnologie, soweit Künstlerinnen und Künstler daran interessiert sind.

Das "Living Museum" ist nicht als Gebäude konzipiert, obgleich es ein solches werden kann. Es ist systematisiertes Netzwerk, das auch deshalb notwendig ist, weil – in Kanada nicht anders als in sonstigen Ländern – die großen Sendestationen ebenso wie die staatlichen oder städtischen Museen wenig oder nichts dafür tun, die Medienarbeit von Künstlerinnen und Künstlern zu honorieren. Der ORF ist, mit beiden Kanälen, hier eine international herausragende Ausnahme, wie auch die diesjährige Ars Electronica zeigt.

Als Ganzes gesehen ist das Beispiel aus Kanada gut dazu geeignet, den Einsatz von neuen Technologien durch Künstler zu demonstrieren. Gerade in dezentralisierten Nationen, wo weite Entfernungen zwischen den einzelnen Städten liegen, kann die sinnvolle Verwendung der Technologie zu einem NEUEN TRÄGERSYSTEM künstlerischer Arbeiten werden. Das geht nicht ohne den Willen zu Kooperation unter den Künstlerinnen und Künstlern, das geht auch nicht ohne Finanzierungsmodelle (wie sie in Kanada immer wieder vom "Canada Council" aufgebracht wurden). In einem weiteren Kontext sind hier auch verschiedene Formen der künstlerischen TELEKOMMUNIKATION zu sehen, die in den letzten Jahren in Europa, USA, Kanada, Australien, also praktisch in allen Kontinenten oder zwischen ihnen verwirklicht wurden. "Die Welt in 24 Stunden" hieß ein solches Telekommunikationsereignis, das der Kanadier Robert Adrian X, der seit 1978 auf diesem Gebiet Erfahrungen gesammelt hat, für die Ars Electronica 82 in Linz organisierte. Das Programm bestand darin, während dieses 24-Stunden-Projektes Künstler oder Künstlergruppen rund um den Planeten Erde zu verbinden und ihnen die Möglichkeit zum visuellen Austausch zu geben.

Technisch funktioniert dieser Austausch wie auch bei ähnlichen Veranstaltungen durch den Einsatz eines Timesharing Computers, was, wie der Name sagt, die Aufteilung eines Datenverarbeitungssystems unter gleichzeitig mehreren Benutzern ermöglicht: dann eines Telefax, wodurch Schrift oder Bild auf Papier in Audiosignale übertragen und per Telefon übermittelt werden, während eine andere Maschine auf der Empfängerseite die Signale wieder in Text und/oder Bild zurückverwandelt: schließlich funktioniert der Austausch durch Slow-Scan-Video, das heißt ebenfalls Umwandlung optischer Daten per Videokamera in Audiosignale, Übertragung per Telefon, Rückverwandlung der empfangenen Signale in Bilder auf einem Monitor.

Zur grundsätzlichen Anwendung der Telekommunikation durch Künstler gehört das Inventar der Technologien und ein spezifischer Inhalt. Nicht jeder "Austausch" macht Sinn. Es kommt darauf an, besondere Formen für die Telekommunikation zu finden, die diesem Medium "auf den Leib geschnitten" sind.